Salento.

Es fällt uns schwer, am Freitagvormittag die Hacienda Guayabal zu verlassen – doch unsere Tour geht weiter, sie führt uns von Chinchiná zunächst mit einem komfortablen Kleinbus in etwa einer Dreiviertelstunde in die gut 400.000 Einwohner zählende Stadt Pereira; dort können wir am Terminal Karten für die Weiterfahrt nach Salento kaufen. Wir haben über eine Stunde Wartezeit zu überbrücken – und sind scheinbar inzwischen schon zu gelassen im Umgang mit der Zeit geworden, denn als wir den Ausgang finden, von dem aus es weitergehen soll, erfahren wir, dass der Bus gerade eben abgefahren ist. Ärgerlich… aber 80 Minuten später ist die nächste Abfahrt, und weil die Fahrtzeit nicht viel mehr als eine Stunde beträgt, ist dieses kleine Missgeschick kein echtes Problem. Kurz nach vier Uhr nachmittags haben wir Salento erreicht und laufen mit Sack und Pack quer durch den Ort zum Coffee Tree Hostel, in dem wir die nächsten drei Nächte bleiben werden.

Das Coffee Tree Hostel, ein schöner Bau am Rande von Salento

Es befindet sich am Rande des kleinen Städtchens, von viel Grün umgeben, in recht ruhiger Lage; andererseits sind es kaum mehr als fünf Minuten zu Fuß, um auf die zentrale Plaza de Bolívar zu gelangen. Und hier herrscht mächtig Trubel – zahlreiche Imbissstände sind rings um den Platz aufgebaut, die Restaurants haben Tische und Stühle auf die Straße gestellt, und eine Menge Touristen sind unterwegs, beileibe nicht nur einheimische Wochenendausflügler, sondern sehr viele US-Amerikaner und Europäer. So geballt haben wir das zuvor in Kolumbien noch nicht erlebt!

An der Plaza de Bolívar mit der Iglesia Nuestra Señora del Carmen

Salento ist tatsächlich ein hübscher Ort: Die 1842 gegründete, heute gut 7.000 Einwohner zählende Kleinstadt erhält ihr besonderes Flair durch die wunderschönen historischen Fassaden im Ortskern – weiße Wände, die durch bunte Sockel, Fensterrahmen und Fensterläden ein sehr fröhliches, farbenprächtiges Aussehen bekommen. Der typische Stil der Kaffeezone!

Die bunten Häuser von Salento…

Besonders schön gestaltet sind die Häuser, die an der auch Calle Real genannten Carrera 6 liegen – sie beherbergen eine Vielzahl von Kunsthandwerksläden, Souvenirshops, Cafes und Restaurants, und die Menschen drängen sich geradezu durch diese bildhübsche kleine Straße.

…sind am schönsten…
…in der Calle Real
Am frühen Morgen ist es noch ruhig…

Sie führt geradewegs zu einer Anhöhe, die über 270 Treppen erklommen werden kann – ursprünglich einfach ein Kalvarienberg, wie es ihn im Katholizismus unzählige Male gibt, heute aber ein beliebter Aussichtspunkt, von dem aus man weit über Salento hinweg ins Land blicken kann und auf der anderen Seite auch hinunter ins Valle de Cocora, ein idyllisches Tal, das neben den Kaffeefarmen der Umgebung zu den Hauptausflugszielen der Region gehört.

Zahlreiche Treppenstufen führen hinauf…
…zum Aussichtspunkt über Salento…
…und ins Valle de Cocora

Über das Thema Kaffee haben wir uns in den letzten drei Tagen ja bereits genauestens informiert. Deshalb entscheiden wir uns für einen Ausflug in dieses unweit von Salento gelegene Tal. Dazu müssen wir am Sonntagmorgen nur zur Plaza laufen und zu einem der zahlreichen hier wartenden Jeeps gehen – sie bringen die Gäste für wenig mehr als einen Euro in das zwölf Kilometer entfernte, nur aus wenigen Häusern bestehende Dorf Cocora, das dem Tal seinen Namen gab. Weil die Fahrt so billig ist, werden die Willys genannten Jeeps mit Fahrgästen vollgestopft bis zum Gehtnichtmehr – sogar auf einem Standblech an der Hinterseite des Gefährts ist Platz für drei bis vier Mitfahrer, die sich an einem Dachträger gut festhalten müssen. Auf der Rückfahrt kommen wir in den Genuss dieser Freiluft-Stehplätze…

Die Willys warten auf Fahrgäste…
…und fahren dann randvoll beladen durch die Gegend

Die Willys sind in der Gegend rund um Salento übrigens mehr als nur irgendein Transportmittel – sie gehören zum Lebensgefühl der ganzen Region, seit die ersten ausgemusterten amerikanischen Militärjeeps etwa um 1950 das Land erreichten. Sie wurden aufgrund ihrer robusten Bauweise und ihrer Vielseitigkeit schnell zum Verkaufsschlager und transportieren noch heute nicht nur Personen, sondern Agrarprodukte aller Art, ob Kaffee, Orangen, Kochbananen, aber auch Schweine. Umzüge von mit Agrarprodukten, Möbeln und Hausrat beladenen Willys, die auf Hinterrädern durch die Stadt kurven, gehören zu den Höhepunkten im Jahreskalender vieler Orte.

Jeweils beladen mit einem Yipao (kolumbianisches Maß für Agrarprodukte)…
…entspricht 20 bis 25 Sack Orangen – oder eben einer Ladung Hausrat

In Cocora angekommen, werden uns gleich Pferde angeboten, um den Rundwanderweg zu bewältigen, den man hier, im Süden des Parque Nacional Natural Los Nevados, begehen kann. Doch die Dienste der Huftiere benötigen wir nicht – es sind zwar etwa 600 Meter Höhenunterschied zu bewältigen, aber der Weg führt ziemlich sanft und gleichmäßig bergan, und der höchste Punkt liegt auf etwa 2.900 Metern. Da waren wir bei anderen Wanderungen schon deutlich höher unterwegs…

Idyllische sattgrüne Landschaft im Valle de Cocora

Eine der Besonderheiten, denen man auf diesem landschaftlich wunderschönen Weg begegnet, sind die eindrucksvollen Wachspalmen, die nur in diesen Höhenlagen gedeihen. Die von Kolumbien zum Nationalbaum ernannte endemische Palmenart wird bis zu 60 Meter groß – sie ist damit die größte der Welt. In großen Abständen auf den Weiden stehend oder aus dem Bergwald emporragend, ist sie eine eigentümliche, das Bild der Landschaft in einzigartiger Weise formende Erscheinung.

Der Wanderweg wird von Wachspalmen gesäumt

Klare Gebirgsbäche, dichte, dschungelartige Vegetation und die Möglichkeit zur Kolibribeobachtung in der kleinen privaten Reserva Natural Acaime machen den Rundwanderweg zu einer sehr abwechslungsreichen Angelegenheit – für Biologen muss ganz Kolumbien ein wahres Paradies sein, denn das Land verfügt weltweit über die zweitgrößte Biodiversität und wird darin nur von dem allerdings ungleich größeren Brasilien übertroffen.

Wir laufen auf den Spuren der Pferde durch den Bach…
…und über wacklige Brücken…
…zur Reserva Natural Acaime
Hier lassen sich bestens Kolibris beobachten

Auch wunderschöne Schmetterlinge sind anzutreffen

Langweilig wird uns auf der – mit Pausen – gut sechsstündigen Wanderung ohnehin nicht: Unterwegs treffen wir auf eine dänische Arztfamilie (die etwa 60 Jahre alten Eltern mit ihrer 24-jährigen Tochter), mit der wir gemeinsam weiterlaufen. Sehr sympathische, unkomplizierte Leute, die schon auf der ganzen Welt unterwegs waren – im Rahmen eines Malaria-Programms haben sie einige Zeit in Guinea-Bissau und Bangladesch gelebt, viele Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika bereist und ihre Neugier auf die Welt dabei nie verloren. Wieder einmal neue Reisebekannte, und wieder einmal ist es schade, dass es nur eine eintägige, flüchtige Begegnung bleibt!

Wir lernen eine sehr sympathische dänische Familie kennen

Dazu gesellt sich nach einiger Zeit noch ein junger Kolumbianer, der auf einem anderen Weg nach oben gelangt ist, uns fragt, wohin wir laufen und uns dann ganz einfach begleitet. Zu zweit sind wir losgelaufen, als sechsköpfige Wandergruppe kommen wir nachmittags wieder in Cocora an…!

Über Hängebrücken…
…und schlammige Pfade geht’s talwärts