Puerto Varas.
Die Región de los Lagos (Seengebiet) ist die Gegend in Chile, in der deutsche Einwanderer die deutlichsten Spuren hinterlassen haben. Das fiel uns zwar gestern schon in unserem derzeitigen Aufenthaltsort Puerto Varas auf; noch stärker deutsch geprägt ist jedoch die etwa 25 Kilometer nördlich gelegene Kleinstadt Frutillar, die sich ebenso an eine Bucht des Lago Llanquihue schmiegt. Landschaft, Kultur und Architektur sind die Reize des Ortes, die ihn zu einem beliebten Ausflugsziel haben werden lassen. Mit einem Kleinbus brauchen wir etwa eine halbe Stunde in das Städtchen, das sich in den unscheinbaren, wenngleich größeren Ortsteil Frutillar Alto und das malerische, am Seeufer gelegene Frutillar Bajo teilt.

Im Bus spricht uns eine Sitznachbarin an: Sie entnimmt unserer Unterhaltung, dass wir aus Deutschland kommen, und stellt sich als in den USA lebende Deutsch-Chilenin vor. Hin und wieder kommt sie zu Besuch hierher, erzählt sie; und nun haben Freunde sie gebeten, in der lutheranischen Kirche von Frutillar (eine Seltenheit im katholischen Chile) ein Orgelkonzert zu geben – was sie am Donnerstagabend, bei freiem Eintritt, auch tun wird. Wir sind dazu herzlich eingeladen! Heute fährt sie schon einmal hierher, um auf dem Instrument zu proben. Wen haben wir da denn kennengelernt? Das Internet hilft uns bei der Einordnung: Bei Christine Gevert, so ihr Name, handelt es sich um eine renommierte Organistin und Cembalistin, eine Spezialistin für Barock- und Kirchenmusik. Ihre Konzerte führten sie schon durch zahlreiche Länder, als Dozentin war sie an verschiedenen Hochschulen, etwa in Berlin und Santiago, tätig. Das Konzert übermorgen werden wir auf jeden Fall besuchen, es wird garantiert ein Genuss! Mehr über die Virtuosin kann man z. B. auf den englischsprachigen Fach-Webseiten http://worldclassmusic.org/christine-gevert/ und http://musforum.org/?p=239 erfahren.

Dass Christine Gevert dieses Konzert ausgerechnet in Frutillar gibt, ist ganz sicher kein Zufall. Aufs Engste ist der Ort mit der klassischen Musik verbunden: Bereits seit 1968 finden in dem Städtchen in Südchile jährlich vom 27. Januar bis 5. Februar die „Semanas Musicales de Frutillar“statt. Seit 2010 bietet das neu errichtete, stilvoll mit Holz verkleidete und auf Stelzen stehend in den See reichende Teatro del Lago das architektonisch passende Ambiente für das Festival.

Die Skulptur „Piano de Frutillar“ und ein überdimensionaler Notenschlüssel, der mit Emblemen versehen einem Maibaum nachempfunden ist – beide am Seeufer platziert – versinnbildlichen Frutillars in Jahrzehnten gefestigten Ruf als Musikstadt.


Gleichzeitig verweist der abgewandelte Maibaum auf Frutillars deutsche Wurzeln – und die sind in der 1856 gegründeten Stadt auch heute noch überdeutlich zu finden. Das chilenische Seengebiet wurde von den spanischen Kolonialherren, die sich gegen die wehrhaften Mapuche, die Ureinwohner der Gegend, sehr schwer taten, nur dünn besiedelt. Als Chile im 19. Jahrhundert unabhängig geworden war, tat es alles, um das geographisch so weit auseinandergezogene Staatsgebiet – mit Argentinien kam man nach langen Streitigkeiten überein, dass die Andenhauptkette die Grenzlinie bilden sollte – tatsächlich zu beherrschen.

So förderte die junge Republik die Ansiedlung von Kolonisten vor allem im klimatisch raueren Süden des Landes – seit den 1830er Jahren zunächst unter der Leitung des deutschstämmigen Bernhard Philippi, der dazu in der alten Heimat Auswanderungswillige rekrutierte; ab 1845 dann noch zielgerichteter, indem der chilenische Staat ein Kolonisationsgesetz erließ. Der Ruf nach Einwanderern fiel in Deutschland auf umso fruchtbareren Boden, da dort zur gleichen Zeit mehrere Missernten Hungersnöte verursachten, die beginnende Industrialisierung die Bildung einer unter elenden Bedingungen lebenden Arbeiterschicht auslöste und schließlich die fehlgeschlagene demokratische Revolution von 1848 politische Frustration im Land hinterließ.

Wer die Entscheidung zur Auswanderung einmal getroffen hatte, den erwartete eine entbehrungsreiche, bis zu fünf Monate dauernde Überfahrt auf dem Schiff, herum um das gefürchtete Kap Hoorn, ehe die neue Heimat endlich erreicht war – Rückkehr also praktisch ausgeschlossen. Vom nahen Puerto Montt aus besiedelten die Kolonisten aus Deutschland in einem jahrzehntelang währenden Prozess allmählich das gesamte Seeufer des vom Staat seit 1853 festgelegten „Kolonisationsgebiets Llanquihue“.

Harte Arbeit und die handwerklichen und landwirtschaftlichen Fähigkeiten der Kolonisten führten unter den landschaftlich und klimatisch durchaus mit Deutschland vergleichbaren Bedingungen der neuen Heimat zu einer langsamen, aber stetigen Steigerung des Lebensstandards, der sich mit der Zeit auch in größeren und komfortableren Wohnhäusern und in der Verwendung immer modernerer technischer Hilfsmittel widerspiegelte. Dabei behielten die Auswanderer die aus der Heimat vertrauten Bräuche und Lebensgewohnheiten bei und verliehen der Region somit ein unverkennbar deutsches Gesicht.

Ein sehr anschauliches und informatives Museum, das von der Universidad Austral de Chile in Valdivia betreute und mit Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland errichtete „Museo Colonial Alemán“, vermittelt seit 1984 auch in deutscher Sprache eine detaillierte Vorstellung von der Besiedlungsgeschichte rund um den Llanquihue-See.

Aber auch über 150 Jahre nach dem Beginn der Einwanderung sind überall im Ort die deutschen Einflüsse unübersehbar. Die deutsche Sprache hat sich zwar in all den Jahren aus dem Alltagsgebrauch verflüchtigt, geblieben sind aber zahlreiche Begriffe, architektonische Besonderheiten, kulinarische Spezialitäten und traulich-altdeutsch anmutendes Dekor.

Spitzendecken auf den Tischen, Spitzenvorhänge an den Fenstern, auf deren Simsen kleine Puppen sitzen, Gartenzwerge zwischen den bunten Blumenbeeten; der Männergesangsverein hat der Stadt, von „Paulaner“ unterstützt, einen kleinen Park gestiftet, und fürs Wochenende laden Plakate zum „Bauernfest“ ein, das vor den Toren Frutillars stattfindet.



Überall wird „leckerer Kuchen“ angeboten (nach dem es übrigens auch in unserer Unterkunft jeden Abend duftet, wenn er von Erika nach deutschem Rezept frisch gebacken wird); in dem vom Club Alemán betriebenen Restaurant gibt es Schweinebraten mit Sauerkraut, und das (chilenische) Bier wird im „Erdinger Weißbier“-Glas serviert.






Zahlreiche Fassaden sind wie im Schwarzwald mit Holzschindeln verkleidet, Fachwerk findet sich im Ortsbild ebenso wie Hirschgeweihe unter den Dachfirsten. Nur die Vulkane auf der anderen Seeseite, deren Spitzen sich aber auch heute noch in Wolken hüllen, verweisen darauf, dass wir uns hier doch in einer ganz anderen Weltgegend befinden..



Meine Frau und ich wollen uns 2022 in Chile zur Ruhe setzen…fliegen jetzt im November nach Puerto Montt…unsere erste Chile Reise…wollen uns von dem tollen Bericht über Frutillar persönlich überzeugen…wäre auch bestimmt ein tolle Location um sich zur Ruhe zur Ruhe zu setzen…freuen uns…
Gruß
Dagmar und Norman Koch
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Liebe Dagmar, lieber Norman,
es freut uns, dass ihr auf unseren Blog gestoßen seid und wir wünschen euch für eueren Erkundungstrio nach Chile viele positive Erfahrungen – wir haben erst neulich mal darüber fantasiert, wenn man auswandern wollte, was dann in Frage käme, und da stand Chile mit an erster Stelle!
Viele Grüße
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