Neuhaus.

Kurz vor neun, es ist ein milder, recht sonniger Sonntagmorgen, setzen Peter und ich in Mitterham unsere Fahrzeuge in Bewegung und starten den zweiten Tag unserer Tour. Zunächst noch mit zwei Fahrzeugen… aber dazu später mehr. Bei mäßigem Verkehr erreichen wir nach eineinhalb Stunden die knapp 14.000 Einwohner zählende Kleinstadt Abensberg, inmitten der Hopfengärten der Hallertau im niederbayerischen Landkreis Kelheim gelegen.

Am Flusslauf der Abens entlang…
…zieht sich die historische Stadtbefestigung von Abensberg
Dahinter verbirgt sich eine gemütliche niederbayerische Altstadt: Regensburger Tor
…und Brauereigasthof am Marktplatz

Der große Besuchermagnet von Abensberg befindet sich nicht in der Altstadt, obwohl die mit ihren bunten Häusergiebeln und barocken Fassaden, ihren mittelalterlichen Mauern und Türmen durchaus auch sehenswert ist: Nur wenige Schritte außerhalb des Zentrums steht die auf das Jahr 1300 zurückgehende Brauerei zum Kuchlbauer, die sich auf Weißbier spezialisiert hat und seit knapp zehn Jahren durch die Realisierung eines außergewöhnlichen Kunstprojekts auch Menschen anzieht, die mit Bier ansonsten eher wenig am Hut haben. Der 35 Meter hohe Kuchlbauer-Turm, der auf Plänen des weltbekannten österreichischen Künstlers Friedensreich Hundertwasser basiert und aufgrund der hartnäckigen Zielstrebigkeit von Brauereichef Leonhard Salleck Gestalt angenommen hat, ist ein wirklich außergewöhnliches Bauwerk, das im Zusammenspiel mit dem ebenfalls im Hundertwasser-Stil umgestalteten Brauereigebäude ein Monument der bayerischen Bierkultur geworden ist. Vervollständigt wird das Ambiente seit einigen Jahren von dem vom Hundertwasser-Schüler Peter Pelikan gebauten Kunst-Haus gleich nebenan.

Zum Wahrzeichen Abensbergs avanciert: der Kuchlbauer-Turm
Nach Hundertwasser-Prinzipien errichtet: Kunst-Haus Abensberg

Es wäre also schon eine Unterlassungssünde, wenn wir hier ohnehin vorbeikommen, einfach weiterzufahren. Zumal ich hier zwar schon mehr als einmal war, Peter jedoch bislang den Kuchlbauer noch nicht kennt. Also nehmen wir an der Vormittagsführung teil, die uns in etwa eineinhalb Stunden durch verschiedene Räume der Brauerei und zum Schluss auf den Turm selbst dirigiert. Neben Informationen zum Brauen erhalten wir dabei auch einen Einblick in die nicht ganz einfachen Verhandlungen mit dem damals bereits fast 70-jährigen, in Neuseeland lebenden und nicht mehr sehr gesunden Hundertwasser. Zunächst lehnte der die Anfrage von Brauereichef Salleck rundweg ab; doch der niederbayerische Brauer ließ nicht locker und schickte – im Wissen um das Faible des Künstlers für Zwerge – ein von ihm selbst verfasstes Märchen, das sich um die Arbeit der Weißbierzwerge dreht, auf die andere Seite der Erdkugel. Mit Erfolg: Hundertwasser erkannte in Salleck einen Geistesverwandten und sagte entgegen seiner ursprünglichen Absicht doch zu, Pläne für den Turm zu entwerfen.

In den Sudkesseln wird ausschließlich Weißbier gebraut
Den Weißbierzwergen ist die Existenz des Kuchlbauer-Turms zu verdanken
Im Turmkeller
Weiter Blick vom Kuchlbauer-Turm über Abensberg und Umgebung

Am Ende der Führung gibt es selbstverständlich – im Preis inbegriffen – auch ein Bier zur Verkostung: Peter probiert das dunkle Weißbier, das hier den Namen Alte Liebe trägt, ich trinke die bernsteinfarbene Turm-Weiße. Beide können wir im Anschluss ruhigen Gewissens sagen, dass die Brauerei zum Kuchlbauer nicht nur wegen der Kunst von Hundertwasser einen Besuch wert ist.

Am Ende der Tour gibt’s selbstverständlich ein Bier: Alte Liebe und Turmweiße

Wir setzen unsere Reise in unser eigentliches Ziel des heutigen Tages, die Oberpfalz, fort. Dass wir dort zunächst Amberg ansteuern, die 42.000-Einwohner-Stadt an der Vils, ist kein Zufall: Sie ist Peters Heimat, hier hat er seine Freunde, hier lässt er das Auto an seinem Elternhaus stehen – hier gibt es aber auch eine Vielzahl von mittelständischen Brauereien, die heute noch aktiv sind. An und für sich beste Voraussetzungen für eine ausgedehnte Probier-Tour; doch es ist Sonntagnachmittag und damit gar nicht so einfach, einen genaueren Einblick hinter die Kulissen zu erhalten. Einer von Peters Freunden ist sogar der Junior-Chef der seit 1617 in Ambergs Altstadt brauenden Brauerei Winkler. Doch leider ist der gerade unterwegs, als wir da sind, sodass wir das Brauhaus nur von außen zu Gesicht bekommen, ebenso wie die Brauerei Bruckmüller, mit der Peter lebhafte Erinnerungen als Ferienarbeiter verbindet.

Brautradition in Ambergs Altstadt: Brauerei Winkler
…und Brauerei Bruckmüller

Wir machen das Beste aus den Gegebenheiten, laufen kreuz und quer durch die sehr gut erhaltene, gemütliche Altstadt, kommen dabei an Ambergs Wahrzeichen wie der Stadtbrille über die Vils, dem gotischen Rathaus, dem Nabburger Tor oder der Basilika St. Martin vorbei und setzen uns zwischendurch für einige Zeit ins direkt am Marktplatz befindliche Café Zentral, wo es neben einer Kleinigkeit zu essen auch die Möglichkeit gibt, Winkler-Bier zu probieren – ich entscheide mich für das sehr süffige, vollmundige Helle. Peter kennt die Winkler-Biere alle seit Jahren und bestellt deswegen, als er es auf der Karte sieht, ein Sudhang-Märzen der ebenfalls in Amberg beheimateten kleinen Hausbrauerei Diener, die 1985 als Reaktion auf das Verschwinden alteingesessener kleiner Brauereien gegründet wurde. Der Geschmack kann ihn allerdings nicht recht überzeugen.

Ambergs gotisches Rathaus am Marktplatz
Ambergs Wahrzeichen: die Stadtbrille, eine Überbrückung der Vils mit der Stadtmauer
Die spätgotische Basilika St. Martin liegt ebenfalls an der Vils
Wuchtige Stadtbefestigung: Nabburger Tor
…und angrenzende Stadtmauer
Im Zentral getestet: Sudhang-Märzen und Winkler-Helles

Am späten Nachmittag setzen wir unsere Tour fort, ab jetzt allerdings nur noch mit einem Fahrzeug. Wenn wir unverfälschte Bierkultur in der Oberpfalz erleben wollen, das hat Peter von Anfang an gesagt, dann müssen wir unbedingt in die Kleinstadt Windischeschenbach, im Norden des Regierungsbezirks im Kreis Neustadt an der Waldnaab gelegen, fahren. Im auf der östlichen Flussseite gelegenen Ortsteil Neuhaus quartieren wir uns in der Ferienwohnung Rettinger ein – nicht die schlechteste Entscheidung, denn Neuhaus ist genau wie Windischeschenbach ein Zentrum des Zoigl-Biers. Was hinter diesem Begriff steckt, habe ich bis vor Kurzem auch noch nicht gewusst. Im Kern ist es so, dass in insgesamt fünf Orten der nördlichen Oberpfalz die jahrhundertealte Tradition des Kommunbrauhauses nach wie vor lebendig ist. Diese besteht darin, dass es in einem Ort eine größere Zahl von Brauberechtigten gibt (wobei das Braurecht auf dem Haus liegt), die im Kommunbrauhaus abwechselnd ihr eigenes Bier herstellen, anschließend zuhause lagern und es dann in bestimmten Zeiträumen (etwa zehnmal im Jahr jeweils vier, fünf Tage lang) in ihren eigenen Gasträumen ausschenken dürfen. Dass eine Zoigl-Wirtschaft gerade geöffnet hat, erkennt man daran, dass der sechszackige Brauerstern, der an der Hausfassade befestigt ist, ausgeklappt ist – inzwischen werden aber auch Zoigl-Kalender veröffentlicht, damit interessierte Gäste langfristig planen können.

Die Geschichte des Zoigl-Biers…
…an der Fassade des Kommunbrauhauses Neuhaus
Auch Windischeschenbach hat sein eigenes Kommunbrauhaus

Eine von zwei Zoigl-Wirtschaften in Windischeschenbach, die an diesem Sonntagabend geöffnet haben, heißt Beim Gloser und befindet sich mitten in der Innenstadt. Es kann durchaus sein, dass man auf einen freien Platz warten muss – die Zoigl-Wirtschaften sind nicht sehr groß und sowohl bei Einheimischen als auch bei Gästen sehr beliebt. Ein echtes Glück und ein Riesenzufall noch dazu also, als wir Beim Gloser hineingehen: Gleich in der alten Hofdurchfahrt, also nicht in der eigentlichen Zoiglstube, sitzt ein Amberger Bekannter von Peter mit seiner Freundin – und ihnen gegenüber ein älteres Ehepaar, das gerade im Begriff ist zu gehen. Also werden zwei Plätze frei, und die gehören natürlich uns!

Mitten in der Windischeschenbacher Altstadt: Die Zoigl-Stube Beim Gloser

Da die Freundin von Peters Bekanntem aus dem nahegelegenen Weiden stammt, ist sie mit der Zoigl-Kultur bestens vertraut. Zu einer deftigen Brotzeit – typisch für Zoigl-Wirtschaften – probieren wir das naturtrübe Bier des Hauses, das einen sehr würzigen, runden Geschmack besitzt – es wird ausschließlich aus biologisch angebauten Produkten erzeugt und ist von Naturland zertifiziert.

Hier wird Bier in Bio-Qualität ausgeschenkt – zum Wohl!

Wir hatten uns vorher überlegt, dass wir zu Fuß nach Neuhaus zurückgehen und unterwegs dort eine weitere Zoiglstube besuchen. Doch durch das Zufallstreffen kommen wir in den Genuss eines Fahrdienstes und werden über die Waldnaab und den steil ansteigenden Gegenhang, auf dem effektvoll beleuchtet Burg Neuhaus thront, bis zum Marktplatz von Neuhaus gebracht.

Hoch über dem Waldnaab-Tal thront Burg Neuhaus

Dort haben wir die Wahl zwischen zwei nicht weit voneinander entfernten Zoigl-Wirtschaften und entscheiden uns für den Bahler. Im Hof ist eine Bar aufgebaut, in der etwas Faschingsbetrieb läuft; aber in der recht großen und schön hergerichteten Zoiglstube bekommt man davon nicht viel mit. Das Bier ist hier noch günstiger als Beim Gloser; gerade einmal zwei Euro bezahlen wir für den halben Liter, der hier weniger trüb und etwas hopfiger – und selbstverständlich genauso süffig – daherkommt. Ja, der Vierzeiler von Norbert Neugirg, dem vor allem von den Auftritten bei Fastnacht in Franken bekannten Kabarettisten und Kommandanten der Altneihauser Feierwehrkapell’n, hat absolut seine Berechtigung: Zoiglbier mit Herz gebraut, das Herz nicht vom Kommerz versaut, mit Herzblut und mit Muskelschmalz, das ist das Herz der Oberpfalz!

Da bleibt es nicht bei einem: Zoigl-Bier beim Bahler

Das erfahren wir im Laufe des Abends ganz direkt: Der Chef des Hauses, Thomas Witt, kommt nach einiger Zeit zu uns an den Tisch und will wissen, wo wir herkommen. Als ich antworte: „Aus der Nähe von Donauwörth“, da meint er: „Ja, da kenn ich mich gut aus; ich bin nämlich seit über 30 Jahren jedes Jahr im Kesseltal!“ Im Kesseltal? Nun liegt mein Wohnort Donaumünster ja direkt an der Kessel… Es stellt sich heraus, dass Thomas passionierter Auto-Cross-Fahrer ist, mittlerweile seinen Sohn betreut, dass das jährlich im September stattfindende Kesseltaler Auto-Cross-Rennen bei Brachstadt seine Lieblingsveranstaltung ist, weil ihm dort das ganze Ambiente, die Organisation und die freundlichen Leute behagen. Ob ich vielleicht in Tapfheim eine Ferienwohnung für fünf, sechs Leute weiß? Ich verspreche, mich umzuhören und ihm auf jeden Fall Bescheid zu geben.

Thomas stellt uns die Freundin seines Sohnes vor: Die 19-jährige Vanessa Mandel, aus Hessen stammend und seit einem halben Jahr in Neuhaus lebend, ist selbst Auto-Cross-Pilotin – und zwar eine sehr erfolgreiche: Sie ist amtierende Deutsche Junioren-Autocross-Meisterin! Hier in der Oberpfalz genießt sie offensichtlich auch die Zoigl-Kultur, hilft draußen in der Bar mit und absolviert eine Berufsausbildung. Es wird später und später, die Tische werden leerer; doch Thomas will uns noch nicht gehen lassen. Schließlich sitzen wir mit ihm, seiner Frau Rosi und zwei Stammgästen bis weit nach Mitternacht zusammen, unterhalten uns über Gott und die Welt und werden, obwohl wir längst bezahlt haben, von ihm immer wieder mit ein bisschen nachgeschenktem Zoigl-Bier versorgt. Irgendwann fordert er Peter auf: „Geh an den Zapfhahn und schenk dir nach!“ Was uns noch mehr von der Richtigkeit von Neugirgs Vierzeiler überzeugt…