Puerto Escondido.
Es hatte alles recht harmlos ausgesehen auf der Landkarte: Von Oaxaca, der Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates im Süden von Mexiko, führt eine Straße hinunter an die Küste in den bekannten und beliebten Urlaubsort Puerto Escondido. Die Entfernung sah in etwa ähnlich aus wie die von Puebla nach Oaxaca, und diese Strecke hatten wir in knapp fünf Stunden zurückgelegt. Doch als wir die Tickets kauften (übrigens sehr günstig, für Ostersonntag gab es ein Sonderangebot) und nach der Fahrzeit fragten, glaubten wir uns zu verhören: „Elf Stunden!“ lautete die Antwort. Wie das denn? Nun, die direkte Route durch die Berge sei für die großen Reisebusse nicht befahrbar, da die Straßen zu eng seien. Deswegen sei ein enormer Umweg notwendig. Okay… dass Kleinbusse anderer Gesellschaften die direkte Route in sieben Stunden zurücklegen, erfuhren wir leider erst später.
Und so sitzen wir nun den kompletten Ostersonntag im Bus: Um halb zehn Uhr morgens fahren wir in Oaxaca los. Es geht durch eine teilweise spektakuläre, wenn auch sehr karge Berglandschaft Richtung Pazifik. Unterwegs legen wir eine halbstündige Mittagspause in einem Restaurant ein und merken schon dort, noch nicht am Meer angekommen, dass es hier wesentlich heißer ist. Als wir schließlich, es ist bereits längst dunkel geworden, endlich in Puerto Escondido ankommen, haben wir nur noch den Wunsch, in unsere Unterkunft zu kommen – und freuen uns sehr, als uns das Taxi am Puerto Dreams Hostel aussteigen lässt: Das junge Personal aus verschiedenen Ländern – auch eine Deutsche und eine Dänin sind darunter – ist sehr freundlich, das Zimmer komfortabel und mit den anderen Gästen entsteht sofort ein guter Kontakt. Mal wieder in einem typischen Backpacker-Hostel: Das tut nach den vielen anonymen Hotels und privaten Wohnungen richtig gut! Wie wir erfahren, hat das Hostel erst im November letzten Jahres eröffnet, was man der gesamten Ausstattung auch ansieht.

Eine sehr gute Ausgangsbasis also für ein paar Tage in diesem gut 25.000 Einwohner zählenden Urlaubsort, der sich vor allem mit der riesigen, Mexican Pipe genannten Welle vor der Playa Zicatela in Surferkreisen einen weltweiten Namen gemacht hat. Auf Surfbrettern wollen wir uns in unserem fortgeschrittenen Alter als Anfänger nicht versuchen, wir ziehen es angesichts der tropischen Temperaturen von über 30 Grad bei hoher Luftfeuchtigkeit vor, uns einen schattigen Platz an einem der Strände des Städtchens zu suchen. Sehenswürdigkeiten können wir in Puerto Escondido ohnehin keine verpassen… Die Oberstadt, in der sich auch unser Hostel befindet, ist ein quirliges Geschäftszentrum, in dem nach wie vor Fischer und Bauern der Umgebung ihre Produkte anbieten, während die küstennahe Unterstadt sich zu einer Wohngegend für die Upper Class entwickelt hat.

Das Hostel liegt zwar über einen Kilometer vom Strand entfernt, aber kein Problem – die Betreiber haben an alles gedacht; man kann sich kostenlos Räder ausleihen und an die Küste fahren. Welcher Strand soll es sein? An unserem ersten Tag fahren wir einfach mal ein bisschen durch die Straßen des Ortes und schauen, wo wir rauskommen. Über zahlreiche Treppen geht es von der höhergelegenen Stadt hinunter an eine kleine, zwischen Felsen gelegene Bucht mit einem feinen Sandstrand und zahlreichen kleinen Restaurants, die Liegen mit Sonnenschirmen zur Verfügung stellen, wenn man bei ihnen etwas isst oder trinkt. Außerdem gehören natürlich zahlreiche fliegende Händler dazu, deren Angebot den halben Hausstand abdecken würde…

Alleine sind wir hier allerdings wahrlich nicht: Der Ostermontag ist auch in Mexiko Feiertag, die Playa Manzanillo ist dicht mit einheimischen Familien bevölkert, die sich’s hier gut gehen lassen. Außerhalb des Wassers mit reichlich Speis und Trank, aber bei der Hitze will man natürlich auch ins Meer zum Abfrischen – und das sieht dann so aus, dass Hunderte von Mexikanern meist in T-Shirts und Shorts bis zum Bauchnabel im Wasser stehen. Weiter ins Tiefe wagen sich die meisten nicht; und das liegt nicht etwa an irgendwelchen Haien, sondern schlicht und einfach daran, dass nur wenige schwimmen können!

Spektakulärste Aktion des Tages: Am Spätnachmittag landet ein Fischerboot am Strand und ist im Nu von einer ganzen Traube von Menschen umringt – alle sehen fasziniert dabei zu, wie der Fang in einen bereitstehenden Lieferwagen verladen wird. Kein Wunder: Da sind doch glatt einige kleine Haie an Bord!

Hier geht es wirklich sehr, sehr lebhaft zu; am nächsten Tag versuchen wir unser Glück deswegen an der Nachbarbucht, der Playa Carrizalillo. Sie liegt ebenfalls geschützt zwischen hohen Felsen, ist über eine langgezogene, steile Treppe zu erreichen und verfügt über Restaurants, die zusätzlich Liegen vermieten – alles nicht viel anders als tags zuvor, ebenso sind Händler und Musiker wieder zahlreich vertreten. Auch die Anzahl der Strandbesucher ist nur unwesentlich geringer, obwohl heute wieder Werktag ist – viele Familien sind nach wie vor hier, denn auch in Mexiko dauern die Osterferien zwei Wochen.


Für den Abend haben wir eine zweistündige Tour gebucht: Ein Kleinbus holt uns kurz vor acht, als es allmählich dunkel wird, ab und bringt uns an die 14 Kilometer außerhalb der Stadt gelegene, mit dem Meer verbundene Laguna Manialtepec. Dort wartet schon ein kleines Boot auf uns, mit dem wir hinaus aufs ruhig daliegende Wasser fahren, in das nur durch springende Fische ein wenig Bewegung kommt – bis unser Boot, es ist mittlerweile Nacht geworden, stoppt und wir aufgefordert werden, ins Wasser zu springen. Okay, wir sind davon nicht überrascht: Sinn und Zweck der Veranstaltung ist ja genau der, hier ein zauberhaftes biologisches Phänomen zu erfahren – die Lagune enthält phosphoreszierendes Plankton, das immer dann zu leuchten beginnt, wenn es durch Bewegungen aufgewühlt wird. Im herrlich warmen Wasser schwimmen und dieses dabei zum Leuchten bringen: eine wahrlich magische Erfahrung, zumal sich über uns ein fantastischer Sternenhimmel auftut! Zudem erfahren wir, dass wir wirklich Glück haben, weil es entscheidend vom Anteil des Meerwassers in der Lagune abhängt, ob genügend Plankton vorhanden ist. Nur schade, dass wir davon keine Fotos machen können!

Für unsere beiden weiteren Badetage lassen wir uns im Hostel nochmal genau den Weg zum besten Strand beschreiben – und finden nach einigem Herumgeradele dann tatsächlich den Zugang zu der kleinen, nur von wenigen Badegästen besuchten Playa Coral, auch sie eine kleine, von Felsen umrahmte sandige Bucht. Zu ihr führt keine gut ausgebaute Treppe, sondern nur ein verwilderter Trampelpfad; hier gibt es auch keine Restaurants und keine Strandliegenvermieter, dafür einige hohe Bäume und Palmen, die genug Schatten spenden, eine spektakuläre Brandung und viel Ruhe.


Und wir finden ein Hinweisschild, dass uns am späten Nachmittag um ein paar Felsen herum an den benachbarten weiten Sandstrand Playa Bacocho lockt, der wegen des starken Wellengangs zum Baden ungeeignet ist. Dafür ist er Schauplatz einer anderen tollen und noch dazu ökologisch wichtigen Veranstaltung: Eine Freiwilligenorganisation kümmert sich hier um den Nachwuchs der Meeresschildkröten. Die bedrohte Reptilienart legt hier ihre Eier ab; die aber sind von zahlreichen Fressfeinden begehrt. Deswegen sammeln die Tierschützer die Gelege und lassen sie in geschütztem Ambiente ausbrüten. Die frisch geschlüpften Baby-Schildkröten werden dann am Strand freigelassen, wo sie unverzüglich – ihrem Instinkt folgend – dem Meer zustreben.

Als Gast kann man die Arbeit der Organisation mit einer kleinen Spende unterstützen – und bekommt dann in einer Kokosnussschale eine gerade einmal eine Stunde alte Mini-Schildkröte überreicht, die man an einem extra dafür vorgesehenen Strandabschnitt in die Freiheit entlassen darf. Klar, dass wir da auch mitmachen und unseren Schützlingen auf ihren ersten Metern zusehen, bis sie von der gewaltigen Brandung ins Meer gezogen werden. Einem gefahrvollen Leben entgegen; Fressfeinde zu Wasser und in der Luft lauern, nur 20 Prozent der Jungen erreichen das Erwachsenenalter.



Wir hoffen, dass unsere zwei Kleinen zu dieser Minderheit gehören und kehren am Donnerstag noch einmal an die wunderschöne, kleine Playa Coral zurück, ehe wir mit dem Nachtbus eine über zwölfstündige Fahrt antreten, die uns zurück ins Hochland, nach San Cristóbal de las Casas, führen wird.
