Donaumünster.

Unsere Tochter Cindy, die in Augsburg arbeitet, hat uns den Tipp gegeben: „Geht zum Frühstück doch ins Café picnic!“ Das liegt mitten in der Innenstadt – und so starten wir unseren Tag, an dem wir die letzte Etappe am Lech bis zur Mündung absolvieren wollen, mit einem Spaziergang von der Halderstraße nahe des Hauptbahnhofs, wo wir untergebracht sind, vorbei an der im Jugendstil errichteten Synagoge bis hinein in Augsburgs historisches Herz: der von prachtvollen Bürgerhäusern aus der Renaissance-Zeit gesäumten Maximilianstraße, an der sich architektonische Preziosen dicht an dicht reihen.

1917 fertiggestellt: Augsburgs Synagoge in der Halderstraße
Offene Fenster zur Maximilianstraße im Café picnic

Ihren südlichen Abschluss bildet die spätgotische Basilika St. Ulrich und Afra mit ihrem hohen, von einem zwiebelförmigen Helm bekrönten Turm. Imponierend sind die drei gewaltigen Brunnenbauten, die den Straßenverlauf schmücken: Der Herkulesbrunnen von 1602 vor dem prächtigen Schaezlerpalais aus dem 18. Jahrhundert, der fast gleich alte Merkurbrunnen vor dem bunt bemalten Weberhaus, einem anstelle eines gotischen Gebäudes vor gut hundert Jahren in historisierender Form wiedererrichteten ehemaligen Zunfthauses, und selbstverständlich der Augustusbrunnen auf dem Rathausplatz, der die Maximilianstraße im Norden abschließt. Auch er ist aus der Renaissancezeit und hat mit den Silhouetten des Rathauses und des Perlachturms einen eindrucksvollen Hintergrund.

Südlicher Teil der Maximilianstraße mit Basilika St. Ulrich und Afra und Herkulesbrunnen
Im Stil des späten Rokoko: Schaezlerpalais
Ein weiterer Prachtbrunnen: der Merkurbrunnen vor dem Weberhaus
Augsburgs prächtiges Rathaus mit Perlachturm und Augustusbrunnen

In Augsburg gäbe es natürlich sehr viel mehr zu sehen; aber nachdem uns die Stadt ja nun wirklich gut bekannt ist und wir vor allem auch noch eine ordentliche Etappe vor uns haben, verzichten wir auf einen ausführlichen Rundgang mit Anlaufpunkten wie Fuggerei, Lechviertel, Dom, ehemals fürstbischöflicher Residenz oder den Toren und Türmen der Stadtbefestigung. Über den Fuggerplatz und die als Einkaufsmeile bekannte Annastraße laufen wir zurück zum Hotel und schwingen uns, es ist sowieso schon später Vormittag geworden, auf die Räder.

Historische Fassaden säumen den Fuggerplatz
Einige Sehenswürdigkeiten Augsburgs, die wir heute auslassen: Dom Mariä Heimsuchung…
…die barocke Fürstbischöfliche Residenz, mittlerweile Sitz der Bezirksregierung…
…das Wertachbrucker Tor
…das Rote Tor
…und die Fuggerei, die älteste Sozialsiedlung der Welt

Auch wenn überall in Augsburg Radwege ausgeschildert sind – ein wahres Vergnügen ist das Fahren bei dem dichten Verkehr nicht gerade. Ruhiger wird es erst in der Peripherie der Stadt; wir haben die Wertach, den größten Nebenfluss des Lechs, kurz vor seiner Mündung zwar überquert, diese selbst aber nicht sehen können und rollen nun in die fast nahtlos, nur durch das breite Band der A 8 getrennte, an Augsburg anschließende nördliche Nachbarstadt Gersthofen. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war Gersthofen nicht mehr als ein unscheinbares Dorf, doch seitdem führte die Nähe zu Augsburg zu einem stetigen und starken Anwachsen. Seit 1969 genießt Gersthofen nun Stadtrechte. Ähnlich wie schon in Königsbrunn hat Gersthofen aufgrunddessen nicht viele geschichtlich interessante Gebäude zu bieten. Das City-Center im Stadtzentrum mit Rathaus, Stadthalle und Einkaufszentrum hat gerade einmal 25 Jahre auf dem Buckel, die neuromanische Stadtpfarrkirche St. Jakobus wurde im 19. Jahrhundert gebaut und im 20. Jahrhundert umfangreich verändert. Als Wahrzeichen Gersthofens kann der aus dem Jahr 1906 stammende Wasserturm angesehen werden, der seit über 30 Jahren das Ballonmuseum – es war das erste seiner Art weltweit – beherbergt.

Gersthofens City-Center mit Rathaus (links) und Stadthalle (Mitte, Hintergrund)
Der Wasserturm von 1906 beherbergt heute das Ballonmuseum
Die Donauwörther Straße führt auf die Pfarrkirche St. Jakobus zu

So ist Gersthofen nur eine Durchgangsstation für uns, die uns aber auch dazu dient, wieder direkt an den Lech heranzufahren. Der hat sich hier allerdings in zwei Arme aufgeteilt – nicht aus freien Stücken, sondern weil ein großer Teil seines Wassers am Lechwehr Gersthofen in einen Kanal abgeleitet wird. Der eigentliche Fluss führt infolgedessen ziemlich wenig Wasser; der 1898 angelegte, 18 Kilometer lange Lechkanal, der den Lech bis Meitingen an seiner Westseite begleitet, soll hingegen durch eine möglichst ganzjährig gleichmäßige Wasserführung das reibungslose Funktionieren der drei hier angesiedelten Wasserkraftwerke garantieren.

Nördlich von Augsburg führt der Lech nur wenig Wasser…
…weil der Lechkanal abgezweigt wird

Auf ruhigen Wegen begleiten wir Fluss und Kanal den Auwald entlang bis Langweid. Kurz vor dem dortigen Kraftwerk, einem sehenswerten Bau im Historismusstil, der mittlerweile Sitz des allerdings jeweils nur am ersten Sonntag eines Monats geöffneten Lechmuseums Bayern ist, treffen wir wieder auf eine Lechbrücke – Chance zur Überquerung ans Ostufer, obwohl wir auch weiter durch den Auwald hätten fahren können. Aber wir wollen unterwegs ja noch ein bisschen etwas sehen, und das ist nur möglich, wenn wir uns ein Stück weit vom Fluss entfernen. Aus gutem Grund halten die Siedlungen am Unterlauf des Lechs respektvollen Abstand zum Fluss: Vor der Begradigung und Aufstauung waren Hochwässer hier an der Tagesordnung.

Kraftwerk Langweid am Lechkanal
…und Kiesbänke im Lech bei Rehling

Nach einigen Kilometern im Landkreis Aichach-Friedberg gelangen wir in Thierhaupten noch einmal auf Gebiet des Landkreises Augsburg – das einzige, das auf der Ostseite des Lechs gelegen ist. Die 4.000 Einwohner zählende Marktgemeinde blickt auf eine lange Geschichte zurück: Schon Mitte des 8. Jahrhunderts soll hier auf der Lechleite ein Benediktinerkloster gegründet worden sein, dessen umfangreiche Gebäudeteile heute sehr unterschiedlich genutzt werden. Ein Kloster gibt es hier schon seit der Säkularisation nicht mehr; dafür sind mittlerweile verschiedene Fachschulen und Behörden ansässig. Doch auch für das leibliche Wohl ist hier gesorgt: Ein schönes Restaurant hat sich in einem Teil des Klosters angesiedelt – für uns der ideale Ort, um bei der heute etwas schwülwarmen Witterung eine Pause im Klosterhof unter schattigen Bäumen einzulegen.

Hauptgebäude der ehemaligen Benediktinerabtei Thierhaupten

Anschließend darf ein Blick in die ehemalige Klosterkirche nicht fehlen. Die heutige Pfarrkirche St. Peter und Paul ist im Kern romanischen Ursprungs, glänzt jedoch seit dem frühen 18. Jahrhundert in festlichem Barock. Auch eine weitere Sehenswürdigkeit Thierhauptens ist dem Kloster zu verdanken: Die aus dem 15. Jahrhundert stammende Getreidemühle an der Friedberger Ach wurde von den Benediktinern angelegt. Sie ist heute als Klostermühlenmuseum zu besichtigen.

Ehemals Kloster-, heute Pfarrkirche: St. Peter und Paul
…mit barocker Innenausstattung
Die ehemalige Getreidemühle des Klosters an der Friedberger Ach

Wir bleiben nun auf der Ostseite des Lechs. Durch dünn besiedeltes Gebiet in der Lechebene radelnd, passieren wir unter anderem Gut Hemerten, einen Ortsteil der ersten zum Landkreis Donau-Ries zählenden Gemeinde Münster. Hier haben die adeligen Gutsbesitzer im 19. und frühen 20. Jahrhundert zwei kleine Schlossgebäude errichtet, die sich dezent in die flache, parkähnliche Landschaft einfügen. Auch das Gutsverwaltergebäude hat durchaus seinen architektonischen Reiz.

Hemertens Neues Schloss aus dem frühen 20. Jahrhundert
Auch der Gutshof selbst ist durchaus sehenswert

Flach und weit wird das Land nun; die Lechleite erhebt sich nur noch wenige Meter über die den Fluss säumende Lechebene, und das Hügelland im Osten weicht zurück, um dem breiten Tal der Donau Platz zu machen, dessen markantes Nordufer mit den Ausläufern der Fränkischen Alb am Horizont bereits erkennbar wird – der Lauf des Lechs nähert sich seinem Ende. Zuvor aber befindet sich an der östlichen Flussseite noch eine Stadt, und auch sie verdankt ihre Gründung dem Bedürfnis der Bayern-Herzöge nach Sicherung ihrer Westgrenzen: Das 1257 erstmals erwähnte Rain entstand ähnlich wie Schongau durch die Verlegung einer älteren Siedlung, hier allerdings eines Dorfes namens Brucklach, auf einen strategisch günstigeren und näher am Lech gelegenen Sporn einer Landschaftsterrasse und wurde in der Folge rasch stark befestigt.

Wir erreichen Rain über geschotterte Wege in Flussnähe und landen gleich dort, wo sich die meisten Besucher dieser 9.000-Einwohner-Stadt überwiegend aufhalten: bei den sich weit ausdehnenden Parkanlagen des Dehner-Gartencenters, der hier seinen Stammsitz hat. Eigentlich eine schöne Gelegenheit zu einem kleinen Bummel durch gepflegtes Grün – aber unter touristischen Gesichtspunkten ist ein Besuch ganz sicher überflüssig. Rain ist meine Heimatstadt; hier sind wir beide beruflich tätig, hier kennen wir nun wirklich jeden Winkel.

Hauptattraktion von Rain: der Dehner-Blumenpark

Also wenden wir uns direkt der Altstadt zu, die gleich neben dem Dehner-Gelände beginnt. Durch das Schwabtor, einen Ersatzneubau von 1973 anstelle des aus dem 15. Jahrhundert stammenden Originalbauwerks, gelangen wir in die Innenstadt, deren Hauptachse die langgestreckte Hauptstraße bildet. Neben den bunten Bürgerhäusern, deren Entstehungszeit meist zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert liegt, sticht das Rokoko-Rathaus, das 1762 fertiggestellt wurde, mit dem davor aufragenden Standbild des bayerischen Feldherrn Tilly besonders hervor.

In historisierendem Baustil wiedererrichtet: Schwabtor
Rokoko-Rathaus und Tilly-Denkmal
Häuserzeile in der Hauptstraße

Etwas abseits der Hauptstraße befinden sich die spätgotische Stadtpfarrkirche St. Johannes der Täufer und die direkt daneben stehende, aus ähnlicher Zeit stammende Allerheiligenkapelle: Sie erinnert mit ihrem Karner – wie wir es in Elbigenalp bereits gesehen haben – an die Vergänglichkeit jedes Menschen und weist damit auch auf ihre ursprüngliche Bestimmung als Friedhofskapelle hin.

Im späten 15. Jahrhundert erbaut: Pfarrkirche St. Johannes der Täufer…
…und die Allerheiligenkapelle
…mit dem Beinhaus im Untergeschoss

Nach einer Pause in einem Eiscafé setzen wir unsere Tour fort. Vorbei am Schloss, das die Wittelsbacher im 15. Jahrhundert als Verwaltungsgebäude errichteten, und den anlässlich der Kleinen Landesgartenschau 2009 neu gestalteten Stadtpark querend, verlassen wir Rain, um über die direkt nördlich davon befindliche Brücke, über die die B 16 führt, noch einmal den Lech zu überqueren. Hier bei Genderkingen, versteckt im Auwald, steht eine historische Grenzsäule aus dem frühen 17. Jahrhundert, die Zeugnis von dem trennenden Charakter ablegt, den dieser Fluss auf seinem gesamten bayerischen Teil einst besaß und zumindest dialektmäßig auch heute noch besitzt.

Als Pflegschloss erbaut: Das Wittelsbacher Schloss in Rain
Der Stadtpark zieht sich an der Altstadt entlang
Die B 16 führt über die letzte Lechbrücke
Im Auwald westlich des Lechs: historische Grenzsäule von 1600

Wir wenden uns jetzt jedoch der Lechmündung zu, die wir, wenn überhaupt, nur am Westufer des Flusses erreichen können. An der Ostseite versperren auf dem allerletzten Kilometer einige sumpfige Gebiete und kleine Wasserläufe im dichten Auwald das Durchkommen. Bis zur letzten Lechstaustufe Feldheim ist der Weg durch den Genderkinger Auwald und vorbei am Wasserwerk des Zweckverbandes Wasserversorgung Fränkischer Wirtschaftsraum gut geteert, danach aber sind wir auf einem offensichtlich auch von Fußgängern nur spärlich begangenen, ziemlich zugewachsenen Waldweg den letzten Flusskilometer unterwegs und müssen zwischendurch auch mal absteigen, um überhaupt voran zu kommen.

Nur eineinhalb Kilometer vor der Mündung: letzte Staustufe des Lechs bei Feldheim
Durch dichtes Grün kämpfen wir uns zur Lechmündung durch

Der Weg selbst erweist sich aber nicht einmal als das größte Problem: Myriaden von Mücken umschwärmen uns, sobald wir unseren Schritt auch nur verlangsamen. Wir sind mittlerweile im Einzugsbereich der Donau, und hier sind in den letzten Tagen unzählige dieser lästigen Stechfliegen geschlüpft, nachdem sie aufgrund der Regenfälle und des Hochwassers im Mai ideale Brutbedingungen hatten. Nur der sofortige Einsatz eines Schutzmittels macht es möglich, dass wir einigermaßen unbeschadet den Lechspitz erreichen – die schmal zulaufende Landspitze zwischen Donau und Lech, an der wir ganz nah dran sind am Zusammenfluss der beiden so unterschiedlich gefärbten Flüsse.

Angekommen…
…am Lechspitz, wo Donau (links) und Lech (rechts) sich vereinigen

Die Gemeindegrenzen sind hier so gestaltet, dass die äußerste Landspitze im Nordwesten zwar zur Gemeinde Niederschönenfeld gehört, die Mündung selbst aber bereits auf dem Hoheitsgebiet des am Nordufer der Donau gelegenen Marxheim liegt. Also noch einmal Kommando zurück: Über die Staustufe Feldheim gelangen wir wieder ans Ostufer des Lechs, durchqueren Niederschönenfeld und statten dabei der prächtigen Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt noch einen kurzen Besuch ab: Die ehemals dem heute als Justizvollzugsanstalt dienenden Zisterzienserinnenkloster zugehörige Kirche wurde nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts neu errichtet und besticht mit ihrer festlichen Innenausschmückung.

Niederschönenfelds barocke Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt
…besticht mit ihrer farbenprächtigen Innenausstattung

Von Niederschönenfeld aus führt ein Radweg entlang der Staatsstraße Richtung Marxheim: Gelegenheit, die Lechmündung von der dortigen Donaubrücke aus erhöhter Warte noch einmal zu sehen und anschließend in einem ortsansässigen Steakrestaurant stilvoll das erfolgreiche Erreichen unseres Ziels zu feiern.

Lechmündung von der Donaubrücke bei Marxheim
Noch eine ganze Weile fließen Donau- und Lechwasser nebeneinander her
Verdienter Lohn am Ende der Tour: ein gutes Steak

Bleibt nur noch die Frage: Wie kommen wir nachhause? Der kürzeste Weg verliefe über den Donau-Radwanderweg, der würde aber ein paar langgezogene, giftige Anstiege beinhalten. Die einfachste Methode wäre es, nach Rain an den Bahnhof zu fahren und sich vom Zug heimbringen zu lassen. Wir wählen Variante drei: südlich der Donau zwar etwas länger, aber dafür praktisch steigungsfrei unterwegs zu sein – nach etwa 25 Extra-Kilometern erreichen wir im goldenen Abendlicht gegen 21 Uhr aus eigener Kraft unser Zuhause in Donaumünster.

Durch einen goldenen Sommerabend fahren wir nachhause