Taschkent.
Als wir das Guest House Sun Rise in Osch am Montagmorgen verlassen, ist es endgültig Zeit für den Abschied aus Kirgistan: Michail und Frank bringen uns noch bis an den direkt am Stadtrand von Osch gelegenen Grenzübergang Dostuk. Dort sagen wir auch unserem jetzt wieder gewohnt gut gelaunten Fahrer Lebewohl, schultern unsere Rucksäcke und nehmen den Transfer nach Usbekistan in Angriff.


Das alles geht wesentlich unkomplizierter als zuvor in den Reiseführern und -unterlagen angekündigt: Es gibt inzwischen keine Zollerklärungen für Usbekistan mehr auszufüllen, die Grenzer finden auch keinen Spaß daran, uns warten zu lassen oder das Gepäck zu durchsuchen, sondern erledigen das übliche Prozedere zwar sorgfältig und gewissenhaft (einschließlich dem Durchleuchten unserer Gepäckstücke), aber ohne jede Schikane. So haben wir das kirgisisch-usbekische Niemandsland schon bald durchquert, können die Uhr um eine Stunde zurückstellen, werden von unserem neuen Reiseleiter Avaz in Empfang genommen und zu einem großen, modernen Reisebus geleitet. Der zweite, der usbekische Teil unserer Expedition kann beginnen!

Die Landschaft hat hier einen ganz anderen Charakter: Wir sind jetzt mitten im fruchtbaren, vom Syrdarja und seinen Zuflüssen, vor allem dem Andijansaj, gespeisten Ferganabecken – alles ist flach und wird intensiv landwirtschaftlich genutzt. Die ersten usbekischen Orte lassen in der dicht besiedelten Region nicht lange auf sich warten: Wir sind erstaunt, wie sehr sie sich von Kirgistan unterscheiden! Die Gebäude machen durch die Bank einen wesentlich gepflegteren Eindruck: Farbe, Säulen oder Pilaster, Stukkaturen – es hat den Eindruck, dass die Usbeken als seit langem sesshafte Bauern und Händler einfach mehr Wert auf ein repräsentatives Zuhause legen als die in ihrem Ursprung nomadischen Kirgisen.


Die nächste Überraschung folgt gleich beim ersten Halt am Stadtrand von Andijan: Der Babur-Park, eine weitläufige, an einen Hügel gebaute Anlage mit einem Grabmal und einem Museum, das an den bedeutenden, hier 1483 geborenen letzten Timuriden-Herrscher erinnert, entpuppt sich im Kern als ein Vergnügungspark. Es ist Montagvormittag, da sollte hier eher wenig Betrieb sein – meinen wir, sehen uns aber sehr schnell getäuscht: Hier geht es in den kleinen Achterbahnen, Riesenrädern und Karussells rund, vor allem kopftuchtragende, in bunte Gewänder gehüllte Frauen mit ihren Kindern sind unterwegs und haben sichtlich einen Heidenspaß. Immer wieder werden wir von ihnen angesprochen, um Fotos gebeten, und es wird herzlich und viel gelacht. Usbekistan empfängt uns von seiner besten Seite!





Schön ist die Fahrt mit einer etwas altersschwachen, aber spottbilligen und sich weit hinaufziehenden Sesselbahn. Von oben erleben wir einen herrlichen Blick aufs Ferganabecken mit der sich im Vordergrund erstreckenden, mehr als 300.000 Einwohner zählenden modernen Stadt Andijan.









Über gut ausgebaute Straßen erreichen wir nach dem Mittagessen nach gut einstündiger Fahrt die Stadt Fergana. Auch sie ist eine Großstadt mit ca. 250.000 Einwohnern, wirkt bei der Durchfahrt sehr modern und beherbergt mit dem Hotel Asia unsere erste, sehr gediegene Unterkunft in Usbekistan. Das Vier-Sterne-Hotel hat große, saubere Zimmer und einen gepflegten, erfrischenden Pool. Anschließend drehen wir eine kleine Runde durch die Stadt, die durch breite Straßen, repräsentative Bauwerke aus russischer und moderner Zeit geprägt wird und einen großen, schattigen Park beherbergt, der dem frühmittelalterlichen Mathematiker al-Choresmi gewidmet ist. Sein Geburtsort liegt im Westen des heutigen Usbekistan; von seinem Namen leitet sich der Begriff Algorithmus ab, er hat auch den Begriff Algebra geprägt – Grund genug, den berühmten Mann auch heute noch in höchsten Ehren zu halten, wie auch den Universalgelehrten Avicenna. Der lebte um das Jahr 1000, gelangte vor allem als Mediziner zu Weltruhm und erblickte ebenfalls auf dem Territorium Usbekistans das Licht der Welt. Demgegenüber hat die Stadt Fergana selbst wenig geschichtlich Bedeutsames zu bieten – kein Wunder, schließlich wurde sie ja auch erst 1877 gegründet.






Ihr ursprünglicher Name Neu-Margilan verweist auf die nur wenige Kilometer entfernte, wesentlich ältere Nachbarstadt Margilan, die unser erster Anlaufpunkt am Dienstagmorgen ist. Der Bus hält direkt am Eingang zur Seidenfabrik Yodgorlik: Hier bekommen wir fast zwei Stunden lang einen Einblick in sämtliche Produktionsschritte zur Herstellung von Seidenstoffen – vom Lösen des Fadens aus dem Kokon über das Spinnen von Fäden und dem Färben bis hin zum Weben der kostbaren Stoffe. Wir erfahren auch, dass die Fabrik neben Seide ebenso Baumwolle und Schurwolle verarbeitet. Natürlich gibt es im angeschlossenen hauseigenen Shop abschließend die Gelegenheit zum Einkauf.











Von hier laufen wir direkt zum nahegelegenen Basar, um uns für den Tag mit Lebensmitteln zu versorgen, da heute kein Restaurantbesuch vorgesehen ist – es geht sehr sauber und übersichtlich zu, die Preise für Brot, Obst und Früchte sind sehr niedrig und die Händler zu uns exotischen Gästen aus Deutschland freundlich.


Unser nächster Anlaufpunkt heißt Rischtan. Die kleine Stadt ist in ganz Mittelasien für die Herstellung von Keramikwaren bekannt. Grundlage dafür ist das Vorkommen von mehrere Meter dicken Tonschichten, die seit vielen Jahrhunderten für die Herstellung von Tassen, Schüsseln, Tellern, Kannen und inzwischen natürlich auch Souvenirartikeln verwendet werden.

Wir besuchen zunächst eine Lehmgrube und nicht weit davon entfernt anschließend eine Keramikwerkstatt, wo uns die Herstellungsschritte anschaulich erläutert werden. Die bunten, sehr filigran bemalten Produkte finden in unserer Gruppe viel Anklang, und so wandert so mancher Gegenstand mit ins Gepäck.







Wir haben Avaz ausdrücklich darum gebeten, und es klappt: In Kokand angekommen, bleibt Zeit für den Besuch des Palasts des Xudayar Khan. Er ist zwar erst 1871 in seiner heutigen Erscheinungsweise vollendet worden, seine 70 Meter lange, komplett mit bunten Fliesenmustern verzierte Hauptfassade ist jedoch mit ihren Ecktürmen, Kuppeln und dem reich geschmückten Eingangstor ein erstes, überwältigendes Architekturbeispiel von orientalischer Pracht.





Dieser Eindruck setzt sich in den Innenhöfen und vor allem in den Präsentations- und Empfangsräumen fort, wo insbesondere die Holzdecken, aber auch die Wände in verschwenderischer Farben- und Formenvielfalt prunken.





Nun drängt Avaz allerdings zum Aufbruch: Wir werden an den Bahnhof von Kokand gebracht, einem sehr modernen, in orientalischen Formen gehaltenen Gebäude – es wurde erst 2016 fertiggestellt, ebenso wie die Bahnverbindung von hier in die Hauptstadt Taschkent.


Das hat seine besondere Bewandtnis: Die alte Bahnstrecke aus dem Ferganabecken nach Taschkent führt über tadschikisches Gebiet. Um den wirtschaftlich wichtigen nordöstlichen Ausläufer des Staatsgebiets, der wie ein Finger zwischen Kirgistan und Usbekistan hineinreicht, besser an den Rest des Landes anzubinden, wurde mit chinesischer Hilfe eine neue Bahnlinie zwischen Angren und Pop gebaut, deren Herzstück der gut 19 Kilometer lange Kamchik-Tunnel ist – eine erhebliche Verbesserung der Infrastruktur, denn der gleichnamige, auf über 2.250 Meter hinaufführende Pass ist nur schwer befahrbar. Dieser Fortschritt nutzt selbstverständlich nicht nur Usbekistan, sondern auch China – über kirgisisches Gebiet ist das mittelasiatische Binnenland nun per Bahn bis an Schanghai angeschlossen. Was den Export chinesischer Produkte nach Usbekistan selbstverständlich enorm erleichtert…



Wir Touristen genießen die vierstündige Bahnfahrt durch eine abwechslungsreiche Landschaft, die vom Flusstal des Syrdarja bis zu den Bergketten des Kuramagebirges reichen – zumindest so lange, bis die einbrechende Dunkelheit dem Panorama ein Ende macht und insoweit einen das Unterhaltungsprogramm, das auf den Monitoren im Zug gezeigt und mit enormer Lautstärke untermalt wird, nicht ablenkt.

Es ist gegen dreiviertel zehn Uhr geworden, ehe wir mit einem Shuttle-Bus vom Taschkenter Südbahnhof durch breite Straßen, die mit viel Leuchtreklame einen recht weltstädtischen, westlichen Charakter zeigen, unser sehr komfortables Hotel Shodlik Palace erreichen.

