Córdoba.

Fast 600 Kilometer trennen die beiden argentinischen Großstädte Tucumán und Córdoba – wir überwinden diese Distanz während einer achteinhalbstündigen Nachtfahrt mit dem Bus und sind damit gleichzeitig auch endgültig im Sommer angekommen. In Córdoba schlagen wir unser Quartier für drei Nächte im Hotel „Everest“ auf. Die Stadt wollen wir in einem eigenen Beitrag vorstellen; aber auch das Umland hat Interessantes zu bieten. Um davon etwas kennenzulernen, brechen wir am Montagmorgen zu einem Tagesausflug auf. Er beginnt am Busterminal von Córdoba, das von unserem Hotel aus in gerade einmal zehn Minuten zu Fuß erreichbar ist.

Mit einem Regionalbus fahren wir in etwa eindreiviertel Stunden in die gut 80 Kilometer südlich gelegene Kleinstadt Villa General Belgrano und von dort mit einem weiteren Bus noch einmal mehr als 75 Minuten nach La Cumbrecita. Auf 1.450 Metern Meereshöhe in den bewaldeten Hängen der Sierras Grandes, eines östlichen Andenausläufers, ist der hochsommerliche Tag mit Temperaturen weit über 30 Grad etwas erträglicher als im Tiefland.

Erste Eindrücke von La Cumbrecita
Erste Eindrücke von La Cumbrecita

Vom kleinen Terminal führt eine Brücke über einen reißenden Gebirgsfluss ins Dorf – und wir fühlen uns augenblicklich in heimatliche Gefilde versetzt: Der gesamte, heute etwa 800 Einwohner zählende Ort besteht aus Häusern, die im Alpenstil errichtet sind! Weit vorgezogene Dächer, Holzbalkone, eine Kapelle wie in einem Schweizer Gebirgstal – doch La Cumbrecita hat keineswegs Disneyland-Charakter, sondern ist ein gewachsener Ort.

Idyllische Kapelle von La Cumbrecita
Idyllische Kapelle von La Cumbrecita
Hotel im Stil eines Alpengasthofs
Hotel im Stil eines Alpengasthofs

Die Geschichte von La Cumbrecita ist jung. Der 1932 als Ingenieur nach Córdoba gekommene Dr. Helmut Cabjolsky kaufte sich hier zwei Jahre später Land, weil ihn die Landschaft im Valle de Calamuchita an die deutsche Heimat erinnerte, und begann mit dem Bau einer zunächst noch einfachen Behausung. Im Anschluss siedelten sich immer mehr Einwanderer vor allem aus Deutschland und der Schweiz hier an, sodass der Ort das Aussehen eines typischen mitteleuropäischen Bergdorfs bekam.

Willkommen in der Schweiz...
Willkommen in der Schweiz…

Heute profitiert das Dorf von seiner herrlichen landschaftlichen Lage und hat sich zu einem Erholungsort mit exotischem mitteleuropäischem Flair entwickelt. Entsprechend viele Restaurants, Cafés und Läden bieten deutsche, schweizerische oder auch mal holländische Spezialitäten an. Wir landen eher zufällig in „Helmut’s Restaurant“, bestellen uns Leberkäs mit Kartoffelsalat und dazu ein im Ort gebrautes Bier der Marke „Bergbräu“ und stellen beim genauen Studium der Speisekarte und der vielen Bilder an der Wand fest, dass wir uns doch tatsächlich im Haus des Gründers von La Cumbrecita befinden!

Im Haus des Dorfgründers...
Im Haus des Dorfgründers…
...gibt's Leberkäs mit Kartoffelsalat!
…gibt’s Leberkäs mit Kartoffelsalat!
Der Gründer und sein Sohn
Der Gründer und sein Sohn

Bei einem anschließenden Spaziergang durch den Ort kommen wir an den Almbach – so nannten die Siedler das Bächlein am Rand des Dorfes. An diesem heißen Tag ist es eine Wohltat, sich einfach auf einen der großen Steine zu setzen und mit den Füßen im kühlen Wasser zu plantschen!

Willkommene Abkühlung im Almbach
Willkommene Abkühlung im Almbach

Viel Zeit zum Verweilen bleibt allerdings nicht. Schließlich wollen wir Villa General Belgrano noch genauer kennenlernen, wo wir am Vormittag nur umgestiegen sind. Auch die etwa 10.000 Einwohner zählende Stadt ist von grünen Hügeln umgeben, liegt aber nur auf gut 700 Metern Meereshöhe. Deswegen ist es hier noch einmal spürbar heißer als in La Cumbrecita.

Bier ist Trumpf in Villa General Belgrano
Deutsches Ambiente in Villa General Belgrano

Waren wir zuvor in einem Alpendorf, so sind wir jetzt in einer deutschen Provinzstadt angekommen. Auch ihre Geschichte beginnt erst im 20. Jahrhundert. 1929 siedelte sich der Deutsche Paul Friedrich Heintze hier an, um Landwirtschaft zu betreiben. In den nächsten Jahren kamen weitere Familien deutscher Herkunft hinzu, sodass ein kleiner Ort entstand. Ein einschneidendes Ereignis fand 1940 statt: Nach der Selbstversenkung des von überlegenen britischen Streitkräften bedrohten deutschen Panzerschiffs „Admiral Graf Spee“ vor der Küste von Montevideo siedelten sich zahlreiche Überlebende der Schiffsbesatzung in dem damals noch Los Sauces genannten Dorf an. 1943 wurde es nach dem argentinischen Unabhängigkeitshelden in Villa General Belgrano umbenannt. Ausschlaggebend dafür war damals unter anderem, dass die Regierung des südamerikanischen Landes, das fast bis zum Schluss des Zweiten Weltkriegs neutral blieb, dem Ort eine nationale Identität geben wollte, um bei den alliierten Kriegsgegnern Deutschlands nicht den latenten Verdacht einer zu ausgeprägten Deutschfreundlichkeit zu nähren.

Typische Gasse im Zentrum der Stadt
Typische Gasse im Zentrum der Stadt

Seinen deutschen Charakter behielt der 1953 zur Stadt erhobene Ort allerdings stets bei. Und das spiegelt sich heute zum einen in der Bauweise der Gebäude wieder: Norddeutsche Klinkerfassaden finden sich in Villa General Belgrano ebenso wie Fachwerkhäuser und alpine Anklänge.

Im Tiroler Stil: das Centro Cívico y Cultural
Im Tiroler Stil: das Centro Cívico y Cultural

Noch mehr allerdings deutschtümelt es in den Auslagen der Geschäfte: Hier kann der argentinische Wochenendausflügler Kuckucksuhren kaufen und Bierkrüge mit den  Wappen beliebiger deutscher Städte und Bundesländer; es gibt Schwarzwälder Kirschtorte und Leberwurst im Glas…

Warenangebot in einem der Andenkenläden
Warenangebot in einem der Andenkenläden

Als wir dann eine „Bäckerei Rein“ entdecken, die Dresdner Stollen anpreist, müssen wir zuschlagen – auch bei 36 Grad ist das süße Weihnachtsgebäck aus Janas Geburtsstadt ein hier nicht erwarteter und umso köstlicherer Genuss. Dass der Geschmack nicht hundertprozentig dem Original entspricht, ist nicht so wichtig – auch Helmut’s Leberkäs würde in einer durchschnittlichen bayerischen Metzgerei nicht als solcher durchgehen…

Ja, was gibt's denn hier Gutes...?
Ja, was gibt’s denn hier Gutes…?
Hier ist der Leckerbissen!
Hier ist der Leckerbissen!

Was Villa General Belgrano inzwischen in ganz Argentinien bekannt hat werden lassen, ist allerdings das „Oktoberfest“. Schon seit über 50 Jahren findet die als „Nationales Bierfest“ beworbene zehntägige Feier hier statt; die Werbetafeln dafür sind auch außerhalb der Festzeit unübersehbar, die Aufdrucke auf Bierkrügen und T-Shirts und die in jedem Laden angepriesenen örtlichen Biere, die von mehreren Kleinbrauereien mit Namen wie „Germania“ oder „Brunnen“ hergestellt werden, ebenso.

In Argentinien berühmt: Villa General Belgranos Oktoberfest
In Argentinien berühmt: Villa General Belgranos Oktoberfest

Alle deutschen Klischees werden hier bedient: Der maßkrugstemmende Bayer in Lederhose ist an jeder zweiten Straßenecke anzutreffen, „Oma Frida“ bietet ihre selbstgemachte Marmelade an, ein Andenkenladen nennt sich „Spreewald“… Den höchsten Ausschlag auf der Kitsch-Skala verzeichnet allerdings ein Geschäft mit Weihnachtsartikeln, über dessen Lautsprecher Heinos klangvolle Stimme erklingt: „Wandern durch den weißen Winterwald“ – und das bei 36 Grad im Schatten!

Zuerst gibt's bayerisches Bier...
Zuerst gibt’s bayerisches Bier…
...und gegen die Kopfschmerzen danach Tabletten von Bayer
…und gegen die Kopfschmerzen danach Tabletten von Bayer