Panama-Stadt.

Fast zwei Monate waren wir unterwegs in Kolumbien, am Freitagmorgen verlassen wir dieses so vielfältige und schöne Land nun wieder. Schon um halb fünf Uhr morgens, es ist noch stockdunkel, sind wir am Aeropuerto Internacional Rafael Núñez, checken bei Copa Airlines ein und heben pünktlich gegen sieben Uhr mit einer Boeing 737 der panamaischen Airline ab – Richtung Südwesten nach Panama-Stadt, wo wir bereits eine Stunde später zum Landeanflug auf den Aeropuerto Internacional de Tocumen ansetzen. Das südamerikanische Festland haben wir damit endgültig hinter uns gelassen, jetzt sind wir wieder auf mittelamerikanischem Boden; schon zum vierten Male auf unserer Reise machen wir hier Station, diesmal jedoch nicht als Transitreisende. Eine Woche lang werden wir in Panama bleiben; allerdings ist die Zeit des ständigen Herumreisens für uns nun vorbei. Wir haben uns für sieben Nächte im Hotel Tryp by Wyndham einquartiert, werden also hauptsächlich die panamaische Metropole kennenlernen. Sie stellen wir in einem eigenen Beitrag vor – doch neben der Hauptstadt ist das Land insbesondere durch den Panama-Kanal, eine der weltweit bedeutendsten künstlichen Wasserstraßen, bekannt geworden.

Der Panama-Kanal durchquert die schmalste Stelle des amerikanischen Festlands

Um uns über seine Entstehungsgeschichte zu informieren, besuchen wir zunächst am Samstag das Museo del Canal Interoceánico de Panamá. In dem sehr gut aufgemachten Museum – leider darf man hier nicht fotografieren – werden die gesamten Jahrhunderte seit der Entdeckung Amerikas durch die Spanier unter dem Blickwinkel der immer wiederkehrenden Überlegungen und Versuche, den Transportweg von Waren aller Art vom Pazifik in den Atlantik und umgekehrt zu verkürzen, dargestellt.

Vom Elsässer George Loew einst als Hotel erbaut: das Museo del Canal Interoceánico

Doch grau ist alle Theorie – einen wirklich anschaulichen Eindruck von den Dimensionen des Bauwerks und der natürlichen Umgebung, durch die die künstliche Wasserstraße führt, erhalten wir nur, wenn wir den Kanal so unmittelbar wie möglich kennenlernen, am besten im Rahmen einer Bootsfahrt. Da aufgrund der Regenzeit in Panama gerade Nebensaison ist, werden diese Touren momentan nur zweimal wöchentlich angeboten – der Samstag kommt für uns zu kurzfristig, also buchen wir für den Dienstag.

Zusammen mit großen Schiffen unterwegs auf dem Kanal

Das ist eine ziemlich kostspielige Angelegenheit, doch ein Blick in unsere Reisekasse verrät, dass wir uns diesen Luxus leisten können; in Kolumbien haben wir ziemlich sparsam gelebt. Also werden wir nach dem Frühstück von einem Bus direkt am Hotel abgeholt, zunächst ans Büro des Schifffahrtsunternehmens gebracht, wo wir die Tickets kaufen müssen, und anschließend erneut per Bus eine Stunde lang durch dichten Dschungel landeinwärts bis in den kleinen Ort Gamboa verfrachtet.

In Gamboa…
…erreichen wir den Panama-Kanal

Dort dürfen wir an Bord der 105 Jahre alten Isla Morada, eines Boots, das selbst eine lebende Legende ist: Ursprünglich im Besitz des amerikanischen Bankiers und Multimillionärs J. P. Morgan, eines maßgeblichen Mitfinanziers beim Kanalbau, geriet das nostalgische Holzschiff später in den Besitz des legendären Gangsters Al Capone, der damit verbotenerweise Alkohol in die USA schmuggelte. Heute taucht die Isla Morada im Guinness-Buch als das Boot mit den meisten Durchquerungen des Panama-Kanals auf – und mit jeder Touristenfahrt schraubt sie diesen Rekord weiter nach oben.

Ein legendäres Boot wartet auf uns – die 105 Jahre alte Isla Morada
Das Flair an Bord ist richtig nostalgisch

Gamboa liegt zwar nur etwa 30 Kilometer nordwestlich von Panama-Stadt, doch die Umgebung des Dorfes macht deutlich, welchen Schwierigkeiten sich die Erbauer des Kanals gegenübersahen. Die Landschaft ist sehr hügelig und komplett von dichtem Urwald überwuchert – Hindernisse, die schon die Spanier im 16. Jahrhundert davon abhielten, die Idee eines Kanalbaus zu verwirklichen. Der kalifornische Goldrausch Mitte des 19. Jahrhunderts führte dann immerhin zum Bau einer Eisenbahnverbindung zwischen den beiden Küsten. Doch erst eine französische Gesellschaft begann ab 1881 tatsächlich mit Kanalbauarbeiten. Vom wirtschaftlichen Erfolg des Suez-Kanals angetrieben, erhoffte sich Frankreich den selben Effekt auch hier in Mittelamerika. Die natürlichen Voraussetzungen waren jedoch unvergleichbar komplizierter: Statt sandiger Wüste, wie in Ägypten, musste hier gebirgige Dschungellandschaft umgestaltet werden. Arbeiter aus aller Welt wurden dazu angeworben, viele tausende (28.000) von ihnen starben, weniger bei Unfällen als vor allem infolge von Tropenkrankheiten – Malaria und Gelbfieber grassierten unter den Beschäftigten. Zudem geriet das französische Unternehmen immer mehr in finanzielle Bedrängnis, was zu einem der größten Korruptionsskandale des Landes führte: Um ein Gesetz durchs Parlament zu bringen, das durch die Einführung einer Lotterie neues Geld in die Kassen der Kanalbaugesellschaft spülen sollte, wurden zahlreiche Abgeordnete bestochen. Und damit davon nichts in der Öffentlichkeit ruchbar wurde, schob man auch noch zahlreichen Journalisten Bares zu – dennoch flog das Ganze letztlich auf, mündete in einer gigantischen Pleite, und eine 1894 gegründete Auffanggesellschaft verkaufte den gesamten Komplex 1902 letztlich an die USA.

Hügelige Dschungellandschaft umgibt den Kanal

Diese hatten selbst ein sehr hohes Interesse daran, durch einen Kanalbau den Transportweg von den Metropolen des Ostens in den immer mehr aufblühenden Westen abzukürzen. Doch lange wurde von den Amerikanern die Idee favorisiert, den Kanal durch Nicaragua zu graben. Erst die umfangreichen Vorarbeiten der Franzosen, die Bekämpfung der Moskitos als Überträger von Gelbfieber und Malaria nach den Erkenntnissen des kubanischen Arztes Carlos Juan Finlay und schließlich die politische Lage in Panama änderten das – die Panamaer sahen den Kanalbau als sehr wichtig für die Entwicklung ihrer Heimat an, wurden aber als abgelegener Landesteil Kolumbiens von der Zentralregierung in Bogotá vernachlässigt. Das führte zu immer vehementeren Unabhängigkeitsbestrebungen, die von den USA unterstützt wurden und 1903 zur Gründung eines eigenständigen Staates Panama führten – allerdings mit dem Haken, dass eine Zone von je fünf Meilen beiderseits der Kanaltrasse von den Vereinigten Staaten kontrolliert werden sollte.

Im August 1914 war der Kanalbau schließlich fertiggestellt: Von der Atlantikseite mit der Hafenstadt Colón führt die Wasserstraße seitdem durch den künstlich angelegten Gatún-See, der 26 Meter über dem Meeresspiegel liegt und deswegen nur über mehrere Schleusen erreicht werden kann. Anschließend wird der Flusslauf des Río Chagres, der auch den stetigen Wasserverlust durch die Schleusen ausgleicht, bis Gamboa genutzt – ja, und hier sitzen nun, 103 Jahre später, wir an Bord der Isla Morada, und sehen uns den weiteren Verlauf des Panama-Kanals mit eigenen Augen an. Der ist erst seit 31. Dezember 1999 unter der Kontrolle des panamaischen Staates und wird seither von der Autoridad del Canal de Panamá, einer Anstalt des öffentlichen Rechts, verwaltet.

Die Kanaldurchquerung beginnt!

Von Gamboa aus passieren wir in südlicher Richtung zunächst das Teilstück des Kanals, das am schwierigsten zu konstruieren war: Der Corte Culebra, früher auch  Gaillard-Kanal genannt, durchtrennt den kontinentalen Gebirgsrücken, der ganz Amerika von den Rocky Mountains bis zu den Anden durchzieht. Der hier ursprünglich 64 Meter aufragende Höhenzug wurde bis auf 12 Meter über dem Meer abgetragen, und das auf einer Breite von 91 Metern am Grund und von 540 Metern ganz oben. Viele Erdrutsche erschwerten die Arbeit; die Felswände wurden daher an beiden Seiten terrassenförmig abgestuft, um sie zu stabilisieren. 12,6 Kilometer schneidet sich der Kanal durch das hügelige Land. Dabei durchqueren wir die erst 2004 fertiggestellte Puente Centenario, eine 1052 Meter lange Schrägseilbrücke, deren Name Jahrhundertbrücke sich auf das Jubiläum der Unabhängigkeit Panamas bezieht.

Der Corte Culebra, über den sich die Puente Centenario spannt, durchschneidet die Berge

Das Ende des Corte Culebra wird durch die erste Schleuse in Richtung Pazifik, die Esclusa Pedro Miguel, markiert: Wir fahren in eine Schleusenkammer ein, docken an und warten, bis ein zweites, um ein vielfaches größeres Schiff, das zahlreiche Yachten geladen hat, ebenfalls eingefahren ist. Danach wird das obere Schleusentor geschlossen und das nach unten leicht geöffnet, sodass das Wasser langsam absinkt – neuneinhalb Meter geht es für uns auf diese Weise hinunter.

Einfahrt in die Esclusa Pedro Miguel
Das Wasser wird abgelassen…
…und danach das Schleusentor geöffnet

Wir sind damit im nur etwa zwei Kilometer langen, künstlichen Miraflores-See angekommen, den wir ziemlich schnell durchqueren – an seinem Ende warten mit den Esclusas de Miraflores zwei weitere, direkt aufeinander folgende Schleusen, die noch einmal einen Höhenunterschied zwischen 13 und 20 Metern ausgleichen. Diese sehr ungenaue Maßangabe liegt übrigens am gewaltigen Tidenhub, der hier an der panamaischen Pazifikküste besteht: Zwischen Ebbe und Flut herrschen mehr als sechs Meter Differenz. Vom am Ufer gelegenen Besucherzentrum Miraflores verfolgen hunderte Schaulustiger auf Aussichtsterrassen das Schauspiel der Schleusung – wir haben es noch besser, wir erleben sie als Beteiligte.

Wir steuern auf Miraflores zu…
…wo die die Gäste des Besucherzentrums auf Schiffe warten

Wir steuern wieder die linken, die kleinen Schleusen an – seit Juni 2016 sind auch wesentlich größere, in neunjähriger Bauzeit errichtete Schleusenkammern in Betrieb, die es möglich machen, dass auch die riesigen Frachtschiffe, die heutzutage die Weltmeere befahren, den Kanal passieren können. Das milliardenschwere Projekt wird erst in einigen Jahrzehnten refinanziert sein, obwohl die Durchfahrtgebühren, die sich nach der Anzahl der Container bzw. der Passagierbetten berechnen, enorm hoch sind: Schon unser kleines, antikes Holzboot legt für die Passage 2.500 Dollar hin. Der derzeit höchste gezahlte Betrag liegt bei gut einer Million Dollar, doch neue Rekorde stehen bereits an: Wenn im nächsten Jahr das Kreuzfahrtschiff Queen Mary 2 zum ersten Mal den Panama-Kanal durchquert, wird die britische Reederei Cunard Line dafür etwa 1,5 Millionen Dollar berappen müssen!

Treidelloks stabilisieren und führen die großen Schiffe auf beiden Seiten
Die Schienen für die Loks führen an den Schleusen entlang hinunter
Die neue Schleusenanlage von Miraflores

Nach drei Schleusungen haben wir es geschafft: Wir sind auf Meeresniveau angekommen und befahren jetzt noch eine Zeitlang einen natürlichen Wasserlauf, über den sich die 1654 Meter lange Puente de las Américas spannt, die seit 1962 die Panamericana über den Kanal führt. Allerdings geht es von hier in Richtung Südamerika nicht mehr allzu weit – zwischen Panama und Kolumbien klafft immer noch eine etwa 100 Kilometer breite Lücke, Tapón del Darién genannt. Pläne zum Ausbau der Trasse durch das unwegsame Dschungelgebiet in der südöstlichsten Provinz Panamas liegen zwar bereits seit langem in den Schubladen, doch das schwierige Terrain, der Schutz des Regenwaldes, die ablehnende Haltung der ansässigen indigenen Bevölkerung, die Angst vor der Wiedereinschleppung von Tierseuchen nach Mittel- und Nordamerika und schließlich die Befürchtung, der Drogenhandel würde durch den Bau der Trasse erleichtert, sind vielfältige und schwerwiegende Gegenargumente, die die Fertigstellung der Panamericana bisher verhindert haben.

Vorbei am Hafen im Panamaer Stadtteil Balboa
…unterqueren wir die Puente de las Américas

Für uns endet die Fahrt ein Stück weiter südlich: An der Calzada de Amador, einem mehrere Kilometer langen Damm, der das Festland mit vier kleinen vorgelagerten Pazifikinseln verbindet, legt die Isla Morada an einem kleinen Hafen, der Punta Calebra, an und entlässt uns wieder an Land, wo bereits ein Bus auf uns wartet, der uns ins Hotel zurückbringt. Warten müssen hier auch eine Vielzahl von Schiffen, die den Kanal in Richtung Atlantik durchqueren wollen: 24 bis 30 Stunden seien normal, so unser Guide, bis die Einfahrt freigegeben wird.

Im Pazifik, an der Punta Calebra, endet unsere Fahrt
Geduld ist gefragt: Diese Schiffe warten auf die Kanalpassage