Donaumünster.
Die letzte Etappe unserer Usbekistan-Tour startet sehr früh: Schon um kurz nach halb sieben Uhr sitzen wir am Samstagmorgen im Schnellzug nach Taschkent. Ursprünglich sollten wir erst vier Stunden später losfahren, doch Avaz erklärt uns die Zeitverschiebung mit dem Umstand, dass am heutigen 1. September usbekischer Nationalfeiertag ist. Genau gesagt begeht Usbekistan die Feier seiner Unabhängigkeit von der Sowjetunion, die sich heute zum 27. Male jährt, gleich fünf Tage lang – schon gestern blieben die Betriebe geschlossen, und das bleibt über das Wochenende hinaus noch bis zum 4. September so.


Das heißt aber beileibe nicht, dass hier keiner arbeitet: Reiseleiter, Bus- und Taxifahrer sowie das Hotelpersonal sind selbstverständlich auch in diesen Tagen aktiv, aber auch jeder usbekische Uniformträger – und davon gibt es augenscheinlich viele – hat offenbar für die Dauer der Feierlichkeiten Urlaubssperre. Das fällt nicht nur an neuralgischen Punkten wie den Bahnhöfen auf, sondern massiv auch im Stadtbild von Taschkent.

Nachdem wir morgens um neun Uhr noch nicht im Hotel Shodlik Palace, das wir ja bereits von unserem ersten kurzen Zwischenstopp hier kennen, einchecken können, bittet uns Avaz bald in den Bus, um ein paar besondere Sehenswürdigkeiten der 2,5 Millionen Einwohner zählenden, an den Ufern des im Tienshan-Gebirge entspringenden Chirchiq gelegenen usbekischen Hauptstadt zu besuchen. Da Taschkents Aufstieg von einer – wenn auch bedeutenden – Provinzstadt zur Metropole eines eigenen Staates erst Ende des 18. Jahrhunderts begann und durch Kriege und Erdbeben mehrfach unterbrochen wurde, gibt es hier nicht viel Historisches zu bewundern.

Wir bekommen die im 16. Jahrhundert vom Kokander Chan errichtete großzügige Medrese Barak Chan und das nahegelegene Hazrat-Imam-Mausoleum zu sehen, das einem 926 verstorbenen islamischen Geistlichen gewidmet ist und als größte Attraktion eines der ältesten Bücher der Welt beherbergt, einen gut 1.200 Jahre alten, überdimensionalen Koran auf Pergament.



Im Anschluss werden wir an den Chorsu-Basar gebracht, wo uns die Handwerkergasse mit den typisch usbekischen Wiegen besonders interessiert – sie besitzen ein Abflussloch, und als nützliche Accessoires gibt es für Männlein und Weiblein speziell angepasste Röhrchen dazu zu kaufen, um das Pipi der Kleinen gleich abzuleiten. Auf uns unbedarfte westliche Betrachter wirken sie erst einmal wie Pfeifen…


Natürlich hat der riesige Basar, dessen Zentralbau sich unter einer hübschen, blaugrün gekachelten Kuppel befindet, auch noch viele andere Abteilungen, z. B. Fleisch und Milchprodukte, zu bieten.





Wir laufen hier aber nur kurz durch, denn die Mehrzahl unserer Gruppe möchte erst einmal ins Hotel, und die nächste U-Bahn-Station (Taschkent verfügt über die einzige Metro Mittelasiens, sie wurde in den 1970er Jahren gebaut) ist nahe: Umgerechnet nicht einmal 15 Cent kostet eine Fahrt, beim Bezahlen erhalte ich zum ersten Mal in Usbekistan tatsächlich Münzen als Wechselgeld zurück! Die Metro-Stationen gerade in der Innenstadt sind nach Moskauer Vorbild sehr schön gestaltet, und entgegen aller Hinweise in Reiseführern ist es auch kein Problem, dort zu fotografieren.



Da die Interessen unserer Zwölfergruppe merklich auseinandergehen, steht jedem der komplette Nachmittag zur freien Verfügung. Wir ruhen uns erst einmal ein wenig aus und brechen anschließend zu fünft zu einer Erkundung der Taschkenter Neustadt auf, die von unserer Unterkunft aus fußläufig erreichbar ist.

Östlich des nahen Anhor-Kanals erstreckt sich der aufgrund intensiver Bewässerung (man tut hier nicht so, als ob Wasser ein kostbares, rares Gut wäre) sehr grüne und schattige Park rund um den Unabhängigkeitsplatz – nur dass der heute zum breiten Navoiy-Prospekt hin großflächig abgesperrt und bewacht ist. Offensichtlich ist hier noch irgendein Event im Rahmen des Nationalfeiertags geplant, und da soll bloß kein unwillkommenes Subjekt Böses im Schilde führen…


Irgendwo ist dann doch noch ein Weg begehbar, der hinein in den Park führt. Wir kommen an einem Monument vorbei, das in einer endlos langen Reihe auf zahlreichen Metalltafeln an im Zweiten Weltkrieg gefallene Usbeken erinnert; wir erhaschen einen Blick auf den neu errichteten, überdimensionierten Präsidentenpalast und sehen den halbkreisförmigen Ezgulik-Bogen, der die gutmeinenden und edelmütigen Bestrebungen der Regierung symbolisieren soll und deswegen auch mit Symbolen wie dem hier als Friedensvogel angesehenen Storch ausgestattet ist. Ein Staat und seine Führungsschicht, die im 21. Jahrhundert mit derart überladener Architektonik auf sich aufmerksam machen, haben offenkundig ein Problem mit ihrem Selbstwertgefühl – ich war zwar noch nicht dort, aber das Ganze scheint in einer Reihe mit ähnlichen oder noch größeren Protzbauwerken in einigen ebenfalls aus ehemaligen Sowjetrepubliken hervorgegangenen Nachbarländern zu stehen…





Obwohl dadurch manches steril wirkt, ist Taschkent durchaus lebendig – je weiter wir die als Fußgängerzone ausgewiesene Saiyilgoh Ko’chasi in Richtung des Amir-Timur-Platzes, das von einem Reiterstandbild des Gewaltherrschers überragt wird, entlanggehen, umso mehr Händlern und Straßenkünstlern begegnen wir. Unterwegs sehen wir auch ein rares Beispiel für ein erhaltenes Bauwerk aus zaristischer Zeit – den in den 1830ern errichteten, von einem alten Park umgebenen Romanow-Palast, den ein Großfürst bauen ließ, nachdem er seine Mutter bestohlen hatte und deswegen nach Taschkent verbannt worden war. Fragt sich, ob er dies mit Mamas Geld tun konnte?!







Mit der U-Bahn fahren wir hinaus an den Istiqlol-Platz. Hier sind das neu gebaute Parlament, das Oliy Majlis, und der im typisch realsozialistischen Stil gestaltete Palast der Völkerfreundschaft die interessantesten Gebäude – allerdings ist auch hier ein imposantes Aufgebot an Sicherheitskräften angetreten, um die anstehenden Feierlichkeiten ungestört ablaufen zu lassen.


Abends fährt unsere Gruppe zu einem letzten gemeinsamen Essen in ein Grillrestaurant. Mit Toasts auf unsere Gastgeber lassen wir die Ereignisse der letzten drei Wochen, insbesondere die Tage in Usbekistan, noch einmal hochleben und bedanken uns bei Avaz und dem Busfahrer. Durch inzwischen dichten Feiertagsverkehr – aus vielen Autos wird die Nationalflagge geschwenkt – zurück im Hotel, erleben wir pünktlich um neun Uhr ein gigantisches Feuerwerk mit: Usbekistan lässt es am Unabhängigkeitstag ganz schön krachen! Die Gruppe löst sich nun endgültig auf: Die erste Mitreisende verlässt schon kurz nach Mitternacht das Hotel – sie fliegt mit Turkish Airlines über Istanbul nachhause. Das Gros der Gruppe kehrt mit einer Aeroflot-Verbindung über Moskau nach Stuttgart bzw. Berlin zurück; wir vier – also neben Jana und mir Carolin und Renate – sind die letzten, wir werden „erst“ um fünf Uhr an den nur zehn Fahrminuten entfernten Islom Karimov Xalqaro Aeroporti gebracht.

Die Sicherheitsvorkehrungen hier sind enorm: Die erste Gepäckkontrolle erfolgt schon außerhalb des Flughafengebäudes, die zweite direkt am Eingang, und natürlich gibt es später auch noch die obligatorische Schleuse vor dem Betreten des Abflugbereichs. Dazwischen liegt eine ungewohnt lange Wartezeit am Check-In-Schalter von Uzbekistan Airways: Die sehr freundlichen, aber etwas überforderten jungen Damen müssen sich erst einmal damit beschäftigen, wie sie unser Gepäck bis nach München durchchecken können.

Am Ende klappt aber alles, und an Bord der Boeing 767 vergeht der vierstündige Flug an den Flughafen Moskau-Domodedowo nicht zuletzt dank der üppigen Verpflegung wirklich schnell. In der russischen Hauptstadt sind drei Stunden zu überbrücken, bis wir gegen viertel nach ein Uhr Ortszeit mit nur geringfügiger Verspätung die letzte Flugetappe antreten – mit einem Airbus 320 der russischen Linie S 7 steuern wir München an. Der Rest der Rückreise erfolgt auf Schienen: Eine S-Bahn bringt uns an den Münchner Hauptbahnhof, von dort geht es mit einer Regionalbahn direkt nach Donauwörth. Carolin und Renate werden dort bereits erwartet und abgeholt; wir steigen noch einmal in den agilis um – eine Station, dann sind kurz nach 19 Uhr am Sonntagabend auch wir zuhause, in Tapfheim, angekommen…

Hallo ihr zwei,
ganz herzlichen Dank für eure Ausführungen! Ich habe sie immer mit großer Freude und Spannung verfolgt. Sehr schön.
Wenn es dann irgendwann bei mir an das Erstellen des Fotobuches geht, wird mir euer Blog eine große Hilfe sein.
Viele liebe Grüße
Heiko
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