Copacabana.
Samstagmorgen, es hat die ganze Nacht heftig geschüttet und regnet auch jetzt noch, die Temperaturen sind bei lausigen 5 oder 6 Grad: So verlassen wir Puno, unsere letzte Station in Peru. Mit einem Linienbus geht es um kurz nach sieben Uhr am Westufer des Titicaca-Sees entlang südwärts. Die gut zweieinhalbstündige Fahrzeit bis zum Grenzort Yunguyo wird uns durch das Ausfüllen der bolivianischen Zoll- und Einreiseformulare verkürzt – eine echte Herausforderung auf den rumpeligen Straßen. In Yunguyo hält der Bus erst an einer Wechselstube, wo wir unsere übrigen Soles gegen Bolivianos (Kurs 1:2) tauschen können. Anschließend geht es zur Grenzstation. Eine lange Schlange von Reisenden hat sich bereits vor der Kontrollstelle gebildet, unsere Busgruppe muss sich hinten anstellen. Zum Glück scheint hier die Sonne…

Als wir endlich an der Reihe sind, prüft der peruanische Grenzer Janas Reisepass ganz genau, ehe sie den Ausreisestempel erhält; bei mir geht es dann schneller. Klar, unsere Reisedaten sind ja die gleichen… Durch einen schön gemauerten Torbogen laufen wir auf die bolivianische Seite, wo der Grenzort Kasani heißt – der Bus überquert die Grenze nur mit unserem Gepäck.

Erst nachdem wir auch den bolivianischen Einreisestempel im Pass haben, dürfen wir wieder in den Bus einsteigen. Dort läuft nochmal ein Grenzbeamter durch den Bus und kontrolliert – es könnte ja sein, dass sich irgendjemand ohne den unerlässlichen Stempel wieder in den Bus gesetzt hat! Wir stellen unsere Uhren um eine Stunde vor, in der Nacht endet in Europa die Sommerzeit: Der Zeitunterschied beträgt nur noch fünf statt sieben Stunden.

Von der Grenze sind es nur acht Kilometer bis zu unserem Zielort Copacabana. Ein klingender Name… – und tatsächlich hat der berühmte Strandabschnitt in Rio etwas mit dem kleinen Städtchen hier oben in den bolivianischen Anden zu tun. Aber anders als man wahrscheinlich denkt: Der Ort auf einer Halbinsel im Süden des Titicaca-Sees ist Boliviens wichtigster Wallfahrtsort, und von hier in die brasilianische Metropole gebrachte Marienkunstwerke gaben dem Stadtteil einst seinen Namen. Das wahre Copacabana liegt also auf über 3.800 Metern Meereshöhe! Endstation ist mitten auf der Straße in der Kleinstadt; wir fragen uns nach dem Weg zu unserer Unterkunft durch und sind nach vielleicht zehn Minuten Fußmarsch am Hotel „Lago Azul“ angekommen – direkt am See gelegen, von unserem Zimmer haben wir durch große Fenster nach zwei Seiten einen tollen Blick aufs Wasser. Traumhaft!

Wir lassen an diesem Nachmittag erst einmal die entspannte Atmosphäre am Strand auf uns wirken – schließlich haben wir für vier Nächte reserviert und damit genügend Zeit, Ort und Umgebung an den nächsten Tagen noch zu erkunden. Abends treffen wir uns im wunderschönen Restaurant „La Cúpula“, sehr schön an einem Hang gelegen und mit Blick auf den Titicaca-See, wieder mit unseren Reisebekannten Marina und Christian aus Freital bei Dresden. Sie sind uns seit Cusco ein paar Tage voraus und werden morgen bereits nach La Paz weiterfahren, können uns aber für Copacabana und Umgebung einige gute Tipps geben. Das muss nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir uns hier in Südamerika begegnen… Gute Reise weiterhin!

Der Entschluss, am Sonntag das übersichtliche Stadtzentrum von Copacabana genauer zu erkunden, ist goldrichtig. Durch die belebte Avenida 6 de Agosto laufen wir geradewegs auf die Plaza 2 de Febrero zu, die von der mächtigen Kathedrale dominiert wird. Große Kuppeln mit buntem Fliesendekor überspannen das Bauwerk, in dem gerade ein Gottesdienst gefeiert wird – die Kirchenbänke sind voll besetzt; kein Wunder, viele Pilger kommen von weither nach Copacabana, um zu der wundertätigen Marienstatue zu beten.

In einer benachbarten Kapelle ist ein Marienbild aufgestellt, vor dem die Gläubigen zahlreiche Kerzen angezündet haben.

Doch das ist noch längst nicht alles: Jeden Sonntag stellen zahlreiche Autofahrer ihr Gefährt, mit üppigem Blumenschmuck dekoriert, vor der Kirche ab und lassen es von einem Geistlichen segnen.

Nachdem das Fahrzeug innen und außen mit Weihwasser benetzt worden ist, schreiten die Autobesitzer selbst zur Tat und bespritzen das Auto, beginnend mit dem geöffneten Motorraum, von allen Seiten mit Sekt; die Reifen werden mit Spirituosen betropft, anschließend werfen die Familienangehörigen Blütenblätter und Reiskörner über ihr wertvolles „Carro“.


Verwundern kann einen das nicht: Für viele Menschen ist das Auto oder der LKW eine teure, aber unerlässliche Lebensgrundlage, weil sie im Transportgewerbe arbeiten; und auch Privatautos können bei der hiesigen Fahrweise ein bisschen Schutz von oben durchaus gebrauchen…

Wir bummeln noch ein wenig durch die Seitenstraßen der Innenstadt, in denen auch sonntags zahlreiche Verkaufsstände aufgebaut sind. Was uns hier auffällt: Es werden viele Erdnüsse verkauft, was wir zuvor in Peru und Ecuador kaum gesehen haben, und dazu in großen bunten Tüten popcornartiger Imbiss, viel größer als wir das kennen. Unterwegs sind sehr viele Indigene in ihren Trachten zu sehen – ein buntes, farbenfrohes Bild!

Am Spätnachmittag laufen wir ein Stück weit den Strand entlang – Einheimische sitzen im Sand und schauen hinaus auf den See, Hippies aus Brasilien verkaufen Backwaren aus Kartons, kleine weiße Ausflugsboote schaukeln auf den sanften Wellen und eine Essbude nach der anderen bietet gegrillte Forelle an… eine idyllische Szenerie an der Riviera Boliviens.

Der angeblich ärmste Staat Südamerikas ist ja neben Paraguay der einzige Binnenstaat des Kontinents – aber trotzdem hat er eine Marine, die hier in Copacabana einen Stützpunkt hat. Die Politik hält an der Vision fest, eines Tages den Landkorridor zurückzuerhalten, der einen Zugang zum Pazifik bietet. Verloren wurde er im Salpeterkrieg gegen Chile zwischen 1879 und 1884. Die Hoffnung stirbt zuletzt…

Wir halten uns aber nicht mit den Nachwehen historischer Auseinandersetzungen auf: Am nächsten Morgen brauchen wir nach dem Frühstück nur wenige Schritte zum Bootsanleger zu laufen, um einen weiteren Ausflug auf dem größten See Südamerikas zu unternehmen (sieht man vom Maracaibo-See in Venezuela ab, der aber als Binnenmeer mit der Karibik verbunden ist).

Bei bestem Wetter sitzen wir auf dem Sonnendeck unseres Bootes und fahren die Copacabana-Halbinsel entlang nach Norden. Zwischen ihrer Spitze und einigen vorgelagerten Felsen ist eine schmale Wasserrinne; gerade so breit, dass die Boote durchpassen und damit einen Umweg um die Felsinseln vermeiden können. Da müssen die Bootsführer schon ganz genau navigieren können… Wenn der Wasserspiegel des Titicaca-Sees weiterhin so absinkt wie seit der Jahrtausendwende, wird diese Route wohl schon bald nicht mehr befahrbar sein. Schuld an dieser Entwicklung, die an den Felsen am Ufer leicht ablesbar ist, sind eine verkürzte Regenzeit und die schon stark abgeschmolzenen Gletscher der Umgebung.

Nach etwa eineinhalbstündiger Fahrzeit haben wir Yumani erreicht: Der kleine Ort liegt im Süden der Isla del Sol, mit gut 14 km² die größte der Inseln im See. Wir steigen hier jedoch noch nicht aus, sondern bleiben bis zur Endstation an Bord – dem im Norden gelegenen Hauptort Challapampa. Beim Ausstieg fängt ein örtlicher Guide gleich die gesamte Gruppe ab und tut so, als sei es obligatorisch, mit ihm die etwa eine Dreiviertelstunde nordöstlich des Ortes gelegenen Ruinenstätten zu besuchen. Die historische Bedeutung dieser Tempelruinen mag durchaus hoch sein; wir haben aber davon schon sehr viele gesehen. Außerdem wissen wir, dass wir da nicht mit müssen. Also seilen wir uns unter dem Vorwand eines Toilettenbesuchs gleich ab und nehmen den wunderschönen Wanderweg in Angriff, der von hier über die gesamte, komplett autofreie Insel nach Süden führt.

Entlang der felsigen Küste haben wir am Anfang einen traumhaften Blick zurück auf Challapampa; gleichzeitig eröffnen sich immer wieder wunderbare Panoramen über den Westteil des Sees zum gegenüberliegenden Ufer. Auf 3.900 Metern erfreuen wir uns an absolut angenehmen Temperaturen: Es hat etwa 22 Grad, kaum ein Windzug weht, wir laufen durch niedrige Strauch- und Krautvegetation – mal abgesehen von den vielen Eukalyptusbäumen, die sich hier breitgemacht haben.

Das nächste Dorf Challa, das wir nach etwa einer Stunde Gehzeit erreichen, wirkt fast ausgestorben. Nur im Schulhof sehen wir eine Klasse beim Sportunterricht; ein paar Alte tragen Bündel mit Kräutern oder Bretter auf ihrem Rücken über die grob gepflasterten Gassen – und dann sehen wir eine große Menge von Menschen auf dem Kirchhof, wie sie gerade vom Pfarrer die Hostie empfangen. Am Montagmittag eigentlich ungewöhnlich – aber vielleicht hat das etwas mit dem morgigen Allerheiligenfest zu tun?

Mit vier Frauen gut bestückt ist allerdings die“Mautstation“ des Ortes, die sich zum Schutz vor der Höhensonne praktischerweise unter einer großen Satellitenschüssel befindet. Die Anlage und Pflege der Wanderwege kostet Geld, und damit die Gemeinden wenigstens ein bisschen vom Tagestourismus profitieren, erheben sie eine Art „Durchgangsgebühr“ von den Wanderern. 15 Bolivianos, umgerechnet knapp zwei Euro, zahlen wir pro Person – das ist zu verkraften, und der Gemeindekasse tut es gut.

Der nächste Wegezoll wird einige Kilometer weiter am Ortseinang von Yumani erhoben: Diesmal sind es 10 Bolivianos, die ins Gemeindesäckel fließen. Der Wanderweg hat inzwischen das Rückgrat der Insel, auf etwa 3.950 Metern hoch über dem See, erreicht und bietet Ausblicke auf beide Seiten. Eine traumhafte Lage, die dazu führte, dass hier oben eine Reihe von schönen Restaurants, Hostels und Lodges entstanden sind, die nun um Gäste werben – das Ambiente hat einen fast mediterranen Anstrich. Wir setzen uns in einem der kleinen Lokale in den Garten und freuen uns über Sonne pur auf der Isla del Sol.

So ursprünglich wie auf den peruanischen Inseln, vor allem auf Amantaní, ist es freilich nicht mehr… Das merken wir besonders, als wir den restlichen Weg, der durch das Dorfzentrum von Yumani über steile Treppen hinab zum kleinen Hafen führt, beschreiten. Zahlreiche Touristen laufen wie wir zurück zum Boot oder kommen uns, gerade angekommen, schnaufend entgegen – die Einheimischen schauen nicht einmal mehr auf und erwidern einen Gruß kaum noch; es sind einfach zu viele Fremde geworden. Die zwei Seiten intensiven Fremdenverkehrs, besonders in bis vor wenigen Jahrzehnten sehr abgelegenen Regionen wie dieser Insel, werden hier unübersehbar.

Als wir zurück auf dem Boot sind, das uns vom Südhafen zurück nach Copacabana bringt, sehen wir an der Südspitze der Insel dann zumindest noch eine bedeutende Ruine – den Sonnentempel. Der hier verehrten Gottheit verdankt die Isla del Sol ja schließlich auch ihren Namen.

Unseren letzten Tag in Copacabana verbringen wir ruhig. Erst als der Sonnenuntergang bevorsteht, machen wir uns auf zu einer kleinen Wanderung hinauf auf den Cerro Calvario. Der Kalvarienberg, der sich 150 Meter über der Stadt erhebt, ist zwar durchaus anstrengend zu erklimmen, doch von oben bietet sich wirklich ein wunderbarer Rundblick über die ganze Stadt und weit hinaus auf den See. In der Abendstimmung wirkt das doppelt romantisch!


Nach dem Abendessen wollen wir eigentlich gleich zurück ins Hotel, doch flotte Musikklänge verlocken uns noch zu einem Umweg. Und gleich um die Ecke, auf der mit mehreren Stufen versehenen Plaza Sucre, steht sie: eine vielköpfige Blaskapelle, die richtig Stimmung macht – einige Frauen tanzen dazu und fordern ein paar in der Nähe stehende Touristen gleich zum Mittanzen auf. Die Hintergründe dieser Performance erschließen sich uns zwar nicht, aber Spaß macht es auf jeden Fall, der gut gelaunten Truppe zuzusehen und -zuhören; ein schöner Abschluss unseres Aufenthalts am Titicaca-See!

Hallo ihr zwei!
Endlich habe auch ich es geschftt, einen Blick in euren Blog zu werfen und ich muss sagen: Ich bin BEGEISTERT! So schöne Bilder!
Auf alle Fälle freue ich mich schon jetzt, mehr davon zu sehen.
Herzliche Grüße
Silke
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Hallo Silke!
Freut uns, dass du bei uns vorbeischaust und dass dir unsere Bilder aus Südamerika gefallen!
Wir staunen auch immer wieder, wie vielfältig es hier ist und dass es immer wieder was ganz Neues zu entdecken gibt!
Nach den sicher anstrengenden Anfangswochen in Bäumenheim kannst du in dieser Woche hoffentlich ein wenig verschnaufen!
LG nach Thierhaupten
Jana und Wolfgang
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