Tong.

Am Montagmorgen verlassen wir nach dem Frühstück das Hotel Ambassador. Michail, unser ukrainischer Fahrer, verlädt das Gepäck in den Mercedes-Sprinter, und die erste Etappe kann beginnen. Sobald wir die Peripherie von Bischkek verlassen haben, wird der Verkehr erheblich dünner. Entlang der Grenze zu Kasachstan – einmal touchiert die Straße auf wenigen hundert Metern sogar das Staatsgebiet des Nachbarlandes, das einen ziemlich undurchdringlich erscheinenden Stacheldrahtzaun gezogen hat – fahren wir ostwärts nach Tokmak, wo wir auf eine Stichstraße abbiegen, die uns ins ein wenig südlich gelegene Burana bringt.

Durch leicht hügeliges Land…
…fahren wir entlang der kasachischen Grenze…
…nach Burana

Ein Pflichtstopp für alle Kirgistan-Besucher: Der hier aus dem relativ flachen Gebirgsvorland aufragende Turm gilt als wichtigstes architektonisches Denkmal des Landes. Das heute noch 22 Meter hohe Bauwerk ist der gut restaurierte Rest eines ehemals doppelt so hohen Minaretts, das wohl an die 1.000 Jahre alt ist. Die dazugehörige Moschee ist nicht erhalten, und auch der Ort, der rundherum existierte, ist nur noch durch Erdwälle, die im Gelände als einstige Stadtmauern zu erkennen sind,  in seiner – bescheidenen – Ausdehnung nachvollziehbar.

Das Minarett steht einsam in der Landschaft…
…umgeben von einigen Erdwällen
Detailaufnahme der Ornamente am Turm

Das Gelände umfasst heute eine Art Freilichtmuseum, das zum einen eine größere Anzahl von überall im Land als Grabdenkmäler aufgestellten und hierher gebrachten Steinfiguren, sogenannten Balbals, zeigt, zum anderen auch traditionelle Geräte wie Mühl- und Mahlsteine.

Freilichtmuseum mit…
Balbals
…und mittelalterlichen Mühlsteinen

Anschließend gibt es Mittagessen im Dorf nebenan. Wir werden dazu in ein privates Wohnhaus gebracht, wo wir von der Familie in einem eigens für Gästegruppen hergerichteten Raum wahrhaft fürstlich bewirtet werden. Es gibt Tee und Fruchtsäfte, Gebäck, Suppe, Salate, Früchte und eine kirgisische Spezialität – Beschbarmak, ein Nudelgericht mit lange gekochtem, gerupftem Fleisch (für uns wird nicht Hammel, sondern das dem europäischen Gaumen vertrautere Rind dazugegeben).

Es ist angerichtet…
…serviert wird auch das Nationalgericht Beschbarmak

Die Weiterfahrt bringt uns bald aus der Ebene hinein in die Berge: Das Tschui-Tal aufwärts führt die bestens ausgebaute, von China im Rahmen eines Infrastrukturprojekts errichtete Schnellstraße (im Gegenzug erhalten die Chinesen erleichterten Zugang zum kirgisischen Markt) bis auf über 1.600 Meter hinauf. Man ist geneigt zu glauben, dass der reißende Tschui direkt aus dem Issyk-Kul, dem als Kirgisisches Meer bezeichneten zweitgrößten Hochlandsee der Erde, dem wir uns immer mehr nähern, entspringen muss. Doch von wegen: Kurz bevor wir die Ufer des gewaltigen Gewässers (mit 6.236 km² elfmal so groß wie der Bodensee) erreichen, biegt der Flusslauf nach Süden ab; die Quelle liegt also hoch oben in den schneebedeckten Bergriesen des Tienshan, dessen imposante Felszacken sich mächtig hinter dem Südufer des Issyk-Kul staffeln.

Erster Blick auf den See
Schneebedeckte Bergketten am Südufer des Issyk-Kul

Die Südseite des Sees ist für heute auch unser Ziel – sie ist wesentlich weniger touristisch erschlossen als das Nordufer und hat dementsprechend authentisches kirgisisches Leben zu bieten. Wir fahren durch langgezogene Pappelalleen, halten im kleinen Ort Kara-Talaa kurz an, um von den Einheimischen angebotene, im eigenen Garten geerntete frische Aprikosen zu kaufen und einen Blick auf die imposanten Grabdenkmäler zu werfen, die in landestypischer Weise auf dem gegenüberliegenden islamischen Friedhof errichtet worden sind.

Frisch aus dem heimischen Garten: Aprikosenhändler am Straßenrand
Grabmäler, prächtiger als Wohnhäuser: islamischer Friedhof in Kara-Talaa

Nahe der Stadt Bokonbajewo, gleich hinter dem Dorf Tong, erreichen wir schließlich am Spätnachmittag das Jurtenlager Bel-Tam direkt am Seeufer. Es handelt sich dabei um eine Art Feriencamp, das mit den typischen Wohnzelten der traditionell halbnomadisch lebenden Kirgisen ausgestattet ist. Wie auch die meisten weiteren Unterkünfte, die wir in diesem Land nutzen werden, gehört es zum Netzwerk Community Based Tourism (CBT), das seit 2003 überall im Land Übernachtungsmöglichkeiten bei Familien anbietet und dafür Sorge trägt, dass die erarbeiteten Gewinne vor Ort bleiben und der Tourismus sich sozial- und umweltverträglich entwickelt.

Das Jurtencamp Bel-Tam
…direkt am Ufer des Issyk-Kul
Luxus-Jurten mit Bettgestellen…
Frühstück in der Jurte: Wir sitzen auf dem Boden

Im Camp ist für Abendessen und Frühstück gesorgt – wir starten am Dienstag bestens gestärkt zu einem Tagesausflug, der uns zunächst nach Bokonbajewo führt. Am Stadtrand treffen wir auf einen Adlerzüchter, der uns mit den Geheimnissen der Abrichtung von und der Jagd mit diesen majestätischen Greifvögeln vertraut macht, die angeblich sogar Schakale erlegen können.

Der stolze Adlerzüchter…
…präsentiert seine Schützlinge

Bokonbajewo liegt relativ zentral am Südufer des Issy-Kul; es dauert von hier aber noch einmal gut und gerne zwei Stunden, bis wir ganz im Südosten des Sees in ein Seitental abzweigen, das den Namen Dshety Oguz trägt. Dort können wir zunächst ein eindrucksvolles, mit einem alten kirgisischen Märchen verbundenes Felsgebilde namens Gebrochenes Herz bewundern, wandern dann gut eine Stunde auf über 2.200 Metern durch saftig grüne Hochweiden, bestaunen auf dem Rückweg aus dem Tal einen als Sieben Stiere bezeichneten, tiefrot in der Sonne glühenden Bergrücken und nehmen anschließend erneut ein üppiges Mittagessen bei einer Familie auf dem Land ein – diesmal ist ein Bekannter unseres Fahrers Michail unser Gastgeber.

Markante Felsformation Gebrochenes Herz
Vorbei an reißenden Gebirgsbächen…
…erreichen wir eine liebliche Almweide
Entlang mehrerer Jurtencamps…
…unternehmen wir eine kleine Wanderung
Bergformation mit imposantem Namen: die Sieben Stiere
Das nächste Mittagessen in privatem Rahmen wartet…

Auf der Rückfahrt – es ist inzwischen schon Spätnachmittag geworden – unternehmen wir einen Abstecher zum Skazka-Canyon. Und der lohnt den kleinen Umweg absolut: Beim Spaziergang durch das eher einem Felsengarten gleichende Gebiet stoßen wir auf fantastisch verwitterte und in der Abendsonne in den verschiedensten Farbtönen leuchtende Gesteinsformationen – hinter jeder Kuppe wartet wieder eine neue Überraschung, wir können uns kaum von dieser wunderbaren Landschaft trennen.

Gleich hinter dem Issyk-Kul
…wartet die Wunderwelt des Skazka-Canyon

Kurz vor der Rückkehr ins Camp wartet nahe dem Dorf Kaji-Say noch ein sehr interessanter Stopp: Zum einen sitzt hoch oben über dem See eine Statue, die an einen im Land berühmten Erzähler der Manas-Sage erinnert, zum anderen erstreckt sich auf der dem See zugewandten Seite der Straße ein langgestrecktes, von einer reich verzierten und mit jurtenartigen Bauten bestückten Mauer umgebenes Areal, das in seinem Inneren weitere monumentale Wandfriese und halbfertige Gebäude enthält: eine überdimensionale Bauruine, die zur Verherrlichung der kirgisischen Geschichte und Kultur wie auch gleichermaßen als Vergnügungspark dienen sollte – die Bauherren waren aber eng mit dem früheren Präsidenten Bakijew verbandelt, nach dessen Sturz das gesamte Projekt eingestellt wurde.

Hinter einer reich verzierten Mauer…
…verstecken sich eindrucksvolle Bauruinen eines unvollendet gebliebenen Freizeitparks
Darüber wacht ein berühmter Märchenerzähler

Der Mittwoch ist ein Tag, der vom Veranstalter bewusst nicht durchgeplant wurde – Gelegenheit, die Gruppe aus mehreren Optionen auswählen zu lassen. Wir entscheiden uns für eine recht kurze Fahrt in das gleich hinter Bokonbajewo sich bis auf 2.500 Meter hinaufziehende Hochtal Boz Sekin. Hier können wir zunächst einen nahen Hügel hinauflaufen, von dem aus wir ein fantastisches Panorama über die umliegende Bergwelt, den sich in unübersehbarer Breite erstreckenden Issyk-Kul und die an seinem Nordufer aufragende Gebirgskette, die hier die Grenze zu Kasachstan bildet, genießen.

Vom Hochtal Boz Sekin aus…
…laufen wir einen Hang mit Seeblick hinauf
Tolles Panorama über den…
…gewaltigen Hochgebirgssee

Und weil das der Mehrzahl unserer Gruppe ein bisschen zu wenig ist, schließen wir dem noch einen zweistündigen Wanderausflug auf den deutlich höheren, auf über 2.800 Meter führenden Gegenhang an, der uns auf kaum begangenen Pfaden durch blühende und nach wildem Thymian duftende Almwiesen führt.

Einsame Bergtäler…
…und hintereinander gestaffelte Gebirgsketten…
…auf dem Weg zum…
…namenlosen Gipfel
Impressionen der Gebirgsvegetation…

Nach einem gemütlichen Picknick am Aussteigepunkt – hier hat in den vergangenen Tagen ein Folklorefestival stattgefunden, zahlreiche Helfer bauen gerade Bühnen, Jurten und die temporäre Stromversorgung wieder ab – geht es am frühen Nachmittag zurück zum Camp, wo wir bei hochsommerlich heißen Temperaturen ein erfrischendes Bad im herrlich klaren, gar nicht einmal so kalten Issyk-Kul nehmen.

Picknick im Hochtal Boz Sekin
…und Badespaß im Issyk-Kul