San Gregorio de Polanco.
Nach fünf Tagen in Termas del Daymán ist es wirklich Zeit, mal wieder was Neues zu sehen. Gut, dass der Bus schon früh am Morgen abfährt; so können wir den viertelstündigen Fußmarsch von den Armonía Aparts ans kleine Terminal des Dorfes bei angenehmen Temperaturen absolvieren und sind nach sechs Stunden Busfahrt quer durch Uruguay mittags wieder zurück in Montevideo am Busbahnhof. Die Hauptstadt ist der Dreh- und Angelpunkt des Landes; von hier können wir mit einem weiteren Bus, der dafür etwa eine halbe Stunde benötigt, auch weiterfahren an den Aeropuerto Internacional de Carrasco. Wir haben jedoch nicht etwa kurz entschlossen einen Flug nach irgendwohin gebucht; nein, ganz in der Nähe befindet sich der Autovermieter dollar, an dessen Büro wir mit einem kostenlosen Shuttle gebracht werden. Nach einem halben Jahr werden wir erstmals wieder selbst Auto fahren – für eine Woche haben wir einen Kleinwagen gemietet, der sich als Geely LC entpuppt. Ein chinesisches Fabrikat, das uns bislang überhaupt nicht bekannt war; doch als wir nachrecherchieren, finden wir heraus, dass dieser Autohersteller schon vor einigen Jahren die renommierte schwedische Marke Volvo übernommen hat.

Volvo-Qualität können wir unserer kleinen weißen Schüssel zwar nicht attestieren; doch eine Woche sollte sie schon durchhalten, um uns an einige abgelegene, mit Bussen nur umständlich zu erreichende Flecken im Landesinneren von Uruguay zu bringen. Mit einer guten Straßenkarte, die wir gleich an der Tankstelle neben dem Autovermieter erwerben, sollte das kein Problem sein… aber so genau wie unser wohlbekannter Shell-Atlas ist die wohl doch nicht, außerdem ist die Beschilderung erheblich spärlicher als aus Europa gewohnt. Bis wir die richtige Abzweigung finden, verfransen wir uns erst einmal in den Vororten von Montevideo; und unterwegs müssen wir irgendwann einsehen, dass wir unser angestrebtes Tagesziel heute nicht mehr erreichen werden. Was also tun? Als wir nach längerer Fahrt durch die weite, grüne Pampa das 7.000-Einwohner-Städtchen Sarandí del Yí erreichen, versuchen wir hier unser Glück mit der Suche nach einer Unterkunft und werden tatsächlich fündig: Das einfache Hotel Brisas del Yí bietet uns für diese Nacht ein Dach über dem Kopf und außerdem noch Hamburger zum Abendessen. Und bei einem kleinen Rundgang staunen wir über die offensichtlich neu angelegte, sehr gepflegte Plaza, die sogar von ein paar ganz ansehnlichen historischen Häusern eingefasst ist.


Das geschichtlich bedeutendste Gebäude steht allerdings ein paar Kilometer außerhalb der Stadt – bei unserer Weiterfahrt am nächsten Tag kommen wir direkt daran vorbei. Das Cuartel Paso del Rey, eine Garnison, die 1770 während der spanischen Kolonialzeit entstand, ist mittlerweile in bestens restauriertem Zustand zum nationalen historischen Denkmal erhoben worden.

110 Kilometer auf unbefestigten Straßen, häufig mit gewaltigen Schlaglöchern gespickt, liegen nun vor uns. Einen einzigen Ort durchqueren wir unterwegs, ansonsten sieht man immer mal wieder weit verstreut liegende Estancias – sie müssen augenscheinlich über riesige Ländereien verfügen, denn eingezäunt sind praktisch alle Felder und Wiesen in dem für unsere Augen durchaus vertrauten sanftwelligen Hügelland.

Die Landschaft, die feldwegartige Piste, die betagten Fahrzeuge, die uns dann und wann begegnen – all das vermittelt ein bisschen das Gefühl, als wären wir mit einer Zeitmaschine unterwegs: zurück in die Vergangenheit, in das Mitteleuropa der 50er, 60er Jahre…

Dazu passen auch die vielen glücklichen Kühe auf den Weiden, die bei der Hitze des Hochsommers dankbar sind, wenn sie sich in einem Tümpel etwas abkühlen können, die Pferde und die Schafe – nur die Nandus und einige exotische Vögel am Straßenrand zeigen dann doch, dass wir uns in Uruguay, in Südamerika, befinden.





Um unser heutiges Etappenziel San Gregorio de Polanco zu erreichen, müssen wir kurz vor dem Ort noch die kostenlosen Dienste einer Fähre in Anspruch nehmen, die uns über den Río Negro bringt – einer von vielen Flüssen gleichen Namens in Südamerika; der hier entspringt im südlichen Brasilien und mündet in den Río Uruguay.

In der winzigen Stadt, sie zählt gerade mal knapp 3.500 Einwohner, nehmen wir uns ein Quartier im Hostel San Gregorio und verbringen den Nachmittag dann am wunderschönen weißen Sandstrand gleich am Ortsrand: Hier beginnt der 1.100 km² große Stausee Rincón del Bonete, an dessen weit westlich gelegenem Damm ein Elektrizitätswerk Strom produziert.

Die Temperaturen, die hier im Landesinneren weit über der 30-Grad-Marke liegen, lassen einen Schattenplatz und ein gelegentliches Bad in dem ziemlich warmen Wasser (aber deutlich angenehmer als die Thermen…) als das einzig sinnvolle Programm für diesen Tag erscheinen. Wir tun es den zahlreichen einheimischen Urlaubern gleich; die meisten von ihnen bewegen sich auch nicht mehr als unbedingt nötig.



Und abends erleben wir wieder einmal einen dieser herrlichen uruguayischen Sonnenuntergänge – einfach traumhaft schön!


Weil es uns hier wirklich gut gefällt, bleiben wir spontan noch einen Tag länger in San Gregorio de Polanco. Und damit haben wir Gelegenheit, uns am nächsten Vormittag noch ein bisschen in dem Ort umzusehen, der damit wirbt, das erste Freilichtmuseum der bildenden Künste in ganz Lateinamerika zu beherbergen. Was es damit auf sich hat, zeigt sich schnell, wenn man die bunt bemalten Fassaden vieler Häuser genauer betrachtet. Seit 1993 haben hier zahlreiche Maler aus verschiedensten südamerikanischen Ländern dem Ort ein farbenfrohes und unverwechselbares Aussehen gegeben – auch unser Hostel hat von dieser tollen Idee der Stadtverwaltung optisch profitiert.



Zum 20-jährigen Jubiläum 2013 wurden dann zusätzlich Bildhauer eingeladen, Plastiken an verschiedenen auffälligen Plätzen des Ortes aufzustellen. Auch sie verschönern das Ortsbild seither und tragen dazu bei, dass sich San Gregorio de Polanco deutlich von den anderen Provinzstädtchen im uruguayischen Hinterland abhebt.


Sogar die Pfarrkirche Nuestra Señora del Carmen hat sich dieser Entwicklung nicht entziehen können – sie leuchtet jetzt teilweise in einem kräftigen Lila, das aber ganz unvermittelt in Weiß übergeht!
