Morelia.
Obwohl wir uns in Guadalajara auf 1.500 Metern Meereshöhe befinden, steigen die Temperaturen tagsüber auf etwa 35 Grad an. Der Mai ist in ganz Mexiko der heißeste Monat des Jahres, wissen wir inzwischen; im Juni, wenn die Regenzeit beginnt, wird es wieder kühler. Als wir uns aus unserer Unterkunft verabschieden, macht uns die Rezeptionistin Mut: „Ihr fahrt nach Morelia! Schön, da ist es auf jeden Fall kühler – so zwei, drei Grad!“

Tatsache ist: Die knapp 300 Kilometer östlich gelegene Hauptstadt des Bundesstaates Michoacán, die wir nach einer etwa dreieinhalbstündigen Fahrt in einem echten Luxusbus mit extra viel Beinfreiheit, Bildschirm an jedem Sitz, W-Lan und Verpflegung erreichen, liegt noch einmal 400 Meter höher im mexikanischen Hochland – trotzdem ist es auch hier hochsommerlich warm. Mit unserer Unterkunft haben wir hier mal wieder einen Volltreffer gelandet: In den M Hoteles Concepto werden wir nicht nur außerordentlich freundlich empfangen, sondern bekommen in der brandneu eingerichteten Unterkunft sogar noch ein Upgrade – wir wohnen in einer wunderschönen Junior Suite, und das nur wenige Gehminuten von der Plaza de Armas im Stadtzentrum entfernt!


Perfekt für die Stadterkundung, zu der wir uns am Dienstag aufmachen. Nur zwei Häuserblocks entfernt erwarten uns schon die ersten geschichtlich bedeutsamen Bauwerke der 600.000 Einwohner zählenden Provinzmetropole, deren Altstadt seit 1991 Bestandteil der UNESCO-Weltkulturerbeliste ist. Gleich neben dem ehemaligen Augustinerkonvent befindet sich mit dem Geburtshaus von José María Morelos, das inzwischen zu einem Museum umgestaltet wurde, eine Stätte, die für die Geschichte der Stadt von kaum zu überschätzender Bedeutung ist: Dem lokalen Unabhängigkeitshelden wurde ein derartige Verehrung entgegengebracht, dass der ursprüngliche Name der Stadt – Valladolid, wie ja auch die Kleinstadt in Yucatán heißt, die wir erst vor gut zwei Wochen besucht haben – 1828 zu seinen Ehren in Morelia umbenannt wurde.


Doch auch wenn sich die Stadt damit bewusst von den verhassten spanischen Eroberern distanzierte – das koloniale Erbe ist in jeder Gasse der Altstadt unübersehbar und verleiht ihr ein Flair, dass wir uns hier wirklich wie in Südeuropa vorkommen. An der breiten Avenida Madero reihen sich die repräsentativen Gebäude nur so aneinander; da ist das Colegio de San Nicolás de Hidalgo, gleich daneben die ehemalige Jesuitenkirche, heute eine öffentliche Bibliothek, und der Palacio Clavijero. Auch der Palacio de Gobierno, das Regierungsgebäude Michoacáns, befindet sich hier.


Wir drehen eine kleine Schleife durch Seitenstraßen. Dabei kommen wir durch den Mercado de Dulces y Artesanias, auf dem die für Morelia typischen süßen Leckereien wie kandierte Fruchtstücke oder Nuss- und Cocospasten angeboten werden und schlendern über den hübschen, schattigen Platz Jardín de las Rosas.


Zurück an der Hauptstraße, werden wir Zeugen einer großen Lehrerdemonstration: Es sind viele Tausende, die wohl aus dem ganzen Bundesstaat zusammengekommen sind, um gegen die schlechte Bezahlung und die sich stetig weiter verschlechternden Arbeitsbedingungen zu protestieren. Sie ziehen genau in die Richtung, in die auch wir gehen wollen – zunächst zur Plaza Villalongín, einem kleinen, schön gestalteten Park.


Hier beginnt nämlich eines der Wahrzeichen Morelias, das sich in 253 Bögen mehrere Kilometer entlangziehende Aquädukt, das Ende des 18. Jahrhunderts angelegt wurde, um Wasser aus den umliegenden Bergen in die Stadt zu leiten. Der wunderschöne Brunnen Fuente de las Tarascas auf einer Verkehrsinsel markiert diesen Ort zusätzlich.


Ein breite, schattige Fußgängerpromenade führt von hier geradewegs auf eines der interessantesten Gotteshäuser der Stadt zu: Das Santuario de Nuestra Señora de Guadalupe ist von außen eine eher unscheinbare Kirche aus dem frühen 18. Jahrhundert. Doch betritt man den Innenraum, glaubt man sich in einer anderen Welt: Die Wände und Decken schwelgen in Rosa und Blau, und dazu sind sie üppigst mit vergoldeten Stuckdekorationen verziert. An den Seitenwänden prangen überdimensionale Gemälde, die von der Bekehrung der Ureinwohner und dem damit verbundenen Ende der Menschenopfer erzählen. Und der Höhepunkt der Raumkunst entfaltet sich beim Blick in die Kuppel… ihre Pracht ist kaum zu beschreiben!


Zurück im Stadtzentrum, statten wir auch der Kathedrale noch einen Besuch ab. Sie beeindruckt durch ihre mächtige Gestalt und die 70 Meter hohen Zwillingstürme. Der Innenraum wirkt ausgesprochen festlich.

Man hat es uns mehrfach empfohlen: Wenn wir in Morelia sind, sollen wir einen Ausflug nach Pátzcuaro auf keinen Fall versäumen. Das südwestlich gelegene 55.000-Einwohner-Städtchen am gleichnamigen See ist mit Linienbussen in gut einer Stunde zu erreichen. Nur – wo steigen wir am besten aus? Gleich am Bahnhof, von da ist es nicht weit zum See, oder doch eher am Busterminal? Ein freundlicher Herr, der im Bus direkt hinter uns sitzt, erkundigt sich, wohin wir wollen. Ins Stadtzentrum – da ist es vom Terminal aus näher. Oder halt, er hat noch eine bessere Idee. Er geht zum Fahrer und bittet ihn, an einer bestimmten Straßenecke anzuhalten; von dort aus ist es nicht weit zu Fuß. Damit wir uns auch garantiert nicht verlaufen, steigt er gleich mit aus und geleitet uns bis zur Plaza Don Vasco de Quiroga. Der fürsorgliche Einheimische gibt sich während unseres Spaziergangs als Lehrer einer Sekundarschule zu erkennen – da können wir uns als Berufskollegen ja die Hand reichen! Sichtlich erfreut, es mit Maestros aus Alemania zu tun zu haben, intensiviert unser neuer Bekannter seine Erläuterungen zu Geschichte und Sehenswürdigkeiten noch einmal. Er ist selbst sehr reisefreudig – schon zweimal war er in Europa, auch München ist ihm bekannt. Zur Verabschiedung umarmt er uns und wünscht uns weiterhin eine gute Reise!

Es tut einfach gut, so gastfreundlich und warmherzig empfangen zu werden… Bester Dinge machen wir uns also auf, auch Pátzcuaro zu erkunden. Der Name der sehr gepflegten, von herrlichen arkadengeschmückten Gebäuden umgebenen und mit klassischer Musik beschallten Plaza sagt es schon aus: Hier dreht sich alles um Vasco de Quiroga, einen Bischof und Richter, dem auch ein großes Denkmal gewidmet ist. Er wurde vom spanischen König 1536 als Gouverneur hierher entsandt – sein Vorgänger, der Eroberer Nuño de Guzmán, führte sich derartig blutrünstig auf, dass das sogar für die damaligen Verhältnisse jeden Maßstab sprengte. De Guzmán wurde nach Spanien zurückgebracht und dort für den Rest seines Lebens eingesperrt; de Quiroga dagegen initiierte in den indigenen Dörfern der Umgebung die Bildung von Gemeinschaften, die sich jeweils auf eine bestimmte Handwerkskunst spezialisierten, und förderte Bildung und Erziehung.

Bis heute wird der von dem hier lebenden Volk der Purépecha Tata Vascu genannte Geistliche hoch verehrt; sein mausoleumsartiges Grabmal befindet sich in einer Seitenkapelle der Basilica de Nuestra Señora de la Salud. Diese ist jedoch noch aus einem weiteren Grund Pilgerziel von zahlreichen Gläubigen aus nah und fern: Die namensgebende Marienstatue, von den Indigenen im 16. Jahrhundert aus einer Mais-Honig-Paste hergestellt, gilt als wundertätig.




Pátzcuaro, durch seine Lage auf über 2.100 Metern mit einem angenehmen Klima gesegnet, bietet aber noch einiges mehr. Da ist das ehemalige Augustinerkloster, dessen Räumlichkeiten heute eine Bibliothek und ein Kino beherbergen und daneben die quicklebendige Plaza Gertrudis Bocanegra, benannt nach einer lokalen Freiheitskämpferin, die von einem spanischen Erschießungskommando hingerichtet wurde, mit Marktständen, Schuhputzern und kleinen Geschäften.


Und ganz besonders hübsch ist es in der Casa de los Once Patios. Das aus den 1740er Jahren stammende ehemalige Dominikanerkloster, wörtlich übersetzt „Haus der elf Innenhöfe“, besitzt zwar nach mehreren Umbauten inzwischen nur noch fünf dieser Patios; diese jedoch sind wirklich wunderschön und beherbergen in ihren Räumlichkeiten verschiedene kleine Läden, die Kunsthandwerk aus der Gegend rund um den Lago de Pátzcuaro anbieten.



Um ihn zum Abschluss unseres Ausfluges zumindest zu sehen (für einen Bootsausflug ist es schon zu spät), lassen wir uns von einem Taxi an die Bootsanlegestelle bringen, die doch einige Kilometer außerhalb des Zentrums liegt – bei den hiesigen Preisen reißt das kein Loch in die Kasse. Zwar können wir nur erahnen, dass der See 126 km² groß sein soll, denn Pátzcuaro liegt an einer schmalen Bucht ganz im Süden des Gewässers. Doch einige der Inseln, auf denen die indigene Bevölkerung wie eh und je ihrem traditionellen Handwerk und dem Fischfang nachgeht, können wir auch vom Ufer aus erkennen. Und der Bus, der uns zurück nach Morelia bringt, hält nicht weit entfernt in der Nähe des Bahnhofs – das Reisen ist in Mexiko wirklich unkompliziert…
