Cartagena.

Los Cocos, am östlichen Rand des Tayrona-Nationalparks gelegen, besteht nur aus ein paar Häusern – einen Busbahnhof gibt es hier selbstverständlich nicht. Um weiter zu reisen, könnten wir an die Straße hinunter gehen, einen Colectivo anhalten, der uns bis Santa Marta bringen würde und müssten dort am Busbahnhof dann nach der nächsten Verbindung in Richtung Cartagena fragen. Doch es geht auch einfacher: In unserer Posada Villa Margarita empfiehlt man uns, mit einem Anbieter zu fahren, der dreimal täglich den gesamten Tayrona-Großraum abklappert, die Urlauber in ihren Unterkünften einsammelt und anschließend direkt bis in die Altstadt von Cartagena fährt. Also machen wir von dieser Möglichkeit Gebrauch, bekommen in dem Kleinbus die beiden Sitze neben dem Fahrer zugewiesen und haben die nächsten gut fünf Stunden damit die Möglichkeit, neben der Landschaft auch einen kolumbianischen Conductor aus nächster Nähe bei seiner Arbeit zu verfolgen. Recht interessant… – denn neben dem Lenken seines Fahrzeugs und unzähligen Telefonaten mit zwei Handys, die wechselnd aufgeladen werden müssen und ein paar Mal auf den Boden fallen, findet der gute Mann auch noch Zeit zum Geldzählen, zum Schreiben von WhatsApp-Nachrichten und von Notizen auf einem Schmierzettel. Zwischendrin zeigt er plötzlich entrüstet auf einen entgegenkommenden LKW: „Schaut mal, der Fahrer schläft!“ Dennoch, wir können ihm insgesamt einen für südamerikanische Verhältnisse sehr umsichtigen und gelassenen Fahrstil bescheinigen und freuen uns, dass er uns am Ende der Fahrt auf der kleinen, schönen Plaza de San Diego absetzt. Von hier erreichen wir in weniger als fünf Minuten Fußmarsch unsere neue Unterkunft, das winzig kleine Hostel Casa Serrezuela, in einer ruhigen Seitenstraße der Altstadt von Cartagena.

Erster Eindruck von Cartagena an der Plaza de San Diego

Die Hauptstadt des Departamentos Bolívar, im Norden Kolumbiens direkt an der Karibikküste gelegen, zählt etwa 1.000.000 Einwohner, beherbergt in Wahrheit aber erheblich mehr Menschen – so gut wie jeder Kolumbienreisende besucht Cartagena, denn ihr eilt wegen ihres kolonialen Stadtkerns der Ruf voraus, schönste Stadt des Landes zu sein, und zudem zählt sie bereits seit 1984 zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Prächtige Kolonialbauten, wie hier an der Plaza de la Aduana, bestimmen das Bild der Stadt

Schon 1533 von den Spaniern gegründet, entwickelte sich Cartagena schnell zu einer wichtigen Hafenstadt, über die viele Waren von und ins europäische Mutterland transportiert wurden. Das weckte die Habgier anderer Nationen, und vor allem englische und französische Piraten, unter anderem Francis Drake, plünderten die Stadt mehrfach. Um dieser in der Karibik besonders verbreiteten Plage Herr zu werden, verstärkten die Spanier die Verteidigungsanlagen der Stadt mehrfach – und so entwickelte sich innerhalb der Mauern von Cartagena de Indias (gemeint ist Westindien), wie die Stadt offiziell heißt, mit der Zeit eine der schönsten kolonialen Ansiedlungen auf dem gesamten amerikanischen Kontinent.

Fluch der Karibik – in Cartagenas Geschichte nicht nur ein Filmtitel

Die Stadt ist ein Gesamtkunstwerk: Um ihre Schönheit richtig zu erfassen, läuft man am besten einfach durch das Gassengewirr, lässt sich treiben und bewundert die farbenprächtigen Häuserfassaden mit prächtigen Holzbalkonen, die häufig von üppig blühenden Bougainvilleen überwuchert sind. Und immer wenn wir um eine Ecke biegen, sehen wir wieder neue Bilderbuchszenen und staunen über die fröhliche Stimmung, die die gelungene Architektur und der Mut zu Farben unter dem schwül-heißen Karibikhimmel (bis zu 36° C) hingezaubert haben.

Start zu einem Cartagena-Bummel: einfach loslaufen und schauen…

Selbstverständlich stechen aus der Altstadtidylle Cartagenas, die aus den Stadtvierteln El Centro und San Diego besteht, eine Reihe von Plätzen und Bauwerken hervor, an denen wir bei unserem Spaziergang praktisch zwangsläufig vorbeikommen. Gar nicht weit von unserer Unterkunft entfernt befindet sich zum Beispiel die kleine, gemütliche Plaza Fernández de Madrid mit der Iglesia de Toribio de Mogrovejo, die im 18. Jahrhundert als letzte der kolonialen Kirchen der Stadt entstand.

Sowjet-Nostalgie an der Plaza Fernández de Madrid: eine Bar namens KGB

Zu den markantesten Plätzen der Stadt zählt ganz sicher der Parque de Bolívar. Diese schattige Oase, die selbstverständlich in der Mitte mit einem Denkmal des Freiheitshelden Simón Bolívar versehen ist, ist von mehreren bedeutsamen Gebäuden umgeben: Zum einen der gerade in Restaurierung befindlichen, auf das späte 16. Jahrhundert zurückgehenden Catedral de Santa Catalina de Alejandría, außerdem dem Palacio de la Inquisición und zwei weiteren Museen, denen wir einen Besuch abstatten: dem Smaragdmuseum, das anschaulich den aufwändigen Prozess der Förderung und Bearbeitung des Edelsteins zeigt, und dem Museo del Oro Zenú.

Denkmal für Simón Bolívar – natürlich im Parque de Bolívar
Der Turm der Kathedrale ragt aus dem Häusergewirr empor
Tolle Reliefs zieren das Portal des Palacio de la Inquisición

Nachdem wir schon in Bogotá das Goldmuseum verpasst haben, können wir nun zumindest hier einige der beeindruckenden Schmuckstücke bewundern, die die indigenen Völker in den verschiedenen Regionen Kolumbiens angefertigt haben. Schwerpunktmäßig widmet sich die Ausstellung dem in der Nähe von Cartagena ansässigen Volk der Zenú, das seit Jahrtausenden das häufig überflutete Schwemmland der Flussmündungen an der Karibikküste durch die Anlage von Dämmen und Kanälen besiedelt und kultiviert hat.

Goldschmiedekunst aus ferner Vergangenheit…
…im Museo del Oro Zenú
Ein Modell im Smaragdmuseum veranschaulicht den Abbau des Edelsteins

Schmuckstücke weiblicher Anmut sind auf dem Pflaster vor einem arkadengeschmückten klassizistischen Gebäude in Farbe, mit Namen und Jahreszahl verewigt – hier finden alljährlich die kolumbianischen Miss-Wahlen statt. Das Ereignis, Concurso Nacional de Belleza genannt, ist von größter gesellschaftlicher Bedeutung.

Schönheitsköniginnen aus sechs Jahrzehnten schmücken das Pflaster der Plaza de Bolívar

Ein weiterer geschichtlich bedeutender Ort der Stadt ist die Plaza San Pedro Claver. Mit ihr und der ebenfalls nach ihr benannten Jesuitenkirche wird ein Mann geehrt, der als jesuitischer Priester von ab 1610 mehr als 40 Jahre im heutigen Kolumbien, zumeist in Cartagena, lebte und wirkte. Er kümmerte sich bis zur völligen Selbstaufopferung um die Armen und Kranken der Stadt, insbesondere um die zahlreichen aus Afrika hierher verschleppten Sklaven, was ihm den Beinamen Sklave der Sklaven einbrachte. 1888 heiliggesprochen, wird er inzwischen als Schutzpatron des Landes und weltweit als Patron der Menschenrechte verehrt. Auch ein Denkmal wurde für den Jesuiten, der seiner Zeit weit voraus war, errichtet.

Die Iglesia San Pedro Claver
…an der gleichnamigen Plaza…
…zu Ehren des Sklaven der Sklaven
Erbe des Sklavenhandels – ein erheblicher Anteil der Bevölkerung an der Küste ist schwarz

Eines der mächtigsten Bauwerke der Stadt ist das Zentralgebäude der Universität, die 1827 in dem gerade unabhängig gewordenen Kolumbien entstand und in den früheren Mauern des Claustro de San Agustín untergebracht wurde.

Mächtiges Bauwerk mitten in der Altstadt: die Universität

Geradezu als Wahrzeichen der Stadt kann man die Puerta del Reloj ansehen. Sie ist der historische Hauptzugang zur Altstadt – ein Stadttor, das seit 1888 von einem schlanken Uhrturm geschmückt wird und neben dem sich die dreieckige Plaza de los Coches befindet. Hier fand einst der Sklavenmarkt statt; heute wird der Platz vom Standbild des Stadtgründers Pedro de Heredia dominiert.

Plaza de los Coches mit der Puerta del Reloj und der Statue von Stadtgünder Pedro de Heredia

Die Plaza de la Aduana, der Zollplatz, befindet gleich nebenan. Auch er wird von wunderschön restaurierten Kolonialgebäuden gesäumt – das langgestreckte ehemalige königliche Zollhaus dient heute als Rathaus der Stadt Cartagena.

Plaza de la Aduana mit dem ehemaligen Zollhaus

Um sich wenigstens ein bisschen frische Brise um die Nase wehen zu lassen, steigt man am besten auf die Stadtmauer und umrundet auf ihr einen Teil von Cartagenas historischem Zentrum. Da die Stadt direkt ans Meer gebaut ist, hat man von hier einen weiten Blick hinaus auf die Karibik.

Massive Befestigungsanlagen schützten die Stadt gegen die Freibeuter der Karibik

Gleich hinter der Stadtmauer gelegen – das städtische Theater

Doch auch das moderne Cartagena lässt sich auf der Stadtmauer bestens bestaunen: Südlich der Altstadt ist auf der schmalen Halbinsel Bocagrande eine beeindruckende Hochhauskulisse entstanden. Zahlreiche Hotels und Wohnungen der Oberschicht befinden sich hier.

Alt und neu in reizvollem Kontrast: Innere Stadtmauer und modernes Bocagrande

Das alte Cartagena der kleinen Leute ist der Altstadt vorgelagert – Getsemaní, von einer äußeren Stadtmauer umgeben, hat sich in den letzten Jahren aber mehr und mehr ebenfalls zu einem Touristenviertel entwickelt, wenngleich die kleinen, bunten Häuser und schmalen Gassen immer noch einen guten Eindruck davon vermitteln, dass hier früher diejenigen lebten, die sich die schmucken Stadtresidenzen, mit denen vor allem El Centro gespickt ist, nicht leisten konnten.

Das alte Teatro Colón markiert den Beginn des Stadtviertels Getsemaní
Kleinstadtidyll…
…in Getsemaní…
…dessen Stadtmauer ebenfalls einen tollen Blick auf Bocagrande erlaubt

Das moderne Cartagena der kleinen Leute beginnt jenseits einer kleinen Lagune, die Getsemaní vorgelagert ist – an seinem Ufer erhebt sich auf dem Cerro San Lázaro eines der größten Befestigungsbauwerke, das die Spanier auf amerikanischem Boden errichtet haben: Das 1657 fertiggestellte Castillo de San Felipe de Barajas war notwendig, um von einer vorgeschobenen Bastion aus die immer wiederkehrenden Piratenangriffe auf Cartagena wirksam abwehren zu können.

Mächtige Festung vor den Toren Cartagenas: das Castillo San Felipe de Barajas

Einen kleinen Eindruck vom untouristischen Cartagena erhalten wir am Mittwochabend. Vor einer Woche waren wir im Amazonas-Dschungel zwei Tage mit dem französischen Ehepaar Anne und Dominique unterwegs – jetzt treffen wir sie wieder, sie sind nämlich zur Zeit ebenfalls in Cartagena, um dort ihren Sohn, der vor zehn Jahren hierher geheiratet hat, und die Enkelkinder zu besuchen. Die beiden spazieren zuerst einmal mit uns durch die Stadt, was uns die Gelegenheit gibt, eine Kunstausstellung zu besuchen, die Werke kolumbianischer und französischer Maler zeigt – 2017 wurde nämlich von den Regierungen beider Länder zum französisch-kolumbianischen Jahr ernannt, und aus diesem Anlass finden eine Reihe von Veranstaltungen statt.

In einem Universitätsgebäude mit kolonialem Patio
…findet gerade eine kolumbianisch-französische Kunstausstellung statt

Später sind wir dann zum Abendessen im Haus von Sohn und Schwiegertochter eingeladen – sie wohnen im Viertel Bruselas, das tatsächlich nach der belgischen Hauptstadt benannt ist, und sind gerade fleißig dabei, ihr Haus aufzustocken und auszubauen: Bald soll hier ein Hostel eröffnet werden, der Rohbau ist schon fertig. Ein Nachteil ist zwar sicher, dass das Haus ein paar Kilometer außerhalb der Altstadt liegt – aber dafür bietet die Dachterrasse, wie wir uns beim Rundgang durchs Haus überzeugen können, einen traumhaften Ausblick auf die abends eindrucksvoll beleuchtete Skyline der Stadt.

Im Haus des Sohnes von Anne und Dominique: Überwältigender Blick auf die Stadt von der Dachterrasse des geplanten Hostels