Donaumünster.

Shkodra ist seit Dienstagabend die Basisstation für unsere Ausflüge in Nordalbanien, abends waren wir schon zweimal in der Innenstadt, um die quirlige Fußgängerzone zu genießen und einige der zahlreichen guten Restaurants auszuprobieren. Aber genauer wollen wir die etwa 112.000 Einwohner zählende Stadt, die größte Nordalbaniens, nach unserer Rückkehr aus dem idyllischen Bergdorf Theth kennenlernen. Nur tut sich da plötzlich ein kleines Problem auf: Gegen Mittag bitten wir den Besitzer unserer Unterkunft Bujtina Polia, den Fahrer anzurufen, der uns gestern hierher gebracht hat, um zu klären, wo genau er um 13 Uhr – wie es vereinbart ist – losfährt. Schon als er die Nummer des Chauffeurs sieht, kommentiert er sarkastisch: „Da habt ihr ja einen katastrophalen Fahrer erwischt!“ Wenig später ist klar, wie er das meint – es geht nicht um den Fahrstil, sondern um die Zuverlässigkeit. Der Gute teilt am Telefon nämlich mit, dass er heute gar nicht nach Theth gefahren ist. Was nun? Wir sitzen herum, unsicher, ob wir am Nachmittag wie geplant nach Shkodra zurückkehren können. Doch es ergibt sich auch diesmal eine Lösung: Der Guesthouse-Betreiber findet nach einigen Telefonaten einen Kleinbus, der noch ein paar Plätze frei hat. Eine Stunde später als vorgesehen werden wir abgeholt. Auch die Rückfahrt wird wieder sehr gesellig: Außer uns ist noch ein weiteres deutsches Ehepaar an Bord, dazu einige Einheimische – ein alter Albaner holt unterwegs eine kleine Wasserflasche hervor und bietet sie uns an. Schnell ist klar, dass die klare Flüssigkeit da drin hochprozentig ist und wirklich gut schmeckt: Ein vermutlich selbstgebrannter Raki Rrushi – so heißt der in ganz Albanien beliebte Traubenschnaps – macht in der Folge zweimal die Runde durch den ganzen Bus; der Alkohol sorgt schon dafür, dass man sich da nichts holt…

Auch diesmal gibt es unterwegs wieder Begegnungen mit überforderten deutschen Wohnmobilisten. Doch das ist letztlich deren hausgemachtes Problem; wir kommen wohlbehalten in Shkodra an, werden im AmberyellowBnB aufs Herzlichste von Bep und seinen betagten Eltern (sie führen die Pension, wenn er seiner Arbeit als Koch in Belgien nachgeht) willkommen geheißen und tun anschließend das, was wir auch an den vorigen Abenden in der Stadt getan haben: Wir leihen uns Fahrräder in unserer Unterkunft aus und radeln damit durch ruhige Gassen in wenigen Minuten in die Innenstadt. Shkodra ist das Zentrum des Katholizismus in Albanien und weist daher auch eine Reihe von Kirchenbauten auf. Die größte unter ihnen passieren wir gleich auf dem Weg in die Altstadt: Die Kisha e Madhe ist die zwischen 1856 und 1898 erbaute Kathedrale, die nach ihrer Zweckentfremdung zu einer Sporthalle in kommunistischen Zeiten nun wieder ihrem ursprünglichen Zweck dient.

Shkodras katholische Kathedrale Kisha e Madhe

Noch zentraler befindet sich die Franziskanerkirche: Sie steht in Sichtweite zum aus dem 19. Jahrhundert stammenden Uhrturm, einem Wahrzeichen der Stadt, und zur größten Moschee Shkodras, der 1994/95 mit saudi-arabischen Spendengeldern neu errichteten Xhamia Ebu Bekër. Weil gerade Ramadan ist, hören wir pünktlich zum Sonnenuntergang den Ruf des Muezzins – was in einem eigenartigen, aber von den Albanern nicht als Problem angesehenen Kontrast zu den zahlreichen Menschen steht, die in der daran angrenzenden Fußgängerzone gerade in Kneipen und Restaurants sitzen.

Sonnenuntergang über der Xhamia e Madhe – dazwischen ragt der Turm der Franziskanerkirche auf
Eines der Wahrzeichen von Shkodra: der Uhrturm

Hier schlägt das eigentliche Herz der Stadt: Die Rruga Kolë Idromeno ist von stilvollen Fassaden des 19. Jahrhunderts geprägt und wird nicht umsonst auch Caféstraße genannt, denn in der Mitte der gepflasterten Fußgängerzone befinden sich Lokale in ununterbrochener Reihe. Hier bummelt ganz Shkodra beim Xhiro, dem traditionellen abendlichen Rundgang der Albaner, auf und ab, hier lassen sich die recht zahlreichen Touristen die Spezialitäten der heimischen Küche schmecken, hier gibt es aber auch trendige Bars, in denen die Upper-Class-Jugend ins Wochenende hineinfeiert.

In der Rruga Kolë Idromeno
…steht ein Straßenlokal neben dem anderen
Abends bummeln alle Altersklassen beim Xhiro auf und ab

Am Samstagmorgen müssen wir Abschied nehmen von Bep und seiner Familie. Obwohl wir insgesamt nur drei Nächte dort waren, haben wir das Gefühl, zu Freunden Lebewohl zu sagen – im Falle von Bep geschieht das alles übrigens auf Spanisch, das er besser beherrscht als Englisch (zudem spricht das Sprachentalent, das in Brüssel eine deutsche Freundin hat, noch Italienisch, Französisch und Portugiesisch). Wir wollen Shkodra nicht verlassen, ohne zumindest einen kurzen Blick auf den größten See des Balkans geworfen zu haben, der gleich nördlich der Stadt beginnt und zwischen Albanien und dem Nachbarn Montenegro geteilt ist: den Skutarisee, benannt nach dem alten Namen der Stadt Shkodra, der zumeist nur zwischen fünf und neun Metern tief ist und von der nahen Adria im Westen durch den fast 1.600 Meter hohen Rumija-Gebirgszug abgetrennt wird.

Badesteg am schilfbewachsenen Ufer des Skutarisees…
…mit Blick zum bergigen montenegrinischen Ufer

Anschließend durchqueren wir die Stadt, um an ihrem Südende einen weiteren, längeren Halt einzulegen. Die Xhamia e Plumbit (Bleimoschee) nahe des Flusses Kir stammt aus dem 18. Jahrhundert und gilt heute als größtes muslimisches Gotteshaus, das die Zerstörungen der kommunistischen Zeit überstanden hat. Auch hier ist es völlig unproblematisch, die Moschee zu besichtigen.

Schnappschuss am Straßenrand: improvisierter Geflügelmarkt
Inmitten einer Wiese am Stadtrand von Shkodra: die Xhamia e Plumbit
Der Vorhof ist von einem Umgang umgeben
Der restaurierte Innenraum…
…des moslemischen Gotteshauses

Nur wenige hundert Meter davon entfernt überragt ein alleinstehender Hügel die gesamte Stadt. An seiner höchsten Stelle steht das imposanteste Gebäude Shkodras: die Kështella e Rozafës (Burg Rozafa), deren älteste Mauerreste auf das vierte vorchristliche Jahrhundert zurückgehen und die nacheinander von Römern, Bulgaren, Serben, lokalen Adligen und schließlich den Osmanen immer wieder erweitert, verstärkt und umgebaut wurde. Heute befindet sich der ausgedehnte Bau zwar in einem ruinösen Zustand, ist aber nach wie vor ein Besuchermagnet. So treffen wir an diesem Samstagvormittag auf mehrere Schülergruppen – in Albanien ist der Samstag offensichtlich nicht schulfrei! Zur Beliebtheit trägt nicht zuletzt auch der fantastische Ausblick aufs weite Land bei, den man von hier aus hat – auf die Stadt Shkodra selbst, den See und die den Burgberg umfließenden, sich unweit davon vereinigenden Flussläufe von Kir, Drin und Buna (sie entwässert den Skutarisee zur Adria).

Hoch oben auf dem Burgberg: die Kështella e Rozafës
Hinter den Zinnen der Burg Rozafa
…sind viele Wohn- und Verteidigungsgebäude…
…sowie die romanisch-gotische Kirche Shën Stefan erhalten
Die Burg ist ein beliebtes Ausflugsziel für Schulklassen (die mich auch gleich als Lehrer enttarnen)
Weit schweift der Blick…
…über Fluss…
…und Stadt bis zum See

Nun wird es aber höchste Zeit für uns, weiterzufahren. Wir wollen schließlich noch einen kurzen Abstecher nach Kruja einlegen: Die knapp 15.000 Einwohner zählende Kleinstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Tirana direkt unterhalb der beeindruckenden Bergkulisse der Vargmalet e Skënderbeut gelegen, ist vor allem dank ihrer Burganlage im ganzen Land bekannt. Die Kalaja e Krujës stammt im Wesentlichen aus dem 12. Jahrhundert, als hier ein kleines albanisches Fürstentum gegründet wurde. Zum Nationalheiligtum wurde sie während der Kämpfe gegen die Osmanen zur Zeit des Nationalhelden Skanderbeg im 15. Jahrhundert. Sie konnte erst nach dem Tode des Fürsten von den türkischen Besatzern eingenommen werden.

Nationalheld Skanderbeg…
…ist eng mit Krujas Geschichte verknüpft

Noch heute vermittelt die auf einem etwa 800 Meter langen, in die Ebene hineinragenden Bergsporn errichtete Burg einen sehr wehrhaften Charakter. Ihr originales Aussehen wurde zwar durch ein 1982 am Burgeingang errichtetes Museum, das das Leben und Wirken von Skanderbeg beleuchtet, verändert; aber der beeindruckende Wehrturm am Ostende der Anlage hat seine dominierende Position bewahrt.

Markante Bauwerke auf dem Burgberg: Stumpf eines Minaretts…
…der Wehrturm…
…und das Skanderbeg-Museum

Ansonsten ist in Kruja vor allem ein Bummel durch die engen Gassen des alten Basars ein Erlebnis. Hier reihen sich Souvenirgeschäfte und hochwertige Angebote von Kunsthandwerkern dicht an dicht.

Unterhalb der Burg…
…erstreckt sich…
…die quirlige…
…Basargasse

Für uns ist Kruja das letzte Besichtigungsziel unseres zweiwöchigen Albanien-Aufenthalts. Von hier ist es nicht mehr weit bis zum Tirana International Airport Nënë Tereza nahe dem Dorf Rinas, nach dem er früher auch benannt war. Hier wartet noch eine letzte Herausforderung auf uns: Wir müssen das Büro des Autovermieters AVIS finden, um unseren Opel Astra abzugeben. Unter Mithilfe freundlicher Menschen gelingt uns auch dies; mit einer Stunde Verspätung (die daran liegt, dass unser Flugzeug viel zu spät hier ankam) heben wir gegen halb acht Uhr abends mit einem Airbus 319 der slowenischen Adria Airways ab. Nur eineinhalb Stunden später sind wir wieder zurück in München und kurz vor Mitternacht schließlich auch daheim in Donaumünster.