Otavalo.
Der Küchenchef heute Morgen heißt Daniel. Er ist eifrig und gibt sein Bestes, ganz so schnell wie bei Mama kommen die Bestandteile des Frühstücks – heiße Milch, frischer Saft, Rührei und mit Käse belegtes Croissant – aber doch nicht auf den Tisch. Zu Fuß kommen wir heute sicher zu spät zur Schule. Aber wir haben Glück: Gleich gegenüber dem Haus gibt’s eine Bushaltestelle, und für 30 Cent fahren wir mit dem innerstädtischen Linienbus ins Zentrum.

Noch einmal wird einiges an neuem Stoff behandelt, bevor wir die Zertifikate über 40 Stunden Spanisch-Unterricht erhalten, die uns bescheinigen, das wir auf Niveau A2 angelangt sind. Mittags folgen wir einer Empfehlung Daniels und essen in einem typisch ecuadorianischen Restaurant am Parque Bolívar namens Ely. Eine der Köchinnen ist seine Tante, claro… Hier gibt es für 4,50 Dollar ein Plato Tipico mit gebratenem Schweinefleisch, Empanadas, gerösteten Tortillas, zwei Arten von Mais und Salat plus frischem Saft.


Anschließend nehmen wir einen Bus in die etwa 25 Kilometer nördlich liegende Provinzhauptstadt Ibarra. 55 Cent kostet die einfache Fahrtstrecke pro Person. Ibarra ist mit 130.000 Einwohnern erheblich größer als Otavalo, wesentlich betriebsamer und ziemlich untouristisch. Der Weg vom Busbahnhof in die Innenstadt führt an einem großen Markt vorbei, der im Vergleich zu Otavalo einen etwas schäbigen Eindruck hinterlässt. Auch die Fassaden der Vorstadtstraßen verraten, dass hier keine tourismusfördernde Kosmetik betrieben wurde…

Einige schöne Plätze gibt es allerdings zumindest in der Innenstadt, in der viele der noch erhaltenen historischen Gebäude (1868 wurde bei einem verheerenden Erdbeben ein Großteil der kolonialen Altstadt zerstört) weiß gestrichen sind, weshalb Ibarra auch den Beinamen Weiße Stadt bekommen hat.

Besonders hübsch ist es rund um den Parque Pedro Moncayo, wo die Kathedrale, der Bischofspalast, ein Regierungsgebäude und das Rathaus ein bemerkenswertes Ensemble bilden.

Nur einen Häuserblock weiter, am Parque Merced, befindet sich neben der gleichnamigen Kirche ein ausladender burgähnlicher Backsteinbau. In der 1898 errichteten ehemaligen Kaserne im Herzen der Stadt ist heute ein staatliches Kulturzentrum untergebracht.

Ansonsten sticht uns nahe des Bahnhofs noch ein weißer Obelisk ins Auge, der einst zu dem Zweck aufgestellt wurde, den ankommenden Reisenden gleich zu zeigen, dass sie jetzt in Ibarra waren.

Nach zwei Stunden haben wir alles gesehen, was für uns in Ibarra interessant sein könnte, und fahren wieder nachhause. Das kostet pro Person 10 Cent mehr als bei der Hinfahrt – weil wir für diesen Preis nämlich eine Art Bahnsteigkarte lösen müssen, ohne die man gar nicht zu den Bussen kommt. Wahrscheinlich eine Art Zusatzabgabe, denn der Busbahnhof wirkt ziemlich modern und neu; ein Teil der Baukosten soll wohl auch damit finanziert werden.

Abends werden wir von Daniels „großem Bruder“, seiner Frau und den drei Kindern sowie seiner Schwägerin, die ebenfalls ihre zwei Töchter mitgebracht hat, zum Essen gebeten. So viele Leute wegen unseres Abendessens? Die Auflösung gibt es danach. Joaquín, jüngster Familienspross, wird heute zwei Jahre alt. Und wenn schon die Großeltern selbst nicht da sind, dann wird wenigstens in ihrem Haus gefeiert! Wir sind dazu herzlich eingeladen, bekommen als Nachtisch Fruchtgelatine im Glas (in Ecuador sehr beliebt, ähnelt ein wenig unserer Götterspeise) und ein Stück vom Geburtstagskuchen.

Zum Glück haben wir ein paar Gastgeschenke für Kinder mitgenommen; Schokolade und Armbänder mit Germany-Aufdruck werden wir jetzt los. Derweil darf Joaquín zur Feier des Tages mit beiden Händen Kuchen und Chips in sich hineinstopfen, bis das ganze Gesicht verschmiert ist…!
Anschließend geht die Party richtig los: Daniel baut die X-Box mit Kamera auf, die Mädels stellen sich erwartungsvoll im Wohnzimmer in Pose, das Spiel Just Dance wird geladen, und dann tanzen die etwa acht- bis zehnjährigen Niñas zu heißen Pop- und Latino-Rhythmen um die Wette. Das Spiel folgt einem ähnlichen Prinzip wie „ingstar: Tanzbewegungen werden vorgegeben und sollen möglichst synchron nachgeahmt werden. Dafür gibt es Punkte…

Natürlich geben sich die lustigen Cousinen, einmal in Fahrt, nicht mit einem Lied zufrieden. Und wollen dann auch die Erwachsenen in Aktion sehen: Zuerst liefert sich Jana mit der Schwiegertochter des Hauses und deren Schwester einen Tanzwettkampf, anschließend werden auch die drei Hombres aufgefordert, ihr Können zu zeigen. Wir schlagen uns ganz beachtlich… Schließlich, es geht auf zehn Uhr zu, müssen die Kleinen aber doch mal ins Bett. Vor allem der ältesten Schwester des Geburtstagskinds, Amalía, die ja auch während der Woche mehrfach bei der Oma war und uns mittlerweile kennt, fällt der Abschied von uns sehr schwer: Sie drückt uns und will uns gar nicht mehr loslassen!

