Antigua Guatemala.
Die Stadt Panajachel lernen wir bei unserem dicht gedrängten Besuchsprogramm in Guatemala gar nicht kennen – nach dem Frühstück im Hotel Posada Chinimayá werden wir gleich vom nächsten Tourguide abgeholt, und der läuft mit uns und einer größeren Gruppe bereits wartender Touristen schnurstracks zum Hafen, denn Panajachel liegt am zweitgrößten und wegen seiner landschaftlichen Schönheit vielfach gerühmten See des Landes, dem Lago Atitlán.

Und den sollen wir heute bei einer Bootstour genauer kennenlernen – dass wir die im Programm genannten Orte nicht auf dem Landweg, sondern per Motorboot erreichen, haben wir allerdings erst gerade eben wieder vom Rezeptionisten im Hotel erfahren, der uns auch erklärte, dass wir nach der Tour nochmal hierher zurückkommen und deswegen unser Gepäck dalassen können.

Der auf 1.560 Metern Meereshöhe gelegene und von drei Vulkanen umgebenene See befindet sich in einer mächtigen Caldera, die in grauer Vorzeit nach einem gewaltigen Ausbruch entstand. Von seiner spektakulären Umgebung können wir allerdings heute vieles nur schemenhaft erkennen, denn leider ist es sehr dunstig.


Doch je näher wir dem Südufer des Sees kommen, desto deutlicher ist auch die dortige Bergwelt zu sehen – und schließlich legt unser Boot in San Juan La Laguna an, einer gut 10.000 Einwohner zählenden, ausschließlich von indigenen Tzutuhil bewohnten Gemeinde. Über die weiß unser Fremdenführer Interessantes zu berichten: Gegen Ende des grauenhaften, 36 Jahre währenden Bürgerkriegs (1960 bis 1996) gewährte die Regierung den armen indigenen Gemeinden Zuschüsse, die zur Verbesserung der ländlichen Infrastruktur gedacht waren. Vielerorts stopfte sich allerdings nur die Dorfelite die Taschen voll und hielt danach wieder die Hand auf; in San Juan La Laguna dagegen wurden Kooperativen gegründet und nachhaltig unterstützt, die alte Handwerkstraditionen pflegen oder künstlerisch aktiv sind und es wurde viel für Bildung und Erziehung getan.



Das Resultat: Der Ort wirkt heute ausgesprochen sauber und gepflegt, bettelnde Kinder sucht man hier vergeblich, es gibt zahlreiche gut ausgebildete Maler, die ihre meist auf traditionelle Motive zurückgreifenden Bilder in hoher Qualität anfertigen und gemeinsam vermarkten, und – für die konservative Macho-Gesellschaft in der guatemaltekischen Provinz ein unerhörter Vorgang – es arbeitet seit vielen Jahren sehr erfolgreich eine Frauen-Kooperative, die sich auf das Weben von wunderschönen Textilien spezialisiert hat.

Bei unserem Spaziergang durch San Juan La Laguna besuchen wir zunächst einen Maler, der am Wochenende kostenlos Kunstunterricht für die Dorfjugend anbietet. Anschließend lernen wir einen 22-Jährigen kennen, der studiert und nebenher seine Gemälde selbst vermarktet – ihm kaufen wir für etwa 15 Euro ein Bild ab. Hoffentlich übersteht es die restliche Reisezeit im Rucksack unversehrt!

Ganz besonders interessant ist der Besuch bei der Frauenkooperative von San Juan. Dort wird uns zunächst gezeigt, wie die rohe Baumwolle bearbeitet und dann zu Fäden gesponnen wird, ehe diese mit verschiedenen Naturmaterialien gefärbt werden. Interessant: Bei einigen Pflanzen kommt es darauf an, zu welchem Zeitpunkt sie geerntet werden – tut man das bei Vollmond, werden die Farben besonders intensiv.




Am Webstuhl sind anschließend noch viele Arbeitsstunden notwendig, bis die Bluse, der Rock oder der Schal fertiggestellt und verkaufsbereit sind. Qualität hat ihren Preis, soll uns damit gesagt werden – doch die Globalisierung macht auch vor guatemaltekischen Dörfern nicht Halt. Weil andernorts maschinell gefertigte Produkte äußerst billig auf den Märkten angeboten werden, müssen die Frauen hier ihre Preise anpassen, um überhaupt etwas zu verkaufen. Rechnet man den Erlös in Arbeitsstunden um, kann man eigentlich nur frustriert sein…

Dennoch hat diese Kooperative viel Gutes bewirkt. Eine uralte Handwerkstechnik, die durch die sozialen Verwerfungen des endlos langen Bürgerkriegs vom Aussterben bedroht war, wird so für die Nachwelt erhalten; und die zuvor von ihren oft alkoholsüchtigen und gewalttätigen Männern abhängigen Frauen erzielen jetzt ein eigenes Einkommen. Eine ganz wichtige Voraussetzung für ihre Erwerbstätigkeit sind die Erziehungs- und Bildungseinrichtungen vor Ort – Clarita, die uns den gesamten Herstellungsprozess erläutert, hat zum Beispiel ein dreijähriges Kind, das tagsüber betreut wird.

Nur ein paar Kilometer weiter, in der Nachbarbucht, geht es schon etwas anders zu. Das ungefähr gleich große San Pedro La Laguna gilt bei den Einheimischen als guter Ort zum Feiern; wir haben jedoch nur eine halbe Stunde Zeit und nutzen diese, um in einem guten Café die hervorragend schmeckende einheimische heiße Schokolade zu probieren.

Danach steuern wir Santiago Atitlán an. Die 46.000 Einwohner zählende Stadt liegt an einer schmalen Bucht des Lago Atitlán. An ihrem Hafen macht uns unser Guide auf eine Besonderheit aufmerksam: „Schaut mal ins Wasser! Da sieht man viele Mauern!“ Und diese schön gestalteten Formationen sind nicht etwa Überreste einer versunkenen vorgeschichtlichen Maya-Stadt; sie bildeten bis vor acht Jahren den Stadtpark von Santiago Atitlán. Doch seit dieser Zeit ist der Wasserspiegel des Sees stark angestiegen; die Geologen erklären dies mit einer Verschiebung der unter dem Gewässer liegenden tektonischen Platten. Ein bis dahin vorhandener Riss, durch den Wasser in den Untergrund abfloss, schloss sich, sodass der Wasserspiegel des abflusslosen Sees um neun Meter nach oben ging.

Santiago ist eine sehr wuselige Stadt. Zahlreiche Händler verkaufen Textilien oder sonstiges Kunsthandwerk, die dreirädrigen Tuktuks schlängeln sich durch die schmalen, vom See her stark ansteigenden Straßen, und zudem rollen immer wieder in buntesten Farben leuchtende uralte Busse durch die Stadt – Guatemalas Linienbusse sind ausgediente ehemalige US-amerikanische Schulbusse, die nun in ihrem zweiten Leben in dem mittelamerikanischen Land unterwegs sind. Chicken-Bus werden diese äußerst originellen und fotogenen Gefährte genannt; der Name spielt darauf an, dass die indigene Bevölkerung auf ihren Fahrten zu Märkten häufig auch lebende Hühner auf dem Dach transportiert.



So bunt und ursprünglich das alles auch wirkt – wir erfahren, dass Chauffeur und Beifahrer dieser Busse einem enormen Druck ausgesetzt sind. Die Busgesellschaften zahlen ihnen nämlich keinerlei Gehalt; im Gegenteil, die Besatzung muss erst einmal täglich einen bestimmten Betrag bei der Firma abliefern. Und nur der Teil der Einnahmen, der darüber hinaus geht, bleibt den Beiden… kein Wunder, wenn da erbittert um jeden Fahrgast gekämpft wird!

Auf dem Kirchplatz führt eine alte Frau gegen ein kleines Trinkgeld den ausländischen Besuchern vor, wie aus einem etwa sechs Meter langen Band durch Wicklung innerhalb einer Minute die kunstvolle traditionelle Kopfbedeckung der einheimischen Frauen geformt wird, die übrigens auf der 25-Centavo-Münze abgebildet ist.

Die Iglesia Santiago Apostol selbst hat eine 470 Jahre alte Geschichte – schon 1547 wurde sie von den spanischen Kolonialherren errichtet und ist damit eine der ältesten von Mittelamerika. Während des Bürgerkriegs trug sich hier eine Tragödie zu: Der aus den USA stammende Priester Stanley Rother, der sich sehr für den Schutz der von den rechtsgerichteten Paramilitärs bedrohten Indigenen einsetzte, wurde von deren Todesschwadronen im Jahr 1981 ermordet. Sein Herz wurde in der Kirche bestattet; inzwischen hat die katholische Kirche die Seligsprechung des als Märtyrer anerkannten Geistlichen eingeleitet.


Nach einem guten Mittagessen – wir lassen uns Fisch aus dem See schmecken – fahren wir zurück nach Panajachel. Von dort haben wir dann noch eine gut dreistündige Fahrt in die alte zentralamerikanische Hauptstadt Antigua Guatemala vor uns; dass wir im Hotel Quinta La Santa Lucia übernachten werden, muss unser Fahrer allerdings auch erst wieder in der Reiseagentur erfragen… es lebe die perfekte Organisation!

