Baños.
Nach einer Woche verlassen wir Otavalo wieder. Der Bus fährt allerdings erst um 13.30 Uhr ab, sodass wir noch den ganzen Vormittag Zeit haben, das lebhafte Markttreiben am Samstag zu beobachten. Wir stehen heute sogar sehr früh auf: Der Viehmarkt, zu dem die Bauern aus weiter Umgebung anreisen, beginnt bereits im Morgengrauen.

Als wir um halb sieben, noch vor dem Frühstück, zu dem großen Marktplatz gleich oberhalb eines Fußballfelds am Rande der Panamericana laufen, ist hier schon mächtig was los. Der Großteil der Verkäufer hat sein Vieh bereits postiert, manche sind noch dabei, ihre Kühe, Schweine oder Schafe auf das Marktgelände zu treiben, zu ziehen oder zu schieben. Hühner werden einfach an den Beinen gehalten und kopfüber getragen. Wenn nichts anderes hilft, wird auch mal der Stock oder der Fuß zu Hilfe genommen – für zart besaitete Gemüter sind diese Szenen nicht unbedingt geeignet!

Aber im Grunde läuft es hier nicht anders ab als auf Viehmärkten in der Heimat vor fünfzig und mehr Jahren. Das Ganze ist eine sehr geordnete Veranstaltung: Es gibt eigene Areale für Rinder, Schweine und Kleintiere; am Rande haben Markthändler ihre Stände aufgebaut und bieten Eisenwaren, Lederwaren, Kleidung und Essen an.

Im Kleintierbereich wird allerhand Nutzvieh angeboten: Neben Hühnern auch Enten, Hasen und Meerschweinchen; Hühner kann man praktischerweise gleich auch sackweise kaufen. Lebend natürlich…


Am späteren Vormittag bummeln wir noch mal durch die Innenstadt, in dem wieder der Kunsthandwerkermarkt stattfindet.

Letzte Woche konnten wir ja erst nachmittags durchschauen, da war es wesentlich ruhiger; jetzt ist wirklich mächtig was los, und auch die Imbissstände haben Hochbetrieb. Da wird das Fleisch einfachheitshalber gleich vom ganzen gebratenen Schwein abgeschnitten…

Dann wird es Zeit, unser Domizil bei der Gastfamilie Iza Fiallos endgültig zu verlassen. Eine Woche haben wir hier gewohnt und echten Familienanschluss genossen. Aber um halb eins müssen wir Lebewohl sagen. Die gut 15 Minuten zum Busterminal laufen wir zu Fuß und stellen fest, dass wir das mit unseren voll gepackten Rucksäcken durchaus hinkriegen. Wir haben nochmal nachgefragt, aber es ist wirklich so: Die 6 Dollar-Tickets für die etwa 250 Kilometer lange Fahrt nach Ambato gibt’s nur im Bus selbst, nicht am Schalter. Es gilt das Prinzip: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“. Vorsichtshalber sind wir schon eine Dreiviertelstunde vor der Abfahrt da. Als es dann pünktlich losgeht, ist der Bus aber wirklich voll…

Auf der Panamericana geht es anschließend stundenlang südwärts. Das sicherlich 30 Jahre alte Gefährt verrichtet zuverlässig seinen Dienst; die in Europa geltenden Sicherheitsvorschriften für die Fahrgäste sind hier allerdings kein Thema. Da schläft das kleine Mädchen auf dem Schoß des Vaters, und die später zugestiegene alte Frau bekommt vom Busbegleiter einen Plastikhocker in den Gang gestellt.

An Quito führt unsere Route weiträumig vorbei, sodass wir den unvermeidlichen Stau der Millionenstadt umgehen. Später wird das ohnehin wunderschöne Landschaftsbild, das wir bei dieser Fahrt durch die Anden erleben, richtig spektakulär, als der gletscherbedeckte, 5.897 Meter hohe Vulkan Cotopaxi, der zweithöchste Berg Ecuadors, auftaucht und danach lange Zeit die Silhouette bestimmt.

Kurz nach 18 Uhr ist die Provinzhauptstadt Ambato erreicht. Als wir am Terminal aussteigen wollen, schickt uns der Busbegleiter zurück: „Ihr wollt doch nach Baños! Setzt euch wieder hin! Wir fahren nochmal zehn Minuten zu einem anderen Terminal!“ Dieser „Busbahnhof“ entpuppt sich allerdings dann als eine unscheinbare Haltestelle an irgendeiner Ausfallstraße. Hier sollen wir richtig sein? Keine Sorge, auch diesmal funktioniert das ecuadorianische Verkehrssystem wieder perfekt. Unser alter Bus ist noch gar nicht wieder losgefahren, da kommt schon ein anderer, wesentlich modernerer, nimmt uns auf und fährt uns durch die einbrechende Dunkelheit für 1,50 Dollar pro Person noch einmal eine Stunde ostwärts in das beliebte Touristenziel Baños. Während der Fahrt ist der Bus übrigens eine Art rollendes Kino: Vorne läuft auf einem Großbildschirm ein amerikanischer Katastrophenfilm, der spanische Ton samt Begleitgräuschen wird unüberhörbar über die Bordlautsprecher ausgestrahlt…

Für nochmal 1,50 Dollar bringt uns in Baños ein Taxi ins Hostel „Chimenea“, eine Empfehlung aus Internet und Reiseführer. Und siehe da, wir werden nicht enttäuscht: Ein schönes Doppelzimmer mit eigenem Bad, richtig warmer Dusche und tollem Blick vom Balkon auf die Lichter der Innenstadt!

In der ist am Samstagabend ganz schön was los: Nach Baños kommen jedes Wochenende viele Ausflügler; die Marktstände sind belagert, die Parks bevölkert und in den Restaurants stehen die Leute teilweise Schlange. Wir haben in dem, das wir auswählen, Glück; wir kommen schnell dran, aber nur wenige Minuten später staut sich das hungrige Volk dann bis zur Tür. Man bestellt hier nämlich direkt an der Küchenzeile und bekommt das Gewählte später serviert. Dazu lassen wir uns ein kühles „Pilsener“ schmecken – nach einer alkoholfreien Woche bei unserer Mormonenfamilie tut das heute besonders gut!

Den Sonntagvormittag beginnen wir mit einem Rundgang durch Baños. Der volle Name des Ortes lautet eigentlich Baños de Agua Santa, auf Deutsch „Die Bäder des heiligen Wassers“. Er verweist gleich auf zwei wesentliche Merkmale: Zum einen die Thermalbäder, zum anderen aber die Tatsache, dass dem Wasser wundertätige Wirkung zugesprochen wird und der Ort damit auch eine Wallfahrtsstätte ist. Und das alles in einer traumhaften, rundum von Bergen umgebenen Landschaft in einer Höhe von 1.800 Metern mit jahrein, jahraus gleichbleibenden Tagestemperaturen von etwa 25 Grad…

Am Tag des Herrn findet in der Basílica de la Virgen de Agua Santa selbstverständlich ein Gottesdienst statt. Die Kirche ist überfüllt, der Pfarrer muss seine Gebete und Predigten ziemlich lautstark halten, um gegen den Lärm, der von zahlreichen Neugierigen und Besuchern des sich an die Kirche anschließenden malerischen Innenhofs verursacht wird, anzukommen.


Lebhaft geht es auch auf der Plaza Sebastián Acosta vor dem Kirchengebäude zu. Da hoffen Dutzende von Souvenirhändlern auf Kunden, die Ausflügler strömen in Scharen über den Platz, und der Fotograf, der ein paar künstliche Pferde aufgestellt hat, macht mit begeisterten Kindern, die für ein Bild mit Cowboyhut kurz mal „hoch zu Ross“ sitzen dürfen, ein gutes Geschäft. Außerdem muss in Baños jeder mal Melcocha probieren, die hier ständig frisch mit Zuckerrohrsaft hergestellten Karamellen. Die schmecken auch uns…

Man könnte hier endlos sitzen und dem bunten Treiben zusehen. Wir entschließen uns aber schließlich doch zum Weitergehen, buchen bei einem der zahlreichen Anbieter für 5 Dollar pro Person eine Chiva-Tour (das sind an den Seiten offene Kleinbusse) und starten um halb zwei Uhr zu einer drei Stunden dauernden Fahrt in ein tief eingeschnittenes, nach Osten hin Richtung Amazonas-Tiefland abfallendes Tal, durch das der Río Pastaza fließt. Da sind alle Plätze belegt; die Crew bietet neben den Ansagen der Sehenswürdigkeiten lautstarke lateinamerikanische Musik und bei Tunneldurchfahrten flackerndes Disco-Licht zur Unterhaltung.

Ist es zunächst die von üppig grünen Berghängen begrenzte Schlucht, die uns fasziniert, so rücken allmählich immer mehr spektakuläre Wasserfälle in den Blickpunkt. Eine „Tarabita“, eine einfache, offene Gondel, bietet in San Pedro de Baños die Möglichkeit zum Überqueren der Schlucht. Ein paar hundert Meter weiter können abenteuerlustige Fahrgäste ein spektakuläres Canopying wagen.

18 Kilometer hinter Baños erreichen wir schließlich den kleinen Ort Río Verde. Hier haben wir eine gute halbe Stunde Zeit, um den Wasserfall „Pailón del Diablo“ zu besuchen – eine mächtige, etwa 80 Meter in die Tiefe rauschende Kaskade, der man über Treppen und Hängebrücken ganz nahe kommt. Der Ziel- und Höhepunkt dieses Ausflugs ist ein absolut beeindruckendes Naturerlebnis!

Zurück in Baños, lassen wir den Tag gemütlich ausklingen. Allmählich verlassen die Wochenendausflügler in einer langen Autokarawane den Ort, es wird ruhiger… auch rund um unsere Unterkunft!

Hehe, musste etwas lachen als ihr geschrieben habt, dass ein Bier nach einwöchiger Abstinenz wirklich gut tut. Man könnte meinen ihr seid Alkis, die es grade so mit Ach und Krach geschafft haben durchzuhalten 😀 Die Landschaft sieht richtig spektakulär aus 🙂
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Hi Denny,
ein Nicht-Bier-Trinker kann sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, welch einen hervorragenden durstlöschenden Effekt so ein Gebräu hat… Von wegen Alkis!!!
— Die Landschaft hier ist ähnlich grün wie in Schweden, oder???
LG von Mama und Wolfgang
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