Holbox.

Der Bus fährt zeitig: Um die einzige Direktverbindung von Tulum nach Chiquilá, einen kleinen Hafenort an der Nordküste von Yucatán, zu erwischen, müssen wir am letzten Morgen auf das Frühstück im Hostal Jardín de Frida verzichten. Etwa drei Stunden fahren wir anschließend durch das gleichförmige, sonnendurchflutete Buschland, bis Chiquilá erreicht ist. Wie eigentlich für alle Reisenden ist das auch für uns nur eine Durchgangsstation: Von hier legen nämlich die Fähren auf die vorgelagerte Isla Holbox (gesprochen: Ollbosch) ab, die uns als noch nicht so touristischer Geheimtipp mehrfach empfohlen wurde.

Fähren verbinden Holbox mit dem Festland

Eine halbe Stunde dauert die Überfahrt, dann haben wir den kleinen Hafen der Insel erreicht: Er liegt an der dem Festland zugewandten Seite des einzigen, gleichnamigen Ortes; hier warten schon Golfcarts zum Weitertransport der Feriengäste in ihre Unterkünfte – Autos sind auf den sandigen Straßen des Eilands nicht erlaubt.

Golfkarts statt Autos – Fahrgasttransport auf Inselart

Holbox ist ganz flach, über 40 Kilometer lang, höchstens zwei Kilometer breit und weitgehend noch unberührte Natur. Nur rund um das Dorf, das ganz im Westen der Insel liegt, gibt es Besiedlung. Unser kleines Hotel Chaya, in dem wir für fünf Nächte gebucht haben, ist keine hundert Meter vom Strand entfernt. Wir wohnen im zweiten Stock, den man nur über Außentreppen und eine Veranda erreicht – über uns gibt es noch eine tolle Dachterrasse, von der aus wir Abend für Abend traumhafte Sonnenuntergänge über dem Meer erleben. Eine perfekte Lage, denken wir, nachdem wir uns im klimatisierten Zimmer etwas ausgeruht haben, um gleich noch ins Wasser zu springen.

Ob direkt am Strand…
…oder von der Dachterrasse unseres Hotels aus:
Holboxs Sonnenuntergänge sind richtig spektakulär

Aber so unkompliziert wie gedacht ist die Sache auch hier nicht mehr: Als wir den Strand so entlang bummeln, stellen wir fest, dass der mittlerweile auf einer Länge von mehreren Kilometern mit Hotelanlagen und Restaurants bebaut ist – zwar keine Hochhäuser wie in Cancún, dennoch ist es mit dem freien Strandzugang nicht mehr so, wie wir uns das vorgestellt hatten. Schattenplätze sind nämlich bei der hiesigen Hitze unverzichtbar; und die Liegen und der Sonnenschutz sind entweder den Hotelgästen vorbehalten oder müssen, wie anderswo auch, teuer gemietet werden.

Schattenplätze müssen überall bezahlt werden

Klar, Holbox wirkt im Vergleich zu den bekannten Strand-Resorts immer noch wesentlich rustikaler; doch unentdeckt ist die Insel schon längst nicht mehr. In den Straßen rund um die Plaza drängen sich Restaurants, Mini-Supermärkte, Schmuck- und Modegeschäfte, die alle etwas vom stetig größer werdenden Tourismuskuchen abbekommen wollen. Und abends herrscht in den Bars Partystimmung mit Live-Musik – dummerweise ist eine in unmittelbarer Nähe unserer Unterkunft, sodass wir Ohrenstöpsel brauchen, um einschlafen zu können.

In den Dorfstraßen…
…hat längst der Tourismus Einzug gehalten

Nachdem wir einen Tag die teure Liege am Strand gemietet haben, entschließen wir uns dazu, auf andere Strandabschnitte auszuweichen, die uns als naturbelassen empfohlen worden sind. Nur sind die gleich mal zwei, drei Kilometer entfernt – zu Fuß ist das schon am späten Vormittag kein Spaß mehr, weil sich die Luft hier schnell aufheizt. Und Fahrräder zu mieten ist auch nicht billig, ein Golfcart ist noch wesentlich teurer; die beste Lösung, beschließen wir letztendlich, ist es, sich mit einem Golfcart-Inseltaxi an den gewünschten Strand bringen zu lassen und abends zu Fuß zurückzukehren.

Auch der Strand ist touristisch bestens erschlossen…
Möwen füttern – ein beliebter Zeitvertreib für kleine Kinder

So verbringen wir den Sonntag am westlichsten Punkt der Insel, einer schmalen Landzunge mit dem Namen Punta Coco. Hier, unter einem schattenspendenden Baum und an einem ganz flachen, sich weit ins Meer hineinziehenden Sandstrand lässt es sich wirklich aushalten und wir genießen die absolute Stille um uns herum, waten durchs knietiefe Wasser und schauen Pelikanen beim Fischen zu – allerdings bleibt es nicht lange so ruhig, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir sind noch keine Stunde hier, schon rückt eine mexikanische Großfamilie mit ihrem halben Hausrat und ein paar Minuten später eine 20 junge Leute umfassende Reisegruppe in mehreren Golfkarts an, stellt die Fahrzeuge gleich neben uns ab und veranstaltet eineinhalb Stunden lang ein gehöriges Remmidemmi.

Unberührter Traumstrand…
…an der Punta Coco
Die Fische beobachten uns…
…und wir die Fische

Auch andere Badegäste tun es ihnen gleich: Wir wurden von unserem Taxista wenigstens am Ende der offiziellen Piste abgesetzt, doch die meisten Urlauber versuchen tatsächlich, mit ihren – übrigens nicht mit Elektro-, sondern mit Benzinmotor betriebenen – Golfcarts bis direkt an ihr bevorzugtes Stück Strand hinzufahren. Da scheint der Spruch zu gelten: nur kein Schritt zu viel!

Zehn Golfcarts belagern uns
Allmählich wird es wieder ruhiger

Ruhiger soll es an einem Strandabschnitt zugehen, der am entgegengesetzten Ende des Dorfes beginnt – in nordöstlicher Richtung, hinter einem kleinen Wasserlauf, der von den Fahrzeugen nicht überquert werden kann. Dort, in der Nähe der als Flamingo-Beobachtungspunkt bekannten Punta Mosquito, lockt zudem eine breite Sandbank, die der Küste vielleicht hundert Meter vorgelagert ist, zu erfrischenden Ausflügen ins Wasser.

Ein kleiner Fluss…
…muss durchwatet werden
Pelikane auf der Lauer

Genau das Richtige für uns! Wieder haben wir uns von einem Inseltaxi so weit wie möglich fahren lassen, sind durch die Mündung des kleinen Wasserlaufs gewatet und haben uns in der tatsächlich nur von wenigen Menschen besuchten Gegend einen kleinen Baum gesucht. Dort sitzen wir nun nach einem ersten wunderbar angenehmen Bad in türkisfarbenem Wasser im Schatten am Strand, als eine junge Amerikanerin mit dem Fahrrad auf uns zukommt. Als sie uns sieht, spricht sie uns an und ist ziemlich sauer: „Mir ist gerade mein Geld geklaut worden! Alles andere, auch mein i-Pod, ist noch da, aber die Brieftasche ist leer! Die Diebe müssen irgendwo aus dem Gebüsch gekommen sein. Passt auf eure Sachen auf!“

Menschenleerer Strand…
…und vorgelagerte Sandbank

Wir bedanken uns bei ihr für den Hinweis. Eher beiläufig schauen wir dann auch in unsere Tasche – wir haben ja vom Meer aus immer wieder an unseren Baum geguckt und nichts Verdächtiges gesehen. Und dann der Schock: Auch unser Geldbeutel ist leer! Und als wir nun genauer hinschauen, stellen wir fest, dass der Dieb (oder waren es mehrere?) alle Seitentaschen durchwühlt und auch in den Hosentaschen nach Barem gesucht haben. Die müssen blitzschnell gewesen sein, wir haben davon nichts mitgekriegt!

Und dennoch Glück im Unglück: Es waren auch Janas Handy, der Kindle und unser Fotoapparat in der Tasche. Die sind alle noch da, genau wie ein paar Münzen Kleingeld – so viel Anstand hatte der Dieb also, dass er nur das mitgenommen hat, was er wirklich braucht. Gut auch, dass wir Kreditkarten und den meisten Teil unseres Bargelds im Hotel gelassen haben! So etwa 900 Pesos (45 Euro) dürften uns wohl fehlen. Neun Monate lang ist alles gut gegangen – aber so etwas passiert meistens da, wo man es am wenigsten vermutet…

Der letzte Strandtag auf Holbox ist damit allerdings gelaufen. Wir entscheiden uns, zurückzulaufen und eine Anzeige bei der Polizei zu machen – nicht weil wir wirklich glauben, der Dieb könnte ausfindig gemacht werden und wir unser Geld zurückbekommen. Die Leute hier sollen einfach wissen, dass auf der Insel auch geklaut wird! Der diensthabende Gemeindepolizist bedauert den Vorfall ehrlichen Herzens („Sehr schlecht!“), meint allerdings, dafür müssten wir zum Ministerio Publico ein paar Blöcke weiter.

Das zu finden, ist nicht ganz einfach – auch die Einheimischen wissen kaum Bescheid; einer, den wir fragen, lässt uns gleich auf sein Golfcart aufsteigen und bringt uns hin, wozu er allerdings auch erst nochmal nachfragen muss. Es gibt also nicht nur Diebe, sondern auch sehr nette Leute… Allerdings ist der Besuch bei der Behörde, die durch keinerlei Türschild oder ähnliches als solche erkennbar ist, letztlich ziemlich sinnlos. Eine Versicherung, die uns den Schaden ersetzen würde, haben wir eh nicht; und eine Anzeige würde ziemlich viel Papierkram bedeuten – auf den hat die schläfrige Beamtin aber sichtlich keine Lust.

Dass uns unser Aufenthalt auf Holbox am Ende trotzdem in guter Erinnerung bleibt, hat nicht zuletzt mit einer neuen Bekanntschaft zu tun, die wir in unserem Hotel machen: Am Montag bezieht ein Ehepaar aus Mérida das Zimmer neben uns. Die Frau sieht uns und fragt uns sofort, woher wir kommen. „¡De Alemania! Mi esposo es de Alemania también!“ („Mein Mann ist auch aus Deutschland!“) Und so entwickelt sich ein nettes Gespräch, und tags darauf fragen uns unsere Nachbarn, ob wir mit ihnen abends zusammen ein Gläschen trinken gehen wollen. Das tun wir sehr gerne und lernen bei dieser Gelegenheit mit Rebeca und Dieter ein äußerst sympathisches deutsch-mexikanisches Ehepaar kennen, das uns viel über Land und Leute erzählt, Dinge, die wir bisher noch nicht wussten, und sich auch sehr an unserer langen Reise interessiert zeigt.

Rebeca ist von Beruf Informatik-Lehrerin und freut sich, dass sie mit uns Berufskollegen aus Deutschland kennenlernt. Und als wir so fachsimpeln, stellen wir fest, dass die Probleme, mit denen es sich herumzuschlagen gilt, offenbar auf der ganzen Welt die selben sind: immer weiter ausufernde Bürokratie, überzogene Elternerwartungen und überbehütete Kinder, deren Interesse weit mehr den elektronischen Medien als dem Unterricht gilt…

Es ist wirklich sehr schade, dass wir uns nur so kurz treffen konnten – aber wer weiß, die Beiden kommen ja immer mal wieder in Dieters alte Heimat; bei ihnen besteht wirklich die Chance, sie mal wiederzusehen! Die großherzige Rebeca überrascht Jana sogar noch mit einem Geschenk – einem schönen bunten Strandtuch, auf dem Kolibris abgebildet sind. Ironie des Schicksals: Um ein Haar hätte Jana ein paar Stunden vorher ein neues Strandtuch gekauft, weil unser altes, eigentlich ein Sarong aus Bali, inzwischen ziemlich zerschlissen ist. Nur weil das in Frage kommende Tuch im Laden schon verschmutzt war, ließ sie den Kauf dann doch bleiben. Als hätte sie es geahnt…

Abschied von der Insel…