Huanchaco.
In Peru läuft es mit den Bussen ja etwas anders ab als in Ecuador: In den meisten Städten hat jede Busgesellschaft ihr eigenes Terminal. Das heißt, man muss sich vorher informieren und entscheiden, welchen Anbieter man nimmt, um sich an den richtigen Abfahrtsort bringen zu lassen. Wir haben über das Internet bei „Linea“ Tickets für umgerechnet gerade mal 4,50 € gekauft, und das für eine siebeneinhalbstündige Fahrt. Um halb elf Uhr ist Abfahrt; uns bleibt also noch Zeit, nahe der Plaza de Armas in Cajamarca zu frühstücken, ehe uns ein Taxi an das Busterminal bringt. 40 Minuten vor der Abfahrt muss man spätestens dort sein, steht auf der Buchungsbestätigung, die wir uns im Hostal haben ausdrucken lassen.

Die Formalitäten erinnern ein bisschen ans Fliegen: Mit dem Ausdruck geht man an einen Check-In-Schalter, an dem man die eigentlichen Tickets erhält. Dann wird das Gepäck abgegeben, an dem eine Banderole mit einer Nummer befestigt wird; das Gegenstück wird an die Fahrkarte getuckert. Bevor man schließlich in den Bus einsteigen darf, müssen noch die Pässe vorgezeigt werden. Die einheimischen Passagiere haben Barcodes auf ihren Ausweisen, die eingescannt werden.
Als wir die – bereits im Internet ausgewählten – Plätze im Obergeschoss des Doppeldeckers einnehmen, sind wir etwas enttäuscht: Sie bieten zwar recht viel Beinfreiheit, aber mit der erhofften guten Aussicht auf die Landschaft wird es nichts. Die Fenster sind mit einer Folie beklebt, die nur einen stark gerasterten Blick nach draußen zulässt.

So wird es eine recht monotone Fahrt, obwohl die ersten Stunden durch eine tolle Bergwelt westwärts führen. Die amerikanischen Ballerfilme, die über die Bordmonitore angeboten werden, sind leider auch unerträglich. Uns ist eh unerklärlich, dass niemand an die vielen kleinen Kinder im Bus denkt, die sich diesen Blödsinn mit ansehen müssen, der bei uns höchstens ab 16 freigegeben ist. Da hilft nur Musik vom Handy über die Kopfhörer! Abwechslung bietet nach zweieinhalbstündiger Fahrt eine Mittagspause mitten im Nirgendwo.

Ein heißes, trockenes Bergtal – und weitab der nächsten Ortschaft steht ein einfaches Restaurant. In Windeseile huschen die Passagiere hinaus, bestellen sich ihr Essen und bekommen das Minuten später auf den Tisch; wir tun es ihnen gleich. Die Nudeln mit Huhn, für die wir uns entscheiden, schmecken gar nicht schlecht…

Irgendwann erreicht unser Bus in der Küstenebene die Panamericana, auf der die Fahrt nun in südlicher Richtung weitergeht. Der Verkehr, vor allem LKWs, wird deutlich mehr; die Landschaft dagegen eintönig. Wir sind jetzt von Sandwüste umgeben – welch ein Unterschied zu der dichten Vegetation in den Anden! Abends um sechs haben wir schließlich Trujillo erreicht – Perus zweitgrößte Stadt in unmittelbarer Küstennähe. Auch beim Aussteigen kommen wir uns wieder wie nach einem Flug vor: Eine Mitarbeiterin der Busgesellschaft heißt uns in Uniform wie eine Stewardess willkommen, das Gepäck wird an einer eigenen Ausgabestelle gegen Vorlage der entsprechenden Zettel überreicht.

Wir lassen uns mit einem Taxi in den knapp 15 Kilometer entfernten Fischerort Huanchaco bringen. Im Hostal Naylamp, direkt am Strand, haben wir dort ein Zimmer reserviert. Wieder ist eine lange Tagesetappe hinter uns gebracht – aus dem 2.750 Meter hoch gelegenen Cajamarca hinunter ans Meer!

Bei der Mittagspause im Bergtal war es ja ziemlich heiß gewesen; hier am Meer ist es dagegen wieder deutlich kühler. Doch wir haben Glück: Am Morgen gewinnt die Sonne bald gegen den Küstennebel die Oberhand. Bei angenehmen Temperaturen von knapp über 20 Grad legen wir uns vormittags an den Strand und ruhen uns aus.

Gegen Mittag steigen wir dann aber in einen der klapprigen Nahverkehrsbusse Richtung Trujillo: Zwischen den beiden Städten liegt eine gewaltige Ruinenstadt namens Chan Chan, die wollen wir uns heute anschauen. Schon beim Aussteigen lassen sich die unfassbaren Ausmaße dieses Ortes erahnen – auf beiden Seiten der Straße sehen wir nicht enden wollende Aneinanderreihungen von schon ziemlich stark verwitterten und heruntergewaschenen Lehmwänden in der wüstenhaften Landschaft.

Ein Wegweiser zeigt auf eine Schotterpiste in Richtung Besucherzentrum. Wir wollen dorthin gehen, da kommt ein Mann auf uns zu, der hier in einem Auto gesessen hat. Er stellt sich mit einem Auweis als lizenzierter Fahrer vor, erklärt uns, dass der Weg bis dorthin zwei Kilometer lang ist und dass die Eintrittskarte (10 Soles pro Person) für insgesamt vier Stätten gilt. Auf einer Karte zeigt er uns, wo diese liegen: ziemlich verstreut in Truijllo und eben hier, in Chan Chan. Er bietet einen Fahrdienst zu diesen Sehenswürdigkeiten an; der Preis dafür beträgt laut einer offiziellen Liste des Fremdenverkehrsamts, die er uns präsentiert, 75 Soles. Zahlen müssen wir erst am Ende der Fahrt; selbstverständlich bringt er uns nach Huanchaco, wo wir unsere Unterkunft haben. Das hört sich alles sehr seriös an – wir gehen auf sein Angebot ein.

Er beginnt die Besichtigungstour mit einer Fahrt zum Tempel „Huaca del Arco Iris“ in einem nördlichen Stadtteil von Trujillo. Hier kommen wir zum ersten Mal richtig mit der Kultur des Chimú-Volkes in Berührung, einer indigenen Nation, die zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert an der Pazifikküste zwischen dem heutigen Ecuador und Lima ein großes Reich aufbaute. Der Tempel ist ein monumentaler, teilweise rekonstruierter und inzwischen mit Dächern gegen die Verwitterung geschützter Lehmziegelbau.

Er diente sowohl religiösen als auch administrativen Zwecken und hatte als Stufenpyramide zwei Ebenen. Seine Wände waren reich mit Dekorationen geschmückt; der eigentliche Tempel war von einer äußeren Schutzmauer umgeben.

Ein ähnliches Bild bietet der zweite Stopp, ebenfalls in einem Stadtteil von Trujillo, am „Huaca Esmeralda“. Hier sind es genau genommen zwei Bauwerke, die sich direkt nebeneinander befinden. Auch die Huaca Esmeralda zeigt Wanddekorationen und hat Rampen, die von einer unteren auf eine obere Ebene führen.

Man fühlt sich an Bilder von Maya-Pyramiden in Mexiko erinnert, nur dass diese aus Stein statt aus Lehmziegeln errichtet wurden. Die Archäologen nehmen an, dass es sich hier um den Palast eines wichtigen Adeligen der Chimú gehandelt hat.

Nun fahren wir wieder hinaus aus der Stadt in Richtung Chan Chan. Doch bevor wir dorthin kommen, steht als nächster Halt erst einmal das Museum an, in dem die Kultur und Lebensweise der Chimú, speziell in ihrer Hauptstadt Chan Chan, erläutert wird.

Wir erhalten hier eine Vorstellung von der Religion dieses Volkes, das den Mond als wichtigste Gottheit verehrte, und von ihrer Lebensweise: Die Chimú verarbeiteten beispielsweise im Gegensatz zu den Bergvölkern des Nordens schon Metall. Sie betrieben Fischfang im nahen Meer, und zwar mit kleinen, aus Schilf geflochtenen Booten, auf denen die Fischer – mit den Füßen im Wasser – hinauspaddelten. Genauso fahren zumindest einige Fischer in Huanchaco noch heute hinaus; die „Caballito de Tortora“ (Schilfpferdchen) genannten Boote sind eine kulturelle Besonderheit des nördlichen Peru und wurden von der Regierung inzwischen zum nationalen Kulturgut ernannt.

Außerdem betrieben die Chimú auch Landwirtschaft. Diese wurde in der staubtrockenen Landschaft durch einen Fluss möglich, der aus den Anden hier in Richtung Meer floss.

So errichteten die Chimú mit Chan Chan die größte präkolumbische Stadt Südamerikas. Nach unterschiedlichen Quellen sollen in der Blütezeit Chan Chans zwischen 60.000 und 100.000 Menschen hier gelebt haben – eine unglaubliche Zahl, auch verglichen mit den Einwohnerzahlen mittelalterlicher europäischer Städte. Aber wenn man Chan Chan sieht, dann glaubt man schnell, dass das keine Übertreibung ist. Auf einer Fläche von 28 km² erstrecken sich noch heute die Mauerreste, nur ein kleiner Teil ist bislang archäologisch genauer untersucht und vor allem gegen die schädlichen Einflüsse des Wetters geschützt. Das führte dazu, dass die UNESCO, zu deren Weltkulturerbe Chan Chan schon seit 1986 zählt, die Stätte auf ihrer roten Liste der gefährdeten Denkmäler aufführt.

Der am besten untersuchte und restaurierte Teil, früher nach dem Schweizer Archäologen Johann Jakob von Tschudi benannt und inzwischen mit dem indigenen Namen Nik An versehen, ist nur einer von zehn Bezirken, aus dem die Stadt insgesamt bestand.

Aber schon er, ein Tempel- und Veranstaltungskomplex, nimmt einen derart großen Raum ein, dass ein Spaziergang schnell eine Stunde in Anspruch nimmt. Es ist schlichtweg überwältigend, diese altamerikanische Stadt auch nur ansatzweise in ihren gigantischen Dimensionen zu erleben.

Reiche Verzierungen an den endlos langen Wänden, die riesige Zeremonienplätze von Versammlungssälen trennen; verwinkelte Räume und hohe Außenmauern; es gab sogar ein mit Wasser geflutetes Areal, auf dem religiöse Feiern zu Ehren des Wassers und der Fruchtbarkeit durchgeführt wurden.

Eine solch unermesslich große Ruinenstadt haben wir noch nie irgendwo vorher gesehen – Chan Chan ist ein vom Treibsand und den Fluten von „El Niño“ bedrohtes Weltwunder!

Und eines, das seinen Untergang zwei verschiedenen Invasoren „verdankt“ – wie könnte es auch anders sein: Auch hier waren es zunächst die Inkas und später die Spanier, die die einst blühende Stadt in ein Trümmerfeld verwandelten. Zunächst standen die Inkas vor Chan Chan und vermochten es nicht, die massiv geschützte Metropole einzunehmen – bis ihnen eine perfide List einfiel: Sie leiteten das lebenswichtige Flusswasser um und trockneten die Stadt damit förmlich aus. Den Rest besorgten 70 Jahre später die Spanier, die auf der Suche nach Edelmetallen auch nicht davor zurückschreckten, die bis dahin noch intakten Bauwerke zu zerstören.
