San Pedro de Atacama.
Gegen acht Uhr morgens ist das Frühstück im Salzhotel gegessen, das Gepäck wieder auf dem Dach des Jeeps, und Alex, unser Fahrer, Koch und Guide in einer Person, nimmt die zweite Etappe unserer Dreitagesexpedition durch die südwestlichste Ecke Boliviens in Angriff. Schnell liegt das abgelegene Dörfchen San Juan hinter uns, und wir fahren mitten hinein in eine vollkommen unbesiedelte, fremdartige Landschaft – egal ob unser liebenswerter, etwas schrulliger bolivianischer Senior Jorge, der welterfahrene und umkomplizierte Spanier Enrique oder das freundliche norwegische Ehepaar Gunn und Bernt: Wir alle haben die gleiche Empfindung, fühlen uns teilweise wie auf einem anderen Planeten. Nach einer Stunde legen wir einen ersten Halt ein: Wir sind jetzt im kleineren Salar de Chiguana, der von vegetationslosen Bergen umgeben ist und dessen besondere Attraktion eine Eisenbahnlinie ist, die von Uyuni aus direkt durch den Salzsee führt.

Eine weitere Fahrstunde auf teils sandigen, teils steinigen Schotterpisten bringt uns ganz nahe an die chilenische Grenze und zu einem Aussichtspunkt auf einem scharfkantigen Lavafeld. Von hier aus lässt sich der 5.870 Meter hohe Vulkan Ollagüe mit seiner dampfenden Fumarole, über den die Grenze zum südwestlichen Nachbarland verläuft, bestens beobachten.

Immer weiter klettert unser Jeep über Stock und Stein, eine Piste ist teilweise kaum noch erkennbar, ins Hochgebirge hinauf. Nach geraumer Zeit fordert uns Alex auf, jetzt für fünf Minuten die Augen zu schließen. – Und siehe da: Statt Staub und Steinen liegt plötzlich die herrlich blau schimmernde, an ihren Rändern vom Salz weiß glänzende Laguna Cañapa vor uns. Rundherum ist sie von beeindruckenden Bergketten umgeben, und noch dazu steckt sie voller Leben: Eine große Flamingo-Kolonie hat sich diese flache, knapp eineinhalb Quadratkilometer große Wasserstelle auf 4.140 Metern Höhe als ganzjährigen Lebensraum auserkoren.


Während wir bei wolkenlosem Himmel die wärmende Mittagssonne genießen, richtet Alex im Laderaum des Jeeps unser Mittagessen an: Es gibt Hähnchen mit Kartoffeln und verschiedenem Gemüse – nicht schlecht für eine Tour in die Wildnis!


Das nächste Etappenziel liegt nur wenige Kilometer südlich, aber auf 4.532 Metern noch einmal ein ganzes Stück höher – die mit mehr als drei Quadratkilometern doppelt so große Laguna Hedionda, die ebenfalls von einer großen Flamingo-Population bevölkert wird. Für uns kaum zu glauben, dass diese Tiere hier überleben können, aber offensichtlich finden sie im schlammigen Untergrund der flachen, salzigen Seen genügend Kleintiere, die ihnen als bevorzugte Nahrung dienen.

Ein weiteres Beispiel für die Anpassungsfähigkeit der Tierwelt an unwirtliche Lebensbedingungen begegnet uns einige Kilometer weiter. Mitten in einem Geröllfeld sitzt ein Andenschakal in der Nachmittagssonne und lässt sich von uns neugierigen Touristen in seiner Siesta nicht stören. Welche Beute er wohl hier erlegen kann?

Wir wissen es nicht – zumindest hat sich das possierliche Tier aber einen Platz ausgesucht, von dem aus es den perfekten Blick auf die nächste Lagune hat, die sich hier in über 4.100 Meten zwischen den Bergen ausbreitet: die Laguna Honda, deren Name wohl nur rein zufällig mit der bekannten japanischen Motorradmarke übereinstimmt.

Haben wir bislang zumindest noch den einen oder anderen größeren Büschel gesehen, erreichen wir nach einer weiteren knappen Stunde Fahrt, wir sind inzwischen auf mehr als 4.500 Metern, eine Hochebene, in der nun wirklich kaum noch Vegetation zu entdecken ist – aber nein, Enrique sucht den steinigen Untergrund ganz genau ab und findet tatsächlich selbst hier ein paar niedrige, halb vom Sand bedeckte Gräser. Wir sind in der Siloli-Wüste, die östliche Fortsetzung der bekannten, in Chile liegenden Atacama-Wüste.

Und selbst hier haben Tiere ihren Lebensraum: Auf einer Felsformation entdecken wir hasenähnliche Tiere; es handelt sich um Hasenmäuse, die in bis zu 5.000 Metern Höhe vorkommen und denen Moose und Flechten, die es offensichtlich auch hier gibt, als Lebensgrundlage ausreichen. Unglaublich!

Da entdeckt Jorge einen Wegweiser: Mitten im Nichts geht es rechts ab nach Silala. „Können wir da nicht hinfahren?“ fragt er wie elektrisiert Alex. Na ja, wenn alle Passagiere einverstanden sind, würde er den Umweg schon machen; es müsste halt dann jeder umgerechnet etwa zwei Euro Spritgeld zahlen. Sofort startet Jorge eine Umfrage: Dem Charme des patriotischen Bolivianers, der in den letzten Jahren schon fast alle Ecken seines Heimatlandes besucht hat, können wir uns nicht entziehen, zumal er uns wortreich erklärt, dass es sich hier um einen politisch sehr bedeutsamen Ort handelt. Genaueres erfahren wir, als wir schließlich vor Ort sind. Silala wird ein System von Quellen genannt, das seit Langem ein Zankapfel zwischen Bolivien und Chile ist. Die Chilenen nutzen das in Bolivien entspringende Wasser für industrielle Zwecke. Dafür möchte Bolivien Entschädigungszahlungen mit der Begründung, die Ableitungen seien künstlich angelegt worden. Chile dagegen steht auf dem Standpunkt, ein Vertrag aus dem Jahr 1904 zwischen beiden Staaten habe die Wasserläufe als internationale Gewässer anerkannt. Der Streit wird seit einigen Monaten nun hochoffiziell vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag ausgetragen.

Dass die Kontroverse so erbittert geführt wird, liegt zum einen sicher an der Geschichte der Region – der nördlichste Teil Chiles war ja bis zum Salpeterkrieg 1884 Teil Boliviens, und bekanntlich hat das Binnenland den daraus resultierenden Verlust seiner Küste bis heute nicht verwunden. Eine andere, noch bedeutsamere Ursache ist allerdings auch die extreme Wasserknappheit dieser Region. Die Atacamawüste gilt als trockenstes Gebiet der Erde; momentan verschärft sich das Ganze noch dadurch, dass es in Bolivien in diesem Jahr sehr wenig geregnet hat und deswegen in vielen Teilen des Landes, besonders im Hochland, erheblicher Wassermangel herrscht.

Wir erreichen nun die Reserva Nacional de Fauna Andina Eduardo Avaroa. Gleich am Eingang des Nationalparks wartet mit dem Árbol de Piedra eine spektakuläre, sieben Meter hohe Felsformation, die einem Baum gleicht und deswegen auch seinen Namen bekommen hat (Baum aus Steinen).

Doch das ist beileibe nicht das einzige Felsengebilde hier. Wind und Klima haben das auf 4.575 Metern liegende Vulkangestein zu zahlreichen bizarren Formationen modelliert.

Die Piste führt anschließend etwa 300 Höhenmeter abwärts. Dort erleben wir im goldenen Licht des Spätnachmittags ein Fest der Farben: Die 54 km² große, von Algen und Mineralien teilweise rot gefärbte, an seinen Ufern von weißer Salzkruste umrandete Laguna Colorada kontrastiert zum Himmelblau, den Brauntönen der dahinter aufragenden Bergkette und zum dunklen Grau des Vulkangesteins, von dem aus wir den Blick auf diese Fabelwelt genießen.

Die Sonne verschwindet allmählich hinter den Bergen, als wir das Hostal „Rumi Wasi“ in Huallajara erreichen, einem Ort auf 4.350 Metern, der eigentlich nur existiert, weil Touristen auf ihren Mehrtagestouren durchs Hochland Beherbergungsmöglichkeiten brauchen. Unser höchstgelegener Übernachtungsort bisher und wahrscheinlich während unserer gesamten Reise! Entsprechend einfach ist hier alles: Unsere komplette Sechsergruppe ist in einem Schlafsaal untergebracht. Statt gewöhnlicher Bettgestelle aus Holz mit einem Lattenrost gibt es hier betonierte Unterbauten. Es gibt mehrere dieser Räume, denn auch andere Reisegruppen machen hier Halt. Für alle steht ein Badezimmer mit jeweils einer Toilette für Männlein und Weiblein, einem Waschbecken und einer Dusche zur Verfügung. Warmwasser kostet 15 Bolivianos extra, dafür muss ein Holzofen angezündet werden. Auch der Strom ist auf zwei Stunden von 19 bis 21 Uhr limitiert. Macht nichts, wir wussten das ja von Anfang an und sind darauf eingestellt. Und mit unserer Reisegruppe ist es ein fröhlicher, wenn auch kurzer Abend…

Alex erwartet uns nämlich bereits um fünf Uhr, draußen beginnt es bei -7° Celsius gerade zu dämmern, zum Frühstück. Im ersten Morgenlicht fahren wir durch die staubige Wüstenlandschaft südwärts und noch weiter bergauf. Und plötzlich beginnt es, wir sind auf 4.850 Metern, überall zu dampfen: Das Geothermalgebiet „Sol de Mañana“ (Morgensonne) mit kleinen Geysiren, Schlammtümpeln und Fumarolen ist erreicht!

Obwohl es eisig kalt ist, laufen wir fasziniert durch diese urweltliche Region – sie wirkt am frühen Morgen zum einen durch das Licht, aber auch wegen der Dampfwolken, die aufgrund der niedrigen Temperaturen zu dieser Tageszeit am ausgeprägtesten erscheinen, besonders beeindruckend.

Unser Jeep kämpft sich über die ruckeligen Pisten hinunter zur gut 400 Meter tiefer gelegenen Laguna Salada. Unterwegs begegnen uns ganze Herden von Vikunjas – die wildlebenden Lamas sind so genügsam, dass sie sich von den kargen, harten Gräsern, die hier auf fast 5.000 Metern gedeihen, ernähren können.

Unten an der Lagune begegnen wir zum einen wieder zahlreichen Flamingos – zum anderen aber fast ebenso vielen Touristen. Am Ufer des Sees gibt es nämlich eine heiße Quelle, in der gebadet werden kann. Wir könnten auch – aber wir haben ja nur eine halbe Stunde Zeit, und außerdem müssten wir dann die nassen Klamotten mit uns herumschleppen. Also freuen wir uns über Landschaft und den strahlend blauen Himmel und sitzen einfach ein bisschen am Ufer herum.

Es geht weiter; die nächste Attraktion wartet schon in wenigen Kilometern Entfernung. Eine raue Steinwüste auf 4.750 Metern wird eingerahmt von einer Bergkette, die in den verschiedensten Farbtönen von Ocker über Rot, Orange und Gelb bis hin zu Weiß strahlt und derart surrealistisch wirkt, dass man ihr den Namen des Malers gegeben hat, der exemplarisch für diese Kunstrichtung steht: Salvador Dalí.

Wenn man glaubt, jetzt allmählich alles gesehen zu haben, was diese Ecke Boliviens an Spektakulärem zu bieten hat, wird man keine halbe Stunde später schon eines Besseren belehrt. Die Laguna Verde mit einer auffälligen grünlichen Färbung, die durch ihren hohen Mineraliengehalt, unter anderem Magnesium, Blei und Arsen, verursacht wird, liegt auf 4.329 Metern Höhe direkt zu Füßen des perfekt geformten Vulkans Licancabur (5.920 Meter). Hier pfeift ein eisiger Wind; wie kalt es hier oben ist, lässt sich auch daran erkennen, dass auf dem wegen der giftigen Mineralien unbelebten See kleine Eisbrocken schwimmen.

Gleich nebenan, nur wenige Höhenmeter weiter oben, kommen wir zur nächsten (und letzten) Lagune auf dieser unglaublichen Tour – der Laguna Blanca, deren Mineraliengehalt ganz anders ist und auf dem deswegen wieder einige Flamingos zu sehen sind.

Von hier führt die Tour eigentlich Richtung Nordosten wieder nach Uyuni. Unser vier Reisegefährten werden auch dorthin zurückkehren; nur wir beiden visieren ein anderes Reiseziel an – wir wollen weiter nach Chile. Deswegen fährt Alex noch eine kleine Extratour für uns: Er bringt uns auf den 4.480 Meter hoch gelegenen Pass Hito Cajón, über den die bolivianisch-chilenische Grenze verläuft. Unsere Rucksäcke werden abgeladen und zu dem auf chilenischer Seite wartenden Kleinbus gebracht, mit dem unsere Fahrt weitgehen soll; wir verabschieden uns herzlich von unseren vier Mitfahrern und unserem umsichtigen Chauffeur Alex und stellen uns an der langen Schlange der Reisenden an, die sich vor dem unscheinbaren bolivianischen Grenzhäuschen bereits gebildet hat.

Als wir endlich an der Reihe sind, erwartet uns noch eine kleine Überraschung: Grenzer und Polizist fordern uns auf, eine „Ausreisesteuer“ in Höhe von 15 Bolivianos pro Person (etwa zwei Euro) zu bezahlen. Auf unsere Nachfrage, wofür, wird uns ein verknittertes Papier, datiert auf das Jahr 2005, mit einem offiziell aussehenden Stempel unter die Nase gehalten. Es sei eine spezielle Region, deswegen diese Gebühr, werden wir beschieden. Als „Quittung“ erhalten wir ein abgestempeltes Blatt Papier, das sich bei näherem Hinschauen als alte Eintrittkarte des Nationalparks entpuppt. Diskutieren? Zwecklos… Als wir in den chilenischen Bus einsteigen, fragen wir nach, was es mit dieser Gebühr auf sich hat. „Die kassieren alle Ausländer ab, außer Peruaner und Argentinier, auch uns Chilenen! Natürlich ist das illegal…“ Aber was will man machen – von solchen Praktiken haben wir schon häufiger gelesen, mit dieser kleinen Gaunerei verdienen sich die sicher nicht gut bezahlten bolivianischen Beamten ein erkleckliches Zubrot.

Der Kleinbus fährt los, nur mit uns zwei als Passagieren – offensichtlich war er bei der Hinfahrt voll besetzt, diese Tour wird von vielen Reisenden auch von Chile aus gestartet. Wir fühlen uns sofort wie in eine ganz andere Welt versetzt: Statt einer holprigen Piste führt eine bestens ausgebaute Teerstraße, an der es zahlreiche Verkehrsschilder gibt, 2.000 Meter bergab nach San Pedro de Atacama. Vom ärmsten Land Südamerikas sind wir in das wohlhabendste eingereist! Und haben die Uhr um eine Stunde vorgestellt, obwohl beide Länder eigentlich in der gleichen Zeitzone liegen – in Chile gibt es jedoch im Gegensatz zu Bolivien Sommerzeit. Jetzt trennen uns zeittechnisch nur noch vier Stunden von Mitteleuropa…

Nach einer knappen Dreiviertelstunde erreichen wir San Pedro: Dort erst befindet sich die chilenische Grenzstation (noch, denn ein neues, topmodernes Gebäude oben in den Bergen ist mittlerweile fast fertiggestellt und wird den Altbau am Ortsrand bald ersetzen). Wir erhalten unsere Einreiseerlaubnis für 90 Tage in den Pass gestempelt, doch damit nicht genug: Anschließend müssen wir alle unsere Gepäckstücke wie auf dem Flughafen durch einen Scanner laufen lassen. Neben den üblichen verbotenen Gütern lässt Chile nämlich auch keinerlei Lebensmittel ins Land, um verschiedensten Seuchen vorzubeugen…

Nachdem diese Hürde ebenfalls genommen ist, bringt uns der Bus direkt an unsere Unterkunft, die „Domos Los Abuelos“ – eine großzügige, campingplatzähnliche Anlage mit vielen kleinen igluartigen Häuschen in Lehmbauweise. Alles ist hier sehr ordentlich und sauber; der Standard, aber auch die Preise, sind europäischen Maßstäben vergleichbar. Wir haben hier jedoch nur eine Nacht gebucht, weil wir zu diesem Zeitpunkt die nächsten Reiseschritte noch nicht genau kannten. Jetzt müssen wir feststellen, dass eine Verlängerung nicht möglich ist – über das Wochenende kommt eine große brasilianische Reisegruppe, alles ist ausgebucht. Wir sind gezwungen, uns nach einem anderen Hostel in San Pedro umzusehen.

Doch erst einmal sind wir froh, nach der tollen, aber auch anstrengenden Tour ausruhen zu können und die eindrucksvolle Silhouette des Licancabur nun von chilenischer Seite aus zu bewundern.

Hallo in Chile!
Die Bilder sind sehr beeindruckend! Wahnsinn, welch eine Vielfalt die Natur zu bieten hat. Es ist wirklich faszinierend, selbst auf den Fotos, das zu sehen. Das sind sicher unvergessliche Momente für euch.
Dieser Blog ist echt besonders toll, die Fotos … einfach klasse!
Viel Spaß weiterhin, lasst es euch gut gehen und passt auf euch auf!
Alles Liebe, eure 😘Seltmänner
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Hallo zuhause in Rain,
während bei euch die Tage immer kürzer werden, sind wir mittlerweile voll im Hochsommer angekommen – kein Wunder, die Atacamawüste gilt ja als trockenstes Gebiet der Welt!
Die Welt ist echt wunderschön und hat so viele Facetten. Freut uns, wenn ihr weiterhin gerne mit uns mitreist und viele Grüße auch an die Eltern!
Jana und Wolfgang
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