Ciudad del Este.

Die beiden Seiten des Weltwunders am Iguazú haben wir gesehen; nun wollen wir auch das dritte Land hier im Dreiländereck besuchen – Paraguay. Vom argentinischen Puerto Iguazú aus gibt es Busse, mit denen man direkt ins Nachbarland fahren kann. Wir warten an der gleichen Haltestelle wie gestern, wehren wieder einen Taxifahrer ab, der uns seine Dienste anbietet, und halten nach einer Weile des Wartens den Bus Richtung Ciudad del Este an. Der fährt erst einmal zur argentinischen Grenzkontrollstelle und lässt dort sämtliche Passagiere aussteigen. Wir brauchen den Ausreisestempel – eigentlich nur eine Formsache; doch ich erwische eine Beamtin, die scheinbar noch nie einen deutschen Reisepass in der Hand gehabt hat. Sie schaut sich mein Dokument ganz genau an und fährt mit dem Finger immer wieder an dem schmalen Falz entlang, der hinten durch die Bindung der laminierten Seite übersteht. Alle anderen Passagiere sind längst wieder im Bus; Jana wundert sich, wo ich bleibe, steigt wieder aus und fragt mich, was los ist, aber ich habe keine Ahnung… schließlich bedeutet mir die Grenzbeamtin, zu warten, und verschwindet mit meinem Pass im Büro ihres Vorgesetzten. Was soll das jetzt? Mich beschleicht ein mulmiges Gefühl, zumal ich keine Ahnung habe, was der guten Frau nicht passt. Und so lange wartet der Busfahrer natürlich auch nicht; Jana muss die Rucksäcke ausladen, der Bus fährt ohne uns weiter. Nach Minuten des Wartens kommt die Grenzerin schließlich zurück und drückt mir den ersehnten Ausreisestempel in den Pass. Die Nachfrage, welches Problem es gegeben habe, beantwortet sie nicht. Sie sagt nur: „Alles in Ordnung!“ Während wir vor dem Gebäude auf den nächsten Bus warten, erschließt sich uns die Situation allmählich. Die Beamtin dachte wohl tatsächlich, sie wäre einem Passfälscher auf der Spur und vermutete, ich hätte eine weitere laminierte Seite ganz hinten herausgeschnitten! Die meisten Länder haben keine solche Hartplastikseite im Reisepass, da kannte sich die Dame wohl gar nicht mehr aus… Obwohl der folgende Bus Richtung Paraguay von einer anderen Gesellschaft ist, nimmt er uns mit und wir durchqueren in der Folge die komplette Stadt Foz do Iguaçu und damit brasilianisches Territorium. Als Transitreisende werden wir nicht kontrolliert. Das Thema wird erst wieder wichtig, als wir nördlich von Foz den Río Paraná auf der gut 550 Meter breiten Puente Internacional de la Amistad überqueren. Sie verbindet Brasilien mit Paraguay – für die Einheimischen eine offene Grenze, die sie ohne Kontrolle passieren dürfen; wir dagegen brauchen unbedingt den paraguayischen Einreisestempel, denn ansonsten gibt’s bei der Ausreise garantiert Probleme. Also bitten wir den Fahrer, uns aussteigen zu lassen, marschieren ins Grenzamt und reisen offiziell in Paraguay ein. Land Nummer acht auf unserer Tour! Wir merken sofort, dass es hier anders zugeht – Ciudad del Este ist als Supermarkt Südamerikas berühmt-berüchtigt. Ich habe meinen Stempel noch nicht einmal im Pass, da spricht mich bereits der erste Händler an, ob ich Elektronikwaren kaufen will; und auch die Taxifahrer sind äußerst geschäftstüchtig. Nachdem wir einen fairen Preis ausgehandelt haben, lassen wir uns von hier aus gleich direkt an unser Hotel Convair fahren. Wir staunen nicht schlecht, als wir unser Zimmer betreten: Das ist fast eine Suite, so geräumig und schön haben wir schon ewig nicht mehr gewohnt! Zudem gibt es im Haus ein prima Restaurant und ein absolut tolles Frühstücksbüffet – und das alles zu einem wirklich sehr günstigen Preis!

Tja, hier sind wir nach Monaten wieder in einem Land, in dem das allgemeine Preisniveau deutlich unter dem mitteleuropäischen liegt. Obwohl die Preisschilder im Supermarkt einen erst einmal schwindlig machen… die Landeswährung Guaraní hat einen Wechselkurs von 1:6000 zum Euro, hier wird man ganz schnell zum Millionär!

Für den Besuch des zweifellos interessantesten Bauwerks in der Umgebung von Ciudad del Este, des Itaipú-Staudamms, muss man jedoch kaum Geld ausgeben, aber erst einmal wissen, wie man hinkommt… Die Erklärungen des sehr freundlichen Personals in unserem Hotel reichen leider nicht aus, dass wir die richtige Bushaltestelle finden, deshalb fragen wir eine Einheimische auf der Straße. Auch ihre Beschreibung verstehen wir scheinbar nicht ganz richtig – denn als wir uns an die vermeintliche Haltestelle begeben, kommt die Frau gelaufen und deutet noch einmal auf die nächste Straßenecke: „Dort müsst ihr euch hinstellen!“ Und damit nicht genug: Ein Mann, mit seinem siebenjährigen Sohn unterwegs, kommt auf uns zu und lotst uns an einen Haltepunkt, der eine Mischung aus Busbahnhof und Markt zu sein scheint: „Ich habe vorhin mitbekommen, dass ihr zum Itaipú fahren wollt. Hier könnt ihr einsteigen! Ich fahre mit demselben Bus, ich wohne in der Nähe des Kraftwerks!“ So freundliche Leute – wir sind begeistert! Unterwegs erzählt er uns noch einiges übers Kraftwerk und zeigt uns Bilder von den Schönheiten seines Landes. Er macht uns aber auch auf ein großes Umweltproblem aufmerksam: In Paraguay gibt es riesige Soja-Anbaugebiete, die von internationalen Konzernen betrieben werden. Diese setzen enorme Mengen an Pestiziden ein – und die zeigen sich schon bei den Kindern durch Hautallergien; unser neuer Bekannter zeigt auf die Beine seines Sohnes, an denen ein Ausschlag erkennbar ist. „Die Schulen stehen oft direkt neben den Sojafeldern!“ erklärt er uns.

Nahverkehrsbus in Ciudad del Este: alt, aber bunt

Als wir in Hernandarias aus dem klapprigen, aber spottbilligen Gefährt aussteigen, verlassen mit uns fünf junge Deutsche den Bus – sie kommen aus der Stuttgarter Gegend und arbeiten im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres derzeit an Entwicklungshilfeprojekten in Dörfern der indigenen Guaraní mit; drei von ihnen auf brasilianischer, die anderen beiden auf paraguayischer Seite. Auch sie haben Interessantes zu erzählen: In Brasilien unterstützt der Staat die Ureinwohner stark, aber nicht unbedingt zielgerichtet. Regelmäßige Lebensmittellieferungen haben zum Beispiel dazu geführt, dass die jungen Menschen nicht mehr arbeiten wollen und Geschenke als selbstverständlich ansehen. Das andere Extrem ist in Paraguay anzutreffen: Hier tut der Staat gar nichts; die Indigenen sind arm und essen die Früchte sogar in unreifem Zustand, denn es gibt nach ihrer Aussage drei Reifegrade: „Grün, halbgrün und geklaut“. Eine andere Folge ist, dass Drogenkartelle leichtes Spiel haben, die Indigenen zum Anbau von Marihuana zu verlocken. Korruption erleichtert Transport und Handel außerdem…

Unterwegs zum Itaipú

Doch nun richten wir den Blick auf den Itaipú-Staudamm am Paraná: ein gigantisches Bauwerk mit einer Kronenlänge von 7.760 Metern, einer Höhe von 196 Metern und einem 1.350 km² großen Stausee. Da der Fluss hier die Grenze zwischen Paraguay und Brasilien bildet, wurde das Wasserkraftwerk als Gemeinschaftsprojekt der beiden Staaten zwischen 1975 und 1982 errichtet. Nein, es ist nicht einfach irgendein Kraftwerk: Bis zur Fertigstellung des Drei-Schluchten-Staudamms in China war es bezüglich seiner Nennleistung das größte der Welt, und auch jetzt bleibt es dank des hohen Auslastungsgrads seiner Turbinen das E-Werk mit der höchsten Jahresenergieproduktion überhaupt.

Gigantische Dimensionen: der Itaipú-Staudamm
Am leistungstärksten Elektrizitätswerk der Welt

Brasilien ist ein riesiges Land; dennoch stammen 17 Prozent des gesamten Energiebedarfs von hier. Paraguay kann sogar drei Viertel der benötigten Elektrizität durch den Itaipú decken! Das sind beeindruckende Zahlen, zumal Wasser ja zu den regenerativen Energiequellen gehört.

Blick vom Damm auf den Stausee

Doch es gibt auch die Kehrseite der Medaille: Aufgrund des Kraftwerkbaus mussten 40.000 Menschen, vor allem Guaraní, umgesiedelt werden. 145 Menschen starben beim Bau der Anlage. Außerdem wurde großflächig subtropischer Regenwald abgeholzt und die imposanten Wasserfälle Sete Quedas, die angeblich mit den Iguazu-Fällen vergleichbar waren, sind nun dauerhaft überflutet.

Der Mensch verändert die Natur

Zum Ausgleich wurde die binationale Betreibergesellschaft zur Errichtung und Erhaltung von acht Naturschutzgebieten verpflichtet, die heute zahlreichen bedrohten Tier- und Pflanzenarten des im Schwinden begriffenen atlantischen Regenwalds, der die natürliche Flora der Region bildet, Schutz bietet.

Technisches Monstrum im Regenwald: Das (abfotografierte) Luftbild zeigt auch die Umgebung

Die einstündige kostenlose Rundfahrt über das Kraftwerksgelände, während der wir auch auf die brasilianische Seite kommen, führt uns unter anderem in die fast einen Kilometer lange und über 100 Meter hohe Generatorenhalle, die eine Vorstellung von den gigantischen Dimensionen dieses Komplexes vermittelt.

Auch die Generatorenhalle ist zwischen den Ländern geteilt

Zurück in Ciudad del Este, lassen wir uns durch die Straßen der mit gut 320.000 Einwohnern zweitgrößten Stadt Paraguays treiben. Sehenswürdigkeiten gibt es hier nicht zu entdecken – die Stadt wurde erst 1957 als Puerto Flor de Lis gegründet, erhielt später den Namen Puerto Presidente Stroessner nach dem langjährigen Diktator und wurde 1989 nach dessen Sturz erneut umbenannt – Stadt des Ostens ist die deutsche Übersetzung von Ciudad del Este. Das Zentrum ist zum einen von einer Reihe von Hochhäusern geprägt, zum anderen von endlosen Reihen von Marktständen, an denen es buchstäblich alles zu kaufen gibt, was die Kunden wünschen.

Hochhäuser…

Und die kommen in Scharen; vor allem aus den Nachbarländern Brasilien und Argentinien, in denen das Preisniveau wesentlich höher ist, strömen massenhaft Käufer nach Ciudad del Este. Es herrscht ein Gewusel und Gedränge, der Verkehr auf den Straßen ist chaotisch; wir fühlen uns an unsere ersten Reisemonate erinnert, an Szenen aus Ecuador, Peru oder Bolivien.

…und Marktstände prägen das Bild der Stadt

Unser brasilianischer Reisebekannter Renato hat uns eine WhatsApp geschrieben, in der er Paraguay als das China Südamerikas bezeichnet. Zahlreiche Waren fernöstlichen Ursprungs werden hier auf jeden Fall verkauft; vielleicht kriegen wir hier ja sogar neue Akkus für unsere Handys? Die alten schwächeln nämlich inzwischen, meiner ist sogar schon richtig aufgebläht. Das Samsung s3 ist nun wirklich nicht mehr up-to-date; aber die Paraguayos haben selbst dafür was Passendes, sodass wir die Sorge los sind, unterwegs vielleicht noch ein neues Smartphone kaufen zu müssen.

Hier gibt’s wirklich alles!
Auch Landestypisches ist im Angebot

Doch selbst eine so laute und hektische Stadt wie Ciudad del Este hat seine ruhigen, fast schon idyllischen Seiten. Ein Tipp der fünf Stuttgarter führt uns an den künstlich angelegten Lago de la República, um den ein schöner, gepflegter Fußweg herumführt. Beim Vorübergehen werden wir an diesem Samstagnachmittag noch Zeuge einer Liebeserklärung: Mit einem großen Plakat mit der Aufschrift Quieres ser mi novia? (Willst du meine Freundin sein?) und vielen bunten Luftballons macht da ein junger Mann seiner Angebeteten den Hof – oder ist es gar ein Heiratsantrag?

Oase der Ruhe: der Lago de la República
Romantik am See…