Mendoza.

Es geht wieder durch die Nacht: Fast zwölf Stunden sitzen wir im Bus (und verschlafen davon zum Glück ziemlich viele), um die etwa 700 Kilometer von Córdoba nach Mendoza hinter uns zu bringen. Vormittags um neun Uhr erreichen wir schließlich die Hauptstadt der Region Cuyo, einer sonnigen, steppenhaften Gegend, die aber durch die Zuflüsse aus den Anden, die gleich westlich der Stadt wie eine gewaltige Wand aufragen, mit genügend Wasser versorgt wird.

Plaza Independencia mit der Andenkette
Plaza Independencia mit der Andenkette

Diese beiden Faktoren waren Grundvoraussetzung dafür, dass sich in der Umgebung der auf etwa 750 Metern liegenden Stadt, die mit ihren zahlreichen Vororten auf eine Einwohnerzahl von gut 900.000 kommt, der Weinbau zum dominierenden Wirtschaftszweig entwickeln konnte – heute gilt Mendoza als Argentiniens Weinhauptstadt. Die zu entdecken fällt uns von unserer Unterkunft, dem B&B „Blue Sky“, denkbar leicht – sie befindet sich direkt an der Plaza Independencia, dem Hauptplatz der Stadt, und zwar im neunten Stock! Gastgeber Gabriel hat seine Wohnung hier oben zu einem Beherbergungsbetrieb umgewandelt; kein Schild weist darauf hin. Wir gehen einfach ins Haus, melden dem Security-Mann an der Pforte, dass wir zu „Gaby“ wollen und fahren mit dem Aufzug hinauf…

Ganz oben in diesem Hochhaus wohnen wir...
Ganz oben in diesem Hochhaus wohnen wir…

Es gibt Städte, in denen fühlt man sich spontan wohl. Mendoza fällt eindeutig in diese Kategorie. Und das, obwohl es hier eigentlich nicht viele klassische Sehenswürdigkeiten gibt. Ein schweres Erdbeben zerstörte die Stadt 1861 fast vollständig. Danach wurde sie in veränderter Form mit breiten Straßen und einer sehr großen Plaza wieder aufgebaut – und das schuf Raum für zahlreiche Parks und schattige Alleen.

Typisch für Mendoza: viel Grün in den Straßen
Typisch für Mendoza: viel Grün in den Straßen

Heute lässt es sich hier wunderbar entspannt entlangbummeln und wahlweise die für uns immer wieder exotische Mischung von hochsommerlichen Temperaturen und Weihnachtsdekoration beobachten oder an einem warmen Sommerabend einfach das mediterrane Flair genießen. Abends um neun Uhr erwacht die Stadt erst so richtig, und dann spielen Bands auf der Plaza, Kunsthandwerk wird zum Verkauf angeboten – man spürt es, dass die Bevölkerung hier vor allem auf Einwanderer aus Italien und Spanien zurückgeht.

Wunderschön illuminiert: Mendozas Stadtwappen auf der Plaza Independencia
Wunderschön illuminiert: Mendozas Stadtwappen auf der Plaza Independencia

Auf unseren Streifzügen durch die Stadt entdecken wir außerdem durchaus Interessantes: Da befindet sich gleich am Anfang der Fußgängerzone, des Paseo Sarmiento, das Gebäude des Provinzparlaments. Als wir daran vorbeilaufen, lädt uns eine Mitarbeiterin ein, mal hereinzuschauen – wir dürfen uns die Ahnengalerie der Gouverneure und den Empfangssaal des Parlamentspräsidenten in aller Ruhe ansehen.

Stippvisite im Provinzparlament
Stippvisite im Provinzparlament

Und als wir so durch die Einkaufsstraßen schlendern, stehen wir auf einmal in einer sehr stilvollen Einkaufspassage mit einer wunderschönen, bunt gemusterten Glaskuppel – die Pasaje San Martín wurde 1926 als eines der ersten erdbebensicheren Gebäude Mendozas errichtet.

In der Pasaje San Martín
In der Pasaje San Martín

Ansprechend gestaltete Plätze gibt es in Mendoza einige: Die Plaza San Martín wird vom überdimensionalen Reiterstandbild des gleichnamigen argentinischen Freiheitshelden dominiert, an der Plaza España finden wir wunderschöne bunte Fliesenmuster an Bänken und Wänden.

Fliesengeschmückte Plaza España
Fliesengeschmückte Plaza España

Weniger begeistern kann uns der Parque Cívico im Süden des Stadtzentrums – mitsamt dem Denkmal für die Flagge („Memorial de la Bandera“) wirkt er doch etwas vernachlässigt, obwohl das Gebäude der Provinzregierung gleich hinter dem Park aufragt.

Sitz der Provinzregierung
Sitz der Provinzregierung

Bedeutendste Kirche der Stadt ist die Basilika „San Francisco“ an einer Ecke der Plaza San Martín – auch der neuromanische Bau geht erst auf die Zeit nach dem großen Erdbeben zurück; er wurde im Jahre 1874 fertiggestellt.

Hinter Bäumen versteckt: Basilika San Francisco
Hinter Bäumen versteckt: Basilika San Francisco

Guten Wein gibt es in Mendoza selbstverständlich in jedem kleinen Laden und in sämtlichen Restaurants. Doch wir wollen auch mal sehen, wo die guten Tropfen herkommen – und dazu müssen wir raus aus der Stadt. Eines der besten Ziele für dieses Vorhaben heißt Maipú: eine Stadt knapp 20 Kilometer südöstlich von Mendoza, die wir in etwa einer Stunde Fahrzeit mit einem Nahverkehrsbus (einfacher Fahrpreis pro Person knapp 50 Cent) erreichen.

Auf der Plaza 12 de Febrero
Auf der Plaza 12 de Febrero

So ganz klein ist Maipú zwar nicht gerade – die Statistiken sagen, dass hier über 170.000 Einwohner leben. Dennoch wirkt der Ort auf uns eher kleinstädtisch. Die wichtigsten Gebäude der Stadt gruppieren sich wie gewohnt um die hübsche Plaza, die hier den Namen „12 de Febrero“ trägt. Alles ist also recht übersichtlich; schnell haben wir die kleine Touristen-Info gefunden und lassen uns von der sehr freundlichen Mitarbeiterin Tipps geben, wie wir unseren Tag in Maipú am besten gestalten können.

Iglesia La Merced
Iglesia La Merced

Am besten kommen wir hier mit dem Fahrrad voran. Deswegen führt unser erster Weg zum Fahrradverleih „Tierra Huarpe“: Ein überaus freundlicher älterer Herr stellt uns zu einem günstigen Preis die gewünschten Räder für den ganzen Tag bereit und gibt uns – an einem heißen Tag wie diesem äußerst willkommen – gleich noch zwei kühle Flaschen Wasser als Marschverpflegung mit auf den Weg. Das lässt sich ja gut an!

Mit dem Fahrrad erkunden wir die Umgebung von Maipú
Mit dem Fahrrad erkunden wir die Umgebung von Maipú

Auf der Karte, die wir von der Tourist-Info erhalten haben, sind eine ganze Reihe von Weingütern und Olivenölproduzenten verzeichnet, die man rund um Maipú besuchen kann. Wir steuern zuerst die „Olivicola Simone“ an – ein kleiner italienischstämmiger Olivenverarbeiter, in dessen Hofladen wir nach einer Führung fragen. Leider findet die Ernte zwischen März und Mai statt, erklärt uns die Juniorchefin. Aber in den Produktionshallen ist ein Großbildschirm installiert, über den sie uns gerne einen kleinen Film vorführt, in dem die Produktionsschritte von der Olive bis zum Öl genau erläutert werden.

Olivenbäume...
Olivenbäume…
...und ihre köstlichen getrockneten Früchte
…und ihre köstlichen getrockneten Früchte

Anschließend dürfen wir Oliven und Öl verkosten – und ich würde wirklich zu gerne eines dieser großen Gläser, in denen die Oliven eingelegt sind, kaufen. Zu gut schmecken sie! Zumindest eine Creme aus Olivenöl nehmen wir aber von hier mit. Die kaum mehr als ein Euro Trinkgeld, die wir der netten jungen Dame geben wollen, müssen wir ihr dreimal anbieten, bis sie sie endlich akzeptiert…

Hier gibt's echte Delikatessen!
Hier gibt’s echte Delikatessen!

Einmal quer durch Maipú radeln, dann sind wir an der Bodega López angekommen, die – 1898 gegründet – eines der ältesten noch bestehenden Weingüter in der Umgebung ist.

Zu Gast auf dem Weingut López
Zu Gast auf dem Weingut López

Auf dem Betriebsgelände gibt es auch ein sehr stilvoll eingerichtetes Restaurant. Zu nobel für uns?! Wir kommen kurz nach 13 Uhr an, die nächste Führung durch den Betrieb findet aber erst zur nächsten vollen Stunde statt. Dann werden wir wohl in der Zwischenzeit doch hier essen müssen… beziehungsweise dürfen, denn was wir dann für 12 Euro pro Person als Tagesmenü serviert bekommen, ist vom Feinsten: Ein hervorragender, saftiger Rinderbraten, der uns mit seiner Marinade etwas an Sauerbraten erinnert, und dazu einen sehr ordentlichen Rotwein!

Hier wird auch hervorragend gekocht!
Hier wird auch hervorragend gekocht!

Die mehr als einstündige Führung durch die „heiligen Hallen“ der Bodega López verschafft uns anschließend eine genaue Vorstellung von den verschiedenen Schritten bei der Produktion von Wein. Angefangen bei den modernen Edelstahltanks, in denen der Fermentationsprozess stattfindet, über die riesigen Eichenfässer, in denen die Weine je nach Marke und Qualität zwischen sechs Monaten und sechs Jahren reifen, bis hin zur Flaschenabfüll- und Verpackungsanlage erhalten wir einen Einblick in alle wichtigen Abteilungen des Weinguts.

Die modernen Gärbottiche
Die modernen Gärbottiche
Hier reifen die edlen Tropfen
Hier reifen die edlen Tropfen
Abfüll- und Verpackungsanlage
Abfüll- und Verpackungsanlage

Eine kleine Weinprobe zum Abschluss darf natürlich nicht fehlen: Keine Frage, hier werden wirklich sehr gute Weine hergestellt! Da kaufen auch wir gerne noch wenigstens zwei Fläschchen – und werden nebenbei von zwei argentinischen Gästen, die mit in unserer Gruppe waren, auf Deutsch angesprochen! Ein Mann in unserem Alter erzählt uns, dass er in Heidelberg studiert hat, eine junge Frau war ein halbes Jahr als Austauschschülerin in Berlin und hat Familie in Hannover. Von ihr bekommen wir gleich noch Reisetipps und ihre E-Mail-Adresse: Sie wohnt in Mar del Plata, falls wir dort aufkreuzen, sollen wir sie vorher unbedingt anschreiben.

Zum Schluss gibt's natürlich eine Weinprobe...
Zum Schluss gibt’s natürlich eine Weinprobe…

So viele nette Leute hier! Und das ist noch nicht das Ende des Tages… Auf dem Rückweg zu unserer Fahrradvermietung kommen wir an der „Antigua Bodega Giol“ vorbei. Dieses Weingut hat heute Museumscharakter, war früher aber einmal eines der größten überhaupt; argentinische Patrioten nennen es sogar das ehemals „größte der Welt“. Fakt ist, dass die beiden Einwanderer Juan Giol und Bautista Gargantini – sie kamen aus Italien und der Schweiz – 1896 diese Bodega gründeten; dass Gargantini sich später selbstständig machte, sodass der Betrieb seither nur noch den Namen „Giol“ trug und dass er noch einmal Jahrzehnte später über Umwege in Staatseigentum kam. Danach wurde hier fast bis zur Jahrtausendwende Massenwein für den heimischen Markt produziert; doch irgendwann verpasste der träge Riese es, auf das veränderte Konsumentenverhalten zureagieren, das immer mehr auf Qualität achtete, und wurde schließlich wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit dichtgemacht.

Im historischen Weinkeller Giol...
Im historischen Weinkeller Giol…

Das alles und noch viel mehr erfahren wir von einer sehr sympathischen, hervorragend Englisch sprechenden Frau, die uns für ein paar Euro eine Privatführung durch die riesigen Hallen gibt, in denen zahlreiche überdimensionale historische Weinfässer lagern – anderswo wurden diese Fässer längst zerlegt und das Holz anderweitig verarbeitet, hier sind sie für Argentinien einzigartige Zeugen einer vergangenen Wirtschaftsepoche. Natürlich gibt es zum Abschluss auch hier wieder eine Weinverkostung – und die Dame nimmt sich wirklich Zeit, erklärt uns ganz genau die Unterschiede zwischen den verschiedenen Rebsorten und die perfekten klimatischen Voraussetzungen, die in der Region Mendoza für den Weinanbau herrschen.

...erfahren wir noch mehr über den Wein von Mendoza
…erfahren wir noch mehr über den Wein von Mendoza

Ein kleiner Weingarten und die eleganten Herrenhäuser der beiden Bodega-Gründer gleich nebenan passen perfekt ins Bild.

Hinter dem Weingarten: Villa des Bodegagründers Giol...
Hinter dem Weingarten: Villa des Bodegagründers Giol…
...und das seines Kompagnons Gargantini
…und die seines Kompagnons Gargantini

Beschwingt und zufrieden radeln wir zurück zu unserem Fahrradvermieter – und der schafft es nun tatsächlich, diesem Tag noch die Krone aufzusetzen. Als wir die Drahtesel zurückgeben, bittet er uns in seinem Garten Platz zu nehmen – und kommt wenig später mit zwei Gläsern Wein und zwei Tütchen Studentenfutter zurück. „¡Gracias por visitarnos!“ (Danke, dass Sie uns besucht haben!) steht auf den Tüten aufgedruckt zu lesen! Wir können darauf nur antworten: Ein Glück, dass wir Maipú besucht haben – gastfreundlicher kann ein Ort gar nicht sein!

Wunderschöner Abschied von Maipú
Wunderschöner Abschied von Maipú