Abisko.

Es ist ein langer Weg in den hohen Norden von Schweden: Mit der Regionalbahn erreichen wir – Denise, Peter, Jana und ich – zunächst von Örebro in knapp zwei Stunden Stockholm, überbrücken in der Hauptstadt eine eineinhalbstündige Wartezeit und beziehen dann unser Abteil im Liegewagen, das für die nächsten 17 Stunden unser Zuhause sein wird.

Zwischenstation auf dem Weg in den Norden: Stockholms Hauptbahnhof
Der Nachtzug steht bereit…

Lag rund um Stockholm kaum Schnee, so fahren wir nun parallel zur Ostseeküste nordwärts und damit mitten hinein in den Winter. Die Bahnhöfe, an denen wir im Laufe des Abends halten, versinken im Schnee, die Temperaturen werden immer frostiger.

Wir fahren durch die Winternacht…
…und verkürzen uns die Zeit mit Kartenspielen

Und als wir am nächsten Morgen aufwachen, befinden wir uns bereits in Lappland und überqueren den Polarkreis – angekommen in einer Welt, die in klirrender Kälte erstarrt ist. Gällivare und Kiruna heißen die weit auseinanderliegenden Kleinstädte in Schwedens Norden, an denen unser Nachtzug Zwischenstation macht.

Erster Halt nördlich des Polarkreises: Gällivare

Gerade in Kiruna, der kurz vor 1900 gegründeten Eisenerzsiedlung, verlassen zahlreiche Passagiere den Zug – sie nehmen hier, in Schwedens nördlichster Stadt, Quartier.

Für viele Fahrgäste die Endstation: Kiruna

Wir dagegen bleiben bei sich nun schnell besserndem Wetter noch eine knappe Stunde länger an Bord: Unser Ziel heißt Abisko, ein gerade einmal 130 Einwohner zählendes Dorf, das auf 385 Metern Meereshöhe am Südufer des Torneträsk, mit 330 km² der siebtgrößte See Schwedens, liegt. Hier haben wir für die nächsten zwei Nächte eine kleine Hütte, auf Schwedisch Stuga, in der Abisko Mountain Lodge gemietet.

Durch tolle Winterlandschaft…
…nähern wir uns entlang dem Torneträsk
…unserem Ziel Abisko
Ankunft am Bahnhof
Die Anlage der Abisko Mountain Lodge, zu der sowohl ein Haupthaus als auch Hütten gehören
Unsere Stuga

Nachdem wir unser Gepäck dort abgestellt haben – zu Fuß sind es vom Bahnhof dorthin gerade mal fünf Minuten -, begeben wir uns zu einer ersten Erkundung ans Seeufer. Hier oben ist ein Winter wirklich noch ein Winter: Der Torneträsk ist von einer dicken Eisschicht überzogen, die eindrucksvolle, dicht verschneite Bergwelt rund um den See glänzt im Sonnenlicht.

Auf dem Weg zum See…
…und auf dem See
Impressionen vom Torneträsk

Ein besonderes landschaftliches Highlight ist das markante Lapporten, übersetzt Lappenpforte, das als halbkreisförmiges Trogtal die Bergsilhouette östlich von Abisko dominiert: Die Talsohle liegt bereits auf etwa 1.000 Metern, die beiden sie einfassenden Berge Tjuonatjåkka und Nissuntjårro ragen 1.554 bzw. 1.738 Meter in die Höhe.

Das Lappeporten
…das markante landschaftliche Wahrzeichen von Abisko

Das Dorf Abisko selbst hat keine besonderen Sehenswürdigkeiten zu bieten: Erst um das Jahr 1900 während des Weiterbaus der Bahnlinie von Kiruna nach Narvik gegründet, lebt es in erster Linie vom Tourismus.

Unspektakuläre Dorfmitte: Karvens väg in Abisko

Das liegt selbstverständlich an der grandiosen Natur, von der die in der nordischen Einsamkeit gelegene Ansiedlung umgeben ist. So ist es kein Wunder, dass der schwedische Staat hier schon 1909 einen Nationalpark eingerichtet hat. Im Sommer bietet er eine Vielzahl von Wandermöglichkeiten, aber auch im Winter ist es hier wunderschön.

Spaziergänge durch den Abisko-Nationalpark…
…sind auch im Winter reizvoll

Besonders spektakulär ist Abéskovvu, ein Canyon, den der Abiskojåkka auf seinem Weg in den Torneträsk durchfließt. Im langen Winter friert der Wasserlauf weitgehend zu, was an den steilen Felswänden zu spektakulär gefrorenen Wasserfällen führt – ein ideales Terrain für die artistischen Aktionen von Eiskletterern.

Der Abiskojåkka fließt durch den Abéskovvu-Canyon
Der gefrorene Wasserfall ist ein Abenteuerspielplatz für Eiskletterer

Ein ganz spezielles Wintervergnügen ist auch ein Spaziergang über den Torneträsk – die dicke Eisschicht lässt das völlig gefahrlos zu, sodass wir den Rückweg von der Abisko Turiststation, in deren Nähe sich der Canyon befindet, zum etwas weiter östlich gelegenen Dorf bei traumhaftem Winterwetter über den See zurücklegen.

Der dick gefrorene Torneträsk
…lässt gefahrlos eine Wanderung über den See zu
Auf blankem Eis…
…und über aufgeworfene Schollen

Der Hauptgrund für die lange Reise in den hohen Norden wird jedoch erst dann sichtbar, wenn die Dunkelheit über dem weiten weißen Land hereingebrochen ist – falls der Himmel das zulässt, falls er nicht hinter einer dichten Wolkendecke verborgen ist. Abisko bietet dafür die bestmöglichen Voraussetzungen: Die Bergketten im Westen halten die Regenwolken vom Atlantik fern, sodass das Dorf der niederschlagsärmste Ort Schwedens ist; zudem ist die Lichtverschmutzung sehr gering, da die Gegend extrem dünn besiedelt ist.

Sonnenverwöhntes Abisko – hier das Gelände unserer Lodge

Also: optimale Bedingungen zur Beobachtung des Polarlichts – nur: Wird dieses Himmelsphänomen sich während der zwei Tage, in denen wir uns hier aufhalten, auch zeigen? Gleich für den Dienstagabend haben wir eine Tour beim Anbieter Abisko Fjällturer gebucht: Mit einem mit Rentierfellen ausgelegten Schneemobil, gegen die Kälte extra noch mit einem Schneeanzug, dicken Boots und warmen Handschuhen ausgestattet, fahren wir abends um acht Uhr in den kargen Winterwald, der sich über die Hänge gleich im Süden des Ortes erstreckt, bis wir weit genug entfernt vom Ort sind, um uns in nahezu völliger Dunkelheit zu befinden.

Startklar zur Tour in die Polarnacht!

Vorsorglich hat der Touranbieter auf einer größeren Lichtung ein Zelt aufgestellt: Hier kann man sich zwischenzeitlich aufwärmen und sich auch mit heißem Tee und einem Imbiss – natürlich die typisch schwedischen Zimtschnecken – stärken. Gut so, denn das Nordlicht lässt erst einmal auf sich warten. Mit bloßem Auge ist lange gar nichts zu erkennen, nur bei Nachtaufnahmen, die Peter mit Hilfe eines Stativs mit extrem langer Belichtungszeit macht, sieht man, dass es am Himmel bereits leichte Aktivitäten gibt. Kurzweilig wird die Himmelsbeobachtung auch dadurch, dass immer mal wieder Sternschnuppen aufglühen.

Das Zelt ist wichtig, um sich zwischendurch aufzuwärmen
Erste Anzeichen des Polarlichts – und eine Sternschnuppe…

Nach halb zehn Uhr ändert sich das aber dann gewaltig: Das Polarlicht nimmt an Intensität erheblich zu, sodass es nun am nördlichen Nachthimmel als grüner Schleier, der seine Form immer wieder verändert, bestens zu erkennen ist. Ein unglaublich beeindruckendes, von uns nie zuvor erlebtes Naturschauspiel! Trotz der Eiseskälte kann uns unser Guide nur schwer dazu veranlassen, kurz vor elf Uhr abends wieder die Fahrt hinunter ins Tal anzutreten.

Das Warten lohnt sich…
…das Polarlicht wird intensiver und wechselt ständig die Gestalt
Ein unvergessliches Erlebnis!

Auch am nächsten Abend sind die Voraussetzungen bestens: Der Himmel ist sternenklar, die Luft bei etwa – 15° Celsius klirrend kalt und trocken, sodass wir uns diesmal auf eigene Faust auf Polarlichtbeobachtung begeben. Das Himmelsschauspiel, das auf winzige, elektrisch geladene Teilchen zurückgeht, die die Sonne ins Weltall schleudert (der sogenannte Sonnenwind) und die beim Eintritt in die Erdatmosphäre auf das Magnetfeld unseres Planeten treffen, ist auch am Ufer des Torneträsk sehr gut zu beobachten, da sich hier die störenden Lichter des Ortes im Rücken von uns Beobachtern befinden. Dass wir uns hier allerdings in guter Gesellschaft mit einer bunten Mischung von Touristen aus aller Herren Länder befinden, darf nicht verwundern: Das Nachtleben von Abisko besteht nicht aus viel mehr als Polarlichter-Gucken…

Auch über dem See erscheint das mysteriöse Himmelszeichen…

Die drei Tage nördlich vom Polarkreis nutzen wir zudem für eine Stippvisite im Nachbarland: Die Erzbahn, Europas nördlichste Eisenbahnlinie, führt von Abisko nämlich noch 78 Kilometer weiter, zunächst durch das faszinierende Bergland des Skandinavischen Gebirges (Schwedens höchster Berg, der 2.111 Meter aufragende Kebnekaise, ist nur wenig südlich gelegen), und schlängelt sich anschließend 500 Höhenmeter bergab bis nach Narvik, die eisfreie Hafenstadt am Ofotfjord. Und damit sind wir für wenige Stunden in Norwegen – ein längerer Aufenhalt ist leider aufgrund des Zugfahrplans nicht möglich; täglich verkehren lediglich zwei Züge auf dieser Strecke.

Alles einsteigen zum Tagesausflug nach Narvik!
Durch tief verschneites Bergland…
…gelangen wir an den Rombaksfjord
…über den sich die noch im Bau befindliche Hålogalandbrücke spannt

Dennoch lohnt sich der Kurzbesuch: Narvik liegt landschaftlich wunderschön zwischen Bergen und Meeresarmen. Die Stadt, die im Zuge des Baus der Bahnlinie um 1900 entstand, zählt heute gut 18.000 Einwohner und ist nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges, als die Deutschen die Hafenstadt bombardierten und anschließend fünf Jahre besetzt hielten, in modernem Gesicht wiederaufgebaut worden.

Moderne Zweckbauten prägen das Gesicht von Narvik: Rathaus
…und Fischhalle sind zwei markante Beispiele

Einem Tipp von Janas Eltern folgend, steuern wir durch die Kongensgate geradewegs auf das Scandic Hotel zu: Die dortige Skybar im 15. Stock bietet einen traumhaften Ausblick auf die ganze Stadt, die sich während unseres Aufenthalts bei herrlichstem Sonnenschein präsentiert.

Vom obersten Stockwerk des Scandic Hotel
…genießen wir einen herrlichen Blick über Narvik

Der dunkle Steinbau der 1925 errichteten Narvik kirke sticht architektonisch aus dem Stadtbild hervor, während im Hintergrund die verschneiten Bergketten den Herjangsfjord, einen zehn Kilometer langen Nebenarm des Ofotfjord, umrahmen. Und dreht man sich um, schaut man direkt auf die Skipiste: Am Fagernessfjellet haben die Wintersportler die Gelegenheit, in Narvik in den Lift zu steigen und von oben nicht nur die Abfahrt auf Alpinskiern oder dem Snowboard zu genießen, sondern zusätzlich noch ein Landschaftspanorama mit Stadt, Bergen und Fjorden, das seinesgleichen sucht…

Rund um die Kirche…
…Erzverladehafen…
Skipiste gleich hinter der Stadt
Narviks Kriegsmuseum erinnert an die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg

Schade, dass wir nicht viel mehr als zwei Stunden Aufenthalt haben; bald geht es zurück nach Abisko, mit dem gleichen Zug, mit dem wir tags darauf auch wieder die Rückreise nach Stockholm antreten werden.

In der Abenddämmerung beginnt die Rückfahrt in den Süden