Osch.
Das Frühstück in unserem Guest House in Arkyt fällt vergleichsweise bescheiden aus: Es ist nicht gerade so, dass wir den Tisch hungrig verlassen, aber das Angebot ist – auch im Vergleich zu unserer Outdoor-Verpflegung – doch recht eingeschränkt. Kann es sein, dass der rege Tourismus in diesem Haus die ursprüngliche Gastfreundschaft schon zugunsten einer nur noch gewinnorientierten Gewerbeausübung verdrängt hat? Die Reaktion der Hausherrin auf Janas Übergabe von drei Schulheften und vier Stiften (dem Rest der kleinen Gastgeschenke, der noch übrig ist) für ihre Kinder lässt diese Vermutung noch wahrscheinlicher werden: „Ich habe fünf Kinder!“ bemängelt die Dame doch glatt die Anzahl der Präsente. Nun ja, wir werden hier aller Voraussicht nach wohl nicht mehr aufkreuzen..
Unser Weg führt zunächst über gewundene Sträßchen zurück in die Bergbaustadt Taschkömür und von dort südostwärts in die Ausläufer des breiten, fruchtbaren Ferganabeckens, das zum größten Teil zu Usbekistan gehört. Die kürzeste Verbindung zu unserem heutigen Etappenziel Osch würde direkt durch das Ferganatal und damit durch das Nachbarland verlaufen; doch von offenen Grenzen wie noch vor knapp 30 Jahren in der Sowjetära sind die beiden Nachbarstaaten derzeit weit entfernt. Also nimmt Michail, wie auch alle anderen kirgisischen Kraftfahrer, einen gehörigen, noch dazu dicht befahrenen und von zahlreichen Orten gesäumten Umweg in Kauf.


Die Landschaft hier ist ganz anders als bisher in Kirgistan: Das breite Tal wird intensiv landwirtschaftlich genutzt, neben Obst wachsen hier verschiedenste Arten von Feldfrüchten wie Mais oder Kartoffeln, man sieht aber immer wieder auch Baumwollfelder. In der Peripherie von Dschalal Abad, Kirgistans drittgrößter Stadt, halten wir für eine Mittagspause an. Anschließend sind wir noch gut zwei Stunden unterwegs, bis wir in der Hauptstadt des Südens, wie die etwa 300.000 Einwohner zählende Stadt Osch auch genannt wird, angekommen sind.


Das Guest House Sun Rise, das eigentlich ein Hotel ist, liegt ein Stück außerhalb des Zentrums. Also bringt uns Michail gegen 16 Uhr in die Stadtmitte; dort steht uns mit Bek ein einheimischer Stadtführer zur Verfügung, den wir zunächst darum bitten, uns zu Wechselstuben zu bringen – wir alle haben viel zu viele kirgisische Som gebunkert, die wir nun in usbekische Sum umtauschen wollen, da die Reise uns ja morgen ins Nachbarland weiterführen wird.


Mit den Summen, die unsere Gruppe umtauschen möchte, sind die paar Geldwechsler, die an dem von Bek angesteuerten Ort ihre Kontore betreiben, erst einmal überfordert. Kurzerhand fährt einer mit dem Taxi irgendwohin, erscheint nach wenigen Minuten mit einer prall gefüllten Plastiktüte wieder – und wir erleben die kurioseste Währungstransaktion aller Zeiten: Weil ein Euro derzeit nicht viel weniger als 10.000 usbekischen Sum entspricht und es von dieser Währung kaum 50.000er-, sondern vor allem 1.000er- und 5.000er-Scheine gibt, erhalten wir für den Gegenwert von knapp 400 Euro 3.888.000 Sum – und die als derart dicke Geldbündel, dass wir eine extra Tasche zum Einpacken brauchen und uns urplötzlich fast wie Dagobert Duck in seinem Geldspeicher fühlen, nur dass unser Millionärsdasein nicht von langem Bestand und von geringer Werthaltigkeit sein wird.



Nachdem die dem Umfang eines Laibes Brot gleichende Packung Banknoten verstaut ist, machen wir uns auf den Weg zum Dschajma-Basar. Der sehr ausladende Komplex, durch ein Gewirr an Gassen gegliedert, bietet von Textilien und Schuhen über Haushaltswaren, Unterhaltungselektronik, Souvenirs und Lebensmitteln so gut wie alles, was man als Käufer suchen könnte. Die Menschen hier wirken lebhafter als bisher erlebt, die Gesichtszüge erscheinen häufig weniger asiatisch als orientalisch – hier spüren wir deutlich, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung usbekischer Volkszugehörigkeit ist – auch nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen im Jahr 2010, bei denen Hunderte von Usbeken getötet wurden und anschließend viele das Land verließen.








Nach einem kurzen Besuch im gepflegten Alymbek-Datka-Park passieren wir die Reste des mittelalterlichen Badehauses, eines Hamams im türkischen Stil, die auf das 10. Jahrhundert zurückgehen.




Es folgt ein durchaus anstrengender Aufstieg: Über zahllose Stufen laufen wir den als Unesco-Weltkulturerbe anerkannten Berg Sulajman-Too empor. Seine Bedeutung hat der Aussichtsberg dem sagenhaften Stadtgründer Sulajman bzw. König Salomo zu verdanken, in dessen Tradition der mächtige Herrscher Babur 1497 an der Spitze des hoch aufragenden Felszackens eine kleine Moschee bauen ließ.


Eine dahinter zu sehende Felsrinne hat Wallfahrtscharakter: Schon seit über 1.000 Jahren pilgern Frauen mit Kinderwunsch hierher und rutschen die inzwischen spiegelglatte Rinne in der Hoffnung auf reichlichen Nachwuchs hinab. Wie wir beobachten, scheint dieser Volksglaube in unserer Zeit nicht mehr so ganz ernst genommen zu werden – auch kleine Kinder setzen sich hinein und erleben die kurze Rutschpartie offensichtlich als Freizeitspaß. Aberglaube hin, Religion her: Der Felsen bietet eine tolle Aussicht über die sich in der Ebene ausbreitende Stadt und ist deshalb auch für die Einheimischen ein sehr beliebtes Ausflugsziel.




Wir sehen zu, dass wir wieder hinunter in die Stadt kommen – wir wollen noch zum Abendessen, und für halb neun ist mit Michail vereinbart, dass er uns alle wieder abholt. Doch bis wir in der sehr schönen, sich locker in einem parkartigen Garten ausbreitenden Grill-Gaststätte angekommen sind und bestellt haben, ist schon klar, dass wir die zeitliche Vorgabe nie und nimmer werden einhalten können. Am Ende ist es kurz vor zehn Uhr, bis der telefonisch informierte, zum Warten verdammte und sichtlich angesäuerte Michail uns endlich abholen und zurück ins Hotel bringen kann. Dort ist noch längst nicht Feierabend: Die gesamte Mannschaft versammelt sich in einem Zimmer, um mit Frank am Ende von zwei Wochen Kirgistan Manöverkritik zu üben, festzustellen, dass es ungeachtet einiger kleiner Verbesserungsvorschläge eine Super-Zeit gewesen ist und unseren zu einem Reisefreund gewordenen „Begleiter“ mit warmen Worten und einem Geschenk zu verabschieden – auch wenn wir uns am nächsten Morgen noch einmal sehen werden.

