Chinchiná.
Es ist nur eine dreiviertelstündige Fahrt mit dem Kleinbus, und doch wir sind ungefähr 800 Meter tiefer, als wir die Strecke von Manizales nach Chinchiná hinter uns gebracht haben. Die gut 50.000 Einwohner zählende Stadt ist rundherum von intensiv grün leuchtenden Bergen umgeben, die ihren Farbton vor allem einem Gewächs verdanken – der Kaffeestaude. Wir sind im Eje Cafetero, der Kaffeachse Kolumbiens, angekommen und haben für zwei Tage eine Unterkunft in der wenige Kilometer außerhalb der Stadt mitten in den Hügeln gelegenen Hacienda Guayabal reserviert.

Eine perfekte Entscheidung, wie wir gleich feststellen: Die Lage der Kaffeefarm ist traumhaft, das Klima äußerst angenehm, ihre Ausstattung prima (sogar einen Pool gibt es für die Gäste) und die Gastgeber einfach umwerfend freundlich.

Es gefällt uns so gut hier, dass wir spontan nachfragen, ob wir eine Nacht verlängern können – was uns sogar noch ein Upgrade beschert: Das Zimmer, das wir gebucht haben, ist anschließend bereits für die nächsten Gäste reserviert – aber es gibt ja noch eine Cabaña, und die wäre drei Tage frei. Wir machen große Augen, als man sie uns zeigt: riesengroß, zum Teil aus Bambus gebaut, eine gigantische Fensterfront mit vorgelagertem Balkon und Panoramablick aufs weite Land und dazu ein geräumiges Bad mit einem Duschbereich unter freiem Himmel. Und das alles ohne Aufpreis – normalerweise ist so eine Hütte natürlich wesentlich teurer als ein Zimmer!




Da die Hacienda auch über ein Restaurant verfügt, müssen wir das Gelände in den nächsten drei Tagen überhaupt nicht verlassen und können wirklich entspannen. Wir freunden uns mit einer kolumbianischen Arztfamilie aus Medellín an, die hier zusammen mit drei Kindern, Eltern, Schwester, Schwager und Hund ein paar ruhige Tage auf dem Land verbringt, und lernen ein etwa gleichaltriges deutsches Ehepaar aus Göttingen kennen, die – ihrer Reiselust entsprechend – eine ganz ähnliche Weltsicht haben wie wir.
Was wäre aber ein Aufenthalt auf einer Kaffeefarm, ohne sich einmal genau zu informieren, was alles passiert, bis das beliebte Heißgetränk bei uns daheim trinkfertig in die Tasse gegossen werden kann? Eine Kaffeetour bietet die perfekte Gelegenheit dazu, und wir haben das Glück, dass an diesem Mittwoch außer uns nur noch zwei junge Däninnen an der fast vierstündigen Veranstaltung teilnehmen – meist ist die Gruppe wesentlich größer, denn neben den Übernachtungsgästen gibt es auch viele Tagesausflügler, die die Hazienda Guayabal speziell wegen dieser Touren besuchen.

Unser Guide ist ein junger Mann namens Jorge, und er macht seine Sache wirklich hervorragend. Sehr anschaulich und gut verständlich führt er uns in die Geheimnisse des Kaffees ein – und die beginnen damit, wie die Kaffeestaude überhaupt ihren Weg nach Kolumbien gefunden hat. Ursprünglich aus Äthiopien und dem Jemen stammend, kam sie über die Karibik und Venezuela Anfang des 19. Jahrhunderts ins Land und gedieh hier dank des idealen Klimas vor allem im zentralen, immergrünen Andenhochland zwischen Medellín und Cali hervorragend – heute gehört Kolumbien zu den wichtigsten Kaffeeproduzenten der Welt, nur Brasilien, Vietnam und neuerdings Indonesien weisen noch größere Mengen auf.

Angebaut wird in Kolumbien fast ausschließlich die Sorte Arabica: Sie wächst in größeren Höhen und zeichnet sich gegenüber der anderen, häufiger kultivierten Sorte Robusta durch milderen Geschmack und geringeren Koffeingehalt aus. Haupterntezeiten sind im April/Mai und vor allem im Oktober/November, doch da das ganze Jahr über Kaffeekirschen reif werden, sind ständig einige Pflücker im Einsatz, um die roten und auch einige gelbe Früchte zu ernten.

An den steilen Hängen der kolumbianischen Anbaugebiete wird diese Arbeit auch heute noch ausschließlich in Handarbeit erledigt – eine sehr aufwändige, aber die Pflanzen schonende Methode, die außerdem das beim Maschineneinsatz (beim weltweit größten Kaffeeerzeuger, dem Nachbarn Brasilien, angeblich ganz normal) zwangsläufige Miternten von unreifen oder stark von Schädlingen befallenen Kaffeekirschen vermeidet.

Einen gewissen Anteil von Früchten, die durch Schädlinge angeknabbert wurden, gibt es trotzdem – doch bei der Nassaufbereitung, der die Kaffeekirschen gleich nach der Ernte unterzogen werden, können diese abgesondert werden. Maschinell werden die Früchte aufgequetscht und dabei die zwei Kaffebohnen, die jede Kirsche enthält, ausgelöst; diese verbleiben dann etwa einen Tag in einem Gärbottich, wo durch die Fermentation der Koffeingehalt verringert wird. Die tadellosen Bohnen der besten Qualität sinken zu Boden, während die von Schädlingen durchlöcherten an der Oberfläche schwimmen – sie werden jedoch nicht weggeworfen, sondern für die Herstellung von löslichem Kaffee verwendet. Wir trinken ab sofort keinen Instant-Kaffee mehr!


Anschließend müssen die Bohnen getrocknet werden – in der regenreichen Kaffeezone von Kolumbien kann dies nicht unter freiem Himmel erfolgen, sondern geschieht mittels eines Ofens.

Dennoch verbleibt ein Restgehalt an Feuchtigkeit in der Bohne, der zwischen acht und zwölf Prozent beträgt. Diese lässt sich an der Färbung der Kaffeebohne erkennen – je heller, desto geringer ist der Wasseranteil. Früher wurde die Sortierung durch flinke Hände am Fließband vorgenommen; heute erledigt diese Arbeit eine Maschine, die pro Sekunde 500 Bohnen abscannt und selektiert – aus deutscher Produktion, wie Jorge uns gegenüber anerkennend erwähnt. Die Auslese geschieht bereits nicht mehr auf den Kaffeefarmen selbst, sondern in den großen Firmen, wo die Bohne auch von dem dünnen Pergamenthäutchen, das sie bis dahin noch umgibt, geschält wird.

Die Unterscheidung nach Feuchtigkeit ist wichtig, weil die Bohnen grundsätzlich ungeröstet in den Export gehen – und je länger der Transport dauert, umso größer ist bei Bohnen mit höherer Feuchtigkeit das Risiko, dass sie zu schimmeln beginnen. Deswegen werden die trockensten Bohnen nach Europa und Asien verschifft, die mit einem etwas höheren Wasseranteil nur nach Nordamerika.
Dabei wurden die Bohnen zuvor noch einer weiteren Selektion unterzogen: Nur die größten Exemplare mit einem Durchmesser von 16 bis 18 Millimetern gehen in den Export, die kleineren verbleiben im Land – was wirtschaftlich sinnvoll ist, denn das höherpreisige Segment mit den Bezeichnungen Premium/Supremo/Extra lässt sich auf dem weniger kaufkräftigen Inlandsmarkt schlechter vermarkten als in den westlichen Industriestaaten, die zudem weltweit auch den höchsten Kaffeekonsum aufweisen.

Geröstet wird der Kaffee grundsätzlich erst in den Abnehmerländern – das hat seinen Grund in den sehr unterschiedlichen Trinkkulturen, die beispielsweise in Deutschland, Italien, Frankreich oder Spanien herrschen. So gibt es, wie uns Jorge erklärt, auch ganz verschiedene Röstverfahren. Bei der hellen bis mittleren Röstung – traditionell in Deutschland, aber auch den USA üblich – verfärbt sich die Kaffeebohne hellbraun, bei der starken Röstung dunkelbraun bis fast schwarz. Ein ganz spezielles Verfahren ist die Torrefacción, bei der die Bohnen unter Zugabe von Zucker geröstet werden – dadurch wird zum einen Säure und Bitterkeit gemildert, außerdem entsteht bei der Zubereitung die beliebte Crema.

In Kolumbien liebt man den Kaffee mild und mit geringem Koffeingehalt – so kann man davon auch viele Tassen täglich trinken, ohne dass negative Auswirkungen auf den Kreislauf zu befürchten wären. Wie unterschiedlich Kaffee dennoch schmecken kann, bekommen wir bei einer kleinen Probe demonstriert: Je nach Temperatur des Wassers und dem Zeitraum, in dem das heiße Wasser durch die Espressomaschine gepresst wird, ergeben sich sehr unterschiedlich intensive Geschmacksvarianten von sehr sauer bis mild.

Nach der Theoriestunde geht es für uns ins Freie – und beim Rundgang über die Kaffeeplantagen sehen wir zunächst kleine Setzlinge in Blumenkübeln, danach Jungpflanzen noch ohne Früchte und schließlich ältere Stauden – jede einzelne wird in einem Abstand von eineinhalb Metern zur nächsten gepflanzt -, die eine große Zahl von Kaffeekirschen an ihren Zweigen tragen.


Insgesamt 21 Jahre beträgt die Lebensdauer der Kaffeestauden – nach sieben Jahren werden sie zum ersten Mal bis auf etwa 20 Zentimeter zurückgeschnitten, nach 14 Jahren noch einmal. Sie verzweigen sich vom Stamm jeweils, sodass jüngere und ältere Pflanzen leicht unterscheidbar sind. Nach drei Wachstumszyklen hat sich die Kraft der Kaffeestaude soweit erschöpft, dass ihre weitere Kultivierung wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll ist.

Mit Strohhüten und kleinen Körben ausgestattet, dürfen wir in die Kaffeeberge gehen und selbst für kurze Zeit zu Pflückern werden. 58 reife rote Kirschen, so lautet der Auftrag, sollen wir mindestens ernten – so viele sind nämlich für eine Tasse Kaffee notwendig. Was für uns eine schöne Abwechslung in landschaftlich wunderbarer Umgebung ist, ist für die professionellen Pflücker harte körperliche Arbeit: Gerade mal 500 Pesos, das entspricht nicht viel mehr als 15 Cent, bekommen sie für ein Kilogramm. Da muss an einem langen, meist elfstündigen Arbeitstag viel zusammenkommen…


Zurück an der Hacienda, sehen wir den Kaffee – immer noch das beliebteste Getränk der Deutschen – mit etwas anderen Augen und vor allem mit ganz viel neu erworbenem Wissen. Und genießen bis Freitagvormittag auch die vielfältige Pflanzenwelt und die zahlreichen Vogelarten, die sich auf dem weitläufigen Gelände beobachten lassen. Wenn man von einer paradiesischen Landschaft spricht, dann kommt Kolumbiens Kaffeezone diesem Idealbild ziemlich nahe – und wurde von der UNESCO sicher auch unter diesem Aspekt in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen!





Hallo Ihr Beiden,
wir lesen jeden Eurer Blogs , einfach fantastisch was Ihr so alles zu sehen bekommt. Und wie schon gesagt , die Blogs sind der beste Reiseführer. Wie schafft Ihr es , immer die perfekte Unterkunft zu finden? Die hier in Chinchiná ist wieder einmal hervorragend.
Viele Grüße aus Mexico von Rebeca und Dieter
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Hallo ihr Lieben,
echt toll, dass ihr unsere Reise immer noch so interessiert verfolgt! Wir hoffen, es geht euch gut und wir können uns mal in Deutschland – oder irgendwo anders auf der Welt – wiedersehen.
Ja, mit dieser Unterkunft hatten wir wirklich Glück, und generell lesen wir immer die Bewertungen sehr genau, bevor wir etwas buchen!
Liebe Grüße aus Popayán (Kolumbien)
Jana u. Wolfgang
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