Fontein.
Nach einer Woche verlassen wir am Freitagmorgen Panama wieder – vom fast 30 Kilometer außerhalb der Stadt gelegenen Flughafen heben wir mit einer Boeing 737 von Copa Airlines ab in Richtung Nordosten und verlassen damit das amerikanische Festland. Als sich der Dunstschleier, der zunächst jegliche Sicht nach unten versperrt, allmählich lichtet, erkennen wir im Vorbeiflug gut die stark zergliederte, von Flussdeltas, Bergketten, Lagunen und Halbinseln geprägte Küstenlinie von Kolumbien und Venezuela. Nach etwas weniger als zwei Stunden setzt unsere Maschine zum Landeanflug an: Zunächst sehen wir unter uns nur Wasser, erst als wir schon ziemlich tief sind, erblicken wir das kleine Stück Land, das wir jetzt ansteuern – der Hato Airport auf der 444 km² umfassenden Karibikinsel Curaçao ist erreicht. Die Uhr stellen wir hier um eine Stunde vor und haben damit jetzt nur noch sechs Stunden Unterschied zu Deutschland.

Da sie gerade einmal 60 Kilometer von der venezolanischen Küste entfernt ist, rechnet man die Insel geographisch zu Südamerika. Politisch und kulturell sieht das jedoch etwas anders aus: Curaçao (es ist nicht geklärt, ob der portugiesische Begriff vom spanischen corazón, was Herz bedeutet, abgeleitet ist oder Heilkunst bedeutet, weil hier skorbutkranke Matrosen ihre Krankheit auskurierten) ist ein autonomes Land im Königreich der Niederlande. Es ist allerdings kein Teil der Europäischen Union – wir brauchen für die Einreise unsere Reisepässe und erhalten auch einen Stempel; man zahlt hier zudem auch nicht mit Euro, sondern mit Antillen-Gulden. Die große Mehrheit der Einwohner stammt von afrikanischen Sklaven ab, da die ursprüngliche Bevölkerung, die indigenen Arawak, von den Spaniern, die 1499 die Insel entdeckten, ausgerottet wurde. Die Menschen sprechen untereinander Papiamentu – eine Mischsprache, die sich seit dem 17. Jahrhundert entwickelte und starke Einflüsse aus dem Spanischen und dem Portugiesischen aufweist, aber auch niederländische, englische, afrikanische und indigene Elemente integriert hat. Offizielle Amtssprache ist jedoch immer noch Niederländisch, zudem sind Spanisch- und Englischkenntnisse ganz normal – die Einwohner von Curaçao (einen deutschen Kurzbegriff habe ich dafür nicht gefunden!) jonglieren also mit vier verschiedenen Sprachen, was für uns den Vorteil hat, dass wir in der alltäglichen Kommunikation bei dem uns inzwischen vertrauten Spanisch bleiben können.
Mit dem Vermittler unseres kleinen Ferienhauses, der hauptberuflich eine Autovermietung betreibt, haben wir ohnehin keine Sprachprobleme: Paul ist ein vor sechs Jahren ausgewanderter Deutscher, der uns am Flughafen abholt und direkt in das wunderschöne, leuchtend grün gestrichene Häuschen bringt, das mitten auf der Insel im Villapark Fontein liegt, eine bewachte Wohnsiedlung, in der fast ausschließlich ausgewanderte Weiße, meist Niederländer, leben. Hier fehlt es uns an nichts: Die Küche ist sehr gut ausgestattet, wir können eine Waschmaschine nutzen und zwischen zwei Bädern und zwei Schlafzimmern auswählen – das Haus böte Platz für vier Personen. Und mobil sind wir auch: Wir haben von Paul einen kleinen, wendigen, weißen Kia Picanto gemietet, mit dem wir in der kommenden Woche nach Herzenslust auf der Insel herumgondeln können.



Karibik – das hört sich nach Strandurlaub unter Palmen an. Und tatsächlich bietet Curaçao dafür reichlich Möglichkeiten; doch eine der Hauptattraktionen der Insel ist auch ihre an der langgestreckten Südküste gelegene Hauptstadt Willemstad, der wir am Montag einen Besuch abstatten. Wir können das Auto in einem Parkhaus am Rande der Altstadt kostenlos abstellen und müssen es nur verlassen, um direkt am Mega Cruise Terminal zu stehen – hier liegt, dem Namen entsprechend, gerade ein Kreuzfahrtschiff vor Anker. Eine schön gestaltete Uferpromenade führt geradewegs ins Rif Fort, eine Festungsanlage, die 1828 fertiggestellt wurde.


Sie befindet sich im Stadtteil Otrabanda an der westlichen Seite der Sint Annabaai, einem schmalen Wasserarm, der eine weiter innen gelegene Bucht namens Schottegat mit dem offenen Meer verbindet.

Diese vorteilhafte natürliche Lage lud geradezu zum Bau eines Hafens ein – das erkannten bereits die Spanier, die aufgrund fehlender Goldvorkommen und für große Plantagen unzureichender Süßwasserreserven das Interesse an der Insel mit der Zeit verloren, sodass sich 1634 die Niederländer hier ansiedelten und eine Handelsniederlassung gründeten. Der älteste Teil Willemstads liegt am Ostufer der Sint Annabaai und trägt den Namen Punda. Haupthandelsware waren jedoch nicht etwa Gewürze, Früchte oder edles Gestein, sondern Sklaven.

In Punda errichteten die Niederländer gleich zwei Forts: Vorne am offenen Meer das Waterfort, gleich dahinter das eindrucksvolle Fort Amsterdam, das heute Sitz der Inselregierung ist.




Die Fortsetzung der Uferbebauung bildet den wohl eindrucksvollsten Teil der historischen Altstadt von Willemstad: Eine lange Häuserzeile mit wunderbaren barocken Fassaden, die in ihrer Buntheit das gesamte Spektrum der Farbpalette abdecken, säumt den Verlauf der Handelskade und ist eine der Hauptattraktionen der etwa 125.000 Einwohner zählenden Stadt, in der gut 80 Prozent der gesamten Inselbevölkerung leben.

Die bestens erhaltene Altstadt Willemstads, die bereits seit 1997 UNESCO-Weltkulturerbe ist, besteht jedoch aus einem ganzen Geflecht von malerischen Gassen, in denen sich heute zahlreiche Modeboutiquen, Souvenirläden, Elektronikshops, Cafés und Restaurants niedergelassen haben. Das gesamte Stadtbild wirkt sehr gepflegt und europäisch – nur die tropischen Temperaturen sind ein klarer Hinweis auf die Region, in der wir uns befinden.



Eine Besonderheit Willemstads ist die Mikvé Israel-Emanuel-Synagoge. Bereits 1732 wurde sie eingeweiht und gilt damit als ältestes jüdisches Gotteshaus Amerikas. Errichtet wurde es von jüdischen Händlern aus Portugal und Spanien, die vor der Inquisition flüchteten und vor den christlichen Glaubenseiferern nur auf der niederländisch beherrschten Insel wirklich sicher waren.

Zur bevorzugten Wohngegend der jüdischen Bevölkerung entwickelte sich der durch den Waaigat, eine kleine Seitenbucht, im Norden von Punda getrennte Stadtteil Scharloo – heute eine eigentümliche Mischung aus Gewerbegebiet, verfallenden und vorbildlich restaurierten historischen Häusern.




Am Südufer des Waaigat drängen sich kleine Boote. Auf ihnen werden vor allem aus dem nahen Venezuela Früchte aller Art nach Curaçao gebracht und in kleinen Verkaufsständen, die direkt vor den Booten aufgebaut sind, zum Verkauf angeboten. Ursprünglich verkauften die Händler ihre Waren wohl direkt vom Boot aus, deswegen ist auch heute noch die Bezeichnung Schwimmender Markt gebräuchlich. Sie dient wohl auch zur Unterscheidung vom Runden Markt gleich dahinter, einer modernen Markthalle, in der die einheimischen Händler eine breite Produktpalette von Stoffen über Kosmetikartikel bis hin zu Mittagsmenüs mit frischem Fisch anbieten.


Ein paar hundert Meter nördlich der Altstadt überspannt ein gewaltiges Brückenbauwerk die Sint Annabaai: Die Koningin Julianabrug verbindet die verschiedenen Stadtteile Willemstads seit 1974 miteinander und hat damit zeitraubende Fährverbindungen überflüssig gemacht. Hinter ihr ragen unübersehbar eine ganze Reihe von Fabrikschloten in den Himmel: Schon in den 1920er Jahren errichtete Shell hier eine Erdölraffinerie, um Rohöl aus Venezuela zu verarbeiten. Heute wird die Anlage von der staatseigenen Gesellschaft Petróleos de Venezuela S.A. (PDVSA) betrieben, deren Lizenz allerdings 2019 ausläuft. Mit dem politisch höchst instabilen Nachbarn möchte man die Vereinbarung wohl nicht verlängern; deswegen laufen derzeit aussichtsreiche Verhandlungen mit chinesischen Interessenten, die den Betrieb danach übernehmen könnten. Überhaupt sind die Entwicklungen im südlichen Nachbarland sehr wohl ein Grund zur Sorge auf der kleinen Insel: Nacht für Nacht, so berichten es uns Einheimische, versuchen Flüchtlingsboote die Landung auf Curaçao; die durch niederländisches Militär verstärkte Küstenwache ist ständig im Einsatz und bringt aufgegriffene Venezolaner unverzüglich in die Heimat zurück. Dennoch leben inzwischen natürlich eine Reihe von Illegalen auf der Insel, meist bei Familienangehörigen oder Freunden.

Wir bekommen davon in Willemstad nichts mit. Um von Punda wieder hinüber nach Otrabanda zu kommen, benutzen wir die Koningin Emmabrug: Bei der 168 Meter langen Pontonbrücke handelt es sich um eine schwenkbare Konstruktion, die zur Seite gedreht werden kann, um Schiffen die Durchfahrt zu ermöglichen. Ihre Bauweise ist einzigartig auf der Welt. Errichtet wurde sie bereits 1888; zuletzt wurde sie 2006 grundlegend modernisiert. Wenn sie übrigens gerade nicht gequert werden kann, übernehmen zwei Fährboote kostenlos den Transport der Fußgänger über die Sint Annabaai. In den Anfangszeiten kostete sogar die Benutzung der Brücke eine Gebühr – es sei denn, man war barfuß unterwegs…




Hallo ihr zwei,
wünsche euch noch schöne Tage in Willemstad, ist immer wieder toll eure Berichte zu lesen. Wie schnell doch ein Jahr vergangen ist, in dem ich durch euch Länder Südamerikas besser kennenlernen konnte.
Sehen uns dann im neuen Schuljahr.😀
Liebe Grüße Lioba
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Hallo Lioba,
inzwischen ist unser letzter Abend auf Curaçao angebrochen. Die Reise geht nun unweigerlich dem Ende entgegen – wir finden es wirklich toll, dass du uns ein ganzes Jahr lang mit so großem Interesse auf unseren Wegen durch Lateinamerika verfolgt und das durch deine Kommentare auch immer wieder gezeigt hast. Genieß deine Ferien und wir freuen uns aufs Wiedersehen!!!
Liebe Grüße
Jana und Wolfgang
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