Gjirokastra.
Es ist Samstagmorgen, wir sitzen bei herrlichstem Wetter auf der Terrasse unseres Hotels in Saranda beim Frühstück – die erste von zwei Urlaubswochen in Albanien ist bereits fast vergangen, und es gibt noch so viel zu entdecken! Und weil wir in den letzten Tagen festgestellt haben, dass das Vorankommen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwar kein Problem, aber doch recht zeitaufwändig ist, haben wir uns dafür entschieden, jetzt doch ein Auto zu mieten. Allerdings haben wir es im Internet nur bis Dienstag gebucht, weil wir speziell für die Weiterreise Richtung Ostalbanien unabhängiger sein wollten. Inzwischen haben wir noch einmal überlegt und sind zu dem Schluss gekommen: Am besten ist es, das Auto für die gesamte nächste Woche zu nehmen. Im Büro von Avis, das sich direkt im Gebäude des Fährterminals von Saranda befindet, lässt sich der Mietvertrag sicherlich problemlos verlängern, denken wir. Das sieht der freundliche Angestellte ganz genauso – er kann das alles nur nicht selbst am PC erledigen, denn die Niederlassung ist noch ganz neu. Aber WhatsApp sei Dank: Kreditkarte, Personalausweis und Führerschein können abfotografiert und an die Zentrale nach Tirana geschickt werden. Die kann die komplette Bürokratie übernehmen und uns auch die geänderte Abrechnung bei der Rückgabe des Fahrzeugs aushändigen. Doch damit taucht ein ganz anderer Haken auf, den es laut unserem Mietvertrag eigentlich gar nicht geben dürfte: Für die Abgabe des Fahrzeugs an einem anderen Ort hat der Avis-Mann eine Einmalgebühr von 120 Euro auf seiner Rechnung stehen. Wir dagegen haben unsere Buchungsbestätigung vom Portal Check24 erhalten, und da lesen wir ganz eindeutig: „Einweggebühr inklusive“. Was nun? Der Angestellte erklärt uns, dass Avis Albanien ein Franchise-Unternehmen ist, das auf eigene Rechnung operiert und diese Einweggebühr immer verlangt. Er erzählt uns, dass andere Deutsche dasselbe Problem hatten, weil offensichtlich die Buchungssysteme deutscher Anbieter nicht richtig angeglichen sind. Das glauben wir dem Mann alles – nur haben wir einen anderen Vertrag abgeschlossen. Der gute Mann ist hilfsbereit; wir dürfen von seinem Handy aus bei Check24 in Deutschland anrufen – und erleben am anderen Ende der Leitung einen etwas überraschten Mitarbeiter: „Was? Die Einweggebühr ist mit dabei?“ Ein Blick in sein Buchungssystem überzeugt ihn aber davon, dass dem tatsächlich so ist. Also kommt sein Laden aus der Nummer wohl nicht raus – wir sollen die Rechnung der Autovermietung am Ende einscannen und per E-Mail an die Vermittlungsagentur schicken, dann erhalten wir die Einweggebühr zurückerstattet. Eine Mail, die wir gleich von Check24 erhalten, bestätigt dieses Versprechen.
Also gut, das ist ein Wort: Unter diesen Voraussetzungen unterschreiben wir den Mietvertrag, lassen uns Papiere und Schlüssel für den Opel Astra geben und starten mit etwas Verspätung den zweiten Teil unseres Albanien-Trips. Der führt uns gleich mal an einen Ort, den wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln wahrscheinlich gar nicht erreicht hätten: In der Nähe des Dorfes Bistrica zweigt ein zwei Kilometer langer, nicht asphaltierter Weg von der Landstraße ab, die hier, gut 20 Kilometer östlich von Saranda, bereits in ein schattiges Gebirgstal hineingeführt hat. Über einen Staudamm, an dem der Fluss Bistrica aufgestaut wird, erreichen wir schließlich die Karstquelle Syri i Kaltër.

Und obwohl sich an diesem Samstag reichlich albanische Ausflugsgruppen und europäische Urlauber ein Stelldichein geben, hat dieser bezaubernde Ort ein wunderbares, traumhaft idyllisches Flair. Das beginnt direkt an dem kräftig sprudelnden Quelltopf, wo das kristallklare Wasser tief hinunterblicken lässt und einen intensiven hellblauen Farbton hervorruft – deswegen auch der Beiname Blue Eye (Blaues Auge).



Anschließend läuft der Quellbach durch ein dicht bewaldetes Tal und bietet hier die perfekte Kulisse für ein kleines Ausflugslokal, das sich mittlerweile an seinem Ufer angesiedelt hat. Bleibt zu hoffen, dass dieses liebliche Fleckchen Erde durch den absehbar weiter steigenden Tourismus keinen Schaden nimmt…

Über den Muzina-Pass auf schmalen Straßen das breite Drino-Tal erreichend, kommen wir nach 20 weiteren Kilometern auf einer gut ausgebauten Hauptstraße am frühen Nachmittag in Gjirokastra an. Trotz seiner nur etwa 20.000 Einwohner – die Bevölkerungszahl ist aufgrund von Abwanderung nach der politischen Wende deutlich gesunken – gilt die Stadt als ein wichtiges kulturelles Zentrum Südalbaniens. Zudem zieht sie sich wunderschön einen steilen Berghang hinauf und wird von einer mächtigen Burganlage, die auf einer markant ins Tal vorspringenden Felsnase errichtet wurde, überragt. So steht sie auch bereits seit geraumer Zeit auf der UNESCO-Weltkulturerbeliste.

Einziges Problem für uns: Eine Umfahrungsmöglichkeit der Altstadt existiert nicht – wir müssen uns mit dem Auto durch die schmalen, steilen, mit uraltem Kopfsteinpflaster befestigten Gassen quälen, um den Weg zu dem toll gelegenen kleinen Hotel Kalemi, das aus einem traditionellen Herrenhaus oberhalb der Innenstadt entstanden ist, zu gelangen.

Nachdem diese Herausforderung gemeistert ist, steht einer Stadterkundung von Gjirokastra nichts mehr im Weg. Zu Fuß lassen sich die Strässchen des historischen Zentrums wesentlich leichter erkunden als mit dem Auto, und wir bewundern die vielen gut restaurierten Gebäude, deren Dächer ortstypisch mit flachen Natursteinen gedeckt sind, was Gjirokastra den Beinamen Stadt der Steine eingebracht hat.

Den besten Überblick auf diese malerische Stadt bekommt man, wenn man zur Burganlage hinaufwandert und von ihren Mauern den Blick weit über die Dächer Gjirokastras ins Tal des Drino schweifen lässt. Doch nicht nur deswegen lohnt ein Besuch der weitläufigen Anlage, deren Wahrzeichen der osmanische Uhrturm aus dem 19. Jahrhundert ist: Hinter den dicken Mauern werden Artilleriegeschütze und Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg und sogar eine amerikanische Lockheed-Militärmaschine gezeigt – letztere landete mitten während des Kalten Kriegs 1957 in Tirana. Ob sich der US-Pilot, wie von amerikanischer Seite angegeben, im dichten Nebel verflog, Italien verfehlte und dann aufgrund Spritmangels notlandete, oder ob die albanische Version, es habe sich um einen Spionageflug gehandelt, stimmt – wer kann das heute noch nachvollziehen? Auf jeden Fall ist diese Geschichte ein Kuriosum.




Die Jahrhunderte der osmanischen Herrschaft sind im Stadtbild von Gjirokastra noch heute überall spürbar. Besonders beeindruckend: das weit oben am Hang gelegene Zekati-Haus, ein sogenanntes Wehrturmhaus, das Beqir Zeko, der höchste Verwaltungsbeamte der Stadt, 1811/12 anlegen ließ. Der vierstöckige Bau, der etwa 20 Meter in die Höhe ragt, besteht aus zwei Wehrtürmen, die durch einen zweiarkadigen Mittelteil verbunden sind. Es ist heute in privatem Besitz, kann aber für eine geringe Eintrittsgebühr besichtigt werden. Und dieser Besuch lohnt sich wirklich: Die Einrichtung der Wohn- und Versammlungsräume im typisch osmanischen Stil mit zahlreichen Wandschränken, niedrigen Sitzbänken, Kaminöfen, einem Hamam und als Höhepunkt dem Gäste- und Festraum im obersten Stockwerk, der mit zahlreichen Fresken, Schnitzarbeiten und farbigen Fenstergläsern geschmückt ist.




Obwohl Gjirokastra inzwischen zweifelsohne ein sehr beliebter Touristenort geworden ist, hat sich die Bevölkerung ihre ursprüngliche Gastfreundschaft und Herzlichkeit bewahrt. Das erleben wir in unserem kleinen Hotel, bei den Besitzern des Zekati-Hauses, aber auch in einem kleinen Imbiss in der Altstadt, direkt am zentralen Platz, der Qafa e Pazarit – eigentlich eher eine Kreuzung der wichtigsten innerstädtischen Gassen. Die Betreiberin des Lädchens spricht uns auf Deutsch an (sie lernt es im Selbststudium im Internet) und gibt uns einen guten Tipp: Um 18 Uhr findet hier auf dem Platz eine „Party“ statt, da sollen wir unbedingt wieder kommen.



Wir folgen dem Rat und bereuen es nicht: Eine einheimische Folklore-Gruppe und vor allem eine Tanzgruppe aus Ägypten begeistern hier mit ihren Aufführungen eine stetig größer werdende Zuschauermenge – die Ägypter, deren Ensemble aus einer Frauen- und einer Männergruppe besteht, scheinen echte Profis zu sein; ihr Auftritt ist sogar einem albanischen Fernsehsender eine Aufnahme wert…

