Zumba.

Wir haben unseren Aufenthalt im „Izhcayluma“ ja um einen Tag verlängert – wie wir mittlerweile mitbekommen haben, sind wir damit in bester Gesellschaft, denn ganz viele andere Traveller hängen in dieser wunderschönen Hostería noch was dran. Den zusätzlichen Tag nutzen wir zum Ausruhen und zum Planen: Peru rückt näher, und wir stecken mal grob unsere Route und die dafür notwendige Zeit ab. Nach unseren jetzigen Vorstellungen sollten wir irgendwann Ende Oktober am Titicacasee, der zwischen den beiden Ländern geteilt ist, Bolivien erreichen. Am Mittwochmorgen treffen wir beim Frühstück auch Dieters jüngeren Bruder Peter, der tags zuvor von der Küste zurückgekommen ist. Ein lockerer, offener Typ, der mit uns über seine langjährigen Backpacker-Reiseerfahrungen plaudert und uns noch ein paar gute Tips mit auf den Weg gibt.

Stressfreie Oase - das Izhcayluma
Stressfreie Oase – das Izhcayluma

Wir lassen uns mit dem Taxi hinunter an den Busbahnhof von Vilcabamba bringen und holen am Marktplatz noch ein bisschen Geld vom Automaten. So gegen halb elf sitzen wir wieder im Bus: Für 9 Dollar geht es in den äußersten Süden Ecuadors. Die anfangs noch gut ausgebaute Bergstraße schraubt sich hinter Vilcabamba Stück für Stück höher hinauf, bis wir in immer dichteren Wäldern und mitten in den Wolken unterwegs sind. Die Täler stürzen steil und schwindelerregend tief neben uns ab, bald verwandelt sich die Strecke in eine einspurige Sand- und Schotterpiste.

Nahe am Abgrund...
Nahe am Abgrund…

Mit Erfahrungen, die wir hier in Ecuador bisher noch nicht gemacht haben: Erst wird ein von Steinen übersätes Bachbett durchfurtet, dann stoppt mitten auf der Brücke über den reißenden Río Palanda plötzlich unser Bus. Da werden sogar die einheimischen Buspassagiere – wir sind die einzigen Fremden – unruhig, weil sich zwischen den Metallplatten eine große Lücke auftut. Irgendjemand legt Platten, allerdings lose, auf das klaffende Loch, und der Busfahrer wagt die Überfahrt. Jana, die am Fenster sitzt und alles beobachten kann, krallt sich an meinem Arm fest… wir kommen heil drüber. Keine Ahnung, ob das jeder LKW, jeder Bus hier so machen muss; schließlich ist das die einzige Verbindungsstraße in dieser abgelegenen Region!

Brücke mit Loch über den Río Palanda
Brücke mit Loch über den Río Palanda

Kurz danach sind wir in dem Provinzstädtchen Palanda und machen eine knappe halbe Stunde Mittagspause. Gelegenheit, sich die Beine zu vertreten und sich ein bisschen was zum Knabbern zu kaufen – zum ersten Mal erleben wir es hier, dass kein einziger Verkäufer in den Bus kommt, um Imbiss oder Getränke anzubieten. Die Gegend ist so dünn besiedelt, dass es zu selten Möglichkeiten gibt, wieder auszusteigen und schnell mit dem nächsten Bus in die Gegenrichtung zurückzufahren!

Schön gestaltet: der Parque central mit der Kirche von Palanda
Schön gestaltet: der Parque Central mit der Kirche von Palanda

Hinter Palanda wird die Landschaft so richtig atemberaubend. Entlang tiefer Täler windet sich die staubige Piste, die immer wieder durch Erdrutsche in Mitleidenschaft gezogen ist, Kurve um Kurve weiter südwärts.

Über endlose Kurven führt der Weg nach Zumba
Über endlose Kurven führt der Weg nach Zumba

Die steilen Sand- und Lehmhänge bedeuten für die Straßenbauer eine echte Sisyphus-Arbeit: Immer wieder rutschen, gerade nach Regenfällen, Erdmassen nach und schütten den Weg zu. Stützmauern, die eigentlich unabdingbar wären, sind sehr aufwändig und teuer. Auch für die Busfahrer ist diese Strecke eine echte Herausforderung.

Erdrutsche stellen Straßenbauer und Busfahrer vor enorme Herausforderungen
Erdrutsche stellen Straßenbauer und Busfahrer vor enorme Herausforderungen

Trotz dieser widrigen Straßenverhältnisse bringen wir die 117 Kilometer lange Strecke deutlich zügiger als vorher angegeben hinter uns und sind nach weniger als fünf Stunden Fahrzeit kurz nach drei Uhr in Zumba, Ecuadors südlichster Stadt, angekommen. Am ziemlich neuen und überdimensionierten, am Ortsrand gelegenen Busterminal, ist kaum was los. Ein Taxifahrer fragt uns, ob wir weiter an die Grenze fahren wollen – doch wir folgen der Empfehlung aus dem „Izhcayluma“, das für diese am seltensten bereiste Route nach Peru eine Übernachtung in Zumba vorschlägt. Für einen Dollar bringt uns der Taxifahrer, der uns mit „Bienvenidos en Zumba!“ herzlich willkommen heißt, ins Hotel „San Luis“ mitten im Ort.

Letzter Boxenstopp in Ecuador - das Hotel San Luis in Zumba
Letzter Boxenstopp in Ecuador – das Hotel San Luis in Zumba

Eine Reservierung haben wir nicht; die ist aber auch nicht nötig, hat uns Dieter vor ein paar Tagen schon gesagt. „Hier ist doch eh nie was los!“ Wohl wahr; wir sind heute allem Anschein nach die einzigen Fremden im Ort. Bei einem kleinen Spaziergang durch das Nest schauen die Leute uns nach; ein paar Jungs, die gerade zum Sport gehen, raunen sich erstaunt „¡Extranjeros!“ („Ausländer!“) zu. Viel zu sehen gibt es wirklich nicht – aber selbst hier hat man einen zentralen Platz rund um die Pfarrkirche „Nuestra Señora del Rosario“ schön hergerichtet und erstaunlicherweise einer überdimensionalen Ameise ein Denkmal gesetzt.

Zumbas Parque Central: Vor der Pfarrkirche steht ein Ameisendenkmal
Zumbas Parque Central: Vor der Pfarrkirche steht ein Ameisendenkmal

Interessant ist auch die einem kleinen Freibad – ja, sowas gibt’s hier! – gegenüberliegende Sporthalle. Die Tür steht offen, wir können ein Blick reinwerfen. Links und rechts befinden sich Tribünen, die Platz für mehrere hundert Zuschauer bieten, doch das Spielfeld selbst… besteht aus blankem Beton! Hinfallen ist hier wirklich ungesund!

Sport ist Mord! - Beim Blick auf den Betonboden der Sporthalle von Zumba gewinnt dieser Spruch eine ganz neue Bedeutung...
Sport ist Mord! – Beim Blick auf den Betonboden der Sporthalle von Zumba gewinnt dieser Spruch eine ganz neue Bedeutung…

Jetzt ist es Mittwochabend, wir waren im einzigen Restaurant der Stadt beim Essen; morgen werden wir Ecuador nach fünfeinhalb Wochen endgültig verlassen.

Für uns ist diese Zeit wie im Flug vergangen, weil es so viel Unterschiedliches und Neues zu entdecken gab, angefangen mit den wunderschönen kolonialen Altstädten von Quito und Cuenca, den vielen Indigenen, die ihre Traditionen nach wie vor pflegen, den tollen Berglandschaften bis hin zum einmaligen Naturwunder Galápagos. Erstaunt waren wir, dass die Menschen hier keineswegs jenes überschäumende Temperament an den Tag legen, das man gemeinhin mit Südamerika in Verbindung bringt. Sie sind eher zurückhaltend, ruhig, freundlich, sehr hilfsbereit; fast zu vergleichen mit uns zuhause – nur dass sie kaum Alkohol trinken. Auch ein anderes Vorurteil können wir nicht bestätigen: Alles klappte reibungslos, die Busse waren immer pünktlich, wir kamen stets ohne Wartezeiten von A nach B. Die Hostels waren stets sauber, wenn auch manchmal spartanisch eingerichtet; und fast überall gab es auch warmes Wasser. Verhungern und verdursten kann man in Ecuador ganz gewiss nicht; jeder zweite Laden verkauft entweder Lebensmittel, bietet einen Imbiss an oder ist ein Restaurant. Typischer Geruch im Land ist der von gegrilltem Fleisch!

Lustigstes Erlebnis im Land: Janas Besuch beim Friseur. Aber das lasse ich sie am besten selbst erzählen…

Da die grauen Strähnen in meinem Haar inzwischen unübersehbar geworden waren, beschloss ich, in der nächsten Großstadt einen Friseur aufzusuchen. In Cuenca bot sich die Gelegenheit direkt neben unserem Hostel. Im Laden standen zwei Frisörinnen, die gelangweilt auf Kundschaft warteten. Ich äußerte meinen Wunsch nach einer „coloración“. Beide schüttelten den Kopf. Nein, so etwas machen sie nicht. Auf meine Nachfrage, warum nicht, holten sie eine dritte Frisörin, oder besser gesagt, einen jungen Mann mit Bart, lackierten Fingernägeln, geschminkt und langen, bunten Ohrringen hinzu. Er würde es machen. Ich nahm Platz und er ging Farbe kaufen! Nachdem er nach einer Viertelstunde wieder zurück war, mischte er sie an und trug sie mit bloßen Händen (ohne Handschuhe) auf meine Haare und auf Teile meines Gesichts auf. Ich dachte mir, er würde die Reste schon noch aus meinem Gesicht entfernen. Aber da ich des Spanischen noch nicht so mächtig bin, verstand er mich nicht und band mir stattdessen eine Plastiktüte auf den Kopf. „Treinta minutos“ (dreißig Minuten), meinte er. Ich wartete. In der Zwischenzeit schminkten sich die zwei Frisörinnen, die immer noch keine Arbeit hatten, gegenseitig und ließen sich von der Transe die Nägel lackieren. Ihre Resultate zeigten sie mir und fragten mich, ob das gut ausschaue. Nach gut vierzig Minuten wurde mir dann die Farbe von den Haaren gewaschen, leider ging sie aus dem Gesicht erst nach drei Tagen wieder weg! Beim Verabschieden meinte eine der Beiden: „Ich hätte das nicht so gut hingekriegt.“ Aber ich war schon froh darüber, dass ich nicht blond rausgekommen bin!