Bogotá.

Am Samstag müssen wir die Casa de Nelly in San Agustín nach drei Nächten leider verlassen – ein Abschied, der uns mal wieder wirklich schwer fällt. Doch so ist es nun einmal auf Reisen: Es geht immer wieder weiter, diesmal parallel zum Flusslauf des Río Magdalena Richtung Nordosten. Nicht zum ersten Mal in Kolumbien müssen wir zweimal umsteigen, um unser Ziel zu erreichen – das erste Mal in Pitalito, das wir von San Agustín aus mit einem umgebauten Pick-Up erreichen; dabei sitzen wir hinten auf der Ladefläche auf überdachten Sitzbänken, im Wageninneren finden auch einige Passagiere Platz – insgesamt sind wir 14 Passagiere und drei große Sack Bohnen… Der Fahrer verabschiedet sich sehr freundlich von uns und bedankt sich dafür, dass wir San Agustín besucht haben – nicht zum ersten Mal in Kolumbien, dass wir so etwas hören. Er gibt uns außerdem noch einen Tipp mit auf den Weg: Den nächsten Teilabschnitt sollen wir mit Taxis Verdes fahren, denn die hätten die besten Fahrzeuge. Wir gehen also an den Schalter der empfohlenen Gesellschaft und kaufen unsere Tickets. Gleich kommt ein Mitarbeiter, hilft uns beim Tragen des Gepäcks, und ruckzuck ist alles verladen und wir sitzen im Bus – allerdings, wie wir bald feststellen, einer ganz anderen Firma. Der Mitarbeiter kommt noch mal, nimmt unsere Tickets mit und gibt uns stattdessen welche der Gesellschaft, in deren alter Klapperkiste wir nun sitzen. Mit einem anderen aufgedruckten Zielort als dem unseren, aber das macht angeblich nichts… Während die jahrzehntealte Mühle sich langsam über Berg und Tal Richtung Neiva quält und unterwegs bei einer Polizeikontrolle alle Passagiere ihre Ausweise vorzeigen müssen, reimen wir uns allmählich den Sinn dieser Aktion zusammen. Der gute Taxi Verde-Mitarbeiter hat wahrscheinlich in die eigene Tasche gewirtschaftet. Die Tickets für diesen Bus waren wohl billiger, die hat er von unserem Geld gekauft, sich unsere Tickets zurückgeholt und kann die nun an andere Passagieren nochmal verscherbeln. Muss nicht so sein, ist aber die wahrscheinlichste Erklärung… Wie auch immer: Nach gut vierstündiger Fahrt sind wir in Neiva, der Hauptstadt des Departamento Huila, angekommen und brauchen nun noch einmal einen Colectivo, der uns in unser heutiges Ziel Villavieja bringt.

Hier sind wir nun richtig auf dem Dorf: Die gesamte, weit verstreute Gemeinde hat etwa 7.300 Einwohner, von denen aber nur knapp 2.500 in Villavieja selbst leben. Dementsprechend ist auch das Angebot an Unterkünften knapp bemessen. Wir kommen im einfachen, aber sauberen, sogar mit einem kleinen Pool ausgestatteten Hotel Villa Deicer unter – leider in der ersten Nacht in einem Zimmer zur Straße hin – alle anderen sind schon belegt. Und das ist am Wochenende keine gute Wahl, denn aus einigen nahegelegenen Bars dröhnt bis spätnachts lateinamerikanische Folklore-Musik, und die Dorfjugend räubert mit ihren Motorrädern die Straße auf und ab. Die sehr freundliche und hilfsbereite Familie, die das Hotel führt, gibt uns für die zweite Nacht dann auch ein anderes, innen liegendes Zimmer. Dass es hier abends so lange so hoch her geht, liegt sicher auch an den Temperaturen: Nachdem wir bisher nur in kühlen bis gemäßigt warmen Regionen unterwegs waren, befinden wir uns nun zum ersten Mal in einem heißen Teil Kolumbiens – der am Ostufer des Río Magdalena gelegene Ort liegt auf nur 430 Metern Meereshöhe, entsprechend steigen die Temperaturen tagsüber auf über 35 Grad an.

Für die Einheimischen auch ein Badeplatz: der Río Magdalena

Es ist wie zuvor in San Agustín: Des Ortbildes wegen sind wir ganz sicher nicht nach Villavieja gekommen, denn viel zu sehen gibt es im Dorf nicht wirklich. Der Parque Principal ist vom Templo del Perpetuo Socorro, einer kleineren Kapelle und einem paläontologischen Museum umgeben, auf das auch die riesige Statue eines Megatherium, eines ausgestorbenen Riesenfaultiers, mitten im Park verweist.

Eindrücke vom Parque Principal in Villavieja: Templo del Perpetuo Socorro
…das Megatherium
…und ein knorriger alter Wüstenbaum

Sonst lohnt allenfalls noch ein Spaziergang hinunter zum Fluss: Der Río Magdalena ist hier bereits von mächtiger Breite, die Landschaft naturbelassen – ein beeindruckender Anblick, wie sich der größte Strom Kolumbiens zwischen den hoch aufragenden Bergketten der Zentral- und der Ostanden nordwärts schiebt, wo er schließlich bei der Hafenstadt Barranquilla in die Karibik mündet.

Tropische Flusslandschaft am Río Magdalena

Das Megatherium verweist bereits auf die Hauptattraktion von Villavieja – die nahegelegene Desierto de la Tatacoa (Tatacoa-Wüste), die trotz ihres Namens eigentlich keine richtige Wüste, sondern ein sogenanntes tropisches Trockengebiet mit einer Größe von etwa 330 km² ist, die aufgrund ihrer besonderen Lage im Windschatten der Berge nur wenig Regen abbekommt. Sie ist die Fundstätte zahlreicher Fossilien, deren Alter auf bis zu 15 Millionen Jahre datiert wird – viele liegen noch heute leicht auffindbar irgendwo im Wüstensand herum. Auch wir können eine ganze Menge dieser Versteinerungen wie zum Beispiel die Zähne eines Tapirs oder Stücke des Panzers und der Wirbelsäule einer Meeresschildkröte bestaunen. Einst war dieses Gebiet Meeresgrund…

Fragmente einer versteinerten Meeresschildkröte

Damit das möglich ist, benötigen wir allerdings die Dienste eines Guides, der gleichzeitig als Fahrer fungiert – und zwar mit einem Tuktuk. Frühmorgens um halb sieben Uhr steht er abfahrbereit vor unserem Hotel, denn um diese Zeit sind die Temperaturen noch angenehm. Durch den friedlichen Sonntagmorgen tuckern wir hinaus Richtung Wüste, die allerdings keineswegs menschenleer ist – es gibt dort ein Observatorium und eine Reihe von einfachen Hostels und Campingplätzen, die besonders am Wochenende sehr beliebt sind. Viele junge Leute treffen sich hier zum Feiern; ruhiger wäre es also sicher auch nicht geworden, wenn wir wie urpsrünglich mal geplant hier draußen übernachtet hätten…

Morgenstimmung über Villavieja
Mit dem Tuktuk fahren wir durch die Wüste

Auf unserer fünfstündigen Wüstentour lernen wir verschiedene landschaftlich hochinteressante Teile der Tatacoa-Wüste (der Name stammt von einer inzwischen ausgestorbenen, früher hier heimischen Schlangenart) kennen. Zunächst passieren wir den Bosque del Cardón, einen Kakteenwald mit vielen unterschiedlichen Arten.

Verschiedene Kakteenarten wachsen im…
Bosque del Cardón
Kakteenfrüchte…
…schmecken lecker!

Den ersten längeren Halt machen wir in der El Cusco genannten Zone. Hier wandern wir mit unserem Guide Chopo über eine Stunde durch ein spektakuläres, überwiegend rot gefärbtes welliges Felsenlabyrinth und treffen dort auf verschiedene Vogelarten, sehen einen Wüstenfuchs und auch einen – allerdings toten – Skorpion.

Eindrücke von den roten Felsformationen…
…im Gebiet El Cusco

Jungfalke

So lässt sich auch mit einem Skorpion posieren…

Nach einem Frühstück in einem der einfachen Hostales fahren wir weiter. Der Aussichtspunkt Ventanas bietet einen herrlichen Rundblick über die fremdartige Wüstenlandschaft. Noch interessanter ist ein Rundgang durch das Los Hoyos genannte Gebiet, das auch als graue Zone bekannt ist, da die Sand- und Felsformationen hier überwiegend in dieser Farbe schimmern.

Weiter Wüstenblick…
…in der grauen Zone Los Hoyos

Abkühlung in der Wüste: Piscina Los Hoyos

Es ist mittlerweile ganz schön heiß geworden – da ist es perfekt, dass es hier eine natürliche Quelle gibt, die ein Schwimmbecken speist. Und hier können wir uns perfekt erfrischen, bevor wir den Rückweg nach Villavieja antreten, das wir um die Mittagszeit wieder erreichen. Am Nachmittag erleben wir dort noch eine Prozession der etwas anderen Art – hinter einem Auto mit einer Marienstatue fährt das halbe Dorf laut hupend mit Motorrädern hinterher.

Lautstarke Prozession in Villavieja

Am Montag verlassen wir das heiße Wüstendorf wieder – vorbei an Reisfeldern bringt uns ein vollgestopfter Colectivo in gut einer Stunde zurück nach Neiva. Im Hotel hat man uns den gleichen Tipp gegeben, den wir schon vor zwei Tagen erhalten haben: „Fahrt mit Taxis Verdes!“ Aus Erfahrung wird man klug… wir fragen den darüber etwas verdutzten Mitarbeiter am Schalter explizit, ob wir auch tatsächlich in einen Kleinbus seiner Gesellschaft einsteigen können, wenn wir das Ticket hier kaufen. Diesmal funktioniert alles reibungslos – und so lassen wir uns in einer gut fünfeinhalbstündigen Fahrt in die Hauptstadt Bogotá kutschieren, dorthin zurück, wo wir vor genau fünf Wochen unsere Rundreise durchs Land begonnen haben.

Diesmal wohnen wir allerdings nicht in einem Apartment, sondern im Hotel Golden in Flughafennähe: Hier bleiben wir nur eine Nacht, morgen fliegen wir für vier Tage an den Amazonas – ins südöstlichste Eck Kolumbiens, nach Leticia. Wir haben dort eine Tour gebucht, bei der wir Pflanzen, Tiere und Ureinwohner des Dschungels kennenlernen wollen und werden deswegen auch einige Tage ohne Internet sein. Heute ist das allerdings noch anders, und deswegen endet der Tag auch mit einer Überraschung: Per WhatsApp sind wir mit Julian aus Bogotá, der uns vergangenen Sonntag bei der Wanderung im Valle de Cocorá begleitet hat, in Kontakt – als er erfährt, dass wir in einem Hotel ganz in der Nähe seiner Arbeitsstelle übernachten, lädt er uns spontan zu einem Treffen ein und übernimmt trotz unserer Proteste am Ende die Rechnung in einem mexikanischen Restaurant…