Bariloche.
Insgesamt fünf Wochen waren wir – auf drei Etappen verteilt – in Chile unterwegs. An diesem Donnerstag ist es nun endgültig Zeit, sich von diesem freundlichen, landschaftlich so vielfältigen Land im Südwesten Südamerikas zu verabschieden. Von Osorno aus steuert unser Bus den Grenzort Puyehue, mitten in den Anden gelegen, an, wo wir zum dritten Mal den chilenischen Ausreisestempel in unseren Reisepass gestempelt bekommen. Die übliche Warteschlange bietet einem Mitarbeiter des Fremdenverkehrsamts die Gelegenheit, eine Umfrage unter den Reisenden durchzuführen – von uns Deutschen will er nichts wissen, doch das hinter uns stehende amerikanische Ehepaar passt offensichtlich genau in seine Zielgruppe. Leider sprechen die freundlichen älteren Herrschaften aus Minnesota kein Spanisch – was uns zu Dolmetschern werden lässt: Wir übersetzen die Fragen ins Englische und die Antworten ins Spanische. Wäre vor ein paar Monaten sicher noch nicht möglich gewesen…
Der argentinische Grenzposten auf dem gut 1.300 Meter hohen Paso Cardenal Antonio Samoré ist ein ordentliches Stück weit entfernt. Unsere dritte Einreise nach Argentinien, zum dritten Mal läuft die Prozedur etwas anders ab. Beim ersten Mal wurden sämtliche Gepäckstücke durchleuchtet, beim zweiten Mal gar nichts – diesmal werden nur einige Koffer und Rucksäcke (meiner ist auch dabei) aus dem Bus genommen und durch den Scanner geschickt. Anschließend fahren wir noch etwa zwei Stunden durch die tolle Berglandschaft, ehe der Ferienort Bariloche erreicht ist. Diesmal liegt unsere Unterkunft, das Hotel Internacional, absolut zentral mitten in der Fußgängerzone.

Schön – denn damit ist es auch leicht, einen Treffpunkt mit Anja und Florian auszumachen! Die beiden melden sich nämlich bei uns: Sie müssen ebenfalls eine Übernachtung in Bariloche einlegen, weil sie erst morgen nach El Chaltén weiterfahren können. Binnen weniger Tage treffen wir uns nun also schon am dritten Ort – doch jetzt werden sich unsere Wege trennen. Die beiden werden schon bald nach Mexiko weiterfliegen und dann durch Mittelamerika wieder südwärts bis Peru reisen. Vielleicht können wir uns ja in Kolumbien noch mal treffen! Könnte zeitlich eventuell klappen…
Wie Pucón, so bietet auch Bariloche eine Fülle an Möglichkeiten der Urlaubsgestaltung und ist deswegen eines der wichtigsten Tourismuszentren des Landes. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet, ist der auf etwa 900 Metern Meereshöhe am Südufer des langgezogenen Lago Nahuel Huapi gelegene Ort mittlerweile auf 130.000 Einwohner angewachsen.


Die an die Alpen erinnernde Landschaft sowie das ebenfalls ähnliche Klima inspirierten die Stadtplaner dazu, mit schweizerisch anmutenden Holz- und massiven Steinhäusern dem Ort einen ähnlichen Charakter zu geben. Bedeutendstes Beispiel ist das in den 1930ern entstandene Centro Civico, deren Gebäude heute unter anderem Rathaus und Fremdenverkehrsamt beherbergen.

Europäisch mutet auch die neogotische Catedral de Nuestra Señora del Nahuel Huapi an, die 1944 fertiggestellt wurde.

Kein Wunder, dass wie auf chilenischer Seite auch hier viele Einwanderer aus Mitteleuropa ihr Glück suchten. Dass Bariloche heute ein Zentrum der Schokoladenherstellung ist, hat sicher viel mit Schweizer Einfluss zu tun (ganz in der Nähe gibt es auch ein Bergdorf namens Colonia Suiza); die zahlreichen kleinen Brauereien sind nicht zuletzt den deutschen Kolonisten zu verdanken.

Unter ihnen lebten in den Nachkriegsjahrzehnten auch einige namhafte SS-Schergen – etwa Erich Priebke, dessen Kriegsverbrechen erst in den 1990er Jahren der Öffentlichkeit bekannt wurden. In der Folge wurde der bereits über 80-Jährige an Italien überstellt, wo er verurteilt wurde und 2013 im Alter von 100 Jahren im Gefängnis verstarb. Priebke und Konsorten lagen zwischenzeitlich wie ein böser Schatten auf dem beschaulichen San Carlos de Bariloche, so der volle Name der nordpatagonischen Stadt. Doch die zeigt sich heute freundlich, modern und bunt – und von einer traumhaften Natur umgeben, die wir genauer kennenlernen wollen.

Mit dem Fahrrad geht das besonders gut. Wir fahren deshalb mit dem Nahverkehrsbus hinaus ins kleine Villa Campanario, wo wir uns Mountain-Bikes ausleihen und mit ihnen den Circuito Chico, einen etwa 30 Kilometer langen Rundweg, in Angriff nehmen. Er führt uns zunächst entlang des Lago Nahuel Huapi nach Llao Llao – nicht mehr als eine lockere Streusiedlung zwischen Wald und Seen mit der wunderschönen kleinen Holzkapelle San Eduardo; an dieser Engstelle rückt von Süden das Ufer des nächsten Gewässers, des Lago Perito Moreno Oeste, ganz nahe.



Die Fahrt führt ständig bergauf und bergab; das geht ordentlich in die Beine, doch der Lohn dafür sind immer wieder tolle Ausblicke und Rastplätze.

Staubige Waldwege, die von der Hauptroute abzweigen, führen nahe Villa Tacul zu wunderschönen Buchten am Lago Nahuel Huapi.



Und später lockt die mitten im Wald hoch über dem Lago Perito Moreno Oeste gelegene Cervecería Patagonia mit einem traumhaften Panoramablick über die weite Seen- und Bergwelt zu einer ausgedehnten Rast. Einen strategisch besseren Platz hätten sich die Planer dieser noch ziemlich neuen Hausbrauerei – das meint auch unser Fahrradverleiher – wahrlich nicht aussuchen können!




Die Fahrräder sind wieder abgegeben; bevor wir die Rückfahrt nach Bariloche antreten, wollen wir aber noch hinauf zum nahen Cerro Campanario. Der etwa 1.050 Meter hohe Aussichtsberg verspricht nämlich einen herrlichen Rundblick über das Land. Da wir von der Radtour schon etwas müde sind, haben wir vor, mit dem Sessellift nach oben zu fahren – doch als wir drei Minuten vor 19 Uhr ankommen, schüttelt der Mitarbeiter bedauernd den Kopf: „Gerade kommen die letzten Gäste von oben, danach wird der Fahrbetrieb eingestellt!“ Was nun? Es gibt ja einen Wanderweg hinauf, dann gehen wir eben zu Fuß… Aber der ist ganz schön steil und staubig! Doch als wir nach etwa 25 Minuten verschwitzt oben ankommen, stellen wir schnell fest, dass sich die Mühe absolut gelohnt hat. Die Aussicht über Seen, Wälder und Berge ist umwerfend…


Einen ruhigen Stadttag danach gönnen wir uns zur Regeneration, am Sonntag aber schnüren wir schon wieder (wahrscheinlich für lange Zeit zum letzten Mal) die Wanderstiefel. Frühmorgens lassen wir uns mit dem Linienbus nach Villa Catedral bringen, einem Ort, der die Existenz seiner Funktion als Talstation eines der größten Wintersportgebiete Südamerikas an den Hängen des Cerro Catedral verdankt.

Im Sommer ist es hier wesentlich beschaulicher, denn die Anzahl der Bergwanderer ist mit der der Ski- und Snowboardfahrer sicher nicht vergleichbar. Und morgens um Viertel vor Neun sind wir noch fast allein auf dem Wanderweg, der uns 700 Meter höher an das Refugio Frey, eine Berghütte am Fuße der zackigen Bergspitze, bringen soll. Der Pfad führt zunächst durch lichtes, von vielen Blumen geziertes Buschland, das nach Osten hin zum Lago Gutiérrez abfällt.


Nach geraumer Zeit biegen wir in ein schmales, bewaldetes Seitental ab. Auf wunderschönen, an vielen Stellen ebenfalls von tollen Blumenwiesen gesäumten Waldwegen und vorbei an kleinen, lustig plätschernden Bergbächen führt der Weg langsam bergan, ehe der letzte Abschnitt in sonnenbeschienenem Gelände etwas steiler nach oben führt. Nach gut drei Stunden (angegeben waren vier) haben wir die rustikale Berghütte Refugio Frey erreicht.




Gleich dahinter liegt die von schroffen Felszähnen eingerahmte kleine Laguna Tonček – sie ist nach einem slowenischstämmigen Bergsteiger aus Bariloche benannt, der 1954 mit nur 28 Jahren am Cerro Paine in Chile tödlich verunglückte. An dem malerischen Bergsee gönnen wir uns eine längere Mittagspause, ehe wir den Rückweg ins Tal in Angriff nehmen.


Auf halbem Weg wählen wir eine andere, uns im Club Andino (das südamerikanische Pendant zum deutschen Alpenverein) empfohlene Variante bergab. Sie führt uns an dem kleinen, aber sehr schönen Wasserfall Cascada de los Duendes vorbei ans Ufer des Lago Gutiérrez, das an diesem Sonntagnachmittag von zahlreichen Badegästen bevölkert ist.


Von Villa Los Coihues am Nordufer des Sees gelangen wir mit dem Stadtbus zurück nach Bariloche – rechtzeitig genug, damit wir um 18 Uhr geduscht und umgezogen am Centro Civico stehen. Wir haben heute Abend nämlich schon wieder eine Verabredung: Marina und Christian aus der Nähe von Dresden, die wir ja bereits in Peru und Bolivien mehrfach getroffen haben, sind auch gerade hier. Unsere letzte Begegnung ist schon ziemlich lange her: Knapp drei Monate sind seit unserem Abend am Lagerfeuer in Coroico vergangen. In Puerto Natales und in Ushuaia haben wir uns zuletzt zweimal knapp verpasst – um so schöner, dass es heute klappt! Wir haben uns viel zu erzählen, die Stunden vergehen wie im Flug. Ob wir uns in Südamerika noch einmal sehen werden, ist fraglich – für die Beiden geht es Mitte März nämlich zurück in die Heimat. Aber Besuche daheim sind fest versprochen: Angesichts der hiesigen Distanzen und Reisezeiten erscheinen die Entfernungen in Deutschland richtig kurz…