San Pedro de Atacama.

Vor etwa einem Monat hatten uns im Zug nach Machu Picchu Estefania und Eugenio, ein junges Paar aus Chile, gegenübergesessen. Als wir erzählten, dass wir für längere Zeit durch Südamerika reisen und auch Chile besuchen, meinten sie spontan: „Wenn ihr in die Atacama-Wüste kommt, dann können wir euch eine Führung in der größten Kupfermine der Welt organisieren! Wir arbeiten dort nämlich als Bergbauingenieure!“ Estefania gab uns damals ihre E-Mail-Adresse; wir versprachen, uns bei ihr rechtzeitig zu melden.

Nur wenige Minuten vor dem Aufbruch zu unserer dreitägigen Tour rund um den Salar de Uyuni erhielten wir die Antwort: Ja, es klappt, und zwar am Donnerstag. Wir hatten zwar in Erinnerung, die beiden hätten erzählt, dass die Tour nur freitags stattfinde, aber gut! Dann eben gleich am ersten Tag nach unserer Ankunft in San Pedro de Atacama. Hier, an unserer ersten Station in Chile, mussten wir nach der ersten Nacht gleich nach einer neuen Unterkunft suchen – keine ganz unkomplizierte Angelegenheit: Viele Touristen in einem kleinen, abgelegenen Ort bedeuten hohe Zimmerpreise. Schließlich fanden wir aber doch noch eine annehmbare Lösung.

Donnerstagmorgen, kurz nach neun Uhr: Ein Taxi bringt uns von den „Domos Los Abuelos“ zum Hostel „Iquisa“, ebenfalls eine Viertelstunde Fußmarsch vom Ortskern entfernt. Dort können wir unser Gepäck abstellen und laufen anschließend zum Busterminal. Unterwegs hält ein Auto neben uns, ein älterer Herr fragt: „Braucht ihr ein Taxi?“ Wir verneinen, weil wir genügend Zeit haben, aber der Fahrer meint: „Ich bringe euch umsonst zum Busbahnhof!“ Wirklich ausgesprochen nett – natürlich drückt er uns beim Aussteigen seine Visitenkarte in die Hand: „Wenn ihr hier mal einen Fahrer benötigt…“ – Ja, so funktioniert das Geschäft!

Mit einem bestens ausgestatteten, doppelstöckigen Bus der Gesellschaft „Turbus“, der weiter bis nach Santiago fährt (mehr als 1.600 Kilometer!), fahren wir anschließend etwa eineinhalb Stunden quer durch eine weite Stein- und Sandwüste, in der mittlerweile einige Wind- und Solarparks entstanden sind. Chile ist ein modernes Land, das längst begonnen hat, das Potenzial der erneuerbaren Energie zu nutzen. Dennoch ist die Atacamawüste nach wie vor über weite Strecken eine gewaltige leere Fläche, von den Gebirsketten der Anden umrahmt und von kleineren Erhebungen durchzogen.

Immer geradeaus durch die trockenste Wüste der Welt...
Immer geradeaus durch die trockenste Wüste der Welt…

Eigentlich bizarr, dass mitten in dieser unwirtlichen Einöde eine 160.000-Einwohner-Stadt liegt: Calama, wo wir gegen Mittag aussteigen, ist ein Ort, dessen Existenz untrennbar mit der nur 15 Kilometer entfernten weltgrößten Kufermine Chuquicamata und anderen Bergbaustätten in der Umgebung zusammenhängt. Sie brachten Arbeit in diese eigentlich lebensfeindliche, auf 2.260 Metern gelegene Region.

Bergarbeiterstadt mitten in der Wüste: Calama
Bergarbeiterstadt mitten in der Wüste: Calama

Wir haben noch Zeit, bis die Führung in die Kupfermine beginnt. Zusammen mit einer jungen, in Tschechien lebenden Ungarin, die mit uns aus dem Bus gestiegen ist, spazieren wir ein wenig durch das Zentrum Calamas. Die Geschäfte sehen deutlich moderner und besser ausgestattet aus als wir das bisher in Südamerika gesehen haben, ansonsten hat die Stadt allerdings nicht viel Sehenswertes zu bieten. Und die zentrale Plaza rund um die Anfang des 20. Jahrhunderts gebaute Kathedrale „San Juan Bautista“ wird gerade umgestaltet.

Calamas Kathedrale Juan Bautista
Calamas Kathedrale Juan Bautista

Gewisse Probleme bereitet es, ein Taxi zu finden, das uns zum Besucherzentrum der Betreibergesellschaft Codelco bringt. Es liegt in den Außenbereichen von Calama an einer großen Straße – die Adresse kann den Fahrern eigentlich nicht unbekannt sein. Doch erst beim dritten Versuch klappt es, und wir verstehen: Die Taxis hier fahren wie Linienbusse verschiedene Routen ab, die an den auf den Fahrzeugen angebrachten Nummern zu erkennen sind – für Einheimische kein Problem, Fremde allerdings müssen das erst einmal wissen…

Einkaufsstraße im Zentrum
Einkaufsstraße im Zentrum

Als wir aussteigen, sehen wir fast neben der Codelco-Niederlassung ein großes Firmenschild mit der Aufschrift „Liebherr“. Was macht der Betrieb, bei dem Janas Schwester Romy arbeitet, eigentlich hier im Norden Chiles? Die Antwort werden wir später erfahren.

Was macht Liebherr in Calama?
Was macht Liebherr in Calama?

Aber zunächst einmal müssen wir im Besucherzentrum von Codelco, dem weltgrößten Kupferproduzenten, unsere Personalien angeben, unterschreiben, dass wir den Betrieb von Regressansprüchen im Falle eines Unglücks befreien, erhalten orange Signalwesten und Schutzhelme.

Vorschriftsmäßig eingekleidet...
Vorschriftsmäßig eingekleidet…

Schon in der E-Mail hatte uns Estefania darauf hingewiesen, dass der Zutritt zur Mine nur mit geschlossenen Schuhen und mit langen Hemden und Hosen gestattet ist. Dann bekommen wir noch weitere Sicherheitsinstruktionen; selbst dass wir uns im Bus angurten und beim Aussteigen den Handlauf verwenden sollen, wird nicht vergessen. Irgendwo habe ich mal gelesen, die Chilenen seien die Preußen Südamerikas. Da scheint was dran zu sein…

...im Besucherzentrum von Codelco
…im Besucherzentrum von Codelco

Ein Reisebus, voll besetzt mit Besuchern, bringt uns vorbei an einigen kleineren Bergwerken, die über Tage verschiedenste Mineralien – hier gibt es neben Kupfer unter anderem auch Silber, Molybdän oder Arsen – abbauen, hinauf ins 2.850 Meter hoch gelegene Chuquicamata. Durch die ausgedehnten Industrieanlagen von Codelco (der staatseigenen Gesellschaft obliegt die Kupfergewinnung seit der 1971 unter Präsident Salvador Allende erfolgten Verstaatlichung der zuvor von einem US-Konzern betriebenen Mine) bahnt sich unser Gefährt einen Weg über nun holprige Pisten.

Auf dem Betriebsgelände von Codelco
Auf dem Betriebsgelände von Codelco

Schließlich erreichen wir die Einfahrt zur Mine und blicken in das angeblich größte, je von Menschen geschaffene Loch. Zumindest wird in einschlägigen Informationen Chuquicamata als größter Tagebau der Welt bezeichnet. Die Dimensionen sind tatsächlich äußerst beeindruckend: Die Kupfermine erstreckt sich in elliptischer Form etwa in einer Länge von fünf und einer Breite von drei Kilometern und erreicht inzwischen eine Tiefe von über einem Kilometer. Seit 1915 wird hier tiefer und tiefer gegraben – aber nur noch vier Jahre, erklärt uns unser Guide, dann ist oberirdisch Schluss.

Aus über 1000 Metern Tiefe wird das Kupfererz nach oben befördert
Aus über 1000 Metern Tiefe wird das Kupfererz nach oben befördert

Zu groß ist der Aufwand inzwischen im Verhältnis zu Ertrag: Die gewaltigen Lastfahrzeuge, die das erzhaltige Gestein nach oben befördern, brauchen pro Minute viereinhalb Liter Kraftstoff und eine Stunde Zeit, bis sie die zwölf Kilometer lange Strecke aus den Tiefen der Mine zur Verarbeitung an den Rand des gewaltigen Abgrunds befördern. Dort übernehmen dann noch größere Trucks mit Reifen, die einen Durchmesser von vier Metern haben, die Last – und dafür werden neben japanischen Maschinen auch deutsche, und zwar die von Liebherr, eingesetzt. Des Rätsels Lösung…

Schweres Gerät ist zum Erztransport nötig
Schweres Gerät ist zum Erztransport nötig

Der Abbau über Tage ist nicht mehr wirtschaftlich; deswegen werden bereits heute gewaltige Stollen gegraben, in denen ab 2020 der Kupferabbau unterirdisch fortgesetzt werden soll. Wichtigster Abnehmer des chilenischen Kupfers ist im Übrigen, wenig überraschend, China.

Verkaufsfertige Kupferplatten warten auf ihren Weitertransport
Verkaufsfertige Kupferplatten warten auf ihren Weitertransport

Das bedeutet natürlich einen gewaltigen Strukturwandel und einen enormen Arbeitsplatzabbau für die Region. Der Bergbau unter Tage erfordert ganz andere Techniken, demzufolge verändert sich auch das Berufsbild dramatisch. Jüngere Mitarbeiter sollen umgelernt werden, älteren bleibt nur der „goldene Handschlag“ oder der Weg in die kleineren Minen rundherum.

Kleinerer Tagebau in Calamas Umgebung
Kleinerer Tagebau in Calamas Umgebung

Eine unsichere Zeit für die Bergarbeiter also, die vor etwa zehn Jahren ohnehin schon eine einschneidende Veränderung hinnehmen mussten: Die Bergarbeiterstadt Chuquicamata gleich neben dem Tagebau, mit allen Einrichtungen des täglichen Lebens wie Rathaus, Veranstaltungshalle, Kirche, Fußballstadion, Kneipen, Hotels und Krankenhaus wurde wegen des vom Tagebau herüberwehenden gesundheitsschädlichen Staubs 2007 einfach „zugesperrt“. Alle Bewohner mussten den Ort verlassen und nach Calama umsiedeln.

Menschenleere Plaza...
Menschenleere Plaza…

Seitdem ist Chuquicamata eine Geisterstadt. Irgendwann soll daraus vielleicht einmal ein Freilichtmuseum werden. Momentan sind die Straßen zu den Wohnsiedlungen abgesperrt; nur rund um die Plaza dürfen wir Besucher eine Viertelstunde durch den menschenleeren Ort spazieren – eine seltsame Stimmung breitet sich hier aus, denn die Gebäude machen noch einen ziemlich gepflegten Eindruck und wirken so, als warteten sie nur auf die Rückkehr ihrer ehemaligen Bewohner.

Die Veranstaltungshalle wurde von der Bergarbeitergewerkschaft errichtet
Die Veranstaltungshalle wurde von der Bergarbeitergewerkschaft errichtet
Verlassener Kirchplatz...
Verlassener Kirchplatz…

Etwas beklommen spazieren wir durch das Zentrum von Chuquicamata – der Ort ist schließlich auch ein Zeitzeuge, der den Zwiespalt zwischen ökonomischen Interessen und ökologischen Folgen wie unter einem Vergrößerungsglas deutlich werden lässt…

Verlassene Wohnhäuser...
Verlassene Wohnhäuser…