Chachapoyas.
Chachapoyas ist ein perfekter Ausgangspunkt für einige ganz besondere Ausflugsziele – und eines davon wollen wir am heutigen Samstag besuchen. Um halb neun werden wir an unserem Hostel abgeholt, zu einem Kleinbus in einer Seitenstraße geführt und müssen anschließend noch ein bisschen warten, bis alle Plätze belegt sind. Alle anderen Ausflügler sind Peruaner, wir sind die einzigen Ausländer. Was uns zu einer Attraktion werden lässt: Wiederholt werden wir von den sehr freundlichen Leuten gebeten, sich zusammen mit ihnen fotografieren zu lassen.

Kurz vor neun Uhr setzt sich das Fahrzeug schließlich in Bewegung. Die erste Stunde geht es noch über geteerte Straßen, wir fahren das Tal des Río Utcubamba entlang. Dann biegen wir auf eine Schotterpiste ab, und unser Guide, ein Indigener, lässt uns zum ersten Mal aussteigen. Der Mann ist ein echtes Sprachtalent: Außer Spanisch spricht er Englisch, Französisch, Italienisch und auch Deutsch. Das ist aber wohl die schwierigste Sprache für ihn. Wir können ihm Fragen auf Deutsch stellen, meint er; er antwortet aber lieber auf Englisch, denn „Deutsch macht mir Kopfschmerzen“. Wir sollen den Blick auf eine steile Felswand am gegenüber liegenden Ufer des Utcubamba richten – hier hat das Volk der Chachapoya (Quechua für „Wolkenmenschen“), nach denen auch die Stadt benannt ist, tatsächlich eine kleine Siedlung namens Macro errichtet. Das lebensnotwendige Wasser musste tief unten vom Fluss geholt werden, dafür war man in dieser schwindelerregenden Lage relativ sicher vor Feinden.

Schwindelerregend wird heute noch einiges: Zunächst der Weg, der sich ab hier – der Fluss liegt auf 1.300 Metern – in zahllosen Windungen an steilen Hängen entlang höher und höher die gewaltigen Berge hinaufschlängelt. Gegenverkehr wird hier zu einem echten Problem: Rechts ist der Fels, links gähnt ein viele hundert Meter tiefer Abgrund. „Schaut mal da drüben auf den Berg: Ganz oben liegt unser Ziel!“

Ja, dort oben, in 3.000 Metern Höhe, auf dem Gipfelgrat eines Berges, liegt eine der größten und spektakulärsten Ruinenstätten, die es in ganz Südamerika gibt – Kuelap, die sagenhafte Bergfestung der Chachapoyas. Entdeckt wurde sie zwar bereits 1843 von einem peruanischen Richter, doch politische Wirren in dem damals gerade unabhängig gewordenen Land und die Abgeschiedenheit des Ortes führten dazu, dass ihm viele Jahrzehnte lang keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Erst seit etwa 20 Jahren können Touristen über den abenteuerlichen Bergpfad Kuelap besuchen – bisher sind das relativ wenige, was zum einen an der beschwerlichen Anreise liegt, zum anderen aber auch daran, dass der Norden Perus generell wenig bereist wird. Doch das soll sich ändern. Momentan benötigt man für die etwa 75 Kilometer von Chachapoyas nach Kuelap noch zweieinhalb Stunden; doch bald schon soll eine neue Straße fertiggestellt werden, die die Anfahrtszeit auf 80 Minuten verringert. Und damit nicht genug: Vom Talort Nuevo Tingo aus werden in wenigen Monaten Touristen bequem mit der ersten Seilbahn Perus hinauf nach Kuelap gelangen – das Projekt wird von einem französischen Unternehmen realisiert und ist bereits sehr weit gediehen.

Das 21. Jahrhundert hält also auch in dieser weltentrückten Gegend unerbittlich seinen Einzug. Wir fragen unseren Guide, wie die örtliche Bevölkerung zu dieser Entwicklung steht. „Die Leute freuen sich, dass sie eine bessere Straße bekommen!“ lautet die Antwort – und mit der Seilbahn hoffen sicherlich alle auch auf mehr Fremde und damit steigende Einnahmen. Wir erleben den Besuch der auch als „Machu Picchu des Nordens“ bezeichneten Anlage also gerade noch in seiner ursprünglichen Variante; das Besucherzentrum, an dem auch die Bergstation der Seilbahn errichtet wird, ist bereits fertiggestellt und setzt einen befremdlich modernen Akzent in der monumentalen Berglandschaft.

Von hier laufen wir noch etwa 20 Minuten einen Pfad bis zum Gipfelgrat hinauf – und sind dann schlichtweg überwältigt von den gewaltigen Ausmaßen der aus Kalkstein errichteten Verteidigungsmauern, die die Anlage umgeben.

Aber das ist erst der Anfang: Durch einen der drei schmalen Eingänge betreten wir das Innere der Bergfestung. Diese Zugänge sind so gestaltet, dass sie sich nach innen verjüngen und schließlich so eng sind, dass jeweils nur ein Mensch geichzeitig durchgehen kann – ein möglicher Feind konnte also von den Wachen sofort unschädlich gemacht werden.

Die Innenanlage von Kuelap gliedert sich in zwei Ebenen; um nach ganz oben zu kommen, muss man noch einmal einen schmalen Durchgang durchqueren. Die Archäologen gehen davon aus, dass die höhere Ebene den obersten Stammesfürsten der Chachapoya vorbehalten war, in der Unterstadt lebten weitere wichtige Funktionsträger (heute würde man wohl „leitende Beamte“ sagen). Insgesamt bot Kuelap Platz für etwa 3.000 Menschen. Die schweren Arbeiten, die mit dem Bau dieser Festung hoch oben in den Bergen verbunden waren, führte die Oberschicht selbstverständlich nicht selbst durch – das mussten die Leibeigenen aus den weiter unten im Tal liegenden Dörfern übernehmen. Noch immer ist bei Weitem nicht alles freigelegt; viele Mauerreste sind zugewuchert.

Kuelap erstreckt sich über ein unglaublich großes Areal. Da gibt es Wachtürme an den verschiedenen Enden der Festung; die Grundmauern zahlreicher Wohnanlagen sind noch gut erkennbar. Grabmäler existieren ebenso wie ein eigentümlicher großer, nach unten schmäler werdender Bau, dem man ob seines Aussehens den Namen „Tintenfass“ gegeben hat – Ausgrabungsfunde legen nahe, dass es sich dabei um eine Kultstätte handelte.

Alles ist rund gebaut, mit einer Ausnahme: Ein Haus, das wohl als Herberge für Fremde diente, ist in rechteckiger Form errichtet – wie schon in Ingapirca gelernt, ist das ein untrügliches Zeichen für den Einfluss der Inka, die im 15. Jahrhundert auch die Chachapoya unterwarfen und sie ihrem Großreich einverleibten.

Kein Wunder, dass die Inka bei der einheimischen Bevölkerung verhasst waren. Und nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ verbündeten sich die Chachapoya folgerichtig auch mit den spanischen Konquistadoren. Was den Untergang ihrer Sprache und Kultur allerdings nicht verhinderte, auch wenn es in Peru heute noch 47 verschiedene indigene Sprachen gibt, wie unser Guide den darüber durchaus erstaunten einheimischen Touristen erklärt.

Es dauert lange, bis der letzte Peruaner wieder im Bus sitzt und die mühsame Talfahrt beginnt. Die wird allerdings unterwegs im Bergdorf Choctamal unterbrochen. Schon auf dem Hinweg hatten wir dort kurz an einem Restaurant Halt gemacht, Essen vorbestellt und die Gelegenheit genutzt, ein typisches, traditionelles Heißgetränk des Landes zu probieren – Coca-Tee. Frische Coca-Blätter werden mit kochendem Wasser aufgegossen, dazu kommt etwas Zucker – ein belebender und gegen die Höhenkrankheit wirksamer Trunk. High wird man davon sicher nicht; eigentlich ein Witz, dass schon die Mitnahme von ein paar Coca-Teebeuteln in Europa ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz ist…

Jetzt bekommen wir frisch auf den Tisch serviert, was wir heute Vormittag geordert haben: „Cuy fritado“ – frittiertes Meerschweinchen. Entschuldigung, Cindy, aber wir mussten es hier einfach mal probieren; schon die alten Chachapoya oben in Kuelap hatten Meerschweinchen-Ställe, und auch sie züchteten die Nager nicht als Haustiere. Und es schmeckt nicht einmal schlecht, ein bisschen ähnlich wie Brathähnchen; bloß ist ein Meerschwein als Hauptmahlzeit dann doch nicht gerade viel, und außerdem ist es verglichen mit anderen Gerichten relativ teuer. Die peruanischen Mitfahrer fragen anschließend neugierig, ob es uns geschmeckt hat. Eine junge Frau erzählt uns, dass es „Cuy“ in ihrer Familie meist an Festtagen gibt, nach traditionellem Rezept von der Oma zubereitet…

Hallo,Ihr Zwei, wir finden es alles sehr interessant. So sitzen wir
in der heimischen Küche: Papa liest Euren Beitrag vor, dieser ruhige Typ spricht die spanischen Wörter so herrlich aus, dass wir uns mit Omi, der fast 90-jährigen kaputt lachen.Während Mama Margitta Salate für die kommende Feier vorbereitet und die Omi Eier schneiden darf, ruft Cindy an: Das darf doch wohl nicht wahr sein, haben die vielleicht Meerschweinchen gegessen, oder? Es ist schon eine verrückte Zeit, oder? Machts gut. MUVA
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Hallo Oxenhäusler,
wir können uns so richtig vorstellen, wie ihr alle in der Küche sitzt. So sind wir doch auch ein bisschen bei euch!
Frittiertes Meerschweinchen wird’s ja zu Omas Geburtstag wahrscheinlich nicht geben, also kann Cindy ruhigen Gewissens zu euch kommen. Eier bekommen wir hier übrigens auch jeden Tag – morgens, mittags, abends.
Haben heute eine elfstündige Busfahrt hinter uns und sind ziemlich k.o.
Deswegen wird heute auch kein Bericht mehr geschrieben…
LG aus Cajamarca an alle!
Jana und Wolfgang
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