Puebla.
Eine Woche waren wir in einer tollen Wohnung im sechsten Stock des Edificio Uruguay mitten im Zentrum von Mexiko-Stadt untergebracht – doch nun brechen wir wieder zu neuen Zielen auf. Der Größe der Stadt gemäß, gibt es hier für jede Himmelsrichtung ein Busterminal – man muss sich also zunächst einmal informieren, von wo aus der gewünschte Bus losfährt. Bei uns ist es der Ostbahnhof, abgekürzt TAPO, der direkt ans Metrosystem angeschlossen ist.
Die Fahrt nach Puebla ist eigentlich nicht weit: 122 Kilometer über eine gut ausgebaute Autobahn. Dennoch dauert es zweieinhalb Stunden, ehe wir die knapp 1,5 Millionen Einwohner zählende Provinzhauptstadt erreicht haben – es ist viel los auf den Straßen. Der erste Eindruck an unserem neuen Etappenort überwältigt nicht unbedingt: Der Bus schlängelt sich durch schmale Straßen in sehr ärmlichen Wohngebieten Richtung Busterminal. Doch als wir an unserer Unterkunft, den Suites 201, im Zentrum Pueblas angekommen sind, verändert sich das Stadtbild rasch und grundlegend.

Bei einem ersten Bummel durch die Straßen der auf über 2.100 Meter gelegenen, schon 1531 von den spanischen Kolonialherren gegründeten Stadt bemerken wir eine derartige Fülle von architektonischen Glanzlichtern, wie wir sie wohl noch nirgends auf unserer nun schon fast acht Monate andauernden Reise erlebt haben. Was natürlich auch der UNESCO nicht entgangen ist, die Pueblas Altstadt schon vor 30 Jahren auf die Weltkulturerbeliste gesetzt hat.

Tourismus ist hier unübersehbar ein sehr wichtiger Wirtschaftszweig, und dementsprechend ist auch das städtische Fremdenverkehrsamt sehr gut ausgestattet. Wir werden mit gutem Informationsmaterial, teilweise sogar in deutscher Sprache, versorgt. Was sicherlich auch mit dem größten Arbeitgeber Pueblas zu tun hat: Seit 1964 gibt es hier eine Volkswagen-Niederlassung, in der derzeit über 16.000 Mitarbeiter beschäftigt sind. Schon am Busbahnhof war uns ausgefallen, dass die Hinweisschilder nicht nur auf Spanisch und Englisch, sondern auch auf Deutsch beschriftet sind.

Eigentlich wollen wir am Ankunftstag nur ein bisschen von der Atmosphäre der Stadt schnuppern. Doch als wir nach einer Runde durch die äußerst belebte Fußgängerzone zurück am Zócalo sind (der übliche Name in Mexiko für den zentralen Stadtplatz) und durch die stilvollen Arkadengänge laufen, schickt uns ein Wachpolizist, der uns unschwer als Ausländer erkennt, mit einer Handbewegung in den Palacio Municipal, das prunkvolle Rathaus der Stadt. „Hier gibt es gerade eine kostenlose Führung!“

Klar, dass wir diese Möglichkeit nicht ausschlagen. Und der schon äußerlich prächtige, 1906 fertiggestellte Stadtpalast zeigt innen noch wesentlich mehr an kunstvoller Ausgestaltung, sei es am reich verzierten Treppenaufgang, an detailreich gearbeiteten Reliefs oder im bombastischen Sitzungssaal.



Ein Besuch Pueblas ist gar nicht denkbar, ohne einige Kirchen zu besichtigen. Fast an jeder Straßenecke der Innenstadt erhebt sich irgendein prachtvolles Gotteshaus; es ist unmöglich, sie alle aufzuzählen oder näher zu beschreiben, doch wenigstens den wichtigsten schenken wir etwas genauere Aufmerksamkeit. Direkt am Zócalo erhebt sich unübersehbar die zwischen 1575 und 1690 errichtete Catedral de Nuestra Señora de la Inmaculada Concepción – im Baustil der Kathedrale von Mexiko-Stadt sehr ähnlich, die Türme sind mit 73 Metern die höchsten des Landes.




Nur ein paar Häuserblocks entfernt befindet sich mit der etwa gleichzeitig entstandenen Iglesia de Santo Domingo ein weiteres Highlight unter Pueblas Baudenkmälern. Nicht sie selbst, sondern die an sie angebaute Capilla del Rosario, die verschwenderisch reich mit Gold- und Stuckelementen ausgestattet ist, ist hier der Hauptanziehungspunkt für die Besucher.


Doch damit längst nicht genug: Der im 17. Jahrhundert erbaute und 200 Jahre später gründlich umgestaltete Templo de Santa Mónica beherbergt die viel verehrte Statue des Nuestro Padre Jesús de las Maravillas.


Und mit der Parroquia de San José oder der Iglesia de San Francisco, um nur zwei weitere zu nennen, entdecken wir noch eine Reihe von anderen Kirchen, deren architektonische Qualität uns sofort ins Auge fällt.


Doch Puebla hat noch mehr zu bieten als Kirchen – ein besonders herausragendes kulturelles Juwel ist die Biblioteca Palafoxiana. Ab 1646 im Auftrag des Bischofs Juan de Palafox y Mendoza eingerichtet, gilt sie nicht nur als erste öffentliche Bibliothek Mexikos, sondern sogar des gesamten amerikanischen Doppelkontinents. Sie beherbergt in ihrem wunderschönen barocken Lesesaal über 40.000 wissenschaftliche Schriften von derartigem Rang, dass sie von der UNESCO ins Weltdokumentenerbe aufgenommen wurde. Da wir sonntags gleich um zehn Uhr da sind, als die Bibliothek gerade geöffnet wird, sind wir die ersten Besucher und können uns in aller Ruhe umsehen – noch dazu mit Erklärungen eines Deutsch sprechenden Fremdenführers, der seine Dienste vor dem Gebäude angeboten hat – mit dem Hinweis: „Sie entscheiden selbst über die Bezahlung!“ Der Mann macht seine Sache wirklich gut, sodass wir großzügig sind – vielleicht investiert er das Geld ja in die Bildung seines Enkels. Der soll unbedingt am örtlichen Humboldt-Kollegium Deutsch lernen, so der Wunsch des Großvaters…



Kulturhistorisch bedeutend ist auch das städtische Theater von Puebla. Schon 1761 eingeweiht, ist es das älteste in ganz Nordamerika. Auch heute noch ist es Schauplatz bedeutender Veranstaltungen – so ist für Anfang Mai ein Gastspiel des weltberühmten spanischen Tenors Placido Domingo angekündigt.

Bei einer Rundfahrt mit einem offenen Panorama-Bus kommen wir auch ans im Nordwesten der Stadt auf einem Hügel gelegene Fuerte de Loreto – eine 1816 angelegte Festung, die in den 1860er Jahren große Bedeutung erlangte, als die Mexikaner sich hier gegen die Franzosen verteidigten (bei der Schlacht von Puebla am 5. Mai 1862 erfolgreich, nichtsdestotrotz geriet das Land einige Jahre unter französische Herrschaft, ehe es sich 1867 davon befreien konnte).

Hier oben hat man einen kleinen Teich, den Lago de la Concordia, angelegt, auf dem Ausflügler mit dem Tretboot fahren können. Von einem nahe gelegenen Aussichtspunkt genießen wir ein schönes Panorama über die ganze Stadt.

Auch Pueblas Umgebung ist interessant: Insbesondere gilt dies für den Nachbarort Cholula, der etwa 15 Kilometer westlich am Fuße des 5.462 Meter hohen Vulkans Popocatépetl liegt – leider ist von ihm aufgrund des dunstigen Wetters so gut wie nichts zu erkennen, erst am Abreisetag werden wir vom Busfenster aus wenigstens leicht die Umrisse des zweithöchsten Berges von Mexiko sehen.

Die heute etwa 90.000 Einwohner zählende Stadt, inzwischen mit dem ungleich größeren Puebla fast zusammengewachsen, kann auf eine wesentlich längere Geschichte zurückblicken als der heutige große Bruder: Schon viele Jahrhunderte vor der Ankunft der Spanier hatte die indigene Bevölkerung sich hier angesiedelt und eine Pyramide mit einer Grundfläche von 450 x 450 Metern errichtet – die größte jemals erbaute in der Geschichte der Menschheit, sie stellte auch die ägyptische Cheops-Pyramide in den Schatten.

Heute ist sie allerdings mit 66 Metern etwas niedriger als ihr berühmtes Gegenstück am Nil – nachdem der Bau im Laufe des 8. Jahrhunderts eingestellt wurde, weil der Ort offensichtlich einen Bevölkerungsrückgang verzeichnete, überwucherte die Natur das riesige Monument im Laufe der Jahrhunderte und sorgte auch für eine Erosion. Die spanischen Eroberer hielten die Erhebung wohl für einen Berg und setzten an ihre Spitze bereits im 16. Jahrhundert die Iglesia de Nuestra Señora de los Remedios, die seither auf der Pyramidenspitze thront.


Ausgrabungen und umfangreiche Tunnelbohrungen durch Archäologen haben dafür gesorgt, dass man sich rund um die Pyramide eine gute Vorstellung vom ursprünglichen Aussehen des Riesenbauwerks machen kann.

Weitere wichtige Sehenswürdigkeiten der Stadt sind, wen wundert’s, einige prächtige Kirchenbauten, die zum Teil verstreut in den Vororten liegen. Ein typischer Vertreter des mexikanischen Barocks ist der Templo de San Francisco Acatepec – außen komplett mit bunten Fliesen verkleidet und auch innen sehr üppig dekoriert. Die Verschmelzung christlicher und indigener Traditionen wird dabei sehr deutlich erkennbar; auch die mit Früchten geschmückten Altäre und stilisierte Erdbeeren oder Ananas, die von der Decke hängen, machen deutlich, dass die alten Naturreligionen den hiesigen Katholizismus deutlich beeinflusst haben.


Noch reicher ausgeschmückt ist das Innere des nahen Kirchleins Santa Maria Tonantzintla, das wir allerdings nur von außen fotografieren dürfen. Hier wird an diesem Montagmittag tüchtig gearbeitet: Vor dem Kirchenportal errichten freiwillige Helfer gerade mit Holzstangen und Nadelbaumzweigen einen überdachten Eingang, durch den die Prozessionen der gerade beginnenden Semana Santa (Heilige Woche ist der im Spanischen geläufige Begriff für die Karwoche) führen werden.

Der Zócalo von Cholula gehört zu den größten ganz Mexikos – langgezogene Arkadengänge und viel Grün sorgen für ein angenehmes Stadtbild. Beherrscht wird auch dieser Platz von zwei unübersehbaren Kirchenbauten: zum einen die Pfarrkirche San Pedro, zum anderen der umfangreiche Komplex des ehemaligen Klosters San Gabriel, mit dessen Bau die Franziskaner bereits in den 1540er Jahren begannen.

Ein Bummel durch das Städtchen – der Busausflug bietet uns die Möglichkeit, den Ort zweieinhalb Stunden auf eigene Faust zu erkunden – ist aber auch aufgrund der zahlreichen bunt gestrichenen Fassaden des historischen Zentrums sehr lohnenswert.
