Bischkek.
Es ist Freitagmorgen um sieben Uhr. Nach wochenlanger hochsommerlicher Hitze hat es in der Nacht abgekühlt, sodass wir bei sehr angenehmen Morgentemperaturen die Haustür hinter uns zuziehen und mit gepackten Rucksäcken den etwa zehnminütigen Fußweg zum Bahnhof in Tapfheim hinter uns bringen. Pünktlich um 7.23 Uhr rollt der agilis-Regionalexpress ein: Es geht los, die erste Etappe unserer gut dreiwöchigen Reise nach Kirgistan und Usbekistan beginnt! Sie führt uns zunächst nur wenige Kilometer weiter nach Donauwörth. Dort treffen wir uns mit Janas Kollegin Carolin und deren Bekannter Renate, die mit uns zusammen die Expedition nach Zentralasien antreten. Mit einem ICE der Deutschen Bahn geht es anschließend weiter: Zunächst nach Würzburg, dort steigen wir um und erreichen gegen 11.30 Uhr schließlich den Bahnhof Frankfurt-Flughafen.
Bei Pegasus Airlines checken wir ein, überbrücken die Wartezeit mit einem letzten deutschen Mittagessen und treten kurz nach 15 Uhr mit etwa halbstündiger Verspätung unseren ersten Flug an: Drei Stunden später landet die Boeing 737-800 auf dem Flughafen Sabiha Gökçen im asiatischen Teil von Istanbul. Weil sich der Weiterflug fast um eine Stunde verzögert, summiert sich unser Zwischenaufenthalt in der Bosporus-Metropole auf zwei Stunden, ehe es mit einer baugleichen Maschine derselben Fluggesellschaft weitergeht. In der Luft holen wir die Verspätung jedoch wieder ein: Schon nach vier Stunden hat uns die Erde wieder, wir sind am Manas Airport in Kirgistans Hauptstadt Bischkek gelandet. Daheim ist es jetzt gerade mal Mitternacht, doch hier in Zentralasien haben wir auf Deutschland vier Stunden Vorsprung: Die lokale Uhrzeit zeigt 4.10 Uhr an, als wir ankommen. Die Passkontrolle geht absolut unkompliziert vonstatten; nur am Gepäckband dauert es eine Weile, ehe wir unsere Rucksäcke wiederhaben. Zollerklärungen, von denen in unserem Reiseführer die Rede war, müssen wir keine ausfüllen; so erreichen wir schnell den Ankunftsbereich, wo wir bereits von einer kirgisischen Mitarbeiterin des Veranstalters Knut-Reisen samt Fahrer erwartet und in einer halbstündigen Fahrt zu unserem Hotel transportiert werden – zu unserer Überraschung landen wir nicht, wie angekündigt, im Garden Hotel, sondern im noch zentrumsnäheren und noch hochwertigeren Hotel Ambassador. Wie wir erfahren werden, haben wir das Upgrade einer Überbuchung des Garden Hotels zu verdanken…

Wir sind ja einen Tag früher angereist als es aufgrund des Programms notwendig wäre: Zum einen, um etwas mehr Zeit zur Akklimatisierung und Verarbeitung der Zeitverschiebung zur Verfügung zu haben, zum anderen aber auch deswegen, weil der Flug an diesem Tag um einiges günstiger war. Die zusätzliche Übernachtung, die wir deswegen gebucht haben, bezieht sich ja erst auf die Nacht von Samstag auf Sonntag: Dennoch dürfen wir uns an diesem frühen Samstagmorgen gleich auf unsere Zimmer begeben, uns ein paar Stunden hinlegen und anschließend gemütlich und sehr gut frühstücken. So sind wir zumindest ein bisschen ausgeruht, als wir uns am späten Vormittag zu einer Erkundung Bischkeks aufmachen. Zuvor wollen Jana und ich an einem Geldautomaten, der sich im Empfangsbereich des Hotels befindet, aber noch kirgisische Som abheben. Das Gerät schluckt unsere Karte, aber dann… tut sich rein gar nichts mehr. Der Bildschirm bleibt schwarz, das Drücken der Cancel-Taste zeigt keinerlei Wirkung, auch nicht, als eine Hotelbedienstete ihr Glück versucht. Was nun? Fürs Erste tauschen wir an der Rezeption ein wenig Bargeld; das Personal verspricht, sofort sein Möglichstes zu versuchen, um einen Bankangestellten zu erreichen, der die Karte wieder aus dem Gerät angeln kann. Allerdings mit der wohlweislichen Einschränkung: Es ist Wochenende, mal sehen, ob wir tatsächlich jemanden erreichen…
Wir beschließen, uns davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und beginnen bei hochsommerlichen Temperaturen unseren Stadtrundgang. Die auf etwa 800 Metern gelegene Ein-Millionen-Einwohnerstadt, die ganz im Norden Kirgistans, unweit der Grenze zu Kasachstan, am südlichen Rand einer weiten Ebene liegt, hinter der die fast 5.000 Meter hohe Gebirgskette des Kirgisischen Gebirges aufragt, hat eine recht junge Geschichte: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet und unter russischer Herrschaft herangewachsen, weist sie kein historisches Zentrum auf, sondern präsentiert sich als eine planmäßig im Schachbrettmuster angelegte moderne, von der Sowjetzeit geprägte Metropole.



Dementsprechend sind die wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Bischkek zum Großteil im Stil des sozialistischen Realismus gehalten. Zu den wenigen Ausnahmen zählen die 1955 entstandene, neoklassizistische Oper und die Kathedrale der Heiligen Auferstehung, das bedeutendste orthodoxe Gotteshaus der kirgisischen Hauptstadt. Sie ist mit Baujahr 1947 ebenfalls ein erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstandenes, im Inneren sehr farbenfrohes Bauwerk, das einen sehr gepflegten Eindruck hinterlässt.



Der weitaus überwiegende Anteil der Bevölkerung ist jedoch moslemisch, wenngleich die Religion in diesem säkular geprägten Land keine allzu dominierende Rolle besitzt. Auffälliger im Stadtbild als eine Reihe von älteren, kleineren Moscheen ist ein brandneues, riesengroßes Gebetshaus am Rande der Innenstadt: Die Borborduk-Moschee ist in den letzten Jahren durch Spendengelder aus der arabischen Welt entstanden und soll wohl nach Fertigstellung der sie umgebenden Gartenanlagen bald eröffnet werden. Sie ist ein klares Statement der islamischen Welt: Mohammeds Lehren sollen in Kirgistan wieder größere Verbreitung und mehr Beachtung finden.


Wie schon angedeutet: Das Stadtbild von Bischkek ist in erster Linie von der Sowjetzeit geprägt. Das beginnt schon auf dem Siegesplatz. Hier wurde unübersehbar ein monumentales Denkmal errichtet, das aus drei halbkreisförmig geschwungenen Bögen besteht, die oben zusammentreffen und eine Art Siegeskranz stützen: Das Mahnmal des Großen Vaterländischen Krieges ist in Jurtenform errichtet; die geringe Anzahl der Stangen (üblich sind 60) symbolisiert unter Rückgriff auf kirgisische Traditionen die schweren Verluste, die auch diese sowjetische Teilrepublik während des Zweiten Weltkrieges erlitten hat. Es ist üblich, dass Hochzeitspaare hierher kommen, um die Gefallenen zu ehren und gleichzeitig eindrucksvolle Fotos von ihrem Festtag zu schießen – wir haben Glück und erleben mit, wie sich eine Hochzeitsgesellschaft gerade neben dem ewigen Feuer postiert.

Wichtigste Straße von Bischkek ist der Tschuj-Prospekt. Sein Charakter ist wesentlich durch einige prägnante Regierungsgebäude und Denkmäler bestimmt, die von Kirgistans Geschichte und Kultur erzählen. Besonders auffällig: Der überdimensioniert wirkende Alatoo-Platz, an dessen Nordseite sich die langgestreckte Fassade des Nationalmuseums entlangzieht. Eine Ehrenwache in Glashäuschen beschützt den Platz, der legendäre Nationalheld Manas reitet auf hohem Podest dahin, eine gewaltige kirgisische Flagge weht im Wind, und auf der Südseite des Platzes verleihen Springbrunnen und Blumenrabatten der einstmals leeren Fläche einen heiteren, beschwingten Touch.



Unweit davon entfernt steht hinter hohen schmiedeeisernen Zäunen Kirgistans Präsidentenpalast, das Weiße Haus. Erst 1985 als Parteizentrale der KPdSU in Kirgistan errichtet, hat es für den nur wenige Jahre später entstandenen unabhängigen Staat eine neue Funktion erhalten. Ein Denkmal vor dem Gebäude und am Zaun des Weißen Hauses angebrachte Gedenktafeln mit Namen erinnern daran, dass es in den Jahren der Unabhängigkeit nicht immer friedlich zuging im Land – zuletzt gab es 2010 eine Revolution, bei der ein zunehmend autokratischer und korrupter Herrscher verjagt wurde.



Nur wenige Jahre zuvor, 1980, wurde die einige hundert Meter westlich davon gelegene Staatliche Philharmonie eingeweiht. Auch hier befindet sich wieder ein gewaltiges Standbild von Manas, dem Gründer der kirgisischen Nation.


Den hohen Temperaturen zum Trotz haben wir damit bereits an unserem Ankunftstag sehr viel von Bischkek kennengelernt – Gelegenheit, den Sonntag entspannt anzugehen und vor allem auch, nach dem Frühstück unsere Reisegruppe kennenzulernen, die mittlerweile vollständig in Bischkek eingetroffen ist. Um elf Uhr vormittags treffen wir sie in der Lobby unseres Hotels zum ersten Mal: Reisebegleiter Frank, ein Geograph aus Braunschweig, der diese Tätigkeit nebenberuflich ausübt; ein Lehrer-Ehepaar aus der Nähe von Tübingen, ein Paar aus der Böblinger Gegend, ihre in Hessen lebenden Freunde, zudem zwei alleinreisende Frauen aus Berlin und aus der Umgebung von Karlsruhe. Bevor wir das Hotel verlassen, erhalten wir noch eine gute Nachricht: Der Mitarbeiter der Bank ist inzwischen im Haus gewesen und hat meine Kreditkarte aus dem defekten Gerät geangelt – mehr noch: Der Geldautomat funktioniert jetzt auch wieder. Wunderbar! Wir starten gleich den nächsten Versuch – und diesmal klappt es tatsächlich, wir können uns mit reichlich Som für die nächsten zwei Wochen eindecken.
Die Chemie in der Gruppe scheint zu stimmen, dieses Gefühl haben wir von Anfang an – alle haben schon Reiseerfahrungen in verschiedenen Weltgegenden und gehen das dreiwöchige Zentralasien-Abenteuer dementsprechend gelassen an. Zusammen mit Frank und der Berlinerin entscheiden wir vier uns dafür, den gut halbstündigen Fußmarsch zum größten Basar der Stadt, dem im Westen der Innenstadt gelegenen Osch-Basar, in Angriff zu nehmen.

Der Weg lohnt sich: Auf dem auch sonntags wuseligen Markt gibt es neben Textilien, Elektronikartikeln oder Haushaltsartikeln eine Vielzahl von Obst, Früchten, Gemüse und Gewürzen zu kaufen – besonders interessant ist hier das reichhaltige Angebot an Trockenfrüchten und Nüssen, an dem wir uns mehrfach bedienen. Fürs Erste probieren wir von allem nur ein wenig; aber gerade auf den Mehrtageswanderungen, die uns im Verlauf der nächsten zwei Wochen erwarten, werden wir uns wohl noch freuen, die einen oder anderen Knabbereien für zwischendurch dabeizuhaben.









Abends trifft sich die gesamte Gruppe zum Abendessen – wir waren schon tags zuvor im nur wenige Gehminuten von unserem Hotel entfernten Restaurant Mamina Dacha und konnten es nur empfehlen, woraufhin Frank gleich für alle einen Tisch reserviert hat. Dort machen wir erste Erfahrungen mit der kirgisischen Küche: Unter anderem wird hier Sadsch angeboten, eine reichhaltige Pfanne, in der gebratenes Fleisch, Auberginen, Zwiebeln, Paprika, Tomaten und Käse serviert wird. Auch dem russischen Einfluss zuzuordnende Speisen wie die Rote Bete-Suppe, als Borschtsch bekannt, sind Bestandteil des hiesigen Essensangebots, wie wir bei dieser Gelegenheit erfahren. Kurioses nebenbei: Ein einheimisches naturtrübes Bier, das wir hier trinken, trägt den Namen Bamberg…


