Sogamoso.

Freitag ist unser Abreisetag in Villa de Leyva. Es eilt aber nicht sonderlich am Morgen, denn die nächste Etappe ist recht kurz: Mit einem Colectivo fahren wir in die Departementshauptstadt Tunja, die wir vor zwei Tagen schon besucht haben. Dort steigen wir in einen anderen Kleinbus um, der uns weiter nach Sogamoso bringt. Beide Fahrten dauern jeweils ungefähr eine Stunde. So erreichen wir um kurz vor zwei Uhr nachmittags bereits die Finca San Pedro, unser Domizil für die nächsten vier Tage. Sie liegt am äußersten Stadtrand, ist von einem weitläufigen Garten umgeben und eine sehr beliebte Adresse für Backpacker und Yoga-Anhänger – hier kann man nämlich auch Yoga-Kurse besuchen, die einen sehr guten Ruf genießen.

Mitten im Grünen – unsere Unterkunft, die Finca San Pedro

Besitzer Juan empfängt uns herzlich und bietet uns an, mit ihm, der estnischen Yoga-Lehrerin Karolina und einem kolumbianischen Gast in die Stadt zum Essen zu fahren – ein Angebot, das wir nicht ausschlagen. Sogar zu einem Kaffee werden wir anschließend von ihm noch eingeladen. So lernen wir Sogamoso, eine etwa 110.000 Einwohner zählende Stadt auf 2.570 Metern Höhe, gleich ein wenig kennen. Ganz ehrlich, besonders viel Sehenswertes hat der Ort nicht zu bieten. Sogamoso ist eine Arbeiterstadt, in der Umgebung wird Zement produziert und Kohle abgebaut. Doch auch hier ist zumindest die Gegend rund um die Plaza de la Villa recht ansprechend gestaltet, und auffälligstes Gebäude – wen wundert’s? – ist die Catedral de San Martín de Tours, die anstelle eines bei einem Erdbeben zerstörten Vorgängerbaus 1928 neu errichtet wurde.

Sogamosos Plaza de la Villa mit der Catedral de San Martín de Tours

Eine sehr umstrittene Sehenswürdigkeit zeigt uns Karolina, als wir später mit ihr noch einmal in die Stadt fahren. Auf dem Platz vor dem Bürgermeisteramt steht eine Skulptur, die viele Menschen hier nicht gut heißen, weil die leicht bekleidete, mit Schmetterlingsflügeln versehene junge Dame sie an eine Prostituierte erinnert. Auf jeden Fall ein Kuriosum!

Sogamosos umtrittene Schmetterlingsfrau

Ziel unseres abendlichen Ausflugs ist allerdings das Stadttheater – dort findet nämlich gerade das Festival de Cine Independiente de Sogamoso statt. Der Eintritt ist frei; und in den gut zwei Stunden bekommen wir eine Reihe von kolumbianischen Kurzfilmen, meist mit englischen Untertiteln geboten, deren Themenspektrum sich von den Alltagssorgen einer alleinerziehenden Mutter in der Provinz über den Versuch von Großstadtjugendlichen, aus ihrer Alltagslangeweile auszubrechen bis hin zum Porträt einer früh verstorbenen Schriftstellerin spannt.

Im Stadttheater finden gerade die Kurzfilmtage statt

Zuvor läuft noch ein Workshop, der sich offenkundig um organisatorische Fragen des Filmemachens dreht – geleitet wird die offene Diskussion von einem jungen Mann aus Bogotá, der ein führender Kopf der dort alljährlich stattfindenden Kurzfilmtage Bogoshorts ist. Wir sind nicht wenig überrascht, ihn am nächsten Morgen in unserer Finca am Frühstückstisch wiederzutreffen…

Dass es absolut kein Fehler war, hierher zu kommen, zeigt sich spätestens, als wir am Samstag beginnen, die Umgebung Sogamosos zu erkunden. Nachdem es am Morgen noch stark geregnet hat, bessert sich das Wetter zum Glück, sodass einer Rundfahrt um den nicht weit enfernten Lago de Tota nichts im Wege steht. Der auf 3.015 Metern liegende See ist der größte Kolumbiens und – natürlich nach dem Titicaca-See – das zweithöchste schiffbare Gewässer Südamerikas. Die Fahrt beginnt direkt vor der Haustür: An der Straße halten wir einen Kleinbus an und lassen uns damit in den ersten Ort bringen, der am See liegt. Unterwegs fallen uns ausgedehnte Zwiebelfelder auf – die Gegend hier versorgt, wie wir später erfahren, das ganze Land mit dem aromatischen Gemüse. Der Duft steigt uns die ganze Busfahrt über in die Nase.

Die Region um den Lago de Tota ist ein Zentrum des Zwiebelanbaus

In Aquitania müssen wir aussteigen; leider liegt das Dorf doch etwas zu weit vom Seeufer entfernt, um dorthin laufen zu können. Also fragen wir uns zum nächsten Bus durch – ausgestiegen sind wir am zentralen Parque Principal Juan de San Martín, an der sich die mit einer auffällig großen Jesusstatue geschmückte Iglesia de Nuestro Señor de los Milagros erhebt, weiter geht es in der Nähe des Marktplatzes. Und wen sehen wir, als wir einsteigen? Zwei Mädels aus unserer Finca – eine Schweizerin und eine Deutsch-Amerikanerin. Den Rest des Tages werden wir gemeinsam unterwegs sein…

An Aquitanias Parque Principal Juan de San Martín

Nächster Halt ist die Playa Blanca: An einer Bucht des Lago de Tota gibt es doch tatsächlich einen weißen Sandstrand – zum Baden ist er zwar nicht unbedingt geeignet, da die Temperaturen des Hochlandsees nicht über frostige 10° Celsius hinauskommen, dennoch ist er bei den Einheimischen ein beliebtes Ausflugsziel; es gibt Restaurants, Imbissstände und sogar einen Campingplatz. Auch wir lassen uns hier ein gutes und reichliches Mittagessen schmecken, laufen anschließend wieder hinauf zur Straße und warten auf den nächsten Bus.

Sandstrand…
…im Hochland
Schöne Aussicht über den See

Der kommt bald, und weiter geht die Fahrt auf nur noch teilweise asphaltierten Straßen. Kleine Dörfer werden passiert, indigene Landbevölkerung in ihren typischen groben graubraunen Ponchos steigt ein und aus, und irgendwann sind wir in dem richtig netten Ort Iza angekommen. Rund um den Parque Central gibt es eine Reihe von kleinen Konditoreien – das Dorf hat sich für seine süßen Leckereien einen exzellenten Ruf erworben. Leider haben wir noch gar keinen Hunger…

Samstagnachmittag auf dem Dorfplatz von Iza…

Dafür steht uns der Sinn bei den kühlen Temperaturen eher nach einem Thermalbad – rund um Iza gibt es nämlich einige heiße Quellen. In der kleinen Touristeninformation ist man sehr hilfsbereit und empfiehlt uns die einige Kilometer außerhalb gelegenen Termales El Batán, die Teil einer Hotelanlage sind. Nur – wie können wir dorthin kommen? Die angeblich den Ort bedienenden Moto-Taxis sind nicht auffindbar, Busse fahren nicht an diese abgelegene Stelle. Der Mann von der Tourist-Info findet aber eine Lösung: Er ruft nacheinander verschiedene Leute an, bis schließlich eine junge Frau kommt und uns zum üblichen Taxi-Tarif über holprige Feldwege an den gewünschten Ort bringt.

Es ist schon nach fünf Uhr, als wir dort ankommen – um sieben macht das Bad zu. Müssen wir da noch den vollen Preis zahlen? Woanders vielleicht schon, aber kolumbianische Gastfreundschaft ermöglicht es, dass wir für nicht einmal die Hälfte reindürfen. Und als Ausländer lässt man uns sogar in den Pool, der normalerweise nur den Hotelgästen vorbehalten ist. Herrlich, in dem wunderbar warmen Wasser zu relaxen! Zurück nach Sogamoso lassen wir uns dann mit einem Taxi bringen – zu viert kostet die knapp halbstündige Fahrt wirklich nicht die Welt…

Entspannung in den Termales El Batán

Der Abend ist kurz, denn am nächsten Morgen stehen wir ziemlich zeitig auf. Um sieben Uhr stehen zwei Taxis bereit: Zusammen mit fünf anderen Hostelgästen brechen wir auf zu einer Wanderung, die uns in die einzigartige, von Gletschern geschaffene tropische Hochmoorlandschaft namens Páramo führen soll. Diese existiert nur in wenigen Ländern der Welt auf einer Höhe zwischen 3.000 und 5.000 Metern, ein Großteil davon liegt in Kolumbien. Mit uns dabei sind auch der Mitorganisator des Filmfestivals und drei junge deutsche Mädels, die in Bogotá für begrenzte Zeit beim Deutschen Akademischen Austauschdienst bzw. beim Goethe-Institut arbeiten und zu einem Wochenendausflug hierhergekommen sind. Das bietet sich an, weil am Montag auch noch ein Feiertag ist – der Vatertag fällt zwar eigentlich auf Sonntag, aber in so einem Fall wird der Montag noch mit frei gemacht. Und die nächsten beiden Montage werden ebenfalls arbeitsfrei sein – Kolumbien rühmt sich, das Land mit den meisten Feiertagen der Welt zu sein!

In dem wunderschönen Dorf Monguí steigen wir aus und warten auf unseren Guide – Zeit genug, um sich rund um den Parque Central ein wenig umzusehen, die hübschen alten Kolonialhäuser zu bewundern und dem Gesang zu lauschen, der aus der Basìlica Nuestra Señora de Monguí ertönt, in der gerade die Frühmesse gefeiert wird.

Morgendliche Ruhe…
…im Ortszentrum von Monguí

Einige Fassaden sind mit einer ganzen Reihe von Fußbällen geschmückt – schon seit über 80 Jahren hat die handwerkliche Ballherstellung hier Fuß gefasst; Bälle aus Monguí sind nicht nur in Kolumbien ein bekanntes und geschätztes Qualitätsprodukt. Allerdings macht die Globalisierung auch vor diesem idyllischen kleinen Bergdorf nicht Halt: Die Einheimischen klagen darüber, dass ihnen die billige Konkurrenz aus China mehr und mehr das Geschäft verdirbt.

Handgefertigte Fußbälle sind Monguís bekanntestes Produkt

Dann kommt der kleine, drahtige Bergführer Moises, stellt sich und seine Frau Maria vor und erklärt uns erst einmal, dass unsere Gruppe noch größer wird – fünf Wanderer, die hier in Monguí übernachtet haben, stoßen noch dazu. Und weil sie den Wunsch geäußert haben, bis an einen bestimmten Bergsee zu laufen, der normalerweise nicht auf unserer Route gelegen wäre, wird kurzerhand ein Pick-Up organisiert, mit dem wir die ersten fünf Kilometer über eine Rumpelpiste bergauf fahren – gut die Hälfte der Gruppe sitzt hinten auf der Ladefläche. Daheim unvorstellbar…

Zwölf Wanderer, ein Tourguide und ein Fahrer haben hier Platz…

Vorteil dieses Transports: Wir haben damit 500 Höhenmeter schon mal hinter uns und starten auf 3.500 Metern zur Wanderung durch den Páramo de Ocetá, der als schönster seiner Art bezeichnet wird. Die soll etwa acht Stunden dauern, hat man uns vorher gesagt. Die Sonne scheint, Bäche, grüne Bergwiesen und die darauf weidenden Kühe machen das Bergidyll perfekt, und so stört es uns auch nicht weiter, dass wir auf dem Weg weiter bergan immer mal wieder ziemlich schlammiges Geläuf zu durchqueren haben. „Immer von einem Stein zum anderen laufen!“ lautet der Ratschlag unserer Guides, den wir so gut wie möglich befolgen.

Die Wanderung beginnt…
…und gleich wird’s schlammig
Eine glückliche Kuh!
Tattoo nach Art der Muisca…
…Pflanze draufdrücken, Erde darüberreiben, fertig!

Immer spektakulärer wird die Pflanzenwelt. Moose, Gräser und Bergkräuter gibt es hier selbstverständlich zur Genüge; doch immer mehr dominieren die auf Spanisch Frailejones, auf Deutsch Schopfrosetten genannten Gewächse, deren wissenschaftlicher Fachbegriff Espeletia lautet, das Landschaftsbild. Vier verschiedene Arten dieser endemischen Pflanzengattung wachsen hier: Sie sind gekennzeichnet durch einen äußerst langsamen Wuchs (etwa 1 cm pro Jahr) und weiche, dicht behaarte Blätter, die sich Reihe um Reihe neu bilden. Wirkt die Pflanze im jungen Stadium eher staudenartig, so bilden die alten, abgestorbenen Blätter mit den Jahren eine Art Stamm, der den Pflanzen eine baumähnliche Gestalt verleiht. Interessant sind auch ihre Blüten – bei einer Art sehen sie fast aus wie ein Schafsgesicht!

Wir dringen ins Reich der Frailejones vor…
…eigentümliche Geschöpfe…
…mit großen Blüten…
…die sogar einem Schaf gleichen können!

Nach und nach kommen wir immer höher hinauf, wandern an verschiedenen kleinen Tümpeln vorbei und bewundern bizarre Felsflanken. Der Wasserreichtum dieser Region liegt natürlich an den reichlichen Niederschlägen, die hier fallen – doch verschiedene Pflanzen besitzen zudem die Eigenschaft, extrem viel Wasser speichern zu können. Und in der regenärmeren Zeit von Dezember bis Februar geben sie die Feuchtigkeit dann langsam an die Umgebung ab. Ein sehr komplexes Ökosystem, das vor menschlichen Eingriffen unbedingt geschützt werden muss, um nicht zerstört zu werden!

Im Páramo wird sehr viel Wasser gespeichert…
…das Lebensraum für viele Tiere ist
Diese Moosart ist hart wie ein Stein – optimal für einen sicheren Tritt
Hübsche kleine Blüten…
Junge Schopfrosette…
…und alte (sechsmal so alt wie Jana)
Impressionen vom wunderschönen Páramo de Ocetá

Schließlich haben wir nach vier Stunden die Laguna Negra, einen kleinen Bergsee auf 3.800 Metern erreicht und machen dort eine wohlverdiente Mittagspause. Herunter werden wir ja schneller kommen, denken wir – doch kaum sind wir wieder losgelaufen, schon beginnt es zu regnen, und zwar ziemlich heftig.

Die Laguna Negra ist in Sichtweite

Im Páramo nichts Ungewöhnliches; aber dadurch werden die ohnehin schon matschigen Pfade noch sumpfiger, und je länger wir unterwegs sind, umso mehr verwandelt sich die Wanderung in eine wahre Schlammschlacht. Ein französisches Mädchen aus unserem Hostel ist mit Chucks unterwegs – die waren mal weiß, sind aber bald vollkommen schwarz. Denn bei dem Untergrund geht es gar nicht anders, als immer wieder knöcheltief im Morast zu versinken oder an einem steilen Abhang auszurutschen.

Rückweg im Regen…
…über rutschige Abhänge…
…durch eine mysteriöse Landschaft
Die Wächter des Páramo

Das dauert natürlich alles seine Zeit; zwischendurch hört es mal wieder zu regnen auf, wir haben tolle Aussichten auf das umgebende Bergland, danach kommt die nächste Regenfront.

Hoch über dem Abgrund auf 4.000 Metern…
Gruppenbild mit den deutschen Mädels Elena und Julia

Dennoch wollen uns unsere Bergführer unbedingt noch eine besonders spektakuläre Schlucht zeigen – die sogenannte Ciudad de Piedra. Dazu müssen wir bei Regen über abenteuerlich anmutende Felsen in ein äußerst enges, 16 Meter tiefes, hufeisenförmiges Felslabyrinth absteigen. Jeder Schritt, jede Kletteraktion muss genau abgewogen werden, damit man nicht ausrutscht. Dafür bekommen wir hier einen kleinen Einblick in die versunkene Kultur der indigenen Muiscas, die hier vor 500 Jahren in kleinen Felshöhlen ihre weiblichen Verstorbenen bestatteten, die sich langsam in Mumien verwandelten.

Wir steigen hinab in die Ciudad de Piedra
Tief unten im Felslabyrinth!

Mumien bekommen wir hier nicht zu sehen; wir sind froh, als wir aus der finsteren Schlucht wieder ans Tageslicht kommen – doch der Rückweg zieht sich noch gewaltig. Die Beine werden immer schwerer, Schuhe und Hosen sind eh schon hoffnungslos verdreckt und durchnässt; jeder Schritt fällt schwer, und längst ist klar, dass wir bis zum Einbruch der Dunkelheit nicht, wie die Guides das vorher geplant hatten, unten in Monguí sein werden. Deswegen muss nochmal der Pick-Up-Fahrer angerufen werden, der uns am Abholpunkt wieder aufgabelt und zurückbringt.

Nach dieser Anstrengung brauchen wir den Montag zum Erholen. Deswegen lassen wir es sehr ruhig angehen und fahren erst am frühen Nachmittag in das nahegelegene Dorf Nobsa. Wir steigen an der örtlichen Plaza aus und lassen uns zunächst in einem Café Empanadas und Arepas schmecken. Hauptgrund für die Ausflügler, nach Nobsa zu kommen, sind jedoch die qualitativ hochwertigen Textilien, die vor allem aus Schafswolle, aber auch aus Jute, hier in Handarbeit hergestellt und zum Verkauf angeboten werden. Eigentlich klar, dass da auch für uns was Interessantes dabei ist…

Nobsas Iglesia de San Jerónimo
…und das reiche Angebot an hier hergestellten Textilien