Sucre.
Wir verlassen das Hostel „Río Magdalena“ in Santa Cruz früh: Schon gegen Viertel vor sieben händigen wir dem Rezeptionisten den Schlüssel aus. Er geht noch mit hinaus an die Straße, um ein Taxi heranzuwinken – eine nasse Angelegenheit, denn kurz zuvor hat es heftig zu regnen begonnen. Wir lassen uns an die Abfahrtsstelle für die Minibusse bringen, die hinaus zum Flughafen Viru Viru fahren. Der Regen prasselt unvermindert herab, während sich das Fahrzeug durch den dichten morgendlichen Berufsverkehr zum Airport kämpft. Doch wir sind immer noch mehr als eine Stunde vor dem Abflug da und haben reichlich Zeit für ein Frühstück, ehe wir die Boeing 737 der „Boliviana de Aviación“ betreten können. In der werden wir nicht nur von der Crew begrüßt, sondern zusätzlich von einem in Gold prunkenden Schild, das stolz verkündet: „Mit dieser Maschine flog Papst Franziskus 2015 von Quito nach La Paz und von La Paz nach Santa Cruz“. Na, dann kann ja wohl nichts schiefgehen… Tatsächlich hört es auf zu regnen, bis wir starten. Der Flug nach Sucre dauert nur wenig mehr als eine halbe Stunde und bringt uns zurück ins Hochland. Bei strahlendem Sonnenschein landen wir auf dem nagelneuen, über 3.100 Meter hoch gelegenen Aeropuerto Internacional de Alcantarí, der erst seit einem halben Jahr in Betrieb ist.

Mit einem Minibus legen wir die fast 30 Kilometer lange Strecke nach Sucre für gerade mal einen Euro zurück. Der Fahrer lässt uns an einer Straßenecke aussteigen, von der es nur noch drei Blocks bis zu unserer Unterkunft sind – dem gleich gegenüber der Markthalle gelegenen Hostel „La Escondida“. Damit haben wir wiederum einen guten Griff getan: Die Unterkunft befindet sich am Ende eines Durchgangs, die Zimmer gruppieren sich zudem um einen sehr schön angelegten Innenhof, so dass vom Lärm der Straße überhaupt nichts bei uns ankommt. Eine Oase der Ruhe mitten in der Stadt!

Dass der Markt gleich auf der anderen Straßenseite zu finden ist, ist auch kein Fehler – so können wir uns mit frischem Obst versorgen und entdecken einen Stand, an dem es hervorragende Chorizo (Bratwurst) gibt.

Eine erste Stadterkundung unternehmen wir am späten Nachmittag. Gleich hinter dem Markt erhebt sich die wunderschöne, blendend weiße Kirche San Francisco mit sich daran anschließenden, sehr pittoresken Arkaden.

Nur einen Block weiter sind wir an der Plaza 25 de Mayo und damit im Herzen der Stadt. Was uns schon auf dem Weg dorthin aufgefallen ist: Die zahlreichen historischen Gebäude im Zentrum sind einheitlich weiß gestrichen, die Stadt wirkt sehr sauber. Nicht umsonst wird sie auch „die weiße Stadt“ genannt. Wir können es nur bestätigen: Sucre gilt als eine der schönsten Städte Südamerikas und ist dementsprechend schon seit 25 Jahren in der UNESCO-Weltkulturerbeliste aufgeführt.

Für Bolivien hat diese auf etwa 2.800 Metern gelegene, gut 250.000 Einwohner zählende Stadt eine ganz besondere historische Bedeutung und ist deswegen schon seit der Staatsgründung 1825 verfassungsmäßige Hauptstadt des Landes. Genauer werden wir uns mit der Geschichte von Stadt und Land morgen befassen; für heute erfreuen wir uns an den tollen Bauwerken rund um die Plaza, zu denen die Kathedrale aus dem 16. Jahrhundert und der prunkvolle ehemalige Regierungspalast, ein Bauwerk des 19. Jahrhunderts, gehören.


Auffällig schön sind auch die verschiedenen Gebäude der Universität, die überall in der Altstadt zu finden sind. Neben ihren reich verzierten Fassaden gefallen uns ganz besonders die stilvollen Innenhöfe, mit denen sie ausgestattet sind.


Wir haben hier in Sucre aber auch Zeit zum Entspannen. Nach langer Zeit schalten wir im Hostelzimmer mal wieder den Fernseher ein, stellen fest, dass auf einem Kanal tatsächlich das Fußball-Länderspiel Italien – Deutschland live übertragen wird und entdecken später auch das Programm der Deutschen Welle mit interessanten Nachrichten- und Reportagesendungen.
Am nächsten Vormittag brechen wir auf zu einem Museumsbesuch. Die „Casa de la Libertad“ ist quasi ein Muss bei einem Sucre-Aufenthalt. In den Räumen, die sich rund um einen brunnengeschmückten Patio in einem Teil des ehemaligen Jesuitenklosters gruppieren, wird die Zeit rund um die Unabhängigkeit Boliviens wieder lebendig.

Man sieht Bilder der letzten spanischen Statthalter der Provinz „Alto Perú“ (Ober-Peru) und wichtiger Unabhängigkeitskämpfer wie Simon Bolívar, Antonio Sucre oder Manuel Belgrano, die überall in Südamerika Aufstände gegen die spanischen Kolonialherren anführten, die in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zur raschen Unabhängigkeit der Länder auf diesem Kontinent führten.

Herzstück des Museums ist jedoch der „Salón de la Independencia“. In diesem Saal trafen sich 1825 die Delegierten der vier Landesteile von Ober-Peru, um die Unabhängigkeit des Landes auszurufen, das dann nach dem ersten Staatspräsidenten Simon Bolívar benannt wurde. Nebenan wird eine schon stark verblichene, historische Flagge aufbewahrt: Hellblau-weiß-hellblau gestreift, war sie die erste Fahne Argentiniens, die von General Belgrano in den Unabhängigkeitskriegen mitgeführt wurde.

Nachfolger Bolívars als bolivianischer Präsident wurde übrigens sein General Antonio José de Sucre. Seinem Gedächtnis ist der Name der bolivianischen Hauptstadt gewidmet, die unter spanischer Herrschaft La Plata und Chuquisaca hieß. Die Regierungsinstitutionen wanderten mit Ausnahme des Verfassungsgerichts im späten 19. Jahrhundert nach La Paz ab, da Sucre zu dieser Zeit verkehrstechnisch nur sehr schwierig zu erreichen war. Seitdem hat La Paz den Rang des Regierungssitzes erhalten; offizielle Hauptstadt blieb aber – der historischen Bedeutung wegen – immer Sucre.

Im Senatssaal findet gerade eine Lesung statt: Ein Buchautor trägt Passagen aus seinem Werk über die Geschichte Boliviens vor und wird anschließend noch von Reportern interviewt. Geschmückt ist dieser Saal und ein anschließender Raum mit Gemälden, die sämtliche Präsidenten Boliviens darstellen – eine endlos lange Ahnengalerie angesichts der zahlreichen Staatsstreiche, die es in der Vergangenheit gegeben hat. Bislang letzter in der Reihe der Staatsoberhäupter ist der amtierende Präsident Evo Morales – wie kaum ein anderer hat er Bolivien verändert. Der erste Indigene in diesem Amt setzte eine Verfassungsänderung durch, nach der Bolivien jetzt den Titel „Plurinationaler Staat“ trägt. Kultur und Sprache der einheimischen Bevölkerung werden seitdem viel stärker gefördert; ein weltweit beachtetes – und viel diskutiertes – Beispiel dieser Politik war die Erhebung der Coca-Pflanze in den Rang eines nationalen Kulturgutes.

Ein längerer Spaziergang führt uns anschließend zu einem Hügel am südlichen Rand der Altstadt.

Von hier aus hat man einen wunderschönen Blick über Sucre, aber auch die harmonische Plaza Anzures vor der La Recoleta, dem ehemaligen Franziskanerkloster, vor Augen.

Wir sind ziemlich genau um 12 Uhr hier und werden somit zufällige Zeugen einer Art „Völkerwanderung“: Aus der angeschlossenen Schule strömen viele hundert Kinder, häufig von ihren Eltern begleitet, mit großen Tüten in der Hand oder mit noch größeren Objekten, die sie offensichtlich im Unterricht hergestellt haben: Modelle des Sonnensystems, aus alten Autoreifen gefertigte Sessel, geometrische Formen, Miniaturen ihrer Traumhäuser und, und, und… Hier findet offensichtlich sehr moderner, handlungsorientierter Unterricht statt!

Zu späterer Stunde schauen wir bei zwei Reiseagenturen vorbei, bei denen wir uns gestern schon nach Möglichkeiten für eine Tagestour in die Umgebung von Sucre erkundigt haben. Das interessanteste Angebot erschien uns ein Ausflug in die Cordillera de los Frailes mit einem Besuch des spektakulär aussehenden Maragua-Kraters. Da hier die Preise jedoch von der Anzahl der Teilnehmer abhängen, wollten wir nicht einfach „blind“ buchen, ohne zu wissen, ob es noch weitere Mitfahrer gibt. Als wir jetzt nachfragen, stellt sich heraus, dass wir in beiden Büros für den Donnerstag immer noch die einzigen Interessenten sind. Das würde uns zu teuer… also entscheiden wir uns dafür, lieber einen ruhigen Tag einzulegen.
Der wird dann aber wesentlich ereignisreicher, als wir gedacht hätten. Zunächst planen wir unsere Reiseroute in Bolivien zu Ende. Neben unserem nächsten Etappenziel Potosí muss vor allem der mehrtägige Ausflug in der Umgebung des Salar de Uyuni, des größten Salzsees der Erde und gleichzeitig beliebtesten Reiseziels des Landes, gebucht werden. Wir lesen im Reiseführer, suchen nach Angeboten im Internet und gehen dann in ein Reisebüro in der Stadt – tatsächlich, dort gibt es eine absolut gleichwertige Dreitagestour um einiges günstiger. Die Route endet kommenden Mittwoch in San Pedro de Atacama; wir werden also in sechs Tagen in Chile sein.
Chile beschäftigt uns noch länger. Schon vormittags haben wir von Denise die freudige Nachricht aus Schweden erhalten, dass es bei ihr und ihrem Freund Peter jetzt doch mit einem Besuch über Weihnachten klappt. Am Nachmittag unserer Zeit verabreden wir uns zum gemeinsamen Skypen und Buchen ihrer Flüge im Internet. Zunächst sind wir alle etwas geschockt über die hohen Preise, finden aber nach ausgedehnten Suchaktionen doch noch relativ günstige Flüge mit akzeptablen Anreisezeiten. Am Ende steht fest: Wir werden Denise und Peter am 18. Dezember in Santiago auf dem Flughafen abholen und anschließend drei Wochen gemeinsam verbringen. Welch eine Freude!