Maldonado.
Am Montagmorgen sitzen wir schon um acht Uhr wieder im Auto – wir haben heute eine lange Tagesetappe vor uns. Die führt von Tacuarembó zunächst etwa 200 Kilometer durch äußerst dünn besiedeltes Gaucho-Land ostwärts nach Melo. Dort biegen wir ab auf die Ruta 8 und halten einige Kilometer südlich der Stadt an einem Aussichtspunkt, der einen weiten Blick über das üppig grüne uruguayische Hügelland bietet.

Diese Hauptverkehrsstraße, die bis in die Hauptstadt führt (generell gilt in Uruguay offenbar die Regel: Alle Straßen führen nach Montevideo), ist zunächst bestens ausgebaut. Danach folgen längere Baustellen, und schließlich befinden wir uns auf einem Streckenabschnitt, der noch der Erneuerung harrt. An und für sich ist auch er noch ganz gut in Schuss, aber ganz unvermutet tauchen ab und zu riesige, kinderbadewannengroße Schlaglöcher auf. Unmöglich, denen allen auszuweichen, besonders wenn sie sich direkt hinter einer Kuppe befinden! Vermutlich aus diesem Grund kommt das, was wir unbedingt vermeiden wollten – der linke Vorderreifen entwickelt einen schleichenden Plattfuß. Wir müssen irgendwo in Nirgendwo anhalten und während der größten Mittagshitze den Reifen wechseln. Zum Glück ist das Ersatzrad gut mit Luft gefüllt, und auch das nötige Werkzeug ist an Bord.

Trotzdem setzen wir die Fahrt etwas verunsichert fort – ein zweites Mal darf das nicht passieren, und wir haben noch eine ziemliche Strecke vor uns! In der nächsten Stadt legen wir jedoch erst einmal eine Mittagspause ein – allein schon ihr Name macht uns neugierig: Sie heißt nämlich Treinta y Tres (auf Deutsch: Dreiunddreißig). Eine Stadt, deren Name aus einer Zahl besteht! Der Grund dafür liegt in der uruguayischen Geschichte: Die 33 Orientales starteten 1825 von Argentinien aus die Befreiung Uruguays von den brasilianischen Besatzern, ihr Andenken soll durch die Benennung der 25.000-Einwohner-Stadt in Ehren gehalten werden.

Die Weiterfahrt gestaltet sich zeitaufwändiger als gedacht. Bis Minas läuft alles ganz normal auf der Ruta 8, dort jedoch erscheint uns die direkte Verbindung an die Küste als zu holprig, sodass wir lieber den Umweg über die Schnellstraße wählen und letzten Endes erst nach über zehn Stunden glücklich in Maldonado ankommen. Das Hostel del Patio, das wir für zwei Nächte gebucht haben, hat einen sehr stilvollen, maurisch angehauchten Innenhof; das Zimmer ist allerdings nur mit einem Ventilator statt Klimaanlage ausgestattet, das Fenster liegt direkt zum Patio, der bis weit in die Nacht von den meist jungen Gästen bevölkert wird – dementsprechend ist es ziemlich heiß und laut. Erholsame Nächte sehen anders aus…

Die gut 62.000 Einwohner zählende Departementshauptstadt nahe der Mündung des Río de la Plata in den Atlantik wurde vor 260 Jahren gegründet und verfügt über ein recht nettes Zentrum mit einigen historischen Bauwerken. Allen voran ist die Catedral San Fernando an der gleichnamigen Plaza zu nennen: ein in apricot leuchtendes neoklassizistisches Gotteshaus, das nach langer Bauzeit 1895 fertiggestellt wurde.

Ebenso sehenswert sind die Fassaden des Rathauses und des sich daran anschließenden Polizeihauptquartiers, die die Südseite der Plaza einnehmen.

Einen Häuserblock entfernt fällt uns ein weiteres Gebäude auf: Die Casa de la Cultura wurde im 19. Jahrhundert als Sitz verschiedener Behörden errichtet und ist nach seiner Restaurierung 1984 zum Veranstaltungsort verschiedenster kultureller Events geworden.

Zudem lädt eine kleine Fußgängerzone zum Bummeln ein – auch wenn die Weihnachtsbeleuchtung Ende Februar nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit ist, so ist es hier doch richtig angenehm, und vor allem – hier ist auch ein bisschen mehr los als in den verschlafenen Pampa-Städtchen!

Das liegt natürlich in erster Linie daran, dass wir uns hier an der Küste befinden. Maldonado ist im Sommer ein beliebter Badeort; der langgezogene Sandstrand am Río de la Plata bietet den Urlaubern viel Platz. Sonnenschirme und Klappstühle färben die langgezogene Bucht bunt, die auf eine schmale Landzunge zuführt, deren Spitze die Trennlinie zwischen Fluss und Atlantischem Ozean markiert.

Und genau auf dieser Halbinsel liegt Punta del Este: erst 1907 gegründet, zu einer Top-Destination von Südamerikas Reichen und Schönen herangewachsen und mittlerweile aufgrund seiner imposanten Skyline, die von zahllosen Hotels und Apartmenthäusern gebildet wird, schon von Weitem unübersehbar.

Zwar zählt der Ort offiziell nur gut 9.000 Einwohner, im Sommer vervielfacht sich diese Zahl aber. Argentinier und Brasilianer sind hier häufiger anzutreffen als einheimische Uruguayer; noble Yachten liegen im Hafen vor Anker, und in den Straßen der Stadt wechseln sich Restaurants, Fachgeschäfte für den Bade- und Wassersportbedarf und Souvenirläden ab.


Ganz hinten, an der äußersten Landspitze, hat Punta del Este sogar noch ein bisschen kleinstädtischen Charme aus der Gründerzeit bewahrt: Hier ist der 45 Meter hohe Leuchtturm, der schon lange vor der Stadtgründung 1860 erbaut wurde, eine markante Erscheinung, und gegenüber erstrahlt die 1941 eingeweihte Iglesia de la Candelaria in zartem Himmelblau.


Dann sind wir an der Plaza Los Ingleses angekommen: Hier haben wir endgültig den Atlantik erreicht, zum ersten Mal auf unserer nun schon über sechs Monate währenden Reise sind wir an der Ostküste Südamerikas!

Vor der Küste zeichnet sich deutlich die Silhouette der zwölf Kilometer entfernten Isla de Lobos ab: Sie hat ihren Namen von der größten Kolonie an Seehunden, Seelöwen und Seeelefanten Südamerikas, deren Heimat diese unbewohnte Felseninsel ist.

Ein ganzes Stück laufen wir an der Atlantikküste nordwärts, bis wir ein Kunstwerk erreichen, das seit seiner Errichtung 1982 zum Wahrzeichen von Punta del Este geworden ist: La Mano, ein Werk des Chilenen Mario Irarrázabal, der die fünf Finger einer Hand teilweise aus dem Sandstrand herausragen lässt. Dem Gedränge zufolge muss man mit einem Foto von sich und den Fingern offensichtlich den Daheimgebliebenen beweisen, dass man wirklich in Punta del Este ist…

Wir sehen uns am Nachmittag noch ein weiteres, gut 30 Kilometer westlich am Río de la Plata gelegenes Strandbad an: Piriápolis, dessen Entstehung der Initiative eines bedeutenden uruguayischen Unternehmers zu verdanken ist und nach dem die Stadt benannt wurde. Francisco Piria ließ zunächst 1897 ein paar Kilometer von der Küste entfernt ein elegantes Schlösschen als Sommersitz errichten und baute dann, von einer Europareise inspiriert, direkt am Strand ein imposantes Hotel und gleich daneben auch eine Schule.

Beide stehen noch heute: Das Hotel trägt inzwischen den Namen Argentino, die Schule hat Denkmalscharakter, eine Büste zwischen beiden Gebäuden erinnert an den Stadtgründer, und entlang einer Bucht zieht sich die Rambla, an deren Uferseite sich die Badeurlauber drängen.


Alles wirkt hier bescheidener und normaler als in Punta del Este – Piriápolis ist eher ein Ziel für einheimische Otto Normalverbraucher. Wir nehmen auch ein kurzes erfrischendes Bad und stellen fest, dass sich hier das Wasser des Flusses schon sehr stark mit dem Meerwasser vermischt hat, wie anhand des Salzgehalts leicht herauszufinden ist.

Piriápolis hat auch abseits der Badeküste durchaus Interessantes zu bieten. Wir besuchen in dem 8.800-Einwohner-Ort noch die Fuente de Venus, einen kleinen, von einem gepflegten Teich umgebenen Monopteros am Fuße des Cerro del Toro.

Er ist nur ein kleiner Hügel gleich hinterhalb der Stadt; wesentlich größer dagegen ist der nur sechs Kilometer im Landesinneren gelegene Cerro Pan de Azúcar, der mit seinen 389 Metern der dritthöchste Berg Uruguays ist. Mit seiner charakteristischen Halbkugelform und dem großen, begehbaren Kreuz am Gipfel ist er ein landschaftsprägendes, unübersehbares Element.

Die Rückfahrt nach Maldonado ist die letzte Teilstrecke, bevor wir unsere chinesische Klapperkiste morgen wieder abgeben – gut so, denn die Qualität des Autos, die Reifenpanne und auch eine Polizeikontrolle durch zwei Pampa-Polizisten, die wohl zum ersten Mal in ihrem Leben einen deutschen Führerschein gesehen haben und sich nicht vorstellen konnten, dass man einfach so zum Kennenlernen des Landes quer durch Uruguay fährt, waren Erlebnisse, die nicht unbedingt einer Wiederholung bedürfen. Andererseits hätten wir ohne Auto sicher wesentlich weniger vom selten bereisten Landesinneren mitbekommen…
