Berat.
Dass uns in Albanien einiges an Südamerika erinnert, haben wir ja bereits erwähnt. Bei der Weiterreise von Tirana – unser Gastgeber hat uns zum Abschied ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir ihn bei irgendwelchen Problemen jederzeit anrufen können – wird uns das erneut deutlich vor Augen geführt: Mit einem von der Unterkunft organisierten privaten Fahrer erreichen wir das Busterminal an einer belebten Ausfallstraße Richtung Flughafen. Das besteht allerdings nur aus einem großen Parkplatz, auf dem eine unübersehbare Anzahl von Bussen auf ihren Einsatz wartet: Das jeweilige Ziel ist an einem großen Schild in der Frontscheibe erkennbar; lange suchen müssen wir nicht, um den richtigen Omnibus zu finden – zahlreiche Helfer nehmen uns gleich beim Aussteigen in Empfang und lotsen uns zur gewünschten Linie nach Berat. Fliegende Händler sorgen vor Fahrtbeginn und auch unterwegs dafür, dass man weder Hunger noch Durst leiden muss. Ein Ticket brauchen wir nicht zu kaufen; man zahlt einfach am Ende der Fahrt beim Busbegleiter. Da war Südamerika ja um einiges bürokratischer…

Es ist völlig unkompliziert und zudem unschlagbar günstig, hier mit Bussen von A nach B zu kommen; das haben wir bereits in Reiseführern gelesen und deswegen entschieden, nicht die kompletten zwei Wochen ein Mietauto zu nehmen (ehrlich gesagt, hatten wir es zunächst eigentlich vor; nachdem die ursprüngliche Buchung aber storniert wurde, entschieden wir uns kurzerhand dazu, das altbekannte Reisefeeling vom letzten Jahr wiederaufleben zu lassen). Nach gut zwei Stunden Fahrzeit, zunächst Richtung Küste nach Durrës, anschließend südwärts durch eine flache Schwemmlandebene langsam wieder in bergigere Regionen, haben wir Berat errreicht – die gut 70.000 Einwohner zählende Stadt liegt im Tal des Osum und ist aufgrund seiner bestens erhaltenen Altstadt aus osmanischer Zeit und der gewaltigen Burganlage hoch über dem Ort in die UNESCO-Weltkulturerbeliste aufgenommen.

Wir haben ein Zimmer für zwei Nächte im Guesthouse Niko gebucht; das kleine Häuschen unweit vom Fluss liegt zu Fuß nur wenige Minuten vom Zentrum entfernt und wird von einem sehr gastfreundlichen, umtriebigen Einheimischen geführt. Seine Fremdsprachenkenntnisse beschränken sich zwar auf ein paar wenige englische und italienische Wörter; aber das macht der vielleicht knapp 60 Jahre zählende Gastgeber durch reichlich Gestik und Mimik und seine einnehmende Art schnell wett.

Am Montag beschränken wir uns auf einen ersten gemütlichen Spaziergang, der uns über den zur Fußgängerzone umgestalteten, von zahlreichen kleinen Cafés gesäumten Bulevardi Republika zur Ura e Varur führt. Diese für Fahrzeuge nicht passierbare Brücke verbindet die moslemische Altstadt Mangalemi mit dem kleineren, südlich des Flusses liegenden christlichen Stadtteil Gorica. Was beide Stadtviertel gemeinsam haben: die dicht aneinandergebauten großen Fensterfassaden, die sämtliche an steilen Felshängen befindliche Häuser aufweisen. Da das Tageslicht jeweils nur von der Talseite der Gebäude hereingelangen konnte, sollten wenigstens hier so viele Fenster wie möglich vorhanden sein – ein Umstand, der dem Ort bis heute sein ganz spezielles Aussehen verleiht und ihm auch den Beinamen Stadt der 1000 Fenster gegeben hat.


Das Stadtbild vervollständigt am westlichen Ende der Altstadt die auf das 18. Jahrhundert zurückgehende, nach Kriegszerstörungen restaurierte elegante steinerne Brücke Ura e Goricë, auf der eine ganze Gruppe von Anglern ihre Leinen ausgeworfen hat in der Hoffnung, dass ihnen ein kostenloses Abendessen an den Haken geht.


Auffälligster Bau – eigentlich ein ganzes Stadtviertel für sich – in Berat ist zweifellos die Burganlage, die sich auf einem steilen, vom Osum umflossenen Hügel erstreckt. Ihre Siedlungsgeschichte reicht bis ins zweite vorchristliche Jahrtausend zurück; die ältesten der heute noch zu sehenden Burgmauern stammen aus dem 12. Jahrhundert.







Damals bauten die byzantinischen Herrscher die Festung aus; später wurde sie dann von den Osmanen übernommen, die den orthodoxen Kirchen und Klöstern auf dem Burggelände Moscheen hinzufügten. Bewohnt ist das gesamte Burgviertel noch heute – in den schmalen Gassen scheint die Zeit stehengeblieben zu sein.




Die atheistische Ideologie des Kommunismus hat auch in der Burg von Berat ihre Spuren hinterlassen: Die Kirche Shën Gjergi wurde in dieser Zeit zu einem Touristen-Informationszentrum umgewandelt, das dazugehörige Kloster zu einer Parteiunterkunft umgebaut. Ein freundlicher Einheimischer, der vor dem Gebäude Getränke und Früchte verkauft, sperrt uns den Bau, der in Teilen heute einen ruinösen Eindruck macht, auf und zeigt uns, dass das Untergeschoss mittlerweile wieder als Kirche verwendet wird. Einige 300 Jahre alte Ikonen haben den Bildersturm der Hoxha-Diktatur überstanden, wie uns der Mann nicht ohne Stolz und mit Händen und Füßen begreiflich macht.



Obwohl Berat zu den bekanntesten und sehenswertesten Städten Albaniens zählt und wir in der Fußgängerzone durchaus eine erhebliche Zahl ausländischer Touristen antreffen, wird der Gast aus der Fremde hier eindeutig noch nicht in erster Linie als Geldquelle angesehen, die es nach Kräften und in jeder möglichen Situation anzuzapfen gilt. Das spüren wir auch noch bei anderen Gelegenheiten: Etwa, wenn der Espresso gerade mal knapp 60 Cent kostet und von einem großen Glas Wasser begleitet wird, wenn der Eintritt für die Burg bei weniger als einem Euro liegt oder, als wir am späten Nachmittag nochmal eine Runde durch die Altstadt drehen und dabei an einen kleinen Platz gelangen, an dem sich die Xhamia Mbret, die Königsmoschee, und die Teqeja e Helvetive (das Kloster der Halweti-Derwische) gegenüberstehen.


Wir werfen gerade einen Blick auf die Eingangstür der Moschee, als uns ein älterer Mann sieht und uns bittet, hereinzukommen. Wir dürfen das gut 500 Jahre ale Gotteshaus gerne besichtigen. Schuhe ausziehen? Nein, nicht doch, das ist wirklich nicht notwendig… Innen beeindruckt die Moschee mit ihrer schmuckvollen Holzdecke und der ebenfalls hölzernen Empore, auf der der aufgeschlagene Koran auf den Vorbeter wartet.


Auch die Tekke der Derwische sperrt uns der gute Mann bereitwillig auf: Der Innenraum ist ebenfalls mit Holzvertäfelungen geschmückt, sein annähernd quadratischer Grundriss war dafür gedacht, dass einer der Derwische seinen Tanz aufführte, während die übrigen Mönche den dazu passenden tranceartigen Gesang beisteuerten. Die kommunistische Zeit haben die beiden Gebäude übrigens mit sehr unterschiedlicher Nutzung überlebt: War die Tekke in dieser Zeit ein Obst- und Gemüsemarkt, so diente die Moschee als – Tischtennishalle!


Diese der schiitischen Glaubensrichtung zuzurechnende Derwisch-Sekte war in Albanien aufgrund seiner toleranten Art, etwa der Bereitschaft, naturreligiöse Vorstellungen des einfachen Volkes zu integrieren, sehr beliebt. Eine Toleranz, die auch die direkte Nachbarschaft der sunnitischen Moschee erklärbar macht, ebenso wie ein paar hundert Meter weiter das direkte Gegenüberstehen der heute wichtigsten Moschee der Stadt, der Xhamia e Plumbit (Bleimoschee), und der orthodoxen Kirche Shën Dhimitrit: Wie man uns erklärt, waren religionsgemischte Ehen hier noch nie ein Problem. Und ob die einen gerade den Fastenmonat Ramadan begehen, während die anderen ihr Schweinesteak essen und sich dazu ein Bier oder den albanischen Raki (der unter anderem hier in Berat hergestellt wird und mit dem italienischen Grappa vergleichbar ist) genehmigen, ist in diesem erstaunlichen kleinen Land ebenfalls für niemanden ein Grund, sich aufzuregen…
