Guanajuato.
Unser Mexiko-Aufenthalt geht in die letzte Woche, als wir am Donnerstag von Morelia weiterfahren nach Guanajuato. Beide Städte tragen das hier nicht gerade selten anzutreffende Gütesiegel UNESCO-Weltkulturerbe, beide sind als äußerst sehenswert beschrieben: Dennoch sind wir ziemlich erstaunt, als wir nach gut dreistündiger Busfahrt durchs mexikanische Hochland ankommen, denn unser neues Etappenziel weist einen ganz anderen Charakter auf, als wir ihn von fast allen lateinamerikanischen Städten gewohnt sind.

Zunächst einmal liegt der Busbahnhof ungewöhnlich weit außerhalb: Das Taxi fährt einige Kilometer durch eine abgeschieden wirkende Berglandschaft, ehe es durch ein langes Tunnel talwärts geht. Und gleich dahinter beginnt die Stadt – Guanajuato erstreckt sich in einem langgezogenen, engen Tal auf mehr als 2.000 Metern Höhe. In dem kleinen B&B Villa Sueño Azul werden wir sehr freundlich und persönlich empfangen; und nach einem zehnminütigen Fußmarsch sind wir bereits mitten in der Altstadt. Die folgt dem gewundenen Tal und hat dementsprechend kurvige Straßen und schmale Gässchen – mal kein quadratisch-praktischer Grundriss wie überall sonst, sondern ein mittelalterlich-europäisch wirkendes Städtchen mit unregelmäßigen, zum Teil dreieckig zulaufenden Plätzen wie der zentralen Plaza de la Paz oder dem wunderschönen grünen Jardín de la Unión.


Die Verkleinerungsform passt – gerade gut 70.000 Einwohner zählt die Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates; aufgrund ihrer reichen Geschichte und des vielfältigen Kulturangebots ist sie dennoch das natürliche Zentrum der Region im Nordwesten der Hauptstadt. Und das zeigt sich in vielen Bauwerken Guanajuatos. Selbstverständlich finden sich auch hier einige beeindruckende Kirchengebäude, allen voran die Basilica Colegiata de Nuestra Señora de Guanajuato, ein mächtiger Barockbau aus dem späten 17. Jahrhundert. Auch andere Gotteshäuser wie der Templo de San Diego, der Templo de San Francisco oder die Jesuitenkirche tragen mit ihren formschönen Kuppeln nicht unerheblich zum Stadtpanorama bei.


Anders als in vielen anderen Städten befinden sich in Guanajuato aber auch eine Vielzahl von weltlichen Bauwerken, die uns auf Anhieb faszinieren. Unübersehbar ist aufgrund seiner gewaltigen Dimensionen das Universitätsgebäude – mit Zinnen und einem imposanten Treppenaufgang geschmückt, nimmt es einen ganzen Häuserblock der Altstadt ein. Die Tatsache, dass es erst in den 1950er Jahren errichtet wurde, mag man aufgrund der architektonischen Gestalt gar nicht recht glauben… doch die Dominanz des vergleichsweise modernen Bauwerks im Stadtbild bietet seit seiner Entstehungszeit immer wieder Anlass für kontroverse Diskussionen.

Ein anderer mächtiger Block in der bunten Häuserlandschaft von Guanajuato ist die heute als Regionalmuseum dienende Alhóndiga de Granaditas – ein Anfang des 19. Jahrhunderts erbauter Kornspeicher, der wenige Jahre nach seiner Fertigstellung zu einem ersten bedeutenden Schauplatz des mexikanischen Unabhängigkeitskrieges wurde: 1810 steckten die Freiheitskämpfer dieses Gebäude, in dem sich spanische Soldaten verschanzt hatten, in Brand.

Eine entscheidende Rolle spielte dabei ein Bergmann mit dem Spitznamen El Pípila – er hatte sich eine Steinplatte auf den Rücken gebunden, kroch so vor den Kugeln der Spanier geschützt an die Alhóndiga heran und entfachte das Feuer. Heute ist ihm ein riesiges Denkmal auf einem Aussichtshügel über der Altstadt gewidmet; mit einer Standseilbahn fahren wir hinauf, genießen das Panorama und lesen El Pípilas legendären Spruch: „Aun hay otras alhóndigas por incendiar“ (Es gibt noch andere Alhóndigas zum Anzünden).


El Pípila war Vertreter eines Berufes, der für das Entstehen von Guanajuato von ganz entscheidender Bedeutung war – schon in den 1550er Jahren entdeckten die Spanier hier ergiebige Silber- und Goldlagerstätten. In den folgenden Jahrhunderten war die Stadt stets einer der wichtigsten Edelmetall-Lieferanten für die Kolonialmacht und wuchs zu einer der größten in der westlichen Hemisphäre an. Noch heute werden in der Umgebung große Mengen der Edelmetalle gefördert – bedauerlicherweise, erzählen uns die Einheimischen, sind die Konzerne alle in kanadischer Hand.

Inzwischen hat sich Guanajuato aber auch einen hervorragenden Ruf als Kulturstadt erworben – die Universität spielt diesbezüglich ganz sicher eine sehr wichtige Rolle. Ein bisschen davon dürfen wir am Samstagabend miterleben – im prachtvollen, 1910 eröffneten Teatro Juárez tritt das Ballet Folklórico de la Universidad de Guanajuato auf. Unter dem Motto Sangre Mestiza (Mestizenblut) bietet eine vielköpfige Tanzgruppe vor voll besetzten Rängen eine eindrucksvolle, eineinhalbstündige Show dar, die die Verschmelzung von indigenen und spanischen Rhythmen und Tänzen zu einer neuen, spezifisch mexikanischen Kultur darstellt.









Und das ist nicht der einzige Theaterbau in der doch gar nicht so großen Stadt. Auch das Teatro Principal ist von eindrucksvoller Größe; etwas kleiner, aber sehr pittoresk und mit einer wunderschönen Plastik von Don Quijote und Sancho Panza auf dem Vorplatz bestens in Szene gerückt, befindet sich ein paar Straßenzüge entfernt das Teatro Cervantes.

Es ist nach dem spanischen Nationaldichter Miguel de Cervantes benannt, der in Guanajuato überall präsent ist. Das jährlich im Oktober stattfindende Festival Internacional Cervantino nimmt auf den Poeten ebenso Bezug wie das Museo Iconográfico del Quijote, in dem hunderte von Darstellungen des legendären Ritters von der traurigen Gestalt mit seinem tollpatschigen Diener ausgestellt werden. Warum Cervantes hier einen solch wichtigen Stellenwert besitzt, ist uns zunächst nicht klar – wir fragen nach und erfahren, dass es ganz einfach daran liegt, dass die Universität das Werk des Schriftstellers seit vielen Jahrzehnten intensiv erforscht und pflegt.

Museen gibt es in Guanajuato übrigens zuhauf: Eines der originellsten, aber auch makabersten befindet sich etwas außerhalb der Altstadt – das Museo de las Momias, direkt neben dem städtischen Friedhof, zeigt Mumien. Allerdings keine antiken, denn bei der Erweiterung des Friedhofs wurden ab 1865 über hundert gut erhaltene Leichen geborgen, da das halbtrockene Klima und die Bodenbeschaffenheit eine Verwesung der Bestatteten verhinderten. Es ist zwar interessant, davon zu erfahren, wir verzichten allerdings darauf, uns das Gruselkabinett anzuschauen, und entscheiden uns stattdessen für einen Besuch im Museo de Diego Rivera. Der berühmte Maler und Ehemann von Frida Kahlo, dessen Murales wir gleich in den ersten Tagen unseres Mexiko-Aufenthaltes gesehen haben, wurde in diesem Haus geboren. Wechselausstellungen verschiedener zeitgenössischer Künstler und zahlreiche Bleistiftzeichnungen und Skizzen von Rivera bilden den Schwerpunkt der Sammlung; wir hatten uns allerdings erhofft, etwas mehr über das Leben des Malers zu erfahren.

Noch andere Facetten von Guanajuato entdecken wir, als wir am Sonntagmorgen zu einer geführten Wanderung aufbrechen, die im Flyer eines Tourveranstalters, der in unserem B&B ausliegt, angeboten wird. Der Titel der (sehr günstigen) Tour verspricht einen Ausflug in die bergige Umgebung der Stadt – in Wirklichkeit laufen wir direkt von unserer Unterkunft los und zunächst durch die östliche Vorstadt.

Veranstalterin Mariana holt uns ab, macht uns mit einer jungen Dame bekannt, die ebenfalls mitlaufen wird (wie sich herausstellt, ist sie wohl eine Bekannte von Mariana und nutzt die Gelegenheit, für sie unbekanntes Terrain zu entdecken) und stellt uns anschließend noch Luis vor – er ist als Bergführer mit von der Partie. Weitere Touristen, die an dieser Tour teilnehmen würden, gibt es nicht. Wandern in der Natur ist in Mexiko immer noch eine ziemlich exotische Angelegenheit!

Bevor wir den Stadtrand erreichen, kommen wir aber noch an einigen interessanten Orten vorbei – zunächst einem ehemaligen Jesuitenkolleg, das heute als Institut für Lehrerausbildung genutzt wird. Rührend: das Denkmal vor dem Gebäude, das eine fürsorgliche Lehrerin mit einem Schüler zeigt und die Aufschrift Al Maestro (dem Lehrer) trägt. Doch in Erinnerung an die große Lehrer-Demo vor einigen Tagen in Morelia denken wir uns, dass ordentliche Arbeits- und Lohnbedingungen unseren mexikanischen Berufskollegen wohl mehr helfen würden als Statuen…

Allmählich bergan laufend, gelangen wir durch den schön angelegten Parque Florencio Antillón zu zwei aufeinanderfolgenden Staubecken mit den Namen Presa de la Olla und Presa de San Renovato, in denen das lebenswichtige Wasser für die Stadt gesammelt wird. Zur Zeit ist der Wasserstand sehr niedrig – doch die Regenzeit ist nahe, sie beginnt im Juni und dauert bis September; und ein kurzer Schauer am Nachmittag ist schon ein Anzeichen für den nahenden Wechsel der Jahreszeit.


Unmittelbar dahinter beginnt ein zwar nicht sehr weiter, aber ziemlich steiler Anstieg – und jetzt wird klar, warum Mariana für diese Tour die Hilfe eines Bergführers benötigt. Hier muss man an manchen Stellen richtig kraxeln, und der angebotene Wanderstock leistet besonders bergab an sandigen Teilstücken sehr willkommene Dienste. Und vor allem: Mariana und ihre Begleiterin sind beide nicht unbedingt Supersportlerinnen, Luis und wir müssen immer wieder warten, bis die beiden uns schnaufend hinterher kommen.


Das Ziel lohnt die – nach unserer Einschätzung nicht übermäßigen – Mühen absolut: Hoch oben auf einem Felsvorsprung steht seit den 1940er Jahren ein Leuchtturm, im Gebirge fernab des Meers ein ziemliches Kuriosum. Über die Gründe für seinen Bau gibt es zwei Geschichten: Die eine besagt, dass ein ehemaliger Matrose, der seinen Ruhestand in Guanajuato verbrachte, den Turm als Erinnerung an seine Seefahrerzeit errichtete. Eine andere Erklärung ist, dass die Beleuchtung den nachts aus den Erzminen zurückkehrenden Bergleuten den Heimweg erleichtern sollte. Wie auch immer: Der Ausblick von dort oben über Guanajuato ist wunderschön!




Und zurück im Tal, erfahren wir auch noch etwas über die Stadtanlage. Der Fluss, der durch das Tal verläuft, wurde nämlich in gesamter Länge überbaut; die Hauptstraßen der Altstadt verlaufen also durchschnittlich acht Meter oberhalb der Wasserläufe, und auch die Häuser stehen entsprechend erhöht. Dennoch wurde Guanajuato in der Regenzeit schon mehrfach von schweren Überschwemmungen heimgesucht.
Und eine weitere Besonderheit der Stadt sind die vielen Tunnels, die häufig Abkürzungen von einem Stadtteil in den anderen sind und zudem den Großteil des Straßenverkehrs aus dem Zentrum fernhalten. Unser Guides beenden die Tour nicht, ohne uns durch einen dieser für Mexiko offensichtlich sehr exotischen Verkehrswege geführt zu haben – den vielleicht knapp halbstündigen Fußweg von den Staubecken ins Zentrum wollen sie uns (und sich) allerdings nicht zumuten; dafür nehmen wir einen städtischen Linienbus. Nicht dass wir uns noch die Füße wund laufen…

Tochter…….wir erkennen dich nicht wieder….im Teatro. Zuerst dachten wir es sei eine mexikanische Darstellerin. Alle Achtung.
Liebe Grüsse an euch
von MUVA
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