Landsberg.
Ein Frühlingsmorgen wie aus dem Bilderbuch begrüßt uns in Peiting zum Frühstück. Nachdem wir gestern recht spät angekommen sind und demzufolge auch keine Lust mehr auf irgendwelche Sightseeing-Aktivitäten hatten, holen wir das nun nach. Erster Anlaufpunkt ist die etwas südlich des Ortes gelegene Villa Rustica, ein römischer Gutshof, der hier zwischen dem zweiten und vierten Jahrhundert n. Chr. bestanden hat. Die 1956 begonnenen Ausgrabungen förderten umfangreiche, noch recht gut erhaltene Mauerreste zutage und belegten unter anderem, dass das Gebäude auch mit einem Hypokaustum, einer römischen Fußbodenheizung, ausgestattet war.


Inzwischen ist das gesamte Gebäude von einem verglasten Schutzbau umgeben und damit problemlos rund um die Uhr zu besichtigen. Zudem haben die Verantwortlichen, in erster Linie ein seit über 25 Jahren bestehender Förderverein, auch einen Kräutergarten angelegt, der zeigt, welche Pflanzen zur Zeit der römischen Besiedlung von Rätien – so hieß die Gegend damals – angebaut wurden.

Anschließend drehen wir eine Runde durch den dörflich gebliebenen Ortskern. Idyllisch ist es insbesondere rund um den Peitinger Mühlbach mit traditionellen Wohnhäusern und der wunderschönen alten Schule, an deren Fassade das Entstehungsjahr 1900 prangt.



Von Peiting sind es nur ein paar Kilometer hinüber nach Schongau. Zahlenmäßig ist die zweite Kreisstadt des Landkreises Weilheim-Schongau nur etwa 1.000 Einwohner größer als Peiting, doch im Gegensatz zum Nachbarort besitzt sie eben einen unverkennbar städtischen Charakter. Hinter dicken Stadtmauern und auf einem steilen Hügel gelegen, merkt man der Altstadt noch heute an, als was sie einst, in der Mitte des 13. Jahrhunderts, errichtet wurde: als Grenzstadt, die die Wittelsbacher Herzöge errichteten, um ihre Westgrenze, die weitgehend mit dem Lauf des Lechs identisch war, zu sichern. Im Falle von Schongau und Umgebung war die Grenze zu den schwäbischen Staufern allerdings sogar etwas aufs Westufer des Flusses verschoben worden.


Ein Spaziergang durch das gemütliche Städtchen führt uns über den langgestreckten Marienplatz, das Herz Schongaus, an der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt und dem Ballenhaus, der aus dem 16. Jahrhundert stammenden Schranne, vorbei bis zum Polizeidienerturm, einem auf das 13. Jahrhundert zurückgehenden Torturm der Stadtbefestigung.




Um die Keimzelle Schongaus kennenzulernen, müssen wir uns jedoch erst einmal aufs Fahrrad schwingen, einen langgestreckten Anstieg bewältigen und das wenige Kilometer nordwestlich gelegene Altenstadt ansteuern: Wie der Name der Gemeinde schon andeutet, bestand hier die Alte Stadt Schongau, bevor sie der besseren strategischen Lage wegen auf den näher am Lech gelegenen, besser zu schützenden Bergsporn verlegt wurde. Die Einwohner, die blieben, sorgten dafür, dass der ursprüngliche Ort nicht völlig verödete und vor allem auch seine heutige Hauptsehenswürdigkeit behielt: die Basilika St. Michael, eine der wenigen erhaltenen romanischen Kirchenbauten in Altbayern. Das Gesicht des Kirchenbaus zeigt noch die ursprüngliche Ausprägung mit Doppeltürmen, einer Hauptapsis und zwei Nebenapsiden. Im schlichten Kircheninneren beeindruckt besonders das überdimensionale Kreuz über dem Choreingang mit dem 3,20 Meter messenden Großen Gott von Altenstadt – ein 800 Jahre altes Kunstwerk, das die Zeitläufte wie der gesamte Kirchenbau nicht zuletzt deshalb so unbeschadet überstanden hat, weil den wenigen verbliebenen Einwohnern von Altenstadt in späteren Jahrhunderten das Geld fehlte, um diese für sie eigentlich überdimensionierte, aus den städtischen Anfangszeiten übrig gebliebene Kirche umzugestalten.


Bis jetzt waren es ja nur ein paar Kilometer, allmählich müssen wir aber nun vorankommen. Doch die Radwege durchs bayerische Voralpenland sind hügelig, und so gibt es neben rasanten Abfahrten immer wieder auch giftige Steigungen zu bewältigen – etwa kurz hinter Hohenfurch, wo uns die Endmoräne des Lechgletschers aus der Würm-Eiszeit zu einer sportlichen Anstrengung zwingt.


Den Lech selbst bekommen wir auf diesem Abschnitt nur noch ab und zu zu Gesicht, bemühen uns aber, uns so gut wie möglich an seinen Lauf zu halten. Die nächste Gelegenheit zu einer Lechsichtung besteht bei Kinsau, der ersten Gemeinde im Landkreis Landsberg. Die Auenlandschaft und die Steilhalden rund um die Staustufe 8a sind einen kurzen Besuch wert und genießen inzwischen als Naturschutzgebiet besondere Aufmerksamkeit.

Dass wir es von Kinsau aus Richtung Lech ordentlich rollen lassen konnten, müssen wir anschließend auf der östlichen Lechseite büßen. Bis Apfeldorf läuft es noch ganz gut, wenngleich einige Kilometer auf einer ziemlich befahrenen Staatsstraße, weil hier kein Radweg existiert. Anschließend kommt jedoch die übelste Steigung der gesamten bisherigen Strecke: Der Hauser Berg vor dem kleinen Ortsteil Apfeldorfhausen ist extrem lang und steil und zwingt uns beide – wir sind schließlich ohne elektrischen Hilfsmotor unterwegs – zum Absteigen und Schieben. Das zehrt, und da sind wir heilfroh, als wir im nächsten Ort, einer kleinen Gemeinde namens Reichling, eine offene Dorfbäckerei finden, in der wir uns verpflegen können.
Und damit sind wir bereit für die nächste Abfahrtsstrecke: Mindestens so steil und so lang, wie wir zuvor hochmussten, rauschen wir nun hinter Reichling zum Lech hinunter. Die nächste Flussquerung steht an – über die Lorenzbrücke erreichen wir Epfach, ein kleines Dorf mit großer Geschichte. Die Gründung des Ortes reicht in römische Zeit zurück: Nachdem hier zunächst eine Straßenstation errichtet worden war, entstand im Laufe des ersten nachchristlichen Jahrhunders eine Siedlung, die den Namen Abodiacum trug. Keimzelle des Ortes ist der langgestreckte, nahe des Lechs gelegene Lorenzberg, dessen Name auf eine bereits in spätrömischer Zeit errichtete Kirche zurückgeht. Der heutige, Mitte des 18. Jahrhunderts errichtete Bau ist bereits die vierte Kapelle an dieser Stelle.


Mehr erfahren über die fast zweitausendjährige Siedlungsgeschichte Epfachs kann man in dem mitten im Dorf befindlichen Museum Abodiacum. Es ist frei zugänglich, gut und anschaulich gestaltet und hat mit Claudius Paternus Clementianus sogar einen local hero zu bieten, einen gebürtigen Abodiacer, der als hoher kaiserlicher Beamter und dann sogar Statthalter in Palästina und Noricum Karriere machte, ehe er als Pensionist in seine alte Heimat zurückkehrte. Sein Leben wird hier neben einer Reihe anderer Exponate nachgezeichnet.



Nach ein paar Kilometern über kleine, gewundene Strässchen erreichen wir die vielbefahrene B 17, deren Verlauf wir nun zeitweise in Richtung Landsberg folgen. Allerdings nicht ohne einen vorher nicht eingeplanten Stopp: Die Ausflugsgaststätte Lechblick unweit von Denklingen bietet genau das, was ihr Name verspricht, auch wenn uns die Gaststätte selbst nicht mehr den allerbesten Eindruck macht.

Am späten Nachmittag ist schließlich das Ziel unserer Tagesetappe erreicht: Landsberg, die fast 29.000 Einwohner zählende Kreisstadt zu beiden Seiten des Lechs, deren Stadtkern sich allerdings komplett am östlichen Ufer befindet. Sie entstand seit dem 12. Jahrhundert, weil die bayerischen Herzöge eine dort errichtete Lechbrücke mit einer Siedlung absichern wollten. Die in diesem Zuge entstandene Burg gibt es schon lange nicht mehr, doch die Altstadt von Landsberg ist ganz zweifellos eine glänzende Schönheit, in der es einen Riesenspaß macht, zu flanieren. Noch dazu an einem wunderschönen Frühsommerabend wie dem heutigen, den wir mit einem Blick über die Gassen des Zentrums von der Dachterrasse des Hotels Schafbräu, in dem uns über das Tourismus-Büro der Stadt ein Zimmer vermittelt wurde, beginnen. Von dort oben überblicken wir den Hinteren Anger, der im Norden vom Sandauer Tor und im Süden von der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt begrenzt wird.



Als wir unseren Rundgang starten, stehen wir nach wenigen Minuten auf dem dreieckig zulaufenden Hauptplatz, dem sehr lebendigen und von mehreren herausragenden Gebäuden bestandenen Herzen Landsbergs. Unübersehbar sind hier der Schmalzturm, ein Stadtturm aus dem 13. Jahrhundert, das Alte Rathaus, dessen prachtvolle Rokokofassade ein Werk Dominikus Zimmermanns ist und am südwestlichen Ende des Platzes das ebenfalls farbenprächtig bemalte ehemalige Ursulinenkloster, das jetzt von den Dominikanerinnen genutzt wird.



Besonders reizvoll ist Landsbergs Lage am östlichen Hochufer des Lechs: Die Altstadt zieht sich entlang der Alten Bergstraße steil den Hang hinauf, und oben finden sich mit dem umfangreichen Gebäudekomplex des ehemaligen Jesuitenkollegs und dem wunderschönen, fast 600 Jahre alten Bayertor weitere hervorstechende bauliche Pretiosen der Stadt.


Wir wollen jedoch auch das spezielle Flair der Stadt am Fluss erleben. Deswegen besuchen wir einen Biergarten, der am Rande der Altstadt direkt am Flussufer die Gäste anlockt, und sitzen anschließend längere Zeit am imposanten Karolinenwehr, das schon 1364 angelegt und seitdem immer wieder erneuert wurde – in erster Linie, um den Mühlbach abzuleiten. Inzwischen hat das Wehr aber einen das Stadtbild prägenden Charakter gewonnen. Zudem finden wir an der Karolinenbrücke gleich nebenan eine Skulptur von Vater Lech – somit hat der Fluss, dessen Lauf wir schon seit Sonntag begleiten, nun endlich auch ein menschliches Gesicht!


