Pucón.

Die Busfahrt von Valdivia ins gut 150 Kilometer nordwestlich gelegene Pucón dauert etwa drei Stunden. Kurz genug, dass wir uns Zeit lassen können und erst mittags gegen zwölf Uhr die Fahrt antreten, die durch Wald- und Flusslandschaften und zum Schluss entlang des Südufers des langgestreckten Lago Villarrica führt. In Pucón lassen wir uns von einem lustigen Taxifahrer in unser neues Domizil Ellies B&B bringen, der uns auf die Frage, wie weit die Unterkunft vom Zentrum entfernt ist, gleich mal mit „20 Kilometer“ antwortet und sich über unsere verdutzten Gesichter freut. Etwas außerhalb ist es wirklich, das kleine Häuschen in einem staubigen Seitenweg am Rande der kleinen Stadt; aber eben drei und keine 20 Kilometer… Inhaberin Ellie ist eine richtig nette und hilfsbereite Gastgeberin. Sie erklärt uns gleich mal, wie man am besten ins Stadtzentrum kommt: „Geht einfach vor an den Supermarkt und steigt in ein Colectivo mit der Nummer 1 oder 2 ein!“ Dass ein Colectivo hier aber tatsächlich ein Linientaxi und kein Kleinbus ist, darauf kommen wir erst, nachdem wir zehn Minuten lang zugesehen haben, dass die Einheimischen an der Bushaltestelle alle in Taxis einsteigen. Öfter mal was Neues…

Traumhafter Blick von unserer Unterkunft aus
Traumhafter Blick von unserer Unterkunft aus

Die Avenida O’Higgins, die Hauptgeschäftsstraße von Pucón, ist gespickt mit Restaurants, Bars und Touranbietern. Kein Wunder: Die 14.000 Einwohner zählende Kleinstadt ist der touristische Hotspot von Südchile, jetzt im Sommer quillt der Ort förmlich über vor Touristen – Einheimischen wie Ausländern.

Geschäftiges Zentrum - ebenfalls mit Vulkanblick...
Geschäftiges Zentrum – ebenfalls mit Vulkanblick…

Die wunderschöne Landschaft rund um Pucón bietet ja auch tatsächlich für jeden Geschmack etwas: Es gibt Badeseen und Thermalquellen, Nationalparks mit Seen und Vulkanen und im Winter Skigebiete – um zu baden, muss man nicht einmal die Stadt verlassen. Bei unserem Bummel durch Pucón gelangen wir zuerst an die Bucht La Poza, in der ein kleiner Hafen für Segelboote angelegt ist; von einer langgestreckten, schmalen Halbinsel abgetrennt, befindet sich etwas weiter nördlich die Playa Grande des Lago Villarrica, die an diesem Freitagabend ein Meer von Sonnenschirmen ist.

Ankerplatz für Segelboote: Bucht "La Poza" vor Pucón
Ankerplatz für Segelboote: Bucht La Poza vor Pucón
Hochbetrieb an der Playa Grande
Hochbetrieb an der Playa Grande

Wer in Pucón nach historisch bedeutsamen Bauwerken sucht, wird dies vergeblich tun – die Stadt wurde erst 1899 gegründet, nachdem es noch bis 1883 immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen mit den hier ansässigen Indigenen, den Mapuche, gegeben hatte. Auf der Plaza de Armas erinnern heute große Holzstatuen an dieses wehrhafte Volk, das inzwischen in der bunt gemischten chilenischen Bevölkerung aufgegangen ist.

Mapuche-Holzstatuen auf Pucóns Plaza de Armas
Mapuche-Holzstatuen auf Pucóns Plaza de Armas

Das wolkenlose und warme Sommerwetter lädt am Samstag förmlich zu einem Badetag ein – wir folgen aber einer Empfehlung unserer Gastgeberin Ellie und gehen dazu nicht an den Stadtstrand von Pucón, sondern fahren mit dem Regionalbus eine gute halbe Stunde Richtung Nordosten an den Lago Caburgua. Unterwegs steigen wir aber erst einmal an den Ojos del Caburgua aus: Kleine Wasserfälle und kristallklare Teiche mitten im Wald – sie sind Austritte von unterirdisch verlaufenden Abflüssen des Lago Caburgua.

Idyllischer Wasserfall mitten im Wald an den Ojos del Caburgua
Idyllischer Wasserfall mitten im Wald an den Ojos del Caburgua
Erinnert an den Blautopf: die Laguna Azul
Erinnert an den Blautopf: die Laguna Azul

An der Playa Blanca dieses Sees verbringen wir anschließend einen geruhsamen Nachmittag am breiten weißen Sandstrand, der kaum weniger frequentiert ist als der Stadtstrand von Pucón. Doch die Umgebung hier ist zweifelsohne wesentlich idyllischer, denn der See ist rundum von dicht bewaldeten Hügeln umgeben. Das Wasser ist wärmer als das des Lago Villarrica, was angeblich an warmen Quellen auf dem Grund des Sees liegt. Das einzig Unangenehme ist der schlammige Seeboden.

Breiter weißer Sandstrand: Playa Blanca am Lago Caburgua
Breiter weißer Sandstrand: Playa Blanca am Lago Caburgua
Entspannung am Strand
Entspannung am See
Die Playa Blanca geht nahtlos in die Playa Negra über
Die Playa Blanca geht nahtlos in die Playa Negra über

Für den Sonntag haben wir uns einen Ausflug in den Nationalpark Huerquehue vorgenommen. Natürlich werden von Pucón aus Touren dorthin angeboten – aber es gibt auch Regionalbusse, mit denen man ungleich günstiger an den etwa eine Fahrstunde entfernten Parkeingang gelangen kann. Der Haken daran: Es fahren nur vier pro Tag, einer am Morgen um halb neun und zwei in den späteren Nachmittagsstunden; und weil wir nicht gar so früh rauswollen, bleibt uns lediglich der um 13 Uhr. Wir haben also vormittags viel Zeit, frühstücken gemütlich und unterhalten uns mit unserer Gastgeberin Ellie, als neue Gäste ankommen – Anja und Florian, ein junges Paar aus Dortmund, die uns sofort sympathisch sind. Sie haben gerade eine 20stündige Busfahrt aus Santiago hinter sich, wollen heute aber auch gleich noch in den Nationalpark. Das passt perfekt: Wir fahren also gemeinsam los – in einem überfüllten Kleinbus, in dem sich die Fahrgäste stehend im Mittelgang drängeln und sogar mit dem Rücken zur Frontscheibe auf dem Armaturenbrett neben dem Chauffeur sitzen.

Das nennt man wohl wirklich randvoll... - ganz links der Busfahrer
Das nennt man wohl wirklich randvoll… – ganz links der Busfahrer

Leider haben wir nur etwa drei Stunden Zeit und können daher nur eine kleine Wanderung im Park unternehmen – dennoch ist es ein wunderschönes Naturerlebnis. Der tiefblaue Lago Tinquilco, die uralten, beeindruckenden Bäume, darunter zahlreiche Araukarien, und nicht zuletzt der Wasserfall Nido del Aguila, der über einen glatt gewaschenen Felsen hinunterrauscht, ergeben zusammen eine sehr entspannende, wohltuend schattige Umgebung an diesem Hochsommertag.

Rauschende Wildbäche...
Rauschende Wildbäche…
...riesige...
…riesige…
...und eigenwillig geformte Bäume...
…und eigenwillig geformte Bäume…
...und der wunderschöne Wasserfall Nido del Aguila
…und der wunderschöne Wasserfall Nido del Aguila

Ob in Pucón oder in den Wäldern des Nationalparks – er ist nirgends zu übersehen: der 2.840 Meter hohe Vulkan Villarrica. Als klassischer Vulkankegel ist er ein wahres Kunstwerk der Natur, noch dazu eines, das mit seinem qualmenden Schlot seinen Charakter unzweifelhaft deutlich macht. Der Villarrica ist der aktivste Vulkan Chiles und der zweite Südamerikas: Erst im März 2015 fand der letzte Ausbruch statt. Ganz Pucón, erzählt uns Ellie, wurde damals nachts um drei für einen Tag evakuiert – glücklicherweise warf der Vulkan nur so viel Lava aus, dass diese auf den Bergflanken liegenblieb. Die Stadt blieb verschont. Anschließend dauerte es über ein Jahr, ehe der Villarrica von den Behörden wieder für Besteigungen freigegeben wurde – unter verschärften Sicherheitsbedingungen, was auch die Preise deutlich steigen ließ. Doch das ist nur ein Aspekt bei der Abwägung, ob wir diese Tour angehen wollen. Der andere lautet: Können wir uns das zutrauen? Schließlich startet der Aufstieg am Base, wo es auch Skilifte für die Wintersaison gibt, auf 1.400 Metern – noch einmal so viele Höhenmeter sind dann bis zum Kraterrand zu bewältigen. Gemeinsam mit Anja und Florian entscheiden wir uns schließlich: Ja, wir machen das! So oft wie wir hier in Südamerika schon beim Bergwandern waren, so fit wie wir uns jetzt fühlen, werden wir es wohl kaum irgendwann einmal mehr sein. Wann also, wenn nicht jetzt? Und so stehen wir noch vor Sonnenaufgang morgens um sechs vor der Agentur des Tourveranstalters Sierra Nevada, werden mit einem Rucksack mit zahlreichen Ausrüstungsgegenständen ausgestattet und fahren dann eine halbe Stunde an den Startpunkt.

Bestens ausgerüstet starten wir die Expedition
Bestens ausgerüstet starten wir die Expedition

Zwölf Wanderer, vier Guides – schon dieser „Schlüssel“ macht deutlich, dass diese Vulkanbesteigung nicht einfach eine normale Bergwanderung ist. Nach ein paar hundert Metern folgt das nächste Signal: Die Bergführer empfehlen dringend, den Sessellift zu nehmen, der uns vierhundert Höhenmeter erspart – wir zögern zuerst, lassen uns dann aber doch dazu überreden (wie auch alle anderen unserer Gruppe), auch wenn die Fahrt fast 15 Euro pro Person zusätzlich kostet.

Mit der Seilbahn überbrücken wir 400 Höhenmeter
Mit der Seilbahn überbrücken wir 400 Höhenmeter

Wie sich beim Abstieg zeigen wird, sicherlich eine sinnvolle Entscheidung – gerade dieser Teil führt durch viel Vulkanasche und wäre besonders bergauf sehr mühsam und kräfteraubend gewesen. Weiter oben wird der Untergrund felsiger, was uns mehr Trittsicherheit bietet. Der Blick hinauf zum Krater zeigt, dass an diesem Morgen wesentlich mehr Dampf entweicht als an den Tagen zuvor; dagegen bietet sich nach unten ein grandioses, fast wolkenloses Panorama über die weite, von zahlreichen Seen unterbrochene Bergwelt Araukaniens, wie diese Region nach den hier heimischen Bäumen benannt ist.

Rauchender Vulkan...
Rauchender Vulkan…
...und grandiose Bergwelt
…und grandiose Bergwelt
Das erste Teilstück führt durch brüchige Lava
Das erste Teilstück führt durch brüchige Lava

Schutzhelme mussten wir schon zu Beginn der Wanderung aufsetzen; jetzt haben wir das erste größere Schneefeld erreicht und benötigen weitere Utensilien aus unserem Expeditionsrucksack. Wir werden aufgefordert, die Schneehose und die Windjacke mit Kapuze anzuziehen; Gamaschen schützen vor dem Schnee, und ein Eispickel verleiht zusätzlichen Halt beim Aufstieg durch das Schnee- und Eisfeld. Selbst mit Handschuhen werden wir versorgt.

Wir rüsten uns aus fürs Schneefeld
Wir rüsten uns aus fürs Schneefeld
Immer schön einer hinter dem anderen...
Immer schön einer hinter dem anderen…
...streben wir dem immer noch rauchenden Krater entgegen
…streben wir dem immer noch rauchenden Krater entgegen

Als wir schließlich nach fast vier Stunden nur noch knapp 2o Minuten vom Kraterrand entfernt sind, die Schneezone bereits wieder verlassen haben und nun durch ein frisches Lavafeld mit rauen, staubigen Gesteinsbrocken laufen, die vom letzten Ausbruch vor knapp zwei Jahren stammen, legen unsere Guides eine längere Pause ein. Mit dem Büro unten in der Stadt stehen sie in ständigem Funkkontakt: Der Vulkan wird genauestens überwacht. Momentan sind die Rauchschwaden, die er abgibt, unverändert stark; lässt die Aktivität vielleicht bald wieder nach?

Rast nach der Durchquerung des Schneefelds
Rast nach der Durchquerung des Schneefelds
Nun geht's auf der frischen Lava von 2015 weiter
Nun geht’s auf der frischen Lava von 2015 weiter
Wir genießen die herrliche Aussicht...
Wir genießen die herrliche Aussicht…
...während der Wartezeit auf den "Gipfelsturm"
…während der Wartezeit auf den „Gipfelsturm“

Doch die Antwort, die aus der Zentrale kommt, fällt nicht ganz so aus wie erhofft. Im Laufe des Nachmittags könnte der Rauch weniger werden, heißt es. Das hilft uns wenig, denn so lange können wir da oben nicht warten. Also treten wir den Schlussanstieg mitten in die nebelartig dichten, nach Schwefel riechenden Wolken an, die aus dem Inneren des Vulkans entweichen – und damit wird nun ein weiterer, für uns besonders exotischer Ausrüstungsgegenstand benötigt: die Gasmaske. Nur mit ihr vor Nase und Mund dürfen wir ganz hinauf zum Kraterrand und damit auf den höchsten Punkt des Villarrica. Ein ganz besonderes Gipfelfoto!

Am Ziel - auf dem Gipfel des Villarrica
Am Ziel – auf dem Gipfel des Villarrica

Es ist schon faszinierend, zu erkennen, wie der Fels hier steil nach innen abfällt – wirklich viel sehen können wir leider nicht, da immer aufs Neue dichte Gaswolken ausgestoßen werden. Für einen kurzen Augenblick sehen wir mal ansatzweise ins Kraterinnere; die glühende Lava, die dort von der Hitze des Erdinneren am Köcheln gehalten wird, bleibt uns jedoch leider verborgen. Dennoch ist es ein ganz besonderes Erlebnis, einmal am Kraterrand eines aktiven Vulkans zu stehen!

Der Vulkan qualmt heute heftig...
Am Kraterrand: Der Blick auf die glühende Lava bleibt uns leider verwehrt

1.400 Meter bergab, das bedeutet im Normalfall einen ziemlich langen, unerquicklichen Abstieg. Am Villarrica gibt’s da aber eine ganz andere, schnellere und noch dazu viel lustigere Variante: Auf kleinen Tellern aus Kunststoff, auch als „Poporutscher“ bekannt (auch sie waren mit im Rucksack!), rodeln wir in richtigen Eiskanälen talwärts. Wir haben so viel Spaß dabei und fühlen uns wie Kinder. Wintersport im Januar – in Europa ganz normal, auf der Südhalbkugel aber mitten im Sommer schon etwas Besonderes!

Rodelbahnen ziehen sich den Villarrica hinunter
Rodelbahnen ziehen sich den Villarrica hinunter
Jana...
Jana…
...und Wolfgang...
…und Wolfgang…
...auf rasanter Tafahrt
…auf rasanter Talfahrt

Schade, dass das Schneefeld irgendwo zu Ende geht und der restliche Weg dann doch wieder auf Schusters Rappen bewältigt werden muss. Einen gemütlichen Abschluss findet unsere Tour aber  im Hinterhof der Agentur, zu dem von den Guides stilsicher Bier und Chips gereicht werden – „Salud“, „Cheers“ und „Prost“ auf die gelungene Vulkanbesteigung und danke an die hilfsbereiten Jungs!

Wir stoßen auf die gelungene Vulkantour an
Wir stoßen auf die gelungene Vulkantour an