Coroico.

Unser Vorhaben, in La Paz die geplanten bolivianischen Inlandsflüge zu buchen, schlägt fehl. Dabei spielt uns zunächst die Heimat einen Streich: Als wir den Zahlungsvorgang per Kreditkarte abschließen wollen, werden wir aufgefordert, die Transaktion mittels der Eingabe des Secure Codes zu bestätigen; eine zusätzliche Absicherung, die nur von einigen Firmen bei Internetzahlungen verlangt wird. Da fällt es uns wieder ein: Wir hatten damit schon in Peru bei einer Busbuchung zu tun, konnten dafür einmalig noch unser altes Passwort verwenden, mussten aber eine Sparkassen-App aufs Smartphone downloaden. Die braucht man inzwischen auch noch – und zwar bekommt man über sie eine Anfrage aufs Handy, ob die Zahlung korrekt ist und muss die dann mit einem vierstelligen Zahlencode bestätigen.

Nur – was für eine Zahlenfolge soll das sein? Als wir uns die App damals in Peru aufs Smartphone geladen haben, war der ganze Vorgang recht verwirrend. Wir rufen am Samstagnachmittag deutscher Zeit bei der zuständigen Sparkassen-Hotline an. Fazit: Der damalige Download war fehlerhaft. Es gibt nur einen Weg: Die App wieder runterschmeißen und sich über die Internet-Seite des zuständigen Kreditinstituts neu registrieren. Dann bekommt man eine Ein-Cent-Gutschrift aufs Girokonto, in deren Betreff der Registrierungscode genannt wird. Das dauert aber ein bis drei Werktage. Unser anschließender Versuch, die Buchung mit der Visacard, die zu unserem extra für Südamerika eingerichteten DKB-Konto gehört, vorzunehmen, endet mit dem gleichen Problem. Die Karte war nämlich bislang noch überhaupt nicht für dieses Verfahren angemeldet, und die Registrierung… siehe oben.

Könnte man die Flüge vielleicht direkt in einer Vertretung der staatlichen Airline Boliviana de Aviación buchen? Wir suchen im Internet nach einem Büro in La Paz und werden fündig – es liegt eine knappe halbe Stunde Fußmarsch von unserem Hotel entfernt. Drei Minuten nach 13 Uhr stehen wir vor der Tür: Kunden kommen heraus, doch der bärbeißige Security-Mann am Eingang gibt uns klar zu verstehen, dass hier heute keiner mehr rein kommt. Da hilft alles Betteln nichts… Wir könnten ja an den Flughafen fahren, dort sei die Dienststelle auch nachmittags geöffnet. Das würde einfach eine knapp einstündige Fahrt mit dem Taxi hinauf nach El Alto bedeuten! Dazu haben wir absolut keine Lust. Also vertagen wir das Buchen auf einen späteren Tag und hoffen, dass der Registrierungscode rechtzeitig eintrifft. Wirklich, es ist ein gebrauchter Tag; das hatte schon morgens angefangen, als wir ein Ehepaar aus Cochem bei einem Ausflug in das nahe gelegene Mondtal begleiten wollten. Sie hatten bereits eine private Führerin und ein Fahrzeug organisiert. Alle dachten, es würde zu viert günstiger – doch die recht gewinnorientierte Geschäftsführerin unseres Hotels wollte dafür von uns auf Anfrage nochmal 500 Bolivianos abkassieren. Zu viel für uns: Wir ließen diese Tour sausen…

Am Sonntag klappt dann alles wie geplant: Nach dem Frühstück werden wir von einem Taxi abgeholt und in das Stadtviertel Villa Fátima gebracht. Von hier fahren die Kleinbusse in die Yungas – die Übergangszone zwischen dem Hochgebirge und dem Amazonastiefland im Nordosten von La Paz. Auf dem kleinen Busbahnhof machen sich die Anbieter gegenseitig Konkurrenz; letzten Endes macht es keinen großen Unterschied, mit welchem der zahlreichen „Trufis“ (so heißen die Kleinbusse hierzulande) wir die zweistündige Fahrt antreten, die durch eine tolle Berglandschaft stetig abwärts führt. Die Route ist gut ausgebaut; kein Vergleich mehr mit der alten, als „gefährlichste Straße der Welt“ bekannten Schotterpiste, die oft kaum mehr als drei Meter breit ist und deren Flanken ohne Leitplanke viele hundert Meter in die Tiefe abfallen. Diese Strecke ist heute ein Nervenkitzel für wagemutige Mountainbiker und steht bei zahlreichen Anbietern in La Paz auf dem Plan – wie man hört, soll es auch unter diesen Adrenalin-Junkies schon eine ganze Reihe von Toten gegeben haben.

Wir kommen jedenfalls gesund und munter in Coroico, einer Kleinstadt in den Yungas, die in toller Lage auf einen Bergrücken gebaut wurde, an. Die Temperaturen sind hier erheblich wärmer als in La Paz: Coroico liegt auf etwa 1.750 Metern, also etwa 2.000 Meter tiefer als die nicht weit entfernte Metropole. Wir lassen uns von einem Taxi in unser neues Quartier, das Hostal „Sol y Luna“, bringen. Es liegt oberhalb der Stadt mitten im Wald und besteht aus zahlreichen kleinen Hütten, die verstreut in dichter subtropischer Vegetation am Hang liegen.

Unser Heim, die Cabaña "Nectar"
Unser Heim, die Cabaña „Nectar“

Unsere Cabaña heißt „Nectar“: ein kleines, rustikales Häuschen mit Gasherd und Kühlschrank, einem schmalen Balkon mit wunderbarem Blick über die von dichtem Grün überzogene Bergwelt und einem außenliegenden Bad.

Unser "Außenbad"
Unser „Außenbad“

Wie die gesamte Anlage ist auch unsere Hütte schon etwas in die Jahre gekommen und mit dem auf einem ähnlichen Konzept beruhenden, aber in Top-Zustand befindlichen „Izhcayluma“ im ecuadorianischen Vilcabamba nicht (mehr) vergleichbar. Aber gemütlich und friedlich ist es hier allemal… von unserem Balkon lassen sich besonders in der Dämmerung zahlreiche Vögel in den nahen Bäumen beobachten, anschließend sind hunderte von Glühwürmchen unterwegs, und nachts zirpen die Grillen lauter, als die Hunde im weit genug entfernten Ort bellen können.

Der Tukan lässt sich vom Balkon aus beobachten
Der Tukan lässt sich vom Balkon aus beobachten

Schön, dass wir hier einmal die Möglichkeit haben, selbst zu kochen – wir versorgen uns in den kleinen Läden des Ortes mit einigen Grundnahrungsmitteln und stellen, wieder „daheim“, fest, dass selbst diese weitgehend importiert werden: Nur das Gemüse sowie Wasser, Bier und Wein sind aus Bolivien selbst, Nudeln, Tomatensoße, Joghurt, Kekse oder Oliven stammen aus den Nachbarländern Argentinien, Chile und Peru. Ein Indiz für die geringe wirtschaftliche Entwicklung des Landes…

Fließendes Wasser zum Kochen gibt's am Freiluftbecken
Fließendes Wasser zum Kochen gibt’s am Freiluftbecken

Was uns sehr freut: Wir treffen uns hier wieder einmal mit Marina und Christian aus Freital. Die beiden sind schon seit drei Tagen hier und nutzen die Möglichkeit, dass man auf dem Gelände von „Sol y Luna“ auch campen kann – da können wir nicht mitmachen, wir haben unser Zelt schließlich daheim gelassen. Wir verabreden gleich, am nächsten Tag eine gemeinsame Wanderung zu unternehmen. An der kann ich dann leider nicht teilnehmen: Am Morgen merke ich, dass mein Darm mit irgendetwas nicht einverstanden war. Bislang hatte damit ja eher mal Jana Probleme, aber heute ist es sinnvoller für mich, daheimzubleiben. Also begibt sich Jana alleine mit den beiden Freitalern auf den Cerro Uchumachi.

Der Pfad führt durch dichte Vegetation
Der Pfad führt durch dichte Vegetation

Fast sechs Stunden sind die drei auf einem Pfad unterwegs, der sie zunächst zum nahen El Calvario führt und von dort weiter durch dichten, wuchernden Bergwald mit vielen Orchideen. Bei den warmen Temperaturen in den Yungas geraten sie ordentlich ins Schwitzen, bis sie schließlich die auf 2.480 Metern befindliche Gipfelkuppe des Uchumachi erreicht haben.

Weiter Blick über die Yungas
Weiter Blick über die Yungas

Nur an einzelnen Stellen gibt die dichte Vegetation Blicke auf die sich kulissenartig hintereinander staffelnden Bergketten der Yungas frei. Das Besondere an dieser Wanderung ist vor allem die stundenlange Begegnung mit den verschiedensten exotischen Pflanzenarten.

Viele Orchideen sind im Bergurwald zu finden
Viele Orchideen sind im Bergurwald zu finden

Am Dienstag freuen wir uns darüber, dass wir die Registrierungscodes für unsere Kreditkarten erhalten haben, installieren die Apps auf dem Smartphone und buchen unsere nächsten Reiseschritte in Bolivien. Danach wollen wir mit Marina und Christian im hauseigenen Restaurant zu Mittag essen. Sie haben ihre Rucksäcke gepackt, ihr nach einem nächtlichen Regenfall nasses Zelt getrocknet und planen, am frühen Nachmittag zurück nach La Paz zu fahren, um von dort per Nachtbus nach Potosí weiterzureisen. Plötzlich wird ihnen von der Rezeption des „Sol y Luna“ mitgeteilt: „Sie können nicht nach La Paz fahren! Die Strecke wird blockiert!“ Ungläubig schauen die beiden die Rezeptionistin an. Daraufhin erklärt sie, dass auf der Strecke von La Paz nach Chulumani, die unterwegs vom Weg Richtung Coroico abzweigt, vorgestern ein schwerer Unfall passiert ist. Ein Kleinbus ist vom Weg abgekommen, 15 Menschen sind gestorben. Wir verstehen die weiteren Erläuterungen nicht im Detail, aber offensichtlich ist es so, dass die Ermittlungen der Polizei zu Verkehrsbehinderungen geführt haben, die die Kraftfahrer so erbost haben, dass sie heute bis 17 Uhr die Hauptstraße Richtung La Paz blockieren. Straßenblockaden sind, wie wir schon gelesen haben, in Bolivien ein sehr beliebtes Protestmittel. Da ist kein Durchkommen, und einen anderen Weg gibt es nicht! Was nun? Marina und Christian haben nicht nur die Tickets für ihren Nachtbus gebucht, sondern natürlich auch schon das nächste Hotel in Potosí. Zum Glück hilft die Rezeptionistin beim Umbuchen auf morgen, und die beiden erhalten für die zusätzliche Nacht ein günstiges Zimmer. Wir machen das Beste aus der Situation und treffen uns abends vor unserem Häuschen bei einer Runde Wein zu einem gemütlichen Lagerfeuer.

Am Lagerfeuer mit Marina und Christian
Am Lagerfeuer mit Marina und Christian

Am Mittwoch geht dann alles glatt: Marina und Christian können mit einem Tag Verspätung ihre Weiterreise antreten. Dafür beginnt der Tag mit einer ganz anderen unerwarteten und unerfreulichen Meldung: Donald Trump hat in den USA die Präsidentschaftswahlen gewonnen! Das hat niemand geglaubt und gehofft, und diese Nachricht müssen wir erst einmal verdauen. Die Welt wird dadurch sicher nicht friedlicher und einfacher zu bereisen…

Nach einem nächtlichen Gewitter setzt sich die Sonne im Laufe des Vormittags gegen die Wolken durch, und wir erkunden das kleine Städtchen Coroico nun genauer. Von unserem Hostel müssen wir eine knappe halbe Stunde talwärts laufen, um ins Zentrum zu gelangen. Dabei kommen wir am etwas verwildert wirkenden Friedhof vorbei. Die Gräber sind vom Allerseelen-Feiertag vor einer Woche noch mit vielen bunten Bändern und Blumen geschmückt.

Bunt geschmückte Gräber
Bunt geschmückte Gräber

Wesentlich unschöner ist aber das, was wir beim Weitergehen entdecken: Die an und für sich nett angelegten Treppen, die vom Friedhof hinunter nach Coroico führen, sind von Plastikmüll nur so übersät. Die Müllentsorgung ist hier offenkundig ein Riesenproblem, das Umweltbewusstsein vieler Menschen ebenso. Dieses Problem fiel schon in Peru vielerorts ins Auge, hier in Bolivien ist es nach unseren Beobachtungen aber noch gravierender. Da helfen auch Verbotsschilder der Kommune und Plakate in der Stadt, auf denen Bürger mit dem Spruch „Ich halte mein Coroico sauber!“ abgebildet sind, nicht weiter.

Unerfreulich: vermüllte Stufen zum Friedhof
Unerfreulich: vermüllte Stufen zum Friedhof

Das Zentrum von Coroico ist schnell erkundet. In den Seitengassen gibt es zahlreiche kleine Läden und Marktstände, deren Angebote sich häufig gleichen: Ein bisschen Lebensmittel, ein bisschen Getränke, dazu mal ein paar Drogerieartikel, mal Spielzeug, mal ein paar Textilien.

Typische Ladenstraße
Typische Ladenstraße

Hauptplatz ist die Plaza Garcia Lanza, die unübersehbar von der für den kleinen Ort eigentlich zu groß geratenen Kathedrale dominiert wird. In ihrer Mitte steht ein kleiner Springbrunnen. Viel mehr gibt’s hier eigentlich nicht zu sehen.

Kathedrale von Coroico...
Kathedrale von Coroico…
...an der Plaza Garcia Lanza
…an der Plaza Garcia Lanza

So gehen wir nach einer guten Pizza zu Mittag bald wieder zurück in unser Refugium im Grünen und genießen einen entspannten Nachmittag, bevor wir morgen per Flugzeug einen großen Sprung ins zentrale Tiefland Boliviens nach Santa Cruz machen…