Mexiko-Stadt.

Wir haben uns bewusst dafür entschieden, nach unserer weiten Reise gleich eine ganze Woche in Mexiko-Stadt zu bleiben – einerseits wollten wir in dem neuen Land auch geistig erst einmal richtig ankommen, außerdem wussten wir vor unserer Ankunft zumindest schon so viel über die Hauptstadt, dass es hier sehr viel zu sehen gibt. Und nachdem wir zwei Monate Zeit für dieses Land haben (jetzt können wir es ja verraten: für den 1. Juni ist der Weiterflug nach Kolumbien gebucht, dieses Land wollten wir auf gar keinen Fall auslassen, da alle Südamerika-Reisenden von ihm in den höchsten Tönen schwärmen), besteht auch kein Grund zu übermäßiger Eile.

Von unserer wunderschönen Wohnung im Edificio Uruguay brauchen wir nur ein paar hundert Meter zu laufen, schon befinden wir uns im absoluten Herz der knapp 8,9 Millionen Einwohner zählenden Megastadt (die Einwohnerzahl des Ballungsraums summiert sich sogar auf 20 Millionen Menschen): Die Plaza de la Constitución, allgemein nur als Zócalo bekannt, gehört mit ihren Ausmaßen von 235 x 215 Metern zu den größten und auch bekanntesten Stadtplätzen der Welt.

Der Zócalo – einer der größten Plätze der Welt

Schon zu aztekischen Zeiten war dies der Mittelpunkt der damaligen Hauptstadt Tenochtitlán – das indigene Volk hatte in dieser von mehreren Seen durchzogenen Senke auf etwa 2.300 Metern Meereshöhe durch das Anlegen künstlicher Inseln und Kanäle eine Großstadt errichtet, die weltweit ihresgleichen suchte. Als die Spanier unter Hernán Cortés 1521 das Aztekenreich eroberten, zerstörten sie die Symbole der früheren Herrscher gründlich und legten die Stadt neu an; das Zentrum blieb jedoch an der gleichen Stelle wie zuvor. Der sumpfige Untergrund führt dazu, dass Mexiko-Stadt bis heute kontinuierlich absackt; Experten errechneten für das 20. Jahrhundert ein Absinken von etwa neun Metern. Das führt zu enormen Problemen; betroffen ist insbesondere die Wasser- und Abwasserversorgung, aber auch die Statik der Gebäude leidet. Noch nirgends haben wir so viele schiefe Häuser gesehen wie hier!

Auch die Grundmauern des Templo Mayor zeigen eine erhebliche Schräglage…

Die Mexikaner, die verständlicherweise wenig Sympathien für die spanischen Conquistadoren hegen, nennen heute jedoch grundsätzlich 1325 als Gründungsjahr der Stadt und betonen damit die aztekischen Wurzeln. Diesen kann man am besten auf dem Gelände des Templo Mayor nachspüren – gleich hinter dem Zócalo gelegen, hat man hier beeindruckende Mauerreste des wichtigsten Aztekentempels Huēy Teōcalli freigelegt.

Archäologische Stätte mitten im Stadtzentrum

Die Entscheidung, hier archäologisch aktiv zu werden (das bedeutete gleichzeitig, mehrere darüber gebaute kolonialzeitliche Bauwerke abzureißen), fiel erst 1978, als bei Tiefbauarbeiten die monumentale Reliefscheibe der Mondgöttin Coyolxauhqui gefunden wurde. Seitdem haben die Wissenschaftler auf einer großen Fläche mitten in der Altstadt gewaltige Gemäuer freigelegt, die eine Vorstellung von den Dimensionen dieser Tempelpyramide erlauben.

Massive Außenmauern…
…schützten die Tempelpyramide
Sehr gut erhaltene Götterfigur

Im direkt nebenan errichteten Museo del Templo Mayor werden unzählige Ausgrabungsfunde gezeigt. Zudem wird in insgesamt acht Ausstellungsräumen ein umfassendes Bild von Glauben, Lebensalltag, Ackerbau und natürlichen Lebensgrundlagen der Azteken vermittelt.

Sehr modern und äußerst interessant – das Museo del Templo Mayor
Statuen von Gottheiten…
Effektvoll beleuchtete Scheibe mit dem Bild von Coyolxauhqui
Aztekischer Alltag

Wo einst der Palast der aztekischen Könige stand, befindet sich heute die Kathedrale – sie ist die größte und älteste des gesamten amerikanischen Kontinents, mit ihrem Bau wurde bereits 1573 begonnen. Da sie erst 1813 fertiggestellt wurde, enthält sie aufgrund dieser langen Bauzeit Elemente aus Renaissance, Barock und Klassizismus. Ein innen wie außen imposantes Gebäude, dessen Wirkung durch den gewaltigen Platz davor noch verstärkt wird.

Mexikos mächtige Kathedrale…
…beeindruckt auch innen

Das gilt natürlich auch für den Palacio Municipal von 1720, der Kathedrale direkt gegenüber gelegen, und ganz besonders für den 1792 fertiggestellten Palacio Nacional, der früher als Sitz des spanischen Vizekönigs diente, jetzt aber Amtssitz des mexikanischen Präsidenten ist. Als wir am Sonntag zum ersten Mal hierher kommen, weht nicht nur – wie immer – eine riesige mexikanische Flagge auf dem Zócalo, auch die Wände und Schutzzäune auf dem Platz sind mit kleineren Fahnen geschmückt; dazwischen hängen aber auch viele dänische. Der Dannebrog ist zwar die älteste Nationalflagge der Welt, aber das ist nicht der Grund, warum er hier mitten in Mexiko zu sehen ist – tags darauf wird hier der dänische Ministerpräsident empfangen, deshalb auch die zahlreichen Sicherheitsleute auf dem Platz!

Mexikos Rathaus, der Palacio Municipal
Im Palacio Nacional residiert der Staatspräsident

Obwohl der Palacio Nacional als Regierungssitz ein sehr bedeutendes und auch sicherheitstechnisch sensibles Gebäude ist, darf die Öffentlichkeit ihn täglich (und kostenlos!) besichtigen – mit seinen stilvollen Innenhöfen und vor allem den zahlreichen großformatigen Wandmalereien (Murales) zur Landesgeschichte, die der berühmte mexikanische Künstler Diego Rivera im Regierungsauftrag zwischen 1929 und 1951 schuf, zählt er zu den beliebtesten Touristenattraktionen der Stadt.

Innenhof des Palacio Nacional
Die großformatigen Murales von Diego Rivera…
…erstrecken sich über lange Fluren

Gleich nebenan lockt das Museo Nacional de las Culturas ebenfalls bei freiem Eintritt zu einem Besuch. Hier werden die verschiedensten antiken Hochkulturen vorgestellt, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede dargestellt und in einem anderen Bereich des Museums zudem Kult- und Alltagsgegenstände aus allen Teilen der Welt gezeigt. Kein Wunder, dass wir hier einige Museen besuchen: Mexiko-Stadt verfügt nach London über die größte Museumsdichte der Welt!

Griechische Götterstatuen…
…im Museo Nacional de las Culturas

Kunst und Kultur ist in Mexiko-Stadt praktisch an jeder Straßenecke gegenwärtig: Da hält eine Gruppe aztekischer Tänzer die Traditionen ihrer Ahnen in Erinnerung, dort schmettert eine Polizeikapelle eine schmissige Fanfare.

Aztekische Tänzer…
…sorgen für Stimmung
Zackiger Auftritt einer Polizeikapelle

Prunkvolle Fassaden aus der Kolonialzeit und aus dem Zeitalter der mexikanischen Unabhängigkeit finden sich überall in den vielen Altstadtgassen – wir sind nicht in der Lage, sie alle zu registrieren oder auch nur ihre Namen zu behalten. Auch Kirchengebäude könnte man alleine im historischen Zentrum Dutzende besichtigen… eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass das Centro Histórico zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt.

In Mexikos pulsierender Altstadt

Einige Bauwerke stechen uns aber derart stark ins Auge, dass wir gar nicht anders können, als ein besonderes Augenmerk auf sie zu werfen. Da ist zum einen der Palacio de Correos: Sieht aus wie ein echtes Schloss, nur dass es im Art-Deco-Stil Anfang des 20. Jahrhunderts als Hauptpostamt der mexikanischen Hauptstadt errichtet wurde. Wir haben davon zwar schon mal gelesen, kommen aber eher zufällig vorbei und kriegen den Mund gar nicht wieder zu vor lauter Staunen!

Der prunkvolle Palacio de Correos
…verdient diesen Namen auch…
…hinsichtlich seiner Innenausstattung
Hier arbeiten nach wie vor die Postbeamten

Nicht weit entfernt davon steht mit dem Palacio de Bellas Artes ein weiteres herausragendes Beispiel für die architektonische Vielfalt von Mexiko-Stadt. Theater, Tanz, Musik, Oper – für alles ist in diesem wunderbaren Musentempel, dessen Bauzeit sich von 1904 bis 1934 erstreckte, Platz.

Der Palacio de Bellas Artes
…steht am Rande des Alameda Central

Gleich dahinter befindet sich mit dem Alameda Central der schönste Park der Innenstadt – gepflegte Grünanlagen und gepflasterte Wege, die von zahlreichen zur Zeit blühenden Jacaranda-Bäumen beschattet werden, laden zum Verweilen ein, besonders seit der umfassenden Neugestaltung im Jahre 2012, in dessen Zuge auch die Straßenhändler, die den Platz bis dahin belagert hatten, von hier verbannt wurden.

Grüne Lunge von Mexiko-Stadt – Alameda Central

Das wohl auffälligste Haus aus kolonialen Zeiten ist nach unserer Meinung die Casa de los Azulejos, ein ganz mit dekorativen blau-weißen Fliesen geschmücktes Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, das uns an Sevilla erinnert.

Mit reich verzierten Fliesen dekoriert: die Casa de los Azulejos

Im Norden der Altstadt ist die Plaza Garibaldi ein besonderer Anziehungspunkt: Von bunten Häuserfassaden umgeben, ist dies hier der Ort, wo die landestypischen Mariachi-Gruppen anzutreffen sind. Sie bieten gegen Entgelt ihre musikalischen Dienste an und tragen in ihren Trachten zum lokalen Flair bei.

Die Plaza de Garibaldi
…ist Treffpunkt der Mariachi-Gruppen

Der beste Überblick über die Megastadt bietet sich vom Torre Latinoamericana aus. Zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung 1956 war er mit 182 Metern das höchste Gebäude Lateinamerikas. Diesen Rang hat er zwar mittlerweile verloren, doch von der 43. Etage – leider ist die Terrasse wegen Renovierungsarbeiten gerade gesperrt – erleben wir, wie langsam die Dämmerung über die ständig unter einer Dunstglocke liegende Stadt hereinbricht.

Hoch über den Dächern der Stadt: der Torre Latinoamericana
Blick auf die Altstadt…
…und die Neustadt

Mexiko-Stadt hat natürlich nicht nur in der Innenstadt viel Interessantes zu bieten. Obwohl wir sechs Tage Zeit haben, wäre es sehr stressig, wenn wir versuchen wollten, hier alle Sehenswürdigkeiten abzuklappern – also heißt es sich zu beschränken. Einmal buchen wir bei einer Agentur einen Ausflug, der uns in den Süden der Stadt führt. Zuerst wird aber erst einmal ein großer Andenkenladen angesteuert… Anschließend erreichen wir die Plaza México. Was sich wie ein weiterer unter den vielen Plätzen der Stadt anhört, ist in Wirklichkeit die größte Stierkampfarena der Welt mit Platz für 48.000 Besucher. Jeden Sonntag finden hier nach alter spanischer Tradition Corridas (Stierkämpfe) statt; die Frage, ob es sich dabei um Tierquälerei handelt, spielt in Mexiko offensichtlich nach wie vor keine Rolle…

Vor der Plaza México
Blick in die größte Stierkampfarena der Welt

Einen kurzen Halt legen wir am Olympiastadion ein, dem zentralen Schauplatz der olympischen Sommerspiele von 1968.

Das Olympiastadion von 1968

Eigentliches Ziel des Ausflugs ist jedoch der Stadtteil Xochimilco, dessen Name in der indigenen Sprache Nahuatl soviel wie Ort der Blumen bedeutet. Schon in präkolumbischer Zeit schütteten die Ureinwohner in den flachen Seen der Umgebung Erde auf und schufen so schwimmende Gärten, die inzwischen verlandet, durch ein Netz von Kanälen aber immer noch vom Festland getrennt sind. Diese Kulturlandschaft ist von solch herausragender Bedeutung, dass sie ebenfalls das Gütesiegel des UNESCO-Weltkulturerbes erhielt.

Mit den bunten Trajineras

Auf diesen Kanälen hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte ein intensiver Ausflugstourismus entwickelt. Hunderte von bunt bemalten kleinen Trajineras (so heißen hier die Boote) werden mit langen Holzstangen gestakt; mindestens genauso viele Boote fliegender Händler, die Kunsthandwerk oder Essen anbieten, sind unterwegs sowie zahlreiche auf zahlende Kundschaft hoffende Mariachi-Gruppen. Insgesamt sind wir etwa eine Stunde auf dem Wasser; wir hatten eigentlich erwartet, etwas mehr zu sehen…

…fahren wir zwischen den schwimmenden Gärten hindurch
Auch die Einheimischen sind auf die Boote als Verkehrsmittel angewiesen

Eine Besonderheit an dem Ausflug war ja laut dem Verkäufer in der Agentur, dass wir auf dem Rückweg am Museo Frida Kahlo aussteigen können, das in dem ebenfalls im Süden gelegenen Stadtteil Coyoacán steht. Der Tourguide schüttelt, als wir ihn darauf ansprechen, aber verwundert den Kopf: „Da kommen wir nicht vorbei!“ Ein Besuch sei außerdem, so erklärt er uns überzeugend, derzeit ohnehin nicht attraktiv, da die dort ausgestellten Bilder sich alle auf einer Wanderausstellung durch verschiedene ausländische Museen befänden. Also fahren wir nach dem Bootsausflug direkt zurück in die Innenstadt.

Doch Jana meint, dass sich der Besuch des Wohnhauses der berühmten Künstlerin selbst dann lohnt, wenn es keine Gemälde zu sehen gibt. Mit der Metro, die hier spottbillig ist (eine Fahrt kostet umgerechnet gerade mal 25 Cent), fahren wir daher am Freitag, unserem letzten vollen Tag in Mexiko-Stadt, hinaus nach Coyoacán und fragen uns durch bis zur Casa Azul, wie das Kahlo-Haus wegen seiner grellblauen Fassade auch genannt wird. Hier heißt es erst einmal eine halbe Stunde anstehen, bevor wir uns die Wohn- und Arbeitsräume der Künstlerin und ihres 20 Jahre älteren Ehemanns Diego Rivera (seine Murales im Palacio Nacional haben wir ja bereits gesehen) anschauen dürfen.

Lange Warteschlange vor der Casa Azul

Und dann sind wir doch sehr erstaunt: Was hat unser Guide denn da behauptet? Da hängen reichlich Bilder von Frida Kahlo… der wollte wohl einfach den Umweg nicht fahren und hat uns deswegen die Story vom toten Pferd erzählt. Fast zwei Stunden bringen wir hier zu – die traurige Lebensgeschichte der Künstlerin nimmt wohl jeden Besucher gefangen und bietet Anlass, über die Ungerechtigkeiten des Schicksals nachzudenken.

Ihre eigene Leidensgeschichte und Politik verbinden sich oft in Frida Kahlos Werken

1907 als Tochter eines deutschstämmigen Fotografen und einer Mexikanerin geboren, litt sie als Sechsjährige an Kinderlähmung und behielt davon ein verkürztes rechtes Bein zurück. Als 18jährige Schülerin wurde sie dann Opfer eines tragischen Unfalls: Der Bus, in dem sie saß, kollidierte mit einer Straßenbahn, dabei bohrte sich eine Stahlstange durch ihren Rücken und ihr Becken. Infolge der schweren Verletzungen war sie monatelang ans Bett gefesselt, musste anschließend ihr Leben lang ein Korsett tragen und konnte keine Kinder bekommen. In dieser Zeit begann Frida, um sich die Zeit zu vertreiben, zu malen.

Ahnengalerie, von Frida gemalt

Wenig später lernte sie den 20 Jahre älteren, schon damals berühmten Maler Diego Rivera kennen, den sie 1929 heiratete. Obwohl alles andere als gutaussehend, hatte Rivera immer wieder Affären mit anderen Frauen, schließlich auch mit Kahlos Schwester – 1939 ließ sie sich deswegen von ihm scheiden, nur um ihn ein Jahr später ein zweites Mal zu heiraten.

Ungleiches Paar: Diego Rivera und Frida Kahlo

Politisch waren Kahlo und Rivera, wie so viele Künstler in der damaligen Zeit, auf Seiten der Kommunisten, was sich in ihren Werken immer wieder zeigt. Da Rivera aufgrund seiner jahrzehntelang währenden Auftragsarbeit für den mexikanischen Staat über beste Kontakte zu ranghohen Politikern verfügte, gelang es ihm 1937 auch, den Präsidenten dazu zu bewegen, dem von Stalin verfolgten russischen Revolutionär Leo Trotzki in Mexiko Asyl zu gewähren. Und bis er und seine Frau ein anderes Zuhause fanden, lebte das Ehepaar Trotzki für zwei Jahre im Hause Kahlo…

Leo Trotzkis Schlafzimmer

Von ihren gesundheitlichen Problemen und ständigen Schmerzen gebeutelt, ließ Frida Kahlos Schaffenskraft im Laufe der Jahre nach; 1953 musste ihr auch der rechte Unterschenkel amputiert werden. Ein Jahr später starb sie mit gerade einmal 47 Jahren an einer Lungenembolie – ihr Ruf als Künstlerin und sozial engagierter Mensch hat jedoch die Zeiten überdauert.

Frida Kahlos Atelier mit ihrem Rollstuhl
Garten in der Casa Azul