Villa de Leyva.
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verlassen wir am Montagvormittag nach eineinhalb Wochen Bogotá: In der schönen Wohnung in Chapinero haben wir uns äußerst wohl gefühlt und in der Sprachschule Nueva Lengua viele neue Bekannte gefunden, mit der Stadt selbst dagegen sind wir nicht nur wegen des kühlen, regnerischen Wetters nicht recht warm geworden. In der riesigen Stadt braucht das Taxi eine knappe halbe Stunde, bis wir das Busterminal erreicht haben. Wir kaufen unsere Tickets und schalten vom Sprachschüler- wieder in den Reisemodus um: Unser neues Ziel heißt Villa de Leyva, eine 170 Kilometer nordöstlich gelegene Kleinstadt. Dass wir dorthin fahren, hat sich erst am Sonntag entschieden – eigentlich hatten wir vorgehabt, zunächst in Richtung Süden aufzubrechen. Doch die Anfrage in einer Unterkunft in der Tatacoa-Wüste blieb unbeantwortet, und das von uns favorisierte Hostel im darauffolgenden Ort war ausgebucht. Also planten wir kurzfristig um und sitzen nun in einem Kleinbus, der sich erst einmal eine Stunde durch den obligatorischen Stau auf den Ausfallstraßen von Bogotá quälen muss, ehe der Verkehr endlich weniger wird. Die Fahrt geht durch eine wunderbare, grüne Berglandschaft – die ist allerdings nicht umsonst so: Zwischendrin regnet es wieder einmal heftig, doch als wir nach gut dreieinhalb Stunden Villa de Leyva erreicht haben, blinzelt die Sonne durch die Wolkendecke, und es ist ein paar Grad milder als in der kolumbianischen Hauptstadt.

Das ist kein Zufall, denn der 10.000 Einwohner zählende Ort liegt auf „nur“ 2.150 Metern Meereshöhe und damit gut 500 Meter niedriger als Bogotá. An Wochenenden schieben sich die Ausflügler aus der Hauptstadt durch die malerischen Gassen des kleinen Städtchens, doch heute geht es recht gemütlich zu. Die Touristenpolizei hat ihr Büro am Terminal; dort erhalten wir einen Stadtplan und laufen die zehn Minuten zu unserem Hotel Villa Paz zu Fuß – ein kleines Häuschen in einer ruhigen Seitenstraße mit einem netten Innenhof, um den sich die acht Zimmer gruppieren. Wir sind die einzigen Gäste, werden sehr freundlich empfangen und erkunden danach in aller Ruhe den Ort.

Der ist wirklich ausgesprochen hübsch – 1572 von den Spaniern gegründet, hat sich Villa de Leyva sein koloniales Flair mit zahlreichen mehrere hundert Jahre alten Häusern bewahrt. Die blumengeschmückten Holzbalkone, die mit der Zeit bucklig gewordenen roten Ziegeldächer und das grobe, holprige Pflaster, über das vermutlich schon die Pferdekutschen der spanischen Kolonialherren gerumpelt sind, verleihen dem Ort eine ausgesprochen authentische, rustikale Atmosphäre. Die taugte auch schon zur Filmkulisse: Vor 30 Jahren drehte Werner Herzog hier Teile seines Kultfilms Cobra Verde mit Klaus Kinski in der Hauptrolle.


Wir bewundern neben den wunderschönen Gassen, in denen es sich herrlich bummeln lässt, vor allem die Plaza Mayor. Ihre Ausmaße sind gewaltig: Mit 14.000 m² ist sie die größte ganz Kolumbiens; Bauwerke wie die gedrungene Pfarrkirche Nuestra Señora del Rosario und das Rathaus prägen das nostalgische Aussehen des Hauptplatzes.


Ein moderner Blickfang am Ortsrand ist die Casa Terracota: Ein Kunstwerk aus gebranntem Ton, nur dass es sich nicht um eine Schüssel, eine Vase oder eine Skulptur handelt, sondern um ein 500 Quadratmeter großes, extravagant geformtes Haus – Architekt Octavio Mendoza Morales wollte damit zeigen, wie ein Lebensraum nur aus den Elementen der Natur (Erde, Wasser, Luft und Feuer) hergestellt werden kann.

Und dazu kommt die beeindruckende Landschaft: Gleich hinter dem Ort steigen die grünen Berghänge der Cordillera Oriental steil an und betten Villa de Leyva in eine mächtige, beeindruckende Natur ein.

Die hat rund um den Ort viele Facetten: Am Dienstag lassen wir uns in eine weit zurückliegende Vergangenheit, die Kreidezeit, entführen. Damals lagen weite Teile der heutigen Anden unter dem Meeresspiegel – was in dieser Region besonders gut nachvollziehbar ist, denn hier wurden bereits zahlreiche Fossilien von Wasserpflanzen, Ammoniten, aber auch Sauriern gefunden. Wir besuchen zunächst das etwa sechs Kilometer außerhalb gelegene Centro de Investigaciones Paleontológicas, ein wissenschaftliches Institut, das – übrigens in Zusammenarbeit mit deutschen Kollegen aus Stuttgart – die gefundenen Relikte aus der Vorgeschichte analysiert, präpariert und in einem sehr anschaulich gestalteten Ausstellungsraum der Öffentlichkeit präsentiert.



Gleich nebenan befindet sich das Museo El Fósil: Auch hier gibt es zahlreiche Fossilien aus der Urzeit des Planeten zu bestaunen, im Mittelpunkt befindet sich jedoch das acht Meter lange Skelett eines Kronosaurus. Dieses riesige Meeresreptil lebte vor etwa 120 Millionen Jahren in flachen Gewässern und verfügte über ein sehr kräftiges Kiefer, mit dem es vermutlich andere Reptilien jagte.

Den Hinweg haben wir mit dem Taxi zurückgelegt, zurück können wir auf der wenig befahrenen Landstraße bei angenehmen Temperaturen laufen. Und wir kommen dabei gleich noch an einer als interessant beschriebenen Stelle vorbei – den Pozos Azules. Es handelt sich, wie wir nach dem Betreten des weitläufigen, in privater Hand befindlichen Areals, feststellen, dabei um mehrere künstlich angelegte Wasserbecken, die sich durch die Einwirkung von Schwefelsalzen gefärbt haben; manche schimmern eher grün, andere tatsächlich, wie es der Name nahelegt, bläulich. Große Naturwunder sehen anders aus; aber es ist ganz schön, in der friedlichen, baum- und grasbestandenen Hanglandschaft herumzuwandern und die Ruhe zu genießen.



Eine größere Wanderung haben wir am Donnerstag vor. Wir frühstücken gleich um acht Uhr und gehen danach zum Busbahnhof, um uns per Taxi zum etwa 15 Kilometer entfernten Santuario de Fauna y Flora Iguaque bringen zu lassen. Hier gibt es eine wunderschöne Berglagune auf 3.800 Metern, die ist unser Ziel. Doch als wir einem der Fahrer unseren Wunsch nennen, meint der: „Da seid ihr zu spät dran! Bis wir da ankommen, ist es auf jeden Fall nach neun Uhr, und dann lässt die Parkverwaltung niemanden mehr loslaufen – sonst kommt ihr zu spät zurück!“ Wir schauen etwas ungläubig, denn in unserem Reiseführer stand etwas von zweieinhalb bis drei Stunden, die man nach oben braucht. Der Einheimische schüttelt den Kopf: Mit vier Stunden müsste man auf jeden Fall rechnen, und dann geht es ja auch noch zurück, und um 17 Uhr schließt der Park…
Zum Glück hat der gute Mann namens Yohan eine Idee: Er würde uns ersatzweise zum Parque Ecológico La Periquera bringen. Dort, knapp 15 Kilometer nördlich von Villa de Leyva, könne man ebenfalls schön wandern und komme an einigen tollen Wasserfällen vorbei. Wir beraten uns kurz – und sagen dann zu, denn wenn es schon mit der großen Wanderung nicht klappt, dann ist das doch eine gut klingende Alternative! Yohan winkt uns zu seinem Fahrzeug – ein Privatauto, kein Taxi. Er arbeitet wohl als eine Art inoffizieller Fremdenführer; in seinem Auto zeigt er uns ein anscheinend selbstgefertigtes Ringheft mit den Sehenswürdigkeiten der Umgebung, erzählt uns viel über Geschichte und Natur, lobt unser Spanisch und erwähnt, dass er gerne besser Englisch und Französisch sprechen würde. Und über eine schlaglochübersäte, nur am Anfang asphaltierte Piste in La Periquera angekommen, bringt uns Yohan nicht nur ans Kassenhäuschen, sondern begleitet uns danach auch auf der Wanderung.


Was uns zu einigen unerwarteten Erlebnissen verhilft: Am Río Cebada angekommen, können wir dank unseres Privatguides aus nächster Nähe beobachten, wie die Wassermassen des Bergflusses in mehreren, einige hundert Meter voneinander entfernten Kaskaden in die Tiefe donnern. Yohan interessieren die Absperrzäune, die die Besucher eigentlich auf respektvollem Abstand halten sollen, nämlich nicht – er hebt die Stacheldrähte einfach an, schlüpft unten durch und lässt auch uns ganz nahe an den Abgrund herantreten.




Das ist sicher nicht im Sinne der Parkverwaltung, aber so gelingen uns natürlich die besten Fotos – noch dazu, weil Yohan, offenkundig ein genauer Kenner der örtlichen Verhältnisse, auch ein Schild ignoriert, das das Ende des Wanderwegs verkündet. „Gehen wir einfach weiter!“ sagt er, bringt uns bis an eine Stelle, an der wir direkt am Fluss stehen und erklärt uns, dass wir jetzt die Schuhe ausziehen und die Hosen hochkrempeln sollen: „Wir waten jetzt hinüber ans andere Ufer!“




Die Steine sind ganz schön glitschig, man muss bei jedem Schritt gut aufpassen, teilweise ist das Wasser mehr als knietief – doch das Unternehmen gelingt, wir kommen gut auf der anderen Seite an und haben nach wenigen Minuten tatsächlich die Chance, noch einen spektakulären Wasserfall zu erleben, der anderen Parkbesuchern normalerweise verborgen bleibt.


Eigentlich wollte Yohan über einen Weg, der noch etwa eine Stunde gedauert hätte, zum Auto zurückkehren. Doch leider fängt es an zu regnen, und da wäre diese Variante dann zu lange und auch zu gefährlich. Also entscheidet er um – wir gehen auf demselben Weg zurück, auf dem wir gekommen sind. Das heißt auch, noch einmal den Fluss zu durchfurten… Der einzige, der dabei richtig nass wird, ist am Ende Yohan selbst. Während wir nach der Überquerung unsere Schuhe wieder anziehen, will er uns zeigen, dass das auf einer größeren, schrägen Steinplatte am besten geht, ruft: „Mira!“ (Schau!) – und rutscht dabei aus und fällt in den Fluss. Aber er ist hart im Nehmen: „Das ist nur Wasser, das macht nichts!“ Schließlich endet der Wandertag schon mittags wieder in Villa de Leyva, wo es noch immer in Strömen regnet.
Einen Tag zuvor haben wir mehr Glück mit dem Wetter: Wir nehmen einen Kleinbus, der uns in etwa einer Stunde Fahrzeit in die 40 Kilometer entfernte Departementshauptstadt Tunja bringt. Dazu gilt es fast 700 Meter Höhenunterschied zu bewältigen, denn die 200.000 Einwohner zählende Stadt liegt auf über 2.800 Metern und ist damit die höchstgelegene Großstadt Kolumbiens. Wir wissen nicht viel über Tunja und sind deswegen umso positiver überrascht, als wir durch die Innenstadt bummeln.

Tunja macht einen ausgesprochen sauberen, gepflegten Eindruck, obwohl es sich hier nicht um einen besonderen touristischen Anziehungspunkt handelt, sondern eher um eine ganz normale kolumbianische Stadt. Auch sie verfügt über einen ausgesprochen großzügigen Hauptplatz, die Plaza de Bolívar, benannt nach dem wohl berühmtesten südamerikanischen Freiheitshelden, der überall in Kolumbien hoch verehrt wird.

Mit der Catedral Basìlica Metropolitana Santiago de Tunja, dem Rathaus und einem langgestreckten, mit Holzbalkonen geschmückten kolonialen Gebäude verfügt die Plaza über drei sehr sehenswerte Seiten – nur an der vierten stört ein rechteckiger Klotz im Stile des sozialistischen Realismus die architektonische Harmonie.


Dafür entdecken wir auch in den Seitengassen noch eine Reihe von wirklich schönen Gebäuden, angefangen bei der Universidad Santo Tómas über die altehrwürdige Iglesia San Francisco bis hin zu einem Einkaufszentrum namens Plaza Real. Das neoklassische Gebäude wurde 1919 zur hundertjährigen Wiederkehr einer wichtigen Schlacht im Kampf um die Unabhängigkeit als Markt errichtet und umfassend restauriert.



Unser Hauptinteresse gilt jedoch der Casa del Escribano Don Juan de Vargas. Das nach seinem einstigen Besitzer, einem Gelehrten des 16. Jahrhunderts, benannte Gebäude verfügt nicht nur über einen stilvollen Innenhof mit den typischen Arkaden, sondern als Besonderheit in ganz Lateinamerika im Inneren über zahlreiche kunstvolle Deckengemälde, deren Figuren ebenso aus der christlichen Glaubenswelt stammen wie aus der griechischen und römischen Mythologie und der Natur – Juan de Vargas war ein äußerst belesener Mann mit einer umfangreichen Privatbibliothek und beauftragte die einheimischen Künstler dementsprechend mit der Anfertigung dieser sehr bunten, spätmittelalterlich anmutenden Bilder, obwohl ihre Entstehungszeit erst um das Jahr 1590 liegt.



Ein netter, für uns durchaus erfreulicher Zufall: An der Kasse treffen wir den Manager des Tourismusverbandes von El Cocuy – einer Gemeinde im gleichnamigen Nationalpark, der in einer spektakulären Hochgebirgslandschaft im Norden der Provinz Boyacá liegt, in der wir uns gerade befinden. Die beste Gelegenheit, uns über dieses sehr interessante Ziel zu informieren und gleich ein paar Tipps zu bekommen. Und zudem als Geschenk eine CD mit örtlicher Folkloremusik – der Tourismusmanager erwähnt stolz, dass er eine ganze Reihe der darauf zu hörenden Lieder selbst komponiert hat.
Lieber Wolfgang,
zunächst herzlichen Glückwunsch und alles Gute zum Geburtstag. Ich verfolge nach wie vor mit großem Interesse Deine interessanten Berichte von einer wahrlich einzigartigen Reise. Genießt diese weiter bis zum guten Ende. Herzliche Grüße, auch an Jana Hans
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