Otavalo.
Unsere zweite Schulwoche in Ecuador geht nun auch schon ihrem Ende entgegen. Deswegen haben wir gestern Nachmittag unsere erste Unterkunft gebucht – am Samstag soll es mit dem Bus weitergehen nach Baños. Hatten wir am Montag noch gewisse Schwierigkeiten, den Schulweg zu finden und kamen deswegen zu spät, so kennen wir die Strecke inzwischen genau und wissen auch, wann wir losgehen müssen, um rechtzeitig da zu sein. Etwa 25 Minuten sind es zu Fuß. So ein Spaziergang hat schon etwas, vor allem bei dem strahlenden Sonnenschein, mit dem uns der ecuadorianische Himmel täglich verwöhnt. Die beeindruckenden Bergsilhouetten, von denen Otavalo umrahmt wird, kommen im klaren Morgenhimmel am besten zur Geltung.

Und während wir zügigen Schrittes die Innenstadt durchqueren, öffnen gerade die Läden, und die Händler an der Plaza de los Ponchos bauen wie jeden Tag ihre Stände auf.

Lehrerin Isabel sorgt mit einer Fülle von Präpositionen, reflexiven Verben und dem Üben von Vergangenheitsformen dafür, dass es uns in den 150 Minuten bis zur Pause kein bisschen langweilig wird. Danach erschließt sich uns erst, warum es wohl gar so zackig gehen musste: In dem kleinen Aufenthaltsraum, dem sich eine ebenso winzige Küche anschließt, besteht die Pausenbeschäftigung heute im Schälen von Bohnen, dem Zerkleinern von Hühnerbrust und dem Schnipseln von Tomaten und Avocados. Es soll etwas typisch Ecuadorianisches zum Mittagessen geben.

Die Sprachlehrerinnen ermuntern uns Schüler zum Mitarbeiten: Außer uns lernt hier gerade eine vierköpfige, sehr sympathische Professorenfamilie aus dem US-Bundesstaat Washington Spanisch. Kirsten ist Vulkanologin, Timothy Biologe – beide nehmen zur Zeit ebenfalls ein Sabbatical, wobei die Frau momentan noch ein paar Stunden an einer ecuadorianischen Hochschule unterrichtet. Und die beiden neun- und elfjährigen Söhne? Sind zwar nicht gerade mit der größten Begeisterung bei der Sache, aber sie werden die neue Sprache bald brauchen, denn ab September werden sie für ein halbes Jahr hier in die Schule gehen. Das andere halbe Jahr will die Familie dann in Australien verbringen. Auch wenn es manchmal schwer fällt: Wir unterhalten uns weitgehend auf Spanisch, um die Sprache zu üben; nur wenn es zu kompliziert wird, wechseln wir mal schnell ins Englische.

– Ach ja, eine siebte Sprachschülerin gibt es auch noch: Ein äußerst wortkarges, ausschließlich mit ihrem Smartphone beschäftigtes etwa 17jähriges Mädchen, das auf Nachfrage gerade einmal preisgibt, dass sie aus New York ist. An den Vorarbeiten beteiligt sich die Gute in keinster Weise; als das Resultat dann auf den Tisch kommt, verschmäht sie den hervorragend schmeckenden Salat, der neben den oben erwähnten Zutaten noch Zwiebeln, Ketchup und Mayonnaise enthält, allerdings nicht. Der Clou des Rezepts: Garniert wird der Salat mit Scheiben von frittierten Kochbananen und – Popcorn!

Unser Mittagessen haben wir damit also bereits erhalten, ein Restaurantbesuch erübrigt sich heute. Also können wir gleich unseren kleinen Nachmittagsausflug beginnen, der auf die 2.847 Meter hohe Kuppe Pucará de Rey Loma führen soll. Sie liegt direkt im Osten der Stadt. Wanderwege nach oben gibt es, aber die sind laut unserer Lehrerin nicht besonders gut ausgeschildert. Außerdem hat sie gehört, dass es dort auch aggressive Hunde geben soll. Die Empfehlung lautet deswegen, nach oben ein Taxi zu nehmen und die Straße entlang wieder zurückzugehen – was wir, für 4 Dollar, auch machen. Auf dem höchsten Punkt der Erhebung befindet sich ein den Indigenen heiliger Baum, „El Lechero“ genannt.

An ihm zelebrieren die Schamanen seit Menschengedenken regelmäßig Reinigungsrituale. Das hängt sicher mit den besonderen Eigenschaften des Gewächses zusammen: Reißt man ein Blatt ab, tritt eine milchige Flüssigkeit aus, die von der traditionellen Medizin als Heilmittel für Insektenstiche und Risswunden verwendet wird. Wie uns unser Gastvater Eduardo erklärt hat, kann man die Substanz aber auch als Klebstoff verwenden…

Die besondere Attraktivität dieses Ortes liegt aber auch an dem wunderbaren Panorama, das sich nach allen Seiten auftut: Nach Norden zum Cotacachi, nach Süden ins Fuya-Fuya-Gebirge, westwärts hinunter in die Stadt und nach Osten zum See San Pablo. Er liegt dem Imbabura zu Füßen. Eine Legende, die uns Eduardo gestern erzählt hat, besagt, dass er aus den Tränen entstand, die eine Häuptlingstochter vergoss, weil sie und ihr Liebster nicht zueinander finden konnten („wie Romeo und Julia“).

Für die genauen Details der Geschichte reichen unsere Spanischkenntnisse leider noch nicht… Der Sagenschatz der Einheimischen spiegelt sich auch in der Silhouette des Imbabura wider, die laut Eduardo das Gesicht eines schlafenden Riesen nachzeichnet. Seit jeher haben die Einheimischen ihre Kinder mit der Drohung diszipliniert, wenn sie nicht brav seien, werde der Riese aus den Bergen kommen und sie mitnehmen. Das wirkt angeblich auch heute noch bei den Enkeln…

Den einzigen Hund, der uns hier oben über den Weg läuft, empfinden wir als völlig harmlos – er döst im Schatten des El Lechero vor sich hin, guckt kurz mal, ob ein Wanderer etwas Essbares mitbringt und setzt dann sein Nickerchen fort. Also wagen wir, gemäß Empfehlung unseres Gastvaters mit einem Stock ausgerüstet, den Rückweg über die ruhigen, staubtrockenen Feldwege hinunter in Richtung Otavalo, was uns tolle Panoramen auf die Stadt und zurück auf den Imbabura beschert.

Und es gibt die Gelegenheit, etwas für die Völkerverständigung zu tun: Als wir an einem kleinen Anwesen vorbeikommen, sehen wir, dass sich zwei Frauen gerade mit einem sehr schweren, mit Bohnen gefüllten Sack abmühen. Mein Angebot, beim Tragen zu helfen, nehmen die beiden sehr erfreut an und bedanken sich ganz herzlich.

Noch vor dem Abendessen klopfen Leonor und Eduardo an der Tür unseres Zimmers: Sie wollen sich von uns verabschieden, denn sie werden um 19 Uhr mit einem Bus zu einer Veranstaltung ihrer Kirche nach Guayaquil fahren, von der sie erst am Sonntag zurückkommen. Der 22jährige Sohn Daniel und die Frau des nicht mehr im Haus wohnenden ältesten Sohns werden sich bis zu unserer Abreise am Samstag um unser Wohl kümmern. Bekocht wurden wir hier hervorragend, die Abendunterhaltungen waren vielseitig und abwechslungsreich. Und nachdem ich Daniel, wie fast alle hier ein großer Fußballfan, mein Kicker-Sonderheft zur neuen Bundesliga-Saison geschenkt hatte, zeigte er mir am nächsten Abend gleich stolz, dass man auf seiner Fifa 2015-Edition auch mit meinem Lieblingsverein, dem ihm bis dahin nicht bekannten TSV 1860 München, spielen kann. Das Spiel gegen einen mexikanischen Verein, den er ausgewählt hat, haben wir dann unterbrochen. Wäre ganz nett, es heute fortzusetzen… leider ist hier seit mittlerweile mehr als vier Stunden Stromausfall. Es ist Nacht geworden in Otavalo; die Gastmutter hat uns noch eine Kerze gebracht, ich arbeite mit Stirnlampe und zehre vom glücklicherweise voll geladenen Akku des Rechners. Sollte dieser Beitrag heute nicht mehr online gehen, dann dauert das Energieproblem noch länger an – gut möglich, denn vorhin war mal kurz Strom da, doch dann funkte es im Garten zwei Häuser weiter von einer Leitung wie bei einem Feuerwerk, und sofort war der Zauber wieder vorbei. Ob das heute noch jemand repariert?… sehr fraglich!

Daniel serviert das Essen im Kerzenschein und unternimmt mit uns anschließend, da immer noch alles dunkel ist, einen Abendspaziergang durch Otavalo. Besonders schön ist es am bunt erleuchteten Parque Bolívar. Anschließend lässt er uns an der Plaza de las Ponchos an einem der vielen Imbissstände, die abends noch offen haben, etwas Typisches probieren – mit Käse gefüllte Empanadas und Colada de Mora, ein warmer Früchtepunsch mit verschiedenen roten Früchten. Und wieder zuhause, ist dann tatsächlich auch der Strom wieder da…!

Richtig schön eure Beiträge zu lesen, heute hier, an einem so seltenen, warmen Sommerabend in Deutschland. Die Rentner-WG sitzt auf der Terrasse und genießt bei einem kühlen Wein den ausklingenden heißen Tag. Wir freuen uns auf die nächsten Geschichten. So schön kann Schule sein, oder. MUVA
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