Augsburg.
Es verspricht richtig warm zu werden, als wir Landsberg am frühen Vormittag zu unserer fünften Etappe entlang des Lechs verlassen. Die ersten paar Kilometer können wir durch den schattigen Auwald direkt am Westufer des Flusses entlang radeln. Doch schon kurz vor Kaufering ist es damit wieder vorbei: Die Strecke führt durch Wiesen und Felder und anschließend durch den in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark angewachsenen Vorort von Landsberg, dessen größerer Teil sich inzwischen auf der westlichen Lechseite befindet, obwohl der historische Dorfkern am Ostufer liegt.


Etwas außerhalb des Ortes, nahe der Staustufe 18, erinnert ein landschaftlich idyllisch in den Lechauwäldern gelegener Ort an die dunkelste Phase der deutschen Geschichte: Rund um Kaufering befanden sich in den 1940er Jahren mehrere Außenstellen des KZ Dachau. Die dort ums Leben gekommenen jüdischen Gefangenen sind auf zwei nahe beieinander liegenden Friedhöfen bestattet bzw. ihrer wird mit zahlreichen hier angebrachten Steintafeln gedacht.



Hinter Kaufering radeln wir auf steigungsfreien Wegen, die allerdings zum Teil auch entlang stark befahrener Straßen führen, in Richtung Lechfeld. Die große Schotterebene zwischen Lech und Wertach war als beinahe waldlose Heidelandschaft lange Zeit kaum besiedelt, dafür aber Schauplatz geschichtlich bedeutsamer kriegerischer Auseinandersetzungen, insbesondere dem als Schlacht auf dem Lechfeld bekannten Kampf gegen die Ungarn im Jahre 955.

Eine größere Ansiedlung mitten auf der Schotterebene entstand erst, als 1602 eine kleine Wallfahrtskapelle errichtet wurde, die von den Franziskanern schrittweise zum Sitz eines Klosters ausgebaut und vergrößert wurde. Rund um die beeindruckende Wallfahrtskirche Mariahilf, die heute vom Rokoko geprägt ist, entstand allmählich Klosterlechfeld, heute eine ruhige, etwa 3.000 Einwohner zählende Wohngemeinde. Sie gehört bereits zum Landkreis Augsburg, womit wir von Oberbayern nach Schwaben gewechselt haben.


Über weite Strecken dem schnurgeraden Verlauf der alten Römerstraße Via Claudia Augusta folgend, erreichen wir gegen Mittag Königsbrunn. Die inzwischen mit etwa 28.000 Einwohnern größte Stadt des Landkreises Augsburg ist eine der jüngsten Siedlungen Bayerns: Erst in den 1830er Jahren entstanden hier, auf dem nördlichen Lechfeld, zunächst einige Brunnen am Rande einer Durchgangsstraße, in deren Umgebung sich wenige Jahre später die ersten Siedler niederließen. Schon 1842 wurde Königsbrunn zur Gemeinde ernannt und entwickelte sich entlang der Straße zum mit über sieben Kilometern längsten Straßendorf, bevor der Ort schließlich 1967 die Stadtrechte erhielt.

Der jungen Geschichte und der Siedlungsstruktur entsprechend gibt es in Königsbrunn nicht allzuviel erwähnenswerte Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Für eine längere Mittagspause eignet sich die Stadt jedoch allemal, und zumindest lohnt – wenn wir schon einmal hier sind – ein kurzer Abstecher zum unweit des Zentrums gelegenen Mercateum. Dabei handelt es sich um einen überdimensionalen Globus, der, da er auf einer Karte des Spaniers Diego Ribero aus dem Jahre 1529 beruht, als größter historischer Globus der Welt gilt. Die 2005 zunächst in München präsentierte, 2008 schließlich in Königsbrunn aufgestellte Kugel ist zehn Meter hoch, beherbergt im Inneren ein Museum zur Geschichte des Seehandels und verweist damit nicht zuletzt auf die umfangreichen Handelsbeziehungen der weltweit agierenden Augsburger Kaufmannsfamilien Fugger und Welser. Die am stärksten frequentierte europäische Handelsroute nach Italien verlief in dieser Zeit auch über Königsbrunner Flur.

Durch die weitläufigen Vorstadtsiedlungen Königsbrunns radeln wir bei schwülwarmem Wetter nun ostwärts – wir wollen wieder an den Lech. Dort herrscht an diesem Freitag in den Pfingstferien reger Freizeitbetrieb: Der Fluss ist hier, bei Merching, an der Lechstaustufe 23 wieder einmal zu einem See verbreitert, der seit 2003 nach einem alten bayerischen Stammesfürsten den Namen Mandichosee trägt. Mit dem Landkreis Aichach-Friedberg, auf dessen Gebiet wir nun unterwegs sind, haben wir den einzigen Kreis des Bezirks Schwaben erreicht, der so gut wie vollkommen auf der östlichen Seite des Flusses liegt. Durch die Kissinger Heide teilweise auf Schotterwegen (die wir uns allerdings selber suchen; sie sind nicht als Radwege ausgewiesen), über einen längeren Zeitraum hinweg allerdings der dicht befahrenen B 2 folgend, was den Spaßfaktor nicht gerade erhöht, nähern wir uns der oben auf der Lechleite gelegenen Stadt Friedberg.


Obwohl heute zu Schwaben gehörend, ist Friedberg eine altbayerische Stadt: Ihre Gründung verdankt sie wie schon Schongau und Landsberg der Tatsache, dass die bayerischen Herzöge an ihrer Westgrenze ein Bollwerk gegenüber von Schwaben und der auf der anderen Lechseite befindlichen Freien Reichsstadt Augsburg anlegen wollten. Die 1264 angekündigte Errichtung einer Burganlage auf der Anhöhe östlich des Lechs führte bald zum Entstehen einer Stadt. Dank ihrer Nähe zu Augsburg ist sie mittlerweile zwar auf 30.000 Einwohner angewachsen; im Kern hat sie aber nach wie vor das Erscheinungsbild einer gemütlichen Kleinstadt bewahrt.


Nachdem wir den langgezogenen Anstieg hinauf ins Ortszentrum bewältigt haben, erkunden wir Friedberg zu Fuß. Dass wir schon nach wenigen Metern ein Fahrrad-Fachgeschäft entdecken, in denen wir neue Trinkflaschen erwerben, erweist sich auch hinsichtlich des weiteren Tagesprogramms als wichtig, denn die freundliche Verkäuferin versorgt uns mit einigen guten Tipps für die Stadterkundung. Was sie uns nicht zu sagen braucht, ist der Standort der Stadtpfarrkirche St. Jakob: Dieser neuromanische Bau befindet sich unübersehbar mitten in der Altstadt. Ihre ungewöhnliche rot-gelbe Bänderung geht auf italienische Vorbilder zurück, ihr Entstehungszeitraum zwischen 1871 und 1873 ist der Tatsache geschuldet, dass der Vorgängerbau im Jahre 1868 einstürzte – ein Ereignis, das die damaligen Stadtväter derart schockte, dass sie im selben Jahr das letzte noch verbliebene der ursprünglich drei Friedberger Stadttore, das ihnen baufällig erscheinende Münchner Tor, abreißen ließen, um eine weitere Katastrophe zu verhindern. So zeugen heute nur noch die erhaltenen Teile der Stadtmauer von der einstigen Wehrhaftigkeit.


Sehr gemütlich wirkt Friedberg vor allem rund um den Marienplatz, der verkehrsberuhigt gestaltet ist. Dominiert wird er vom barocken, 1680 entstandenen Rathaus; doch auch die Fassaden der Bürgerhäuser rundherum tragen zum Flair des Platzes bei.


Einer der Tipps der Dame aus dem Fahrradgeschäft ist es, das im Norden der Altstadt auf einem Felsvorsprung thronende Wittelsbacher Schloss zu besuchen. Der Bau geht auf die Gründungszeit der Stadt im 13. Jahrhundert zurück, wurde aber in der Renaissance entscheidend erweitert und umgestaltet. Nachdem die Stadt das historische Bauwerk vor über zehn Jahren erwarb und aufwändig restaurierte, ist das darin untergebrachte Stadtmuseum erst seit wenigen Wochen wieder geöffnet – nach neuesten museumspädagogischen Aspekten gestaltet, mit gut verständlichen Erläuterungen und einem Audioguide. So erhalten wir einen umfassenden Überblick, der von prähistorischen Großtierfossilien über antike Bodenfunde bis in die Neuzeit reicht und erfahren dabei, dass Friedberg im 17. und 18. Jahrhundert ein weithin bekanntes Zentrum des Uhrmacher-Handwerks war.




Zur gleichen Zeit blühte vor den Toren der Stadt auch eine Wallfahrt auf, die schon seit dem 15. Jahrhundert bestand. So wurde im 18. Jahrhundert der Bau eines größeren Kirchengebäudes notwendig, und das geriet aufgrund der Verpflichtung der besten zeitgenössischen Künstler sehr prachtvoll: Mit der Wallfahrtskirche Herrgottsruh, heute längst von den Vorstadtsiedlungen Friedbergs umschlossen, besitzt die Stadt deswegen auch außerhalb der Altstadt ein namhaftes historisches Baudenkmal. Ob wir ohne den Tipp der freundlichen Fahrradhändlerin wohl hier herausgefahren wären?


Jedenfalls ist es deutlich später geworden als vorher gedacht, bis wir die letzten Kilometer in Angriff nehmen – Ziel des heutigen Tages ist nämlich Augsburg. Nachdem wir von Friedberg her kommen, wollen wir die mehr als 2.000 Jahre alte Bezirkshauptstadt Schwabens, mit gut 290.000 Einwohnern Bayerns drittgrößte Stadt, über den Hochablass ansteuern – wieder eine Lechstaustufe, aber eine ganz besondere: Sie staut den Fluss nicht nur zum als Naherholungsgebiet beliebten Kuhsee auf, der sich südlich davon erstreckt, sondern leitet Lechwasser in die Augsburger Altstadt ab und bot damit bereits im Mittelalter zahlreichen kleinen Handwerksbetrieben an den Lechkanälen die notwendige Wasserkraft. Diese historische Augsburger Wasserwirtschaft besitzt derzeit Kandidatenstatus beim Anerkennungsverfahren zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die heutige Anlage wurde nach einem verheerenden Hochwasser 1910 in den Folgejahren neu errichtet und hat mit dem mit einem Glockenhäuschen versehenen Getriebeturm ein pittoreskes Wahrzeichen.


Direkt hinter dem Hochablass wartet gleich die nächste Augsburger Sehenswürdigkeit: der Eiskanal, die zu den Olympischen Sommerspielen 1972 errichtete Wildwasseranlage, die noch heute das Bundesleistungszentrum für die Kanuten beherbergt. Damals schnappte sich Augsburg also zumindest ein kleines Stück vom großen Kuchen der Münchner Olympiade; heute ist es eine Sportanlage, die auch aufgrund ihrer angenehmen Lage mitten im Grünen hohen Freizeitwert besitzt.


Unser Freizeitwert besteht an diesem Abend, nachdem wir endlich unser Quartier, das Hotel ibis-Hauptbahnhof, erreicht haben, allerdings nicht mehr in einer ausgedehnten Stadterkundung; ohnehin ist uns Augsburg alles andere als unbekannt, sodass wir nur noch ein passendes Lokal für ein ordentliches Abendessen suchen.
