Montevideo.

Wir waren insgesamt gut sechs Wochen, verteilt auf drei Etappen, in Argentinien unterwegs – längst nicht genug, um alle interessanten Orte dieses riesigen Landes kennenzulernen; doch zweifellos haben wir sehr viele attraktive Gegenden und Städte gesehen. Und einmal werden wir aller Voraussicht ja noch zurückkehren in den zweitgrößten Staat des Kontinents; das aber wird wohl erst in sechs oder sieben Wochen soweit sein. Für diesen Donnerstag ist aber erst einmal Abschiednehmen angesagt: Mit dem Bus geht es vier Stunden auf einer bestens ausgebauten Autobahn von Rosario zurück nach Buenos Aires und von dort mit einem Katamaran der Gesellschaft Buquebus eine Stunde über den Río de la Plata ins Nachbarland Uruguay, nach Colonia del Sacramento.

Flughafenatmosphäre bei Buquebus: Auch die Abfertigung läuft genauso ab
Flughafenatmosphäre bei Buquebus: Die Abfertigung läuft genau wie am Airport ab
Ein Katamaran bringt uns über den Río de la Plata
Ein Katamaran bringt uns über den Río de la Plata

Zwei Stunden dauert die Busfahrt in die Hauptstadt Montevideo. Die Strecke führt entlang der Südküste, die durch den gewaltigen, bis zu 200 Kilometer breiten Mündungstrichter des Río de la Plata gebildet wird. Kaum Orte, nur einzelne Bauernhöfe in einer friedlichen, sanfthügeligen grünen Weidelandschaft begegnen uns hier; dafür umso mehr Rinder – sie sind in Uruguay wahrscheinlich wesentlich zahlreicher anzutreffen als Menschen. Im gesamten Land, das etwa halb so groß ist wie Deutschland, leben nur etwa 3,3 Millionen Einwohner; etwa 40 Prozent davon in der Hauptstadt Montevideo, in der wir für die nächsten vier Nächte Quartier im Hotel Europa nehmen.

Dass wir damit eine strategisch äußerst günstige Wahl getroffen haben, bemerken wir gleich am nächsten Vormittag: Schon vor ein paar Wochen hatten wir bei der Suche nach einer größeren Karnevalveranstaltung herausgefunden, dass Montevideo da sehr viel zu bieten hat – unter anderem den längsten Karneval der Welt mit Veranstaltungen an 40 Tagen. Am interessantesten sollte angeblich die Desfile de Llamadas sein, die zweitägige „Parade der Rufe“, die dieses Jahr am 9. und 10. Februar stattfindet. Also kauften wir online zwei Tickets für eine Tribüne, von der aus das Spektakel sehr gut zu beobachten ist. Als wir uns nun nach dem Standort erkundigen, stellen wir fest: Wir brauchen keinen Bus und kein Taxi; zu Fuß sind es gerade einmal zehn Minuten in die Calle Isla de Flores, wo der Umzug stattfindet!

Blick von der Tribüne...
Blick von der Tribüne…
...auf die Calle Isla de Flores
…auf die Calle Isla de Flores

Für 20 Uhr ist der Beginn der Veranstaltung angekündigt. Wir sind eine halbe Stunde vorher dran, um einen guten Platz zu bekommen, und harren erwartungsvoll der Dinge. Ehe die eigentliche Parade allerdings beginnt, findet ein mehr als einstündiges „Vorprogramm“ statt: Da nutzen einige Organisationen wie das Instituto del Niño y Adolescente del Uruguay oder die Mujeres de Negro, eine pazifistische Frauenrechtsorganisation, die Gelegenheit, sich und ihre Anliegen einer großen Öffentlichkeit vorzustellen; dann gibt’s Werbung für einen Supermarkt, eine Biersorte oder ein Restaurant, und auch Tänzer und Trommler passieren die dichtgedrängten Zuschauerreihen.

Die Mujeres de negro präsentieren sich einer großen Öffentlichkeit
Die Mujeres de Negro präsentieren sich einer großen Öffentlichkeit
Die Karnevalsköniginnen führen den Zug an
Die Karnevalsköniginnen führen den Zug an

So richtig los geht es aber erst, als die erste Comparsa – von insgesamt 22 – angekündigt wird: eine Gruppe, die ihren Auftritt in der Tradition des Candombe absolviert. Dieser im 2/4-Takt getrommelte Rhythmus, der im 19. Jahrhundert von Nachkommen afrikanischer Sklaven in Uruguay entwickelt wurde, zählt zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe.

Die Parade beginnt!
Die Parade beginnt!

Die Gruppen, die aus verschiedenen Stadtvierteln von Montevideo, aber auch aus anderen Städten Uruguays stammen, präsentieren sich allesamt nach einem einheitlichen Schema: Den Beginn bilden Fahnenschwinger, die ihr Team ankündigen. Ihnen folgt eine große Anzahl von Tänzerinnen, am ehesten unseren Garden vergleichbar. Eine Spezialität des Candombe ist der dritte Bestandteil: Hier defilieren der Medizinmann (Gramillero), die alte Mutter (Mama Vieja) und der Besenschwinger (Escobero) an den Zuschauern vorbei. Ehe die vielköpfige Rhythmusgruppe den Abschluss bildet, ziehen die mit auffälligen Federn geschmückten und ansonsten sehr spärlich bekleideten Solotänzerinnen (sie könnte man mit den Funkmariechen gleichsetzen) die Blicke auf sich.

Fahnenschwenker...
Fahnenschwinger…
...Tanzgruppen...
…Tanzgruppen…

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Das "Dreigestirn" besteht aus Medizinmann, alter Mama und Besenschwinger
Das „Dreigestirn“ besteht aus Medizinmann, alter Mama und Besenschwinger

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...Solotänzerinnen...
…Solotänzerinnen…

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..und Rhythmusgruppen
..und Rhythmusgruppen

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Ein farbenprächtiges, buntes und sinnliches Schauspiel, das durchaus an die aus Rio de Janeiro bekannten Karnevalsbilder erinnert! Wir haben zudem das Glück, neben einer freundlichen älteren Dame zu sitzen, die, als sie uns Deutsch sprechen hört, uns in unserer Muttersprache anspricht und immer wieder Einzelheiten zum Umzug erklärt. Als junge Frau war sie mal drei Monate in Köln und hat dort Deutsch gelernt…

Farbenprächtige Kostüme...
Farbenprächtige Kostüme…

Viereinhalb Stunden sitzen wir schon auf der Tribüne, es ist um Mitternacht, doch ein Blick auf das Programm zeigt ganz eindeutig, dass gerade einmal knapp die Hälfte aller Gruppen an uns vorübergezogen ist. Was uns zu der Einsicht führt: Das Ende der Veranstaltung werden wir nicht mehr auf unseren Sitzen miterleben… irgendwann werden auch der beste Hüftschwung und die tollsten Trommelrhythmen monoton, wenn im Grunde genommen immer wieder die gleichen Darbietungen gezeigt werden. Für die Einheimischen ist das vielleicht noch ein bisschen anders – sie kennen die verschiedenen Gruppen und vergleichen mit Kennerblick Kostüme und Auftritte. Auch eine Jury, die Noten abgibt und einen Sieger kürt, waltet unverdrossen ihres Amtes. Wir nicht mehr: Wir sehen uns im Hotelzimmer noch ein paar Gruppen live im Fernsehen an, bevor uns die Augen endgültig zufallen…

...und ausgefallene Ideen
…und ausgefallene Ideen, wie die Schachfigurengruppe