Puerto Varas.
Samstagmorgen, kurz nach sieben Uhr: Die Rucksäcke sind gepackt, wir verlassen das wunderschöne Apartment in Ushuaia und lassen uns per Taxi an die Bushaltestelle bringen (ein richtiges Terminal gibt es hier nicht). Pünktlich um acht Uhr setzt sich der Linienbus der chilenischen Gesellschaft Bus-Sur in Bewegung: Es geht einmal quer durch Feuerland – für Denise und Peter der Beginn einer Reise (fast) vom Südpol zum Nordpol. Zunächst durch die Bergkette im Süden der Insel, anschließend durch allmählich flacher werdende Landschaft nordostwärts, bis wir nahe der größten Stadt Río Grande den Atlantik erreichen: Zum ersten Mal auf unserer Reise sind wir damit an Südamerikas Ostküste! Nach vier Stunden hält der Bus in San Sebastián an – ein ödes, windiges Nest an einer Meeresbucht, das seine Existenzgrundlage der Tatsache verdankt, dass hier ein argentinischer Grenzkontrollposten steht; der südlichste Grenzübergang der Welt. Das Privileg, ihn zu überqueren, muss man sich mit viel Geduld erarbeiten… Es kostet gut eine Stunde Wartezeit, um den Ausreisestempel zu erhalten; dann geht es auf einer Schotterpiste durchs Niemandsland zum chilenischen Zollhäuschen, wo wir mit all unserem Gepäck anrücken müssen – wir kennen die Prozedur ja bereits: Alles aufs Laufband, alles wird durchleuchtet, auf dass ja keine schädlichen Sporen oder Keime an eingeschmuggelten Lebensmitteln Chile verseuchen… wobei es hier, auf Feuerland, etwas liberaler zugeht, als wir es anderswo kennengelernt haben.

Nach insgesamt zweieinhalb Stunden können wir endlich die Fahrt durch den chilenischen Teil der größten Insel des Kontinents fortsetzen. Er macht zwar gut die Hälfte der Fläche aus, ist aber noch wesentlich geringer besiedelt als das zu argentinische Gebiet. Einsames steppenhaftes Land passierend, kommen wir schließlich an der Bahía Azul an.


Sie liegt an der engsten Stelle der Magellanstraße, die die Insel vom Festland trennt. Weniger als eine halbe Stunde benötigt die Fähre für die Überfahrt nach Punta Delgada. Von dort dauert es noch einmal zwei Stunden, ehe wir abends um acht Uhr, nach zwölf Stunden, in Punta Arenas ankommen. Hier hat vor über zwei Wochen unsere Rundreise durchs südliche Patagonien begonnen, hier findet sie nun auch ihr Ende. Nur für eine Nacht schlagen wir unser Quartier im „Hostal Ovejero“, benannt nach einem unweit gelegenen Schäferdenkmal, auf – eigentlich schade; hier ist es gemütlich, die Inhaber sind sehr freundlich und das Frühstück ist gut.

Am Sonntagvormittag lassen wir uns an den etwa 20 Kilometer außerhalb gelegenen Flughafen bringen: Punkt zwölf Uhr hebt der Airbus 320 der chilenischen Fluggesellschaft „Sky Airline“ ab, und der zweite Teil der Rückreise Richtung Norden beginnt.

Für Jana und mich endet sie zwei Stunden später, als die Maschine in Puerto Montt zwischenlandet – Zeit zum wehmütigen Abschiednehmen von Denise und Peter. Sie fliegen weiter nach Santiago, bleiben dort noch eine Nacht und setzen ihre Rückreise nach Stockholm am Montagnachmittag mit Umstiegen in São Paulo und London fort.

Ab sofort sind wir also wieder im „alten“ Reisemodus, zu zweit, unterwegs – und wehren gleich am Flughafen routiniert einen kleinen Abzock-Versuch ab: An einem Informationsstand, der Taxifahrten in die Innenstadt vermittelt, verneint die diensthabende Dame die Frage, ob auch Busse dorthin fahren. Weil uns der genannte Fahrpreis fürs Taxi zu hoch erscheint, lehnen wir das Angebot ab – und sehen draußen, dass es eben doch regelmäßig verkehrende Linienbusse gibt. Zwei Tickets kosten nicht mal die Hälfte vom Taxi! Noch günstiger geht es anschließend vom Terminal mit einem Minibus weiter ins 20 Kilometer entfernte Puerto Varas.

Es regnet in Strömen; doch viel mehr, als uns im gemütlichen „Hostal Erika“, das uns von anderen Reisenden empfohlen wurde, auszuruhen und abends gut essen zu gehen, haben wir an diesem Tag sowieso nicht mehr vor. Nach den wunderschönen, aber auch anstrengenden drei Reisewochen mit unserem „Weihnachtsbesuch“ wollen wir jetzt erst einmal einen Gang zurückschalten und bleiben deswegen gleich fünf Nächte hier.

Das Wetter bessert sich erst allmählich im Verlauf des Montags. Zeit genug, um die etwa 40.000 Einwohner zählende, 1854 gegründete Stadt kennenzulernen. Sie liegt am Südufer des Llanquihue-Sees, dessen Ostseite von einer imposanten, mit Vulkanen durchsetzten Bergkette flankiert wird.

Stärker als irgendwo anders auf unserer bisherigen Reise fühlen wir uns in Puerto Varas nach Mitteleuropa zurückversetzt. Das liegt nicht nur am gemäßigten Klima und an der ziemlich ähnlichen Vegetation: Die gesamte Region im südchilenischen Seengebiet wurde im 19. Jahrhundert maßgeblich von Deutschen besiedelt; Kultur und Traditionen der „Alemanes“ haben sich in vielfältiger Weise erhalten, auch wenn sie sich hier weitaus unauffälliger und weniger kommerzorientiert präsentieren, als wir das vor vier Wochen im argentinischen Villa General Belgrano erlebt haben. Das beginnt schon in unserer Unterkunft: Die Gastgeberin Erika serviert zum Frühstück unter anderem wunderbaren, saftigen Blaubeer-Streuselkuchen (das Wort „Kuchen“ hat Eingang in die hiesige Sprache gefunden und wird auch noch original deutsch ausgesprochen) und Himbeermarmelade; in der Stadtmitte gibt es einen seit 1885 bestehenden „Deutschen Verein“, der unübersehbar die schwarz-rot-goldene Flagge hisst, und die Namen vieler Geschäftsinhaber sowie die angebotenen Produkte verweisen unverkennbar auf deutsche Vorfahren.



Auch die bekannteste Sehenswürdigkeit der Stadt orientiert sich an der alten Heimat: Die 1915 errichtete Pfarrkirche „Sagrado Corazón de Jesús“ hat ihr Vorbild im Schwarzwald stehen. Doch welche? Zahlreiche Quellen schreiben etwas von einer Marienkirche, aber keine gibt über den genauen Ort Aufschluss. Zu Rate gezogene Bilder helfen auch nicht weiter – aber „deutsch“ sieht die Kirche auf jeden Fall aus, keine Frage!

Von seiner schönsten Seite zeigt sich Puerto Varas am Ufer des Lago Llanquihue. Einige kälteresistente Jungs plantschen trotz der kühlen Temperaturen im Wasser des zweitgrößten chilenischen Sees – mit 877 km² ist er wesentlich größer als der Bodensee! Das müssen wir uns nicht antun; ein geruhsamer Bummel entlang der netten Seepromenade ist heute genau das Richtige, um herunterzukommen und den Blick allmählich voraus, auf die nächsten lohnenden Ziele, zu richten. In den drei Wochen, die uns Denise und Peter begleitet haben, wollten wir gemeinsam mit ihnen natürlich so viel wie möglich sehen und erleben; dieses Reisetempo lässt sich aber über ein gesamtes Jahr hinweg nicht durchhalten…

Feuerland und die Magellanstraße – am Ende der Welt!!!! Ein Traum!!! Schön, dass wir daheim immer ein wenig mitreisen dürfen!
Eure Berichte und Fotos sind einfach faszinierend!
Wie bei einem Fortsetzungsroman freut man sich immer gleich auf den nächsten Beitrag!
Ich wünsche euch noch viele schöne und interessante Erlebnisse und vor allem: bleibt gesund!
Liebe Grüße
Karin
LikeLike
Hallo Karin,
toll, dass du immer noch mit dabei bist! Rechnung kommt zum Schluss ;-))
Ja, unser „Fortsetzungsroman“ entwickelt sich so Stück für Stück weiter – und dass wir gesund bleiben, ist wohl der wichtigste Wunsch für das angepeilte „Happy End“!
Dir und euch allen wünschen wir, dass ihr die nächste Etappe bis Fasching gestärkt angeht. Ich hoffe, die Weihnachtskarte ans Kollegium, die ich Anfang Dezember aus Argentinien geschickt habe, ist auch angekommen…
Liebe Grüße aus Chile!
Jana und Wolfgang
LikeLike