Tucumán.

Die Busfahrt am Donnerstagvormittag von Tafí del Valle in die Provinzhauptstadt San Miguel de Tucumán, gewöhnlich nur kurz als Tucumán bezeichnet, dauert gerade mal zwei Stunden – für uns ist das inzwischen eine Kurzstrecke. Dennoch ändert sich die Landschaft auf der wenig mehr als 100 Kilometer langen Fahrt grundlegend: Aus dem in den Bergen gelegenen Tafí fahren wir durch eine wilde Schlucht, durch die der reißende Gebirgsbach Río la Angostura rauscht, hinunter in die weite Tiefebene. Hier ist das über 550.000 Einwohner zählende Tucumán, das nur noch 430 Meter über dem Meeresspiegel liegt, das Zentrum eines dünn besiedelten Agrarlandes. Zucker und Zitronen sind die wichtigsten Produkte dieser subtropischen Region. Dass es in der Stadt heute sehr ruhig zugeht, liegt aber nicht nur an dem Dauerregen, der uns bereits auf der gesamten Fahrt begleitet hat, und den kühlen Temperaturen von nur knapp 20 Grad. Am 8. Dezember wird in Argentinien nämlich das Fest der Unbefleckten Empfängnis Marias gefeiert; wie zum Beispiel auch in Österreich oder Italien ist dieser Tag ein gesetzlicher Feiertag.

Die Freiheitsstatue von Tucumán auf der Plaza Independencia
Die Freiheitsstatue von Tucumán auf der Plaza Independencia

So brechen wir erst abends zu einer ersten kleinen Stadterkundung auf – mit dem Hotel „Francia“ haben wir dafür einen hervorragenden Standort gewählt, es liegt nur einen guten Block von der zentralen Plaza Independencia entfernt. Hier werden wir zum ersten Mal so richtig von vorweihnachtlicher Stimmung umfangen: Vor dem Regierungspalast leuchtet ein überdimensionaler, stilisierter Weihnachtsbaum, neben dem bereits die Ziffern des neuen Jahres 2017 prangen; gegenüber im Park ist eine Krippe aufgebaut, und die Bäume sind mit Lichterketten geschmückt.

Eine Krippe stimmt aufs Weihnachtsfest ein
Eine Krippe stimmt aufs Weihnachtsfest ein

Auch die Läden in Tucumáns Fußgängerzone sind voll auf das näherrückende Fest eingestellt. Künstliche Tannenbäume sehen wir in vielen Geschäften; die Einkaufspassagen sind mit Geschenkpackungen und bunten Schleifen dekoriert, und auf der Straße wirbt ein in den argentinischen Nationalfarben blau-weiß-blau gewandeter Weihnachtsmann um Kunden.

Vorweihnachtlich geschmückte Einkaufspassage
Vorweihnachtlich geschmückte Einkaufspassage

Vieles ist also ziemlich ähnlich wie bei uns – nur die Temperaturen wollen nicht ganz dazu passen, denn als es am Freitagmittag endlich zu regnen aufhört, können wir trotz nach wie vor dichter Bewölkung im T-Shirt durch die Stadt bummeln.

Für uns ungewohnte Temperaturen im Advent...
  Für uns ungewohnte Temperaturen im Advent…

Und noch etwas ist hier anders: Schon die vielen Schilder in den Schaufenstern, die mit dem Hinweis auf günstige Ratenzahlungen und einem Zahlungsbeginn erst im Januar oder Februar um Kunden werben, sind ein deutliches Indiz für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in denen das zweitgrößte Land Südamerikas zur Zeit steckt. Und entfernt man sich ein paar Straßenzüge von der Plaza, die als gute Stube der Stadt natürlich besonders gepflegt wird, fallen die vielen heruntergekommenen Fassaden auf, die eigentlich schon lange dringend einer grundlegenden Sanierung bedürften.

Zeichen allmählichen Verfalls in Tucumáns Innenstadt
Zeichen allmählichen Verfalls in Tucumáns Innenstadt

Dabei hat Tucumán für die argentinische Nation eine ganz besondere historische Bedeutung: Nachdem hier die Unabhängigkeitskämpfer unter dem Kommando von General Manuel Belgrano bereits 1812 eine wichtige Schlacht gegen die spanischen Kolonialherren gewonnen hatten, wurde am 9. Juli 1816 in dieser Stadt von den Deputierten der „Vereinigten Provinzen des Río de la Plata“ die Unabhängigkeit ausgerufen. Heuer wurde hier also der 200. Geburtstag der argentinischen Nation groß gefeiert. Im Zentrum des Gedenkens steht die „Casa Histórica de la Independencia“, ein Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert, in dem die entscheidenden Tagungen stattfanden.

Hier wurde Argentiniens Unabhängigkeit proklamiert
Hier wurde Argentiniens Unabhängigkeit proklamiert

Es ist heute nach zwischenzeitlich fast vollständigem Zerfall in bestens rekonstruiertem Zustand ein staatliches Museum, in dem zahlreiche Relikte und Dokumente aus der Zeit der Befreiungskriege, darunter natürlich auch ein Duplikat der Unabhängigkeitserklärung, zu sehen sind. Der Eintritt ist frei – ein derart bedeutendes nationales Monument soll wohl jeder Interessierte besuchen können.

Faksimile der Unabhängigkeitsdeklaration
Faksimile der Unabhängigkeitsdeklaration

Interessant sind die unzähligen Kupfer- und Bronzeplatten, die an einer langen Wand in einem der Innenhöfe des Gebäudes eingelassen sind. Sie stammen von den unterschiedlichsten Vereinen, Verbänden und Organisationen aus dem ganzen Land, die in wohlgesetzten Worten, überwiegend zum 100. und 150. Jahrestag, die Bedeutung des „Kongresses von Tucumán“ würdigten.

Hommagen an die Väter der Nation...
Hommagen an die Väter der Nation…

Wir statten auch der Kathedrale einen Besuch ab. Die „Catedral de Nuestra Señora de la Encarnación“, so ihr voller Name, ist ein Bauwerk aus der Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer klassizistisch anmutenden Säulenfront, Doppeltürmen und einer filigran anmutenden, von blau-weißen Kacheln gedeckten Kuppel über dem Altarraum.

Tucumáns Kathedrale
Tucumáns Kathedrale

Noch sieht es nicht so aus, aber der Sommer in Tucumán rückt näher, und damit auch Temperaturen, die weit über die 30 Grad hinaus ansteigen können. Der weitläufige Parque 9 de Julio im Osten der Altstadt ist da sicher ein sehr wichtiges Naherholungsgebiet für die Städter, vor allem für diejenigen, die es sich nicht ohne Weiteres leisten können, am Wochenende hinauf in die Berge zu fahren, wo das Klima um einiges erträglicher ist.

Lago San Miguel im Parque 9 de Julio
Lago San Miguel im Parque 9 de Julio

Der Park wurde 1916 zum hundertjährigen Jubiläum von Argentiniens Unabhängigkeit eingeweiht. Entsprechend stehen hier viele alt gewordene, imponsante Bäume. Der Lago San Miguel ist ein Dorado für Hobbyangler, und rund um die wirklich hübsche, von einem Säulengang umgebene „Pergola“ sind zahlreiche Freizeitsportler unterwegs.

Säulengang in La Pérgola
Säulengang in La Pérgola

Doch auch hier nagt der Zahn der Zeit an der Substanz: Parkbänke und Pflasterwege harren ihrer Erneuerung, wie vieles andere in der Stadt und auch anderswo im Land haben sie wohl schon bessere Jahre gesehen. Verfestigen sich diese Eindrücke auf unseren nächsten Stationen in Argentinien? Wir werden es sehen; morgen schon können wir nach einer Fahrt mit dem Nachtbus unsere Erkundungen in Córdoba, der zweitgrößten Stadt des Landes, fortsetzen.